40. Etappe: 14. Mai 2013

Lingen – Meppen  21,1 km

Meine Unterbrechung

Meine persönliche Anwesenheit zu Haus war für das Ausfüllen von einigen Formularen, dem Unterschreiben der Formulare, dem Zusammenstellen verschiedener Dokumente und die persönliche Abgabe bei der Rentenstelle in Darmstadt notwendig geworden. Doch nach der Abgabe am Montagmorgen hatte ich wieder etliche Formulare für den Rentenantrag in meinen Händen und musste auch diese Formulare noch ausfüllen. Diesen Rentenantrag kann ich jetzt noch nicht abgeben, sondern erste drei Monate vor Rentenbeginn. Doch diesmal bereite ich alles so vor, das ich nicht persönlich zur Abgabe erscheinen muss.

Es wird Nachmittag, bis ich endlich in der Straßenbahn zum Hauptbahnhof sitze. Es ist alles so kurzfristig und es kommt, wie es kommen muss. Im Reisezentrum sind fünf Personen vor mir dran. Und das dauert. Die Zeit verrinnt und ich sitze wie auf heißen Kohlen und könnte Einige vor mir am Schalter zum Mond schießen. Erst fünf Minuten vor Zugabfahrt verlasse ich das Reisezentrum mit meiner Fahrkarte und hetzte zum Bahngleis. Glücklicherweise hat der Zug leichte Verspätung. Als ich endlich im Abteil sitze, fällt der ganze Stress von mir ab und ich bin froh, wieder dem Alltag entronnen zu sein. Mit Verspätung erreiche ich dann Lingen und muss noch einige Zeit bis zum Hotel laufen. Um 21:30 Uhr sitze ich endlich in meinem Zimmer und freue mich auf den kommenden Tag.

Mein Wecker holt mich unsanft um 5:30 Uhr aus dem Schlaf. So früh wollte ich eigentlich nicht geweckt werden, aber leider hatte ich gestern nicht die Weckzeit kontrolliert. Da das Frühstück bereits ab 6:00 Uhr bereitsteht, gehe ich kurz vor halb sieben schon zum Frühstücken. Ich bin nicht der Erste, mehrere Monteure und Handwerker sind schon da.

Nach dieser Zwangspause ist mein innerlicher Akku wieder deutlich aufgeladen. Leicht beschwingt verlasse ich das Hotel und beginne meine heutige Etappe. Es ist bewölkt und noch ziemlich kühl. In diesem Moment beneide ich all die, die jetzt in Italien oder Spanien bei sommerlichen Temperaturen unterwegs sind. Ich darf aber nicht unzufrieden sein, wenigstens die Pause, wenn auch ungeplant, hat mir und meinem Körper gut getan.

Nach Erreichen des Stadtrands überquere ich den Dortmunder Emskanal und laufe auf dem Radweg neben einer viel befahrenen Landstraße entlang. Doch schon kurze Zeit später sehe ich eine Abzweigung zum Emskanal hin und nehme diesen Weg. Ein Streifen mit Büschen und Bäumen von etwa zwanzig Meter, manchmal auch mehr, trennt mich von der Straße. Schon bald verdränge ich den Lärm. Dieser wird hin und wieder noch verstärkt durch vorbeifahrende Züge auf der anderen Kanalseite.

Ich sehe mitten auf dem Kanal einen Kormoran, der immer wieder mit elegantem Schwung abtaucht. Fasziniert beobachte ich den Vogel. Ich kann nicht ausmachen, wo er wieder auftaucht. Mal sind es nur ein paar Meter vor mir, mal sind es aber auch über zwanzig Meter. Mal ist es mehr zu meiner Kanalseite hin und mal mehr zur anderen Seite. Beim Zuschauen vergesse ich vollkommen den Lärm und konzentriere mich nur auf diesen Vogel. Es sieht wie Frühsport aus, ist natürlich aber Nahrungssuche. Als ich dann etwa auf seiner Höhe bin, habe ich das Gefühl er nimmt mich wahr. Vor dem Abtauchen schaut er immer wieder in meine Richtung und es sieht so aus, als wolle er mir sagen: „Ich bin schneller als Du.“ Dieses Schauspiel geht einige hundert Meter dem Kanal entlang. Ein herankommendes Motorboot ignoriert er zunächst, um dann aber mit Mühe vor dem Boot davon zu fliegen.

Ich nähere mich einer Raffinerie und muss den Kanal verlassen. Der Weg an der Straße, nun eine Bundesstraße, ist wieder schnurgerade und ich habe das Gefühl, das der Weg am Horizont noch nicht enden will. Nur eine Kurve unterbricht diese etwa fünf Kilometer lange Gerade. Links habe ich die Straße und rechts begleitet mich ein schmaler tiefer Graben mit steilen Rändern. Unten im Graben sehe ich auf beiden Seiten Holzpflöcke in kurzen Abständen. Alte Erinnerungen werden wach.

Nach meiner vierjährigen Bundeswehrzeit habe ich in Ostfriesland noch für kurze Zeit im Tiefbau und später auch als Lkw-Fahrer gearbeitet. Mein Beginn war im Tiefbau und da haben wir solche Gräben, wenn ich mich richtig erinnere, wurden sie Tiefs genannt, ausgebessert. Zu den Arbeiten gehörte auch, Holzpflöcke auszutauschen. Der morgendliche Arbeitsbeginn wurde immer im Bauwagen mit einem Klaren zum Aufwärmen vorbereitet. Der erste Einsatz von mir im Graben ist mir bis heute gut in Erinnerung geblieben. Für die Arbeiten im Graben gab es lange, bis zu den Oberschenkel reichende, Gummistiefel. Nach meiner ersten Tätigkeit im Graben wollte ich wieder heraussteigen, doch ich konnte mich nicht mehr von der Stelle bewegen. Meine Füße waren vom Untergrund festgesaugt. Natürlich hatten alle auf diesen Moment gewartet und ein schadenfrohes Gelächter brach aus. Danach halfen sie mir wieder herauszusteigen. Nie mehr kam ich in solch eine Situation, man musste sich im Graben immer ein bisschen bewegen und verhinderte damit das Ansaugen. 

Mein Körper verlangt eine Pause und ich halte Ausschau nach einem Rastplatz. Das ist jedoch an einem Radweg neben einer Straße nicht so einfach, doch dann entdecke ich vor mir einen Übergang über den Graben. Dort angekommen versperrt mir nur ein Tor als Wildschutz den Weg zum Kanal. Das Tor ist glücklicherweise nicht verschlossen und so wechsel ich von der Straße wieder zu einem schmalen Pfad am Kanal entlang. Dieser Pfad ist eine Gerade von über acht Kilometer. Doch hier lenken mich die Vögel, die Natur und der Betrieb auf dem Kanal ab. Inzwischen scheint nach ein paar kurzen Regenschauern die Sonne. Zwischendrin erreiche ich eine Schleuse und mache auf einer Bank zwischen den beiden Schleusenbereichen eine Pause. Ich nutze die Pause und rufe Jürgen, einen Freund aus der Bundeswehrzeit, an um ihn von meiner Verzögerung zu berichten. Dabei erfahre ich von Jürgen, dass er etwas zu meinem Kommen organisieren will. Das freut mich außerordentlich und so laufe ich, verstärkt in Gedanken an meine Soldatenzeit, weiter.

Bei einer weiteren Pause, ich nutze gerne die seltenen Bänke für eine kurze Rast, suche ich meine Bleibe für diese Nacht. Diesmal entscheide ich mich für eine Nacht im Heu. Dazu muss ich schon kurze Zeit später den Kanal zur Straße hin verlassen. Auf dem Radweg an der Straße angekommen, stelle ich fest, irgend ist anders, etwas fehlt. Es sind meine Nordic-Walking-Stöcke, die ich an der Bank stehen gelassen habe. Also im Trab, so weit das mit einem schweren Rucksack möglich ist, zurück zum Kanal. Bange Minuten vergehen und ausgepumpt erreiche ich die Bank. Meine Stöcke sind noch da. Dann wieder zurück zur Straße. Hier geht es nochmals auf einer Geraden bis zum Ortseingang von Meppen. An der nächsten Kreuzung biege ich ab und verlasse die Bundesstraße. Der Weg zum Ferienhof ist kurz und der Bauer führt mich zum Heuschlafplatz. Ich bin alleine und habe im Keller Dusche und WC. Alternativ hätte ich auch eine Matratze im Schlafsaal wählen können.

Jetzt als ich den Artikel schreibe, kriecht langsam die Kälte in mir hoch. Ich hoffe, meine Wahl für heute Nacht ist richtig.

Ein Gedanke zu „40. Etappe: 14. Mai 2013

  1. Hallo Deutschland-Wanderer,
    ich kann alles mitfühlen. Bundestraßen, Wald- und Forstwege, Hunde, blauer Himmel und Regen. Mein Wanderziel durch (nicht um) Deutschland habe ich letzte Woche erreicht. Einen römischen Lorbeerkranz habe ich mir verdient s. http://www.limeswanderweg.info unter “News”. Und gestern war ich von Bonn aus beim Ehemaligen/Senioren-Treffen der MT-Stelle des FTZ in Darmstadt.
    Also weiterhin guten Weg und aufpassen (ich bin im Wald gestürzt). Ich wandere weiter mit, dieses Mal bequem am PC.

    Grüße von Werner.

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