69. Etappe: 20. Juni 2013

Riddorf/Breklum – Schlüttsiel – Hallig Hooge  21,5

Bereits um 8 Uhr verlasse ich die Pension. Zur Sicherheit starte ich heute früh. Meine Fähre zur Hallig Hooge fährt um 17:35 Uhr in Schlüttsiel ab. Eigentlich genug Zeit für eine Strecke von etwa zwanzig Kilometer. Doch ich möchte mein rechtes Bein schonen und auch genug Zeit für vielleicht interessante Gespräche zu haben.

Der Himmel ist bewölkt und die Außentemperatur beträgt 19 Grad. Weit kann ich nicht sehen, es ist nebelig. Dafür trocken, aber extrem schwül. Schon nach wenigen Minuten läuft bei mir der Schweiß in Strömen.

Von Riddorf geht es nach Bredstedt. In Bredstedt durchquere ich das Zentrum und nach etwa 35 Minuten bin ich am Ortsausgang und auf einer kleinen Kreisstraße ohne Radweg. Nur selten fährt ein Fahrzeug an mir vorbei. Mein Weg führt vorbei an einem kleinen Wald und wie so oft an landwirtschaftlichen Nutzflächen. Trotz Nebel erkenne ich in der Ferne die Windkrafträder. Ihr Blätter drehen sich nur langsam. Bei der Schwüle täte heute ein leichter Wind gut, ist aber nicht.

Die kleinen Orte Ost-Bordelum, West-Bordelum und Ebüll reihen sich aneinander. Oft laufe ich an wunderschönen reetgedeckten Häusern vorbei. Das Reet legt sich verspielt in Bögen um Fenster und Türen oder Vorbauten. Oft sind die Vorgärten liebevoll gestaltet. Bei allen Dächern sehe ich Moos und bei einigen wächst auf dem First bereits Gras, der Samen ist sicher von den Vögeln herauf geschleppt worden. Die Dicke des Schilfs ist bei den Häusern sehr unterschiedlich, warum das so ist, macht mich neugierig.

Nach Sterdebüll habe ich nun eine etwas längere Strecke ohne Orte vor mir. Jetzt komme ich den Windkrafträdern deutlich näher. Im freien Geländer ist man dabei, weitere Anlagen zu errichten. Vor einem blühenden Rapsfeld arbeitet eine Imkerin bei den Bienenkörben. Ich fotografiere sie dabei und grüße sie laut. Sie nimmt ihren Netzhut ab und kommt zu mir. Wir unterhalten uns eine Weile und schnell ist das Thema beim gestrigen Gewitter. Sie berichtet mir, dass auch ein privates Windkraftrad bei einem Bauern vom Blitz getroffen wurde und in Schlüttsiel ein Schilflager abgebrannt ist.

Jetzt brauche ich eine längere Pause, doch keine Bank weit und breit. Auch keine geeignete Wiese in Sichtweite. Und so nutze ich eine asphaltierte Fläche zu einem Feld hin. Den Rucksack runter und an diesen lehne ich Kopf und Schulter. Trotz der Verkehrsgeräusche schlafe ich ein. Erst ein Hupen weckt mich wieder. Die ersten Schritte nach so einem Päuschen sind etwas wackelig. Ich muss erst wieder auf Betriebstemperatur kommen.

Am Ortseingang von Ockholm sehe ich einen Reethandel und betrete neugierig den Hof. Ein Mann verzurrt gerade Maschendraht auf einem Anhänger.

Ich spreche ihn auf die unterschiedliche Dicke der Dächer an und er erklärt mir bereitwillig, dass die Dicke mit den Jahren auf natürliche Weise abnimmt. Je neuer um so dicker und je älter um so dünner.

Ich spreche ihn nach dem Heidekraut auf den Reetdächern an. Er führt mich zu einer Halle und zeigt mir das dort gelagerte Heidekraut mit Wurzeln. Draußen vor der Halle steht ein Anhänger mit Grasnarben und auch dieses Material wird als Abschluss auf dem First eingesetzt. Heidekraut oder Grasnarben werden mit Maschendraht befestigt. Der Maschendraht wird mit der unter dem Schilf liegenden Lattung „vernäht“. Er zeigt mir auch, wie das Schilf auf dem Dach gelegt und geschichtet wird. Nur auf dem First wird zum Schluss das Schilf geschnitten und mit Dachpappe abgeschlossen. Darüber kommt dann das Heidekraut oder die Grasnarben. Das Reetdach hält etwa 30 Jahre und, wenn es immer wieder gut abtrocknen kann, sogar bis zu 70 Jahre. Auch die Dachschräge hat Anteil an der Haltbarkeitsdauer. Je steiler das Dach, um so schneller lauft das Wasser ab und damit trocknet es schneller.

Auf dem Hof steht ein Anhänger mit einer Fuhre Schilf. Dieses hat eine Länge von über zwei Meter. Das Schilf erntet er hier in der Gegend. Dann erzählt er mir, dass gestern sein Schilflager in Schlüttsiel abgebrannt ist. Als ich ihn auf die größere Brandgefahr von Reetdächern durch Blitzeinschlag anspreche, verneint er.

Von Ockholm aus erreiche ich nach zwei großen Bögen den Deich. Dort überquere ich diesen und laufe auf der Seeseite Richtung Schlüttsiel. Wieder gibt es die mit Pflöcken und Reisig abgetrennten Felder. Hier kann man deutlich die Schlickablagerung und zum großen Teil auch den Bewuchs mit Schilfgras sehen. Unterwegs komme ich an einer Lagerfläche mit Reisig und Pflöcken vorbei. Die angespitzten Holzpflöcke sehen wie riesige angespitzte Bleistifte aus. Teilweise in den Farbschattierungen von Braun, Gelb bis Grün.

Etwa zwei Stunden vor Abfahrt der Fähre erreiche ich den Hafen von Schlüttsiel. Die Fahrkartenausgabe ist noch geschlossen und ich kehre in das Fährhaus Restaurant ein. Hier nutze ich die Zeit und schreibe meinen Bericht und bearbeite meine Fotos. Um 17 Uhr gehe ich zum Fahrkartenschalter und kaufe meine Karte für die Fähre. Die Fähre fährt nicht nur nach Hooge, sondern von dort auch nach Langeneß. In der Zeit bis zur Ankunft lege ich mich auf der Wiese auf eine Holzliege und beobachte das Treiben der Kinder. Ein Mann spricht mich an, er ist auf der Hallig Hooge geboren. Lebt aber nicht mehr dort und will jetzt nur mit seiner Frau und den Enkeln zu Besuch dorthin. Wie sich herausstellt, war seine Frau im Internat Marienhöhe in Darmstadt.

Nur langsam erreicht die Fähre den Hafen. Es ist zu wenig Wasser und so teilt uns der Kapitän mit, dass wir etwa 30 Minuten später wieder auslaufen. Beim Verlassen des Hafens folgen uns Lach- und Silbermöwen. Sie vollführen tolle Flugakrobatik und ich beobachte sie lange dabei.

Wir fahren in Sichtweite an der Hallig Gröde vorbei und später auch an der Hallig Oland mit seiner einzigen Warft. Der Hallig Oland folgt die lang gezogene Hallig Langeneß. Zunehmend nebliger wird es und die ersten Tropfen fallen. Von der Hallig Hooge ist lange nichts zu sehen. Dann endlich erkenne ich noch undeutlich die Backenswarft und den Hafen von Hooge. Nach etwa 60 Minuten erreichen wir dann die Hallig Hooge. Schon in der Fähre habe ich mit der Schutzfolie den Rucksack abgedeckt und selbst die Softshelljacke angezogen. Beim Verlassen der Fähre beginnt es nun stärker zu regnen an. Nach ca. 150 Metern erreiche ich die Jugendwarft, das Schulland- und Erholungsheim der Backenswarft.

Jetzt beginnt jedoch mein Problem, ich finde keinen offiziellen Eingang, überall sehe ich nur Schilder: „Privat.“ Wo ist der Eingang? Dann erreiche ich eine offene Tür, zwar steht wieder „Privat“ dran, doch hier höre ich Stimmen von Jugendlichen. Ich trete ein und gehe zu dem Raum mit den Stimmen. Als ich eintrete, fragt mich eine der jungen Mädchen: „Wer sind sie denn?“ und ich antworte: „Wer sind sie denn?“ Alles entspannt sich sofort und die Mädchen erzählen mir, dass sie aus Frankfurt stammen. Leider können auch sie mir nicht weiterhelfen. Wieder begebe ich mich auf der Suche nach einer Ansprechperson. Durch ein Fenster erkenne ich eine Frau in der Küche und klopfe. Sie kommt raus, aber eine Unterhaltung ist nicht möglich, sie spricht nur Polnisch. Sie holt aber sofort eine andere Frau und hier kann ich zumindest in Englisch erklären, was ich will. Sie versteht mein schlechtes Englisch und verschwindet kurz. Danach führt sie mich zu meinem Zimmer. 

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