73. Etappe: 28. Juni 2013

Wallsbüll – Flensburg  14,2 km

Vor dem Frühstück versuche ich verzweifelt einen Weg mit vertretbarer Länge von Wallsbüll über Dänemark nach Harrislee und Flensburg zu finden. Leider unmöglich, zwei Autobahnen und eine Bahntrasse versperren mir den Weg in Dänemark. Nur mit Umweg kann ich diese Hindernisse queren. Nach verschiedenen Versuchen gebe ich auf und plane meinen Weg nur durch Schleswig-Holstein.

Es ist wieder windig und es sieht nach Regen aus und so ziehe ich meinen Poncho an. Zunächst geht es an einen stillgelegten Bahnhof vorbei. Kletterpflanzen rangen schon bis zum Dach und auf den Bahngleisen wuchern Büsche und Unkraut. Mein Weg führt mich hinter den Gleisen entlang auf eine kleine Kreisstraße und mit Verlassen des Ortes endet der Fußgänger- und Radweg. Glücklicherweise habe ich hier nur wenig Verkehr. Nach etwa vier Kilometern wechsel ich auf eine Landstraße ohne Radweg und damit beginnt für mich ein Höllentripp. Es ist ein grüner Seitenrand vorhanden, nur dieser wird mir durch eine Leitplanke unmittelbar neben der weißen Markierungslinie versperrt. Kaum bin ich auf dieser Straße unterwegs, muss ich mit Schrecken feststellen, hier wird gerast und das häufig rücksichtslos!

Ich stehe an der weißen Randmarkierung und ziehe mir gerade meine Ponchokapuze über. Plötzlich rast ein von hinter mir kommendes Fahrzeug dicht an mir vorbei. Der Abstand zu mir ist höchstens ein Meter. Mir fährt der Schreck in die Glieder! Dieser Wahnsinnige hat ein anderes Fahrzeug überholt. Ich bin mit meinem blauen Poncho weithin sichtbar und es ist eine gerade Strecke, er muss mich also gesehen haben. Was geht in so einem Menschen vor? Meine Ex-Schwiegermutter ist von einem Raser zu Tode gefahren worden und meine Ex hat das mit ansehen müssen!

Diese Situation war das bislang gefährlichste auf meiner Wanderschaft. Doch es geht weiter mit diesen Chaoten. Häufig kommen Fahrer mir entgegen, bremsen nicht bei Gegenverkehr ab, sondern rasen dicht an mir vorbei. Nur ein paar Frauen bremsen, fahren langsam auf mich zu und halten ggf. mit deutlichem Abstand vor mir an. Erst wenn kein Gegenverkehr mehr vorhanden ist, fahren sie mit Abstand zu mir, vorbei. Ich habe zum ersten Mal Angst! So viele Chaoten auf einer Etappe habe ich noch nicht erlebt.

Als ich von Weitem das Ortsschild von Ellund erkenne, breitet sich Erleichterung bei mir aus. Und als ich den Ort erreiche, kann ich auf einen separaten Fußgänger- und Radweg ausweichen. Selbst Ort wird noch viel zu schnell auf dieser Straße gefahren. Dann sehe ich vor mir ein Hinweisschild zur Autobahn. Das ist wohl auch der Grund für diese Raserei.

Nachdem ich die, von der Autobahn kommende, Landstraße verlasse und auf einer Straße mit Radweg laufe, lässt meine innere Anspannung nach. Doch nach einiger Zeit beginnt eine andere innere Anspannung und diese treibt mich voran. Ich halte Ausschau nach einer Tankstelle oder einem Wäldchen zu Erleichterung, doch leider ist nichts in Sicht. Auch mit Erreichen des Ortes Harrislee sehe ich kein geöffnetes Restaurant oder Café. Dann erreiche ich das Bürgerhaus und eile dorthin. Doch als ich eintreten will, sind die Türen geschlossen. Erst in einer halben Stunde wird wieder geöffnet. Eine etwas abseitsstehende Raucherin spreche ich in Verzweiflung an und ich habe Glück, sie lässt mich bei einem Nebeneingang eintreten.

Erleichtert rufe ich Ingolf zur Abstimmung unseres Treffpunkts an und teile ihm meinen derzeitigen Standort mit. Unsere Abstimmung ist perfekt, denn als ich am Straßenende ankomme, ist zehn Minuten später auch Ingolf da.

Auf unserem Weg zur Post in Flensburg zeigt mir Ingolf das Nordtor und anschließend fahren wir am Museumshafen vorbei. Bei der Post hole ich mir von der Packstation ein Päckchen mit meinen neuen Einlagen von Fuß-Orthopädie Günther ab. Dann geht es zum Jachthafen Fahrensodde, im Inneren der Flensburger Förde, und dort zum Flensborg Yacht Club. Die Hafenanlage teilt sich der Klub mit einem weiteren Jachtclub. Am Wochenende findet hier eine Regatta statt und diese wird von Ingolf geleitet.

Zunächst geht es kurz zum Klubhaus und anschließend fahren wir meinen Rucksack und verschiedene Dinge von Ingolf mit einem Handwagen zu seiner Segeljacht. Sie liegt ziemlich am Ende der Hafenanlage. Auf seine Jacht kommt man nur über den Bug und dieser ist für mich beängstigend schmal. Ich bin froh, dass er mir hilft. Wie ein alter Mann, dem die Hand gereicht wird, komme ich an Deck. Doch ohne Hilfe traue ich mich nicht, mit meinen Wanderschuhen über das Trittdreieck am Bug, an Deck zu kommen! Wir verstauen zunächst alle Sachen unter Deck und ich bin überrascht über dessen Größe.

Diese Jacht mit einer Gesamtlänge von 9,83 Metern hat Ingolf selbst gebaut. Er begann mit dem Bau 1971 und konnte sie 1976 erstmalig zu Wasser lassen. Wie er mir erzählte, verändert er in den Jahren immer wieder etwas. Jeder kleinste Winkel unter Deck ist ausgenutzt und handwerklich perfekt ausgeführt. Ich bin tief beeindruckt von seiner Leistung.

Um diese Jacht zu bauen, hat er mit weiteren Personen des Klubs eine Negativform aus Kunststoff von einer alten Jacht hergestellt. Nach Fertigstellung der Negativform, benötigte er ca. 1 ½ Jahre um sie glatt zu schleifen! Danach hat er ein Trennmittel aufgebracht und im Handauflegeverfahren mit Kunststoff (Dicke ca. 8 – 10 mm) den Jachtkörper hergestellt. Weitere drei Jahre vergingen, bis das Deck und die Inneneinrichtung fertiggestellt waren. Bei seinem letzten großen Umbau hat er einen neuen Dieselmotor eingebaut. Dieser war größer, aber leichter und leistungsfähiger. Dadurch musste er ein Teil der Inneneinrichtung neu herstellen. Für diese Aktion lag die Jacht wieder 1 ½ Jahre an Land.

Ingolf selbst fing mit dem Segeln bereits als Jugendlicher an und sein Sohn trat inzwischen in seine Fußstapfen und kann ebenfalls diese Jacht segeln.

Danach gehen wir zurück zum Klubgebäude und ich setzte mich zum Arbeiten in das angegliederte Restaurant. Der Klub ist ein Verein der dänischen Minderheit, daher höre ich meistens nur Dänisch. Auch für mich ungewohnt ist Ingolf in dänischer Sprache sprechen zu hören.

Abends sind neben den Klubmitgliedern, die die Regatta betreuen, auch Dänen, die die Regatta bestreiten. Nach einer Ansprache des ersten Vorsitzenden, dem Austausch von Wimpeln beginnt der gemütliche Teil des Abends mit einem Essen.

Einige Zeit nach dem Essen sind Ingolf und ich zu einem kleinen Umtrunk an Bord einer anderen Jacht eingeladen. Bei Bier und Wein ist es hier richtig gemütlich, es fehlt jetzt nur die warme Luft und ein Sonnenuntergang im Hafen. Während der Unterhaltung müssen mir die anderen immer wieder das Segellatein übersetzen. Nach diesem netten Ausklang des Abends sitzen Ingolf und ich noch bis fast ein Uhr in der Frühe unter Deck bei einem weiteren Bier zusammen. Mit einem leichten Schaukeln schlafe ich dann ein. 

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