96. Etappe: 26. Juli 2013

Stralsund – Stahlbrode  24,9 km

Wie zuletzt gehe ich kurz nach 7 Uhr zum Frühstück. Die Türen zum Frühstücksraum und auch zur Gaststätte sind noch zu. Es gab gestern eine lange Geburtstagsfeier und vielleicht hat mein Zimmerwirt verschlafen. Nein, gerade als ich wieder zu meinem Eingang gehe, kommt er mir mit dem Fahrrad entgegen. Er holt noch schnell frische Brötchen vom Bäcker. Nach wenigen Minuten ist er wieder da und ich beginne mit dem Frühstücken. Er kommt mit einer Kaffeetasse zu mir an den Tisch und wir unterhalten uns, wie schon die beiden anderen Morgen zuvor.

Es ist immer interessant, wenn er über die Zeit vor der Wende oder kurz nach der Wende (für meine Leser(innen) aus dem Ausland: Wende = Prozess hin bis zur Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland, heute häufig auch der Wechsel zur Wiedervereinigung gemeint) erzählt. Die Hilfe untereinander war und ist wohl auch noch heute häufig vorhanden. Das Improvisieren war auch durch Verknappung vieler Dinge sehr viel ausgeprägter als im Westen. Ich höre ihm gerne bei seinen Geschichten zu.

 Gegen 9:15 Uhr verabschiede ich mich bei meinen Vermietern und starte meine heutige Etappe. Mein Weg führt mich zunächst in Richtung der neuen Brücke zur Insel Rügen. Ich bleibe unterhalb dieser Brücke und laufe schließlich an der Volkswerft Stralsund, so steht es in dicken Lettern an der riesigen Halle, vorbei. Doch bei einer Einfahrt sehe ich dann den Namen P & S – Werft und Plakate der IG Metall, die darauf hinweisen: „Stralsund braucht die Werft“. Es ist offensichtlich nicht gut um diese Werft bestellt.

Der Weg vorbei an der Werft zieht sich und nach der Werft folgen noch Hallen von Metallverarbeiter. Dann endlich habe ich es geschafft. Ich biege in eine kleine Siedlung am Hang liegend ab. Es geht bergauf, wenn auch moderat. Schließlich bin ich wieder an einer Landstraße mit Radweg. Mein Weg geht vorbei an Supermärkten und dann an einer Autoniederlassung von Mercedes Benz mit Namen: „Autohaus Boris Becker“. Sollte unser ehemaliger Tennisstar hier oben im Nordosten der Republik in den Autohandel eingestiegen sein?

Nach einem weiteren Wechsel auf eine verkehrsarme Straße erreiche ich den Ort Devin und durchlaufe diesen. Am Ortsende biege ich schließlich auf einen mit Betonplatten ausgelegten Weg und bin wieder völlig alleine unterwegs. Nachdem ich ein paar Bauruinen passiert habe, führt mich mein Weg durch wild wuchernde Wiesen und bereits abgeerntete Felder. Obwohl es bewölkt ist, die Sonne findet ihren Weg hindurch und scheint recht kräftig. Mir fließt wieder der Schweiß in Strömen.

Ich nähere mich einem großen Verkehrskreuz und mein Unwohlsein wieder auf einer verkehrsreichen Straße, womöglich auch noch ohne Radweg, unterwegs zu sein, steigt in mir hoch. Doch mein Weg biegt vorher auf eine alte, mit Kopfsteinpflaster, belegte Straße ab. Diese Straße ist zu beiden Seiten stark abschüssig. Da hier kein Verkehr ist, laufe ich auf der höchsten Stelle der Fahrbahn in der Mitte. Ab und zu spenden größere Bäume Schatten, doch schnell hat mich die Sonne wieder. Nach etwa vier Kilometern erreiche ich Brandshagen. Das Kopfsteinpflaster bleibt auch hier, doch zusätzlich gibt es nun einen Gehweg. Der ist deutlich angenehmer zu laufen. Am Ortsende sehe ich einen Mann in einer Wiese an einem Baum stehen. Beim Näherkommen erkenne ich, dass er Kirschen pflückt und mir zuwinkt, auch zum Baum zu kommen. Sein Mundbereich und seine Hände sind blutrot gefärbt. Der Saft dieser fast schwarzen Wildkirschen hinterlässt deutliche Spuren. Wir unterhalten uns einige Zeit beim Pflücken und Essen.

Im nächsten Ort Niederhof stehe ich schließlich bei zwei Privatgrundstücken, den schmalen Weg zwischendurch erkennt man kaum. Nun betrete ich wieder Waldgebiet und sofort habe ich Bremsen und Mücken um mich. Ich wedel unentwegt mit meinem Schweißtuch, um einigermaßen unbehelligt zu bleiben. Plötzlich höre ich mehrfach grunzen. Wildschweine sind in der Nähe und mein Schritt wird unweigerlich schneller. Bekanntschaft möchte ich mit diesem Borstenvieh nicht machen. Dieser Wald ist naturbelassen und so laufe ich häufig an umgestürzten Bäumen vorbei. Nach Verlassen des Waldes geht es an dessen Rand und an Getreidefelder vorbei. Schließlich habe ich die Ostsee wieder im Blick.

Ich laufe zwar in Ufernähe, doch hier gibt es keinen Sandstrand, nur Schilf. Mal bin ich näher zum Ufer, mal entferne ich mich davon. Auch mich umgibt schließlich das hohe Schilf, doch glücklicherweise wurde erst vor Kurzem der Weg zwischendurch gemäht. Immer noch wedel ich zur Abwehr der Plagegeister mit meinem Schweißtuch. Ich erreiche ein überraschtes Nudistenpaar, scheinbar machen ihnen die Bremsen und Mücken nichts aus. Mit einem Wanderer haben sie wohl hier nicht gerechnet.

Über eine kleine Holzbrücke überquere ich einen kleinen Bach inmitten des Schilfs. Hier sehe ich wieder, wenn auch fast vergilbt, das Markierungszeichen des E9. Noch einige Kilometer führt mich mein Weg durch Buschwerk nahe am Ufer vorbei. Immer noch kein Strand in Sicht, weiter nur Schilf. Schließlich erreiche ich mein heutiges Etappenziel Stahlbrode. Der Campingplatz ist erstmals wieder überschaubar klein. Ich baue mein Zelt auf einer Wiese auf. Nach dem Duschen gehe ich zum Hafen und dort zu dem einzigen Restaurant. Hier habe ich wieder eine Steckdose nahe des Tisches. Mit der griesgrämig dreinschauenden Wirtin werde ich nicht warm, es ist mir zu ungemütlich hier und so begebe ich mich sofort nach dem Essen zurück zum Zeltplatz. Draußen vor der Küche gibt es einen überdachten Vorbau, einen Tisch mit Stühlen und auch eine Kabeltrommel. Nach einiger Zeit des Arbeitens fängt es an zu regnen. Schnell packe ich alles zusammen und krieche in mein Zelt. Gerade noch rechtzeitig, denn nun wird der Regen heftig. Trotz des Trommelgeräuschs der Regentropfen schlafe ich ein. 

2 Gedanken zu „96. Etappe: 26. Juli 2013

  1. Hallo Werner,
    ich verfolge mit großem Interesse Deinen Weg “Rund-um-Deutschland”,
    der mit all seinen Höhen und Tiefen bei aller Individualität letztendlich die “Normalität” widerspiegelt.
    Schien sich am Anfang alles gegen Dich verschworen zu haben (Schnee, Kälte, Krankheit, dann Regen, Wind, nicht enden wollende Betonwege, rücksichtslose Auto- und Radfahrer,…), ist seit der Ostsee ein deutlicher Aufschwung erkennbar. Du schwelgst ja geradezu in Farben und Formen (wogende Korn- und Rapsfelder, farbenprächtige Wildblumen am Wegesrand, lichtdurchflutete Wälder, weiße Wolken vor blauem Himmel, gischtende Wogen,…). Man könnte direkt neidisch werden.
    Lieber Werner, möge Dir das Wetter weiterhin gewogen sein.
    Ludwig

    Noch ein Wort zum Lauftreff:
    Wenngleich wir Dich alle sehr vermissen, ist der eine oder andere (mich eingeschlossen) ganz froh, dass der “Dampfmacher” vorübergehend woanders Dampf ablässt.

  2. Hallo Werner,

    ich bin es noch einmal, in meinem letzten Kommentar ist mir ein Denkfehler unterlaufen, die Fähren nach Hiddensee starten in Schaprode und nicht in Stahlbrode, wo es lediglich eine kleine Autofähre nach Rügen gibt, die wir auch schon genutzt haben “sorry”.
    Darüber hinaus hättest du bis Schaprode auch noch etliche km zu bewältigen. Laß es dir gut gehen, genieße die Schönheiten der Landschaft und erfreue dich an Gesprächen mit netten Leuten.

    Herzlichst

    Doris

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