Görlitz – Kloster St. Marienthal 23,4 km
Gemeinsam mit Arnold gehe ich zum Frühstück. Danach wird noch gepackt. Arnold wird bis zur Abreise am Nachmittag die Altstadt durchstreifen und ich muss wieder weiter. Geplant habe ich meine heutige Etappe bis Hirschfelde, kurz vor Zittau. Von der Jugendherberge aus versuche ich die mir einzige bekannte Pension in Hirschfelde zu erreichen. Leider vergebens und so spreche ich mein Anliegen auf Band.
Der Weg von der Jugendherberge auf den Oder-Neiße-Radweg ist schnell gefunden. Vorbei geht es wieder an vielen schönen Gebäuden und bei der Obermühle verlasse ich die Straße und wechsel auf einen Pfad neben der Neiße. Das schmale Neißetal durchneidet hier schlängelnd einen Berg. Der Hangwald beiderseits der Neiße reicht bis zu den Ufern. Zunächst wirkt die Neiße hier eher wie ein schmaler kleiner See. Bereits beim Betreten des Pfades vernehme ich Baugeräusche und wenig später sehe ich das teilweise verschalte Viadukt. Oben auf der Brücke wird wohl der Deckbelag entfernt und verursacht diesen Krach.
Mit dem Wald und dem Fluss umschwirren mich wieder die Mücken und so sprühe ich mich nach längerer Zeit wieder einmal mit Mückenspray ein. Wenig später sehe ich auch den Grund, es gibt reichlich Sumpfgebiet am Fluss.
Immer wieder sitzen Angler am Ufer und versuchen ihr Glück. Dann erreiche ich ein parkähnliches Gelände mit einem See und einer Sportanlage. Nach Durchschreiten des Parkes erreiche ich einen Vorort von Görlitz. Damit verlasse ich die Neiße. Auch nach dem Ort, wieder im Grünen, entzieht sie sich für einige Zeit meinem Blick. Ich kann sie nur an der Busch- und Baumreihe in einiger Entfernung erahnen.
Immer mal wieder versuche ich die Pension in Hirschfelde zu erreichen, doch leider meldet sich immer noch die Anrufbox.
Mein Weg führt mich zunächst in unmittelbarer Nähe zur störenden Bundesstraße entlang. Doch mit der Zeit nimmt glücklicherweise der Abstand zu und damit werden auch die Fahrgeräusche erträglicher. Nun präsentiert sich die meist unberührte Auenlandschaft am Radweg in ihrer schönsten Form. Dazu passend blauer Himmel, Sonne und ein leichter Wind. Der Wind wiegt unablässig die langen Gräser, die Pflanzen und die Büsche hin und her. Neben den saftigen Grüntönen der Wiesen kommen nun das helle Braun der Gräser und das leuchtende Gelb hinzu. Diese schöne Landschaft lenkt mich völlig ab und ich genieße wieder einmal mit einigen langen Pausen diese Landschaft. Einzig die großen Stahlmasten im Gelände mit den hinweg führenden Stromleitungen stören etwas. Ich denke sie mir einfach weg! Erinnerungen an den Oderbruch werden bei mir wach.
Dann erreiche ich Hagenwerder und vorbei ist die schöne Auenlandschaft. Im Ort geht es zunächst an etlichen Mietblöcken vorbei und schließlich erreiche ich am Ende des Ortes in Höhe eines Kieswerkes einen Campingplatz. Hier mache ich eine Imbisspause. An einem Gebäude, oberhalb der Fenster, ist eine Hochwassermarkierung von 2010 angebracht. Ich kann nur erahnen, wie es hier 2010 ausgesehen haben könnte. Während meiner Pause unternehme ich einen weiteren Buchungsversuch, wieder vergeblich.
Als ich durch Leuba komme, sehe ich das Schild „Zimmer frei“, doch ich bin immer noch zuversichtlich in Hirschfelde eine Unterkunft zu finden. Dann kurz vor der Stadt Ostritz unternehme ich an einem Rastplatz einen weiteren Buchungsversuch. Ich gebe auf, jetzt muss es in Ostritz klappen. Glücklicherweise habe ich ein Mobilfunknetz und finde eine Pension und das Kloster St. Marienthal. Das Schild zum Kloster habe ich unterwegs mehrfach gesehen, doch ernsthaft nicht als Übernachtungsmöglichkeit berücksichtigt. Bei der Pension meldet sich niemand und die Begegnungsstätte im Kloster ist ausgebucht. Jetzt heißt es hoffen, weitere Pensionen in der Stadt zu finden.
Mein erster Weg führt mich in Ostritz in ein Café und dort frage ich nach Übernachtungsmöglichkeiten. Es werden mir drei Pensionen genannt und alle in der Nähe. Bei der ersten Pension öffnet keiner und auch ein Anruf bleibt erfolglos. Dann weiter zur Zweiten, diese ist jedoch belegt und schnell erreiche ich auch die dritte Pension. Wieder klingele ich an der Haustür, keiner öffnet. Der Anruf bei der angegebenen Festnetznummer ist ebenfalls erfolglos. Dann der letzte Versuch bei der Mobilfunknummer. Es meldet sich jemand, doch nun die schlechte Nachricht, der Zimmerwirt ist 100 Kilometer entfernt und macht Urlaub. Von ihm erfahre ich, das man direkt im Kloster übernachten kann. Ich suche die Nummer und rufe an. Die nette Frau am Telefon: „Ob etwas frei ist, weiß ich nicht. Bitte warten sie, ich schaue nach.“ Es dauert und leicht nervös warte ich auf die Antwort. Schließlich die erlösende Antwort, es ist noch ein Zimmer frei.
Erleichtert setze ich meinen Weg fort. Der Weg zum Kloster ist gleichzeitig auch der Oder-Neiße-Radweg. Kurz vor dem Kloster überholt mich ein Mann. Wir grüßen uns, dann ist er vorbei. „Gut, dass ich telefonisch reserviert habe. Nicht auszudenken, er schnappt mir das letzte freie Zimmer weg“ geht es mir durch den Kopf.
Im Kloster angekommen, bin ich von der Pracht des Klosters beeindruckt. Neben dem Klosterladen ist die Rezeption. Ich will eintreten, es ist jedoch versperrt. Ein Schild klebt an der Tür mit dem Hinweis „Bin bald zurück“. Eine Frau erzählt mir etwas säuerlich, dass das bald nun schon eine halbe Stunde dauert und es warten noch weitere Personen. Dann schreitet eine junge Frau zielstrebig zum Eingang, alle Augen sind auf sie gerichtet. Doch sie ist nicht die ersehnte Person der Rezeption. Diese kommt dann wenige Augenblicke später. Nachdem ich schließlich an der Reihe bin und nach meinem Zimmer frage, erklärt sie mir: „Es ist alles ausgebucht, das hatte ich ihnen doch schon am Telefon gesagt.“ Schock! Doch dann frage ich nach der Rezeption für das Kloster und werde zum Klosterladen verwiesen. „Alles wird gut“ höre ich von einem Mann neben mir. Ich muss wohl im ersten Moment einen ziemlich zerknirschten Eindruck hinterlassen haben.
Im Klosterladen höre ich sofort von dem Radfahrer, der mich überholt hat: „Das ist der Wanderer.“ Hier ist nun alles entspannend und nach dem Zahlen gehe ich zusammen mit dem Mann zum Kloster. Er war schon letztes Jahr hier gewesen. Zunächst geht es durch die verschlossene Klosterpforte, dann durch den Gebäudeeingang und gemeinsam fahren wir mit dem Aufzug in die 2. Etage. Wir haben beide im gleichen Flur unsere Zimmer und verabreden wir uns zum Essen in der naheliegenden Klosterschänke. Durch eine alte Eichentür betrete ich ein schönes und modern eingerichtetes Zimmer. Auch das Duschbad macht einen tollen Eindruck. Kaum zu glauben, ich bin im Kloster.
Die Schenkungsurkunde für das Klosterstift St. Marienthal wurde am 14. Oktober 1234 in Prag von Königin Kunigundis, Gemahlin König Wenzels von Böhmen, ausgestellt. Schon bald wurde das Kloster in den Zisterzienserorden eingegliedert. Außerdem wurde es unabhängig von der bischhöflichen Rechtssprechung. 2010 wurde das Kloster vom bisher verheerendsten Hochwasser in der Geschichte heimgesucht.
Es ist noch warm und so setzen wir uns draußen in den Biergarten der Klosterschänke. Bei einem leckeren Schwarzbier sind wir schnell im Gespräch.
Herr S. ist in dieser Gegend aufgewachsen, dann aber durch das Studium und später durch den Beruf in Jena hängen geblieben. Er hat in der Raumfahrtforschung gearbeitet. In der Anfangszeit kam er auch einmal zur Technischen Hochschule nach Darmstadt. Später war das nicht mehr möglich, dann aber war er in den Ostblockstaaten unterwegs. Sehr erniedrigend war nach der Wende das erste Auftreten westdeutschen Wissenschaftler in Jena.
„Ich gehöre zu den Verlierern“, erklärt er mir und erläutert mir dies mit: „Bis zur Wende hatte ich einen Anspruch auf eine zusätzliche Rente. Danach war alles verloren und nun muss ich mich mit einer bescheidenen Rente begnügen.“ Trotzdem macht er auf mich einen ausgeglichenen und keinen verbitterten Eindruck. Er scheint mit seinem Leben zufrieden zu sein.
Zum Kloster ist er für mehrere Tage zum Ausspannen angereist. Von hier wird er Fahrradtouren, auch ins Dreiländereck, unternehmen. Er kennt diese Gegend durch seine Touren sehr gut. Auch auf meinen kommenden Strecken war er schon unterwegs gewesen.
Wir stellen fest, dass wir einige gleiche Interessen haben und so sitzen wir auch noch beim zweiten Bier draußen zusammen. Gesprächsstoff ist genug vorhanden. Doch schließlich wird es zu kühl und wir beenden den netten Abend. Es war für mich ein angenehmer Ausklang meiner heutigen Etappe.
Schließlich wieder im Zimmer, habe ich keine Lust mehr etwas zu arbeiten. Internet ist hier zudem nicht verfügbar.