35. Etappe: 05. Mai 2013

Gescher – Ahaus  18,9 km

Beim Bezahlen komme ich mit dem Wirt kurz ins Gespräch. Er bestätigt mir, dass es im Frühling im Münsterland am schönsten ist. Im Spätsommer dominiert inzwischen der Maisanbau und die Landschaft wird eintöniger. Ich verlasse den Gasthof ohne Frühstück und hole dieses in der nahe gelegenen Bäckerei nach.

Vom Stadtkern bin ich schnell in einem Neubaugebiet. Einige Familien sitzen auf der Terrasse und frühstücken. Das Wetter dazu ist ideal. Wieder blauer Himmel und fast keine Wolken. Auch diesen Bereich lasse ich bald hinter mir und bin wieder auf Wirtschaftswegen, mal unbefestigt, meistens jedoch asphaltiert, unterwegs. Meine Füße haben sich wohl schon ein bisschen daran gewöhnt.

Bäume und Büsche säumen meinen Weg und manchmal durchlaufe ich auch wieder Alleen. Die Felder und Weiden im satten Grün werden immer wieder durch kleine Laubwälder oder Reihen von Bäumen unterbrochen. Kleinen Wiesen sind durchzogen mit Löwenzahn. Viele Bäume tragen nun schon deutlich Blattwerk, auch wenn dieses noch nicht sehr groß ist. Nur bei den alten und großen Bäumen sehe ich meistens noch Knospen. Für mich, der täglich stundenlang durch die Natur wandert, ist der tägliche Wandel faszinierend. Alles sprießt und wächst inzwischen wie mit Siebenmeilenstiefel. Die vielen Grüntöne dominieren jetzt die Landschaft. Ab und zu werden sie unterbrochen vom Weiß, Gelb und Rosa blühender Bäume und Büsche. Ich lasse mich von dieser Landschaft gerne ablenken und mache öfters am Wegesrand oder auf einer Bank eine Pause.

Am Horizont erkenne ich einen Kirchturm und um ihn herum ein paar Häuser und Bauernhöfe. Ich bin erstaunt, dass bei so wenig Gebäude schon eine Kirche ist. Mein Weg verläuft durch Felder direkt auf dieses Dorf zu. Plötzlich fliegt erschreckt vor mir eine Wachtel auf. Ich war so nah bei ihr und doch habe ich sie mit ihrem braun gemusterten Federkleid nicht wahrgenommen.

Immer näherkomme ich der Kirche und nun wird deutlich, es ist kein winziges Dorf, da stehen deutlich mehr Höfe und Wohnhäuser. Mein Weg führt mich mitten durch diesen Ort. Es ist die kleine Stadt Büren. In unmittelbarer Nähe zur Kirche kehre ich in einem kleinen Biergarten ein. Schon nach kurzer Zeit füllt sich der Biergarten. Alle Personen sind feierlich angezogen und ich höre heraus, dass eine Kommunion gefeiert wird. Der kleine Biergarten entpuppt sich als sehr großes Restaurant, wie ich dann später beim Verlassen feststellen musste.

Nach Verlassen des Restaurants bin ich schnell in einem Wald und mein Weg wird zunehmend schmäler. Leichte Zweifel, ob ich noch lange weiterlaufen kann, keimen in mir hoch. Ich riskiere es und laufe weiter. Der Weg ist nun nur noch ein kaum erkennbarer Trampelpfad, aber noch begehbar. Dann versperrt mir ein dicker umgefallener Baum meinen Weg. Nach diesem Hindernis gabelt mein Trampelpfad schon bald wieder in einen normalen Waldweg und dieser mündet auf eine Kreisstraße. Nach etwa 400 Meter verlasse ich nach rechts die Straße und erreiche nach wenigen Metern eine Schutzhütte. Eine Pause ist nun fällig. Kaum jedoch sitze ich, kommt eine ältere Frau mit ihrem Fahrrad zur Hütte gefahren. Sie fragt mich, ob sie sich zu mir setzten kann. Natürlich kann sie das. Sie holt aus ihrer Gepäcktasche eine kleine Flasche Bier und setzt sich zu mir. Wir kommen schnell ins Gespräch, für mich eine willkommene Abwechslung.

Sie fragt mich nach ihrem Alter. Da sie einen sportlichen, vitale und geistig  sehr regen Eindruck auf mich macht, schätze ich sie auf Mitte siebzig. Nein, sie ist schon 86 Jahre alt! Täglich fährt sie noch 35 Kilometer und heute hat sie bereits 41 Kilometer hinter sich. Zusätzlich schwimmt sie noch zweimal die Woche.

Dann erzählt sie aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Hier wären viele Bombenangriffe gewesen. Ich frage nach, denn warum sollten in dieser Gegend viele Bombenangriffe sein. Sie erklärt mir, dass es hier Abschussrampen mit der V2 gab. Persönlich habe sie als junges Mädchen den Tod von Onkel Fiebke miterleben müssen. Sie war in der Nähe bei ihrem Onkel und sah die Bombe kommen, rief ihrem Onkel zu, er möge sich hinwerfen. Er stand seelenruhig da und rauchte seine Zigarre. Sie warf sich in eine kleine morastige Grube. Dann die unvorstellbare Detonation. Als sie wieder aufstand, war vom Onkel nur noch der Rumpf zu sehen. Sie habe lange gebraucht darüber hinwegzukommen. Auch zwei Brüder habe sie im Krieg verloren. Jetzt gehe es ihr aber gut. Bis vor Kurzem radelte auch ihr 91jähriger Mann mit, jetzt sieht er nicht mehr gut und kann nicht mehr mit.

Diese Frau macht einen unglaublichen Eindruck auf mich, ich hätte mich gerne noch länger mit ihr unterhalten, doch ich muss weiter.

Ich kehre auf die Kreisstraße zurück und laufe hier weiter. Dieser Weg ist deutlich kürzer als meine geplante Route und hat einen separaten Radweg. Nach etwa fünf Kilometer erreiche ich die Kreisstadt Ahaus. Wieder beginnt die Suche nach einer Bleibe, doch diesmal bin ich schnell fündig. Es ist eine Pension am andern Ende des Zentrums. Ich übernachte bei einem holländischen Ehepaar im geräumigen Dachzimmer.

34. Etappe: 04. Mai 2013

Coesfeld – Gescher 12,8 km

Die heutige Etappe beginnt wie schon in den letzten Tagen mit schönem Wetter. Ein fast wolkenfreier blauer Himmel, nur noch etwas kühl. Lange Zeit laufe ich durch das Stadtgebiet von Coesfeld. Dann erreiche ich eine Kreisstraße, auf der ich bis fast nach Gescher laufen werde. Sie verläuft schlangenförmig und empfängt mich gleich als Eichenallee für einige Hundert Meter. Beiderseits der Straße Weiden, Acker- und Getreideflächen. Hin und wieder taucht ein Bauernhof auf oder eine kleine Siedlung mit ein paar Gebäuden.

Die Eichenalleeabschnitte werden ersetzt durch Platanenalleeabschnitte. Bei einem Bauernhof sehe ich zwei Esel. Diesmal aber lassen sie sich nicht beim Fressen stören und nehmen kaum von mir Notiz. Auch an einigen Rindviechern laufe ich vorbei.

Gegen Mittag genehmige ich mir auf einer Rasenfläche vor einem Bauernhof eine längere Pause. Der nachfolgende Abschnitt des Weges wird von einzelnen Eichen oder Platanen gesäumt. Für die letzten zwei Kilometer wechsel ich auf eine Landstraße. Heute gibt es keine Unterkunftssuche, ich habe bereits gebucht. Im Hotel stehen dann einige Dinge an, die ich bisher aufgeschoben habe und nun unbedingt erledigen muss.

33. Etappe: 03. Mai 2013

Stevern – Coesfeld  19,8 km

Nach einem ausgiebigen Bauernfrühstück, hier im Landgasthaus gibt es Wurst und Schinken aus eigener Herstellung, beginne ich meine Etappe mit einem vollen Magen. Ein bisschen blauer Himmel, ein bisschen Sonne und bisschen Kühle empfängt mich. Da ich mich bereits auf meiner Route befinde, muss ich mich nicht mit meinem Navi orientieren, der Weg und die Richtung sind klar.

Da Stevern ein sehr kleiner Ort ist, bin ich schnell wieder in der Natur. Mir fällt schon seit ein paar Tagen auf, dass hier die Bauernhöfe und die Wohnhäuser in einem ausgesprochen guten Zustand sind. Oft sind die Vorgärten liebevoll hergerichtet. Runtergekommene Gebäude habe ich auf meinem Weg durchs Münsterland noch nicht gesehen. Alles kommt mir hier, wie heile Welt vor.

Ich komme an einem Bauernhof vorbei, als mich vier schnatternde „weiße Wachhunde“ am Zaun begleiten. Die Gänse watscheln schnatternd und aufgeregt neben mir her. Kaum später erreiche ich eine Pferdekoppel und zwischen Ponys und Pferden steht ein Esel in der Nähe des Zauns. Als ich mich nähere, springt er erschrocken zurück. Doch dann wird er zutraulich und kommt an den Zaun und lässt sich von mir streicheln.

Mit diesem Esel kommen bei mir sofort Erinnerung an meine Pilgerreise in 2009 hoch. Reto, ein Schweizer Pilger, redete während unseres gemeinsamen Weges ständig auf mich ein. Wir sollten zusammen nochmals mit einem Esel eine Pilgerreise durch Frankreich zu machen. Er hatte schon genaue Vorstellungen für so eine Reise. In Genf trennten sich unsere Wege, doch der Esel spukte weiter in meinem Kopf. Schon unterwegs nahm ich zweimal Kontakt mit Pilgern mit Esel auf. Nach meiner Rückkehr kaufte ich mir sofort zwei Bücher über das Pilgern mit Esel (siehe meine Buchtipps).  Noch lange ging mir eine Pilgerreise mit Esel nicht aus dem Sinn. Reto meldete sich jedoch nicht mehr.   

Auf einem Balkon sehe ich vier Kolkraben und erst beim zweiten Blick erkenne ich, dass es keine echten Raben sind. Eigentlich habe ich in dieser Gegend keine Kolkraben, sondern bisher nur Dohlen gesehen. Heute habe ich noch nicht viele Pferde gesehen, aber mehrfach grasen Ziegen und Schafe. In dieser Gegend jedoch, bei Dülmen, gibt es die letzten echten Wildpferde Europas. Sie sind ausgesprochen robust und leben auch im Winter im Freien.

Das Wetter wird immer besser und in einem Wald mache ich auf einer Bank eine längere Pause. Herrliche Ruhe umgibt mich, das laute Vogelgezwitscher empfinde ich als ungemein wohltuend. Wenn es so bleibt, wird dieser Tag mein schönster Wandertag.

Ich genieße die vielen verschiedenen Grüntöne der Landschaft. Oft stehen Bäume wie auf einer Schnur gereiht am Horizont. In der Entfernung sieht das Geäst sehr filigran aus. Ich kann mich nicht sattsehen an diesen Bäumen und Baumreihen und dabei vergesse ich die ständige Asphalttreterei. Die Landschaft ist sanft hügelig und es gibt nur Laubbäume. Sie stehen vereinzelt, in Gruppen oder als kleine Wälder in dieser Landschaft. Noch gibt es kein dichtes Laubwerk, sondern kleine noch wachsende Blätter in zarten Grüntönen. Komme ich einer Baumreihe näher, verschwindet leider das Filigrane. Immer wieder fotografiere ich heute Bäume und Baumreihen. Wie es im Sommer hier ausschaut, weiß ich nicht, aber der Frühling im Münsterland ist traumhaft. Als ich an gefällten Eichen vorbei komme, entschließe ich mich zu einer weiteren Pause. Hier kann ich auf den Bäumen mich fast hinlegen, der Rucksack bleibt an und liegt in einer Mulde zwischen zwei Baumstämmen. Meine Beine liegen auf dem Stamm vor mir. Wieder kann ich in dieser Stellung in den Himmel durch das Geäst schauen und die Stille und das schöne Wetter genießen (Bilder mit Geäst und Beine siehe unten).

Weiter geht es einige Zeit durch diese reizvolle Frühlingslandschaft. Vor einigen Gebäuden an einer Skulptur steht eine Steinbank und ich mache hier meine Mittagspause. Heute habe ich mir ein Brötchen mit köstlicher Wurst vom Landgasthof mitgenommen. Kaum habe ich das Brötchen verzerrt, als ein Mädchen mit Rad auf mich zukommt. Erst etwas schüchtern, doch schnell wird sie mutiger und fragt mir „Löcher in den Bauch“. Ich erfahre von ihr, dass sie acht Jahre alt ist, Martina heißt und aus Polen kommt. Ein Stück fährt sie mit und ich mache zum Abschied noch von ein Foto von uns.

Etwa vier Kilometer vor Coesfeld spricht mich eine Radfahrerin an und zeigt mir zwei Alternativwege zu meinem asphaltierten Wirtschaftsweg. Wir unterhalten uns einige Zeit und sie gibt mir noch ein paar Tipps zu Orten in der Nähe. Als Wanderer, der noch einige Tausend Kilometer vor sich hat, kommen leider nur kleine Abstecher infrage. Ich muss in diesem Jahr wieder ankommen!

Diese letzten Kilometer vergehen recht schnell und am Ortseingang beginne ich wieder mit meiner heutigen Unterkunftssuche. Zunächst schwierig, doch dann finde ich meine heutige Bleibe. 

32. Etappe: 02. Mai 2013

Münster – Stevern/Nottuln 26,1 km

So richtig Lust, loszulaufen habe ich heute Morgen nicht. Meine beiden Berichte hatte ich erst nach dem Fußballspiel Barcelona – München fertig geschrieben und auch noch meine heutige Etappe überarbeitet. Die Nacht war daher sehr kurz gewesen! Dann aber raffe ich mich auf und starte. Nach wenigen Minuten bin ich in einer parkähnlichen Anlage. Hier gibt es, wie so oft in Münster, einen breiten Radweg und einen schmalen Fußweg. Wieder sind viele Radfahrer zur Arbeit, zur Uni und zu Schule unterwegs.

In der Parkanlage komme ich mit einer Joggerin ins Gespräch. Sie hat mit Radfahrer ebenfalls ein Problem. Schon mehrfach wurde ihr kleiner Hund angefahren. Die Stadt ist schön, aber die vielen Radfahrer(innen) hinterlassen bei mir einen unangenehmen Beigeschmack aufkommen.

Nach der Parkanlage erreiche ich den Vorstadtbereich. Hier komme ich immer wieder an Gebäuden der Uniklinik vorbei. Am Stadtrand liegt rechts von meinem Weg eine englische Kaserne. Auf dem Weg nach Roxel steht vor einer Brücke ein Hinweisschild auf ein „kleines Aa“ :-). Es ist die Münstersche Aa, ein Nebenflüsschen der Ems.

Nach einiger Zeit auf dem Radweg neben einer Landstraße erreiche ich dann Roxel, es ist Stadtteil von Münster. Im Ort sehe ich einen Hinweis auf die bedeutende Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff. Sie stammt gebürtig von hier.

Nach Roxel laufe ich auf Rad- und Wirtschaftswegen abseits der Orte. Ein paar längere gerade Abschnitte habe ich wieder zu bewältigen, aber die erwachende Natur lenkt mich ab. Ich komme wie so oft in letzter Zeit an Pferde- und Ponyhöfen vorbei, teilweise sind das heute Gehöfte mit riesigen Reithallen. Auf dem Weg liegt eine frisch gefällte Eiche. Sie ist gewaltig und reicht mir bis zur Brust.

Um meiner Enkelin Joelle zu ihrem Geburtstag zu gratulieren, mache ich auf einer Bank eine Pause. Mit Skype baue ich eine Videotelefonie auf, ich kann alle gut erkennen, bei Joelle bin ich nur in Kontur und mit rosa Streifen erkennbar.

Wieder einmal zeigt mir mein Navi einen Weg an, den es nicht gibt. Als Alternative muss ich einen erheblichen Umweg über Kreisstraßen machen. In Schapdetten, einem Ort vor Nottuln, versuche ich dann eine Unterkunft zu finden. Es gestaltet sich zunächst schwierig, doch dann habe ich Glück. In Nottuln finde ich einen Landgasthof. Glücklicherweise schaue ich mir die Route mit meinem Smartphonenavi an. Der Gasthof befindet sich jedoch nicht in Nottuln, sondern in einem kleinen Ort Stevern. Dieser Ortsteil von Nottuln liegt oberhalb des Ortes. Ich habe Glück im Unglück, der Weg dorthin führt mich wieder auf meine alte Route und ist kürzer als bis nach Nottuln. Gegen 19 Uhr erreiche ich dann den Gasthof.

31. Etappe: 01. Mai 2013

Telgte – Münster/Westfalen  15,1 km

Ohne Frühstück verlasse ich die Pension und gehe zurück in den Ort. Ein herrlich blauer Himmel mit Sonnenschein empfängt mich. Es ist nicht mehr so kühl wie gestern und doch muss ich meine Jacke anbehalten. Kaum erreiche ich wieder den Ort, sehe ich auch schon eine Bäckerei und kann dort auch abseits im Café einen Kaffee und zwei Kuchenstücken essen.

Ich befinde mich nicht lange im Ort und auch nicht an der B51. Der Fahrrad- und Fußweg führt schnell weg von der Bundesstraße. Am Ortsrand komme ich an der St. Rochus Klinik vorbei. Hier begegnen mir im näheren Umkreis nur Schwestern. Eine von ihnen spricht mich an und möchte von mir das Woher und das Wohin wissen.

Schon kurz danach bin ich wieder in der Natur und es ist so himmlisch ruhig. Nur Vogelgezwitscher um mich rum. Doch dann ist es aus mit der Ruhe. Immer mehr Fahrradgruppen begegnen mir. Es ist Feiertag und das schöne Wetter lässt grüßen.

Mein Weg führt mich an Feldern und Wäldern vorbei, wären nicht die vielen Radfahrer könnte die heutige kurze Etappe wunderbar sein. Bei einem Spargelfeld sehe ich zum ersten Mal, dass geerntet wird. Am Ende des Spargelfeldes fliegt plötzlich erschrocken etwa zwei Meter vor mir ein Fasan hoch. Ich bin genau so erschrocken und kann leider nicht schnell genug fotografieren.

Je näher ich auf Münster zulaufe, um so mehr Radfahrer begegnen mir. Die Gruppen werden immer größer und kommen in kürzeren Abständen an mir vorbei. Mit einem Mal ist es so schlimm, dass ich komplett umgeben bin. Aus beiden Richtungen wälzen sich die Radfahrerkolonnen auf mich zu. Immer wieder schrecken vor mir die sich unterhaltenden Fahrer(innen) auf, als sie mich unmittelbar vor sich sehen. Beim Laufen auf einer Straße ohne Randstreifen und auch wenn mir Lkws entgegen kamen, hatte ich keine Angst und keine Panik kam in mir hoch. Doch jetzt bin ich in Panik, die Beinahzusammenstöße häufen sich. Diese Situation macht mich aggressiv und ich hebe meine Nordic-Walking-Stöcke mit den Spitzen nach vorne hoch. Wenn man mich schon anfährt, dann soll es wenigstens wehtun!

Glücklicherweise ebbt es immer wieder mal etwas ab, doch ich bin inzwischen völlig angespannt. Gehe ich rechts auf dem Weg, halte ich meine Stöcke mit den hochgestellten Spitzen nach hinten in der linken Hand. Gehe ich links, sind die Spitzen in der rechten Hand und nach vorne gerichtet. Es macht keinen Spaß mehr zu laufen. Ich komme mir in diesen Massen vor wie ein Exot.

Kurz vor Münster erreiche einen Biergarten und hole mir eine Bratwurst. Dann ist der Stadtrand von Münster erreicht. Bei einem Ponyhof kehre ich auch noch ein und hole mir etwas gegen den Durst.

Auch in Münster sind viele Radfahrer unterwegs, doch die erlebten Massen sind es nun nicht mehr. Dafür kommen mir immer wieder Gruppen von Jugendlichen mit Bollerwagen entgegen. Ich überquere den Dortmunder Emskanal und nähere mich der Innenstadt. Dann habe ich die Altstadt und mein vorgebuchtes Hotel erreicht. Das Zimmer und das Bad sind geräumig.

Nach dem Duschen und einer Pause begebe ich mich in die Altstadt. Schnell erreiche ich einen Straßenring. Die Straßennamen wechseln hier von Prinzipalmarkt, Roggenmarkt und Bogenstraße. Prachtvolle Gebäude beiderseits dieses Straßenrings. Doch das historische Rathaus sticht noch deutlich hervor. Ich streife durch die Straßen und besuche den Dom. In einer schmalen Gasse kehre ich dann in einem italienischen Restaurant ein. Danach muss ich zurück, denn die Berichte von gestern und heute warten auf Fertigstellung.

30. Etappe: 30. April 2013

Beelen – Telgte  32 km

Meine heutige Etappe beginnt mit bewölktem Himmel, nur vereinzelt kommt die Sonne durch. Schon nach wenigen Minuten erreiche ich die B64 mit separatem Radweg. Spontan entscheide ich mich um Kilometer einzusparen, weiter an der Bundesstraße zu laufen. Ich weiß, dass heute eine lange Etappe ansteht. Doch schon nach ein paar Hundert Meter hört der Radweg auf. Die Straße ist aber viel zu stark befahren, als das ich hier auf der Fahrbahn laufen könnte. Glücklicherweise gibt es eine kleine Straße, die rechts abbiegt und nach meinem Navi bald wieder auf meiner Route mündet.

Ich komme schon seit ein paar Tagen immer wieder an Holz- oder Betonkreuzen vorbei. Nicht nur, dass sie an Weggabelungen stehen, oft sehe ich sie auch bei Einfahrten zu Bauernhöfen. Man merkt die Nähe zum katholischen Münster.

Ich erreiche meine geplante Route wieder und der Weg verläuft im leichten Zickzack mit etwa 400 Meter Abstand zur B64. Mehrfach gehe ich an Plakaten und Spruchbändern vorbei. Hier ist eine Neubaustrecke der B64 geplant. Ich kann gut verstehen, dass man diese Straße hier nicht will. Viel Natur wird damit vernichtet.

Bei einem Bauernhof scheuche ich eine Wachtel auf, die ins Feld flüchtet. Kaum später beobachte ich einen Fasan und kann ihn auch fotografieren. So viele Fasane, wie ich in den letzten Tagen beobachten konnte, habe ich noch nie gesehen. Zu allem Überfluss schrecke ich auch noch einen Hasen auf. Der hoppelt im Zickzack über das Feld und hört erst auf, als ich ihn nur noch undeutlich erkennen kann.

Bei einer Schlepperwerkstatt mit Ausstellung von alten Motoren sehe ich ein Ausschankschild. Ich betrete den Hof und frage den anwesenden Mann nach einem Kaffee. Es ist heute geschlossen, ein Kaltgetränk kann ich jedoch haben. Bei einer Apfelschorle kommen wir ins Gespräch. Er ist mal mit einem Traktor 3000 Kilometer gefahren, wandern, das hat er noch nicht sehr lange.

Gegen 13 Uhr erreiche ich das Industrie- und Gewerbegebiet von Warendorf. Auf einem an der Straße abgestellten Anhänger mache ich eine Pause. Danach geht es noch lange im Industriegebiet weiter. Dann folgt der Vorstadtbereich mit seinen adretten Häusern und Vorgärten. Kaum ein Haus hat hier Putz. Ich sehe fast nur Verklinkerung, meistens in rotbraunem Ton.

Natürlich gibt es heute wieder schnurgerade Teilabschnitte, doch werden sie häufig durch Bögen und Abknickungen unterbrochen. Weiterhin sehe ich viel Pferde auf den Weiden und zum ersten Mal auch ein paar Rinder.

Fast genau um 17 Uhr komme ich an einer kleinen Siedlung vorbei und eine alte Frau spricht mich an. Sie will wissen, wohin ich noch laufe. Als ich Telgte sage, erwidert sie: „Oh, dann haben sie ja noch 18 Kilometer vor sich.“ Ich schrecke auf und erwidere: „ Nach meinem Navigationsgerät müssten es nur ca. 8 Kilometer sein.“ Sie bleibt bei ihrer Aussage und ich werde leicht nervös. Acht Kilometer sind überschaubar, aber achtzehn Kilometer um 17 Uhr sind ziemlich heftig. Mein Schritt wird automatisch schneller und ich beginne, die nachmittags gemachte Buchung als Fehler zu betrachten. Dann nähere ich mich einer Schutzhütte und finde dort Richtungspfeile mit Kilometerangaben. Bis Telgte sind es noch 9,1 Kilometer. Meine Erleichterung ist groß. Zur Sicherheit rufe ich bei der Zimmerwirtin an und warne sie schon mal vor, dass es noch etwa 2 ½ Stunden werden kann.

Mein weiterer Weg führt mich zunächst wieder durch Felder. Ich komme nun sehr dicht an mehreren Windkrafträdern vorbei. Sie drehen sich, doch hören tue ich nichts davon. Sofort fällt mir ein Windkraftrad im Schwarzwald bei meiner Pilgerreise ein. Dieses sah ich zunächst wegen des dichten Nebels nicht. Je näher ich kam, um so lauter hörte ich ein undefinierbares Geräusch. Erst unmittelbar davor, wusste ich, was es war.

Die letzten fünf Kilometer laufe ich wieder auf einem Radweg neben der Straße. Meine Füße brauchen eine Pause, ich setze auf dem Boden und lehne mich an einem Baum. Neugierige Blicke der Autofahrer beobachten mich. Die Pause ist kurz, ich muss weiter, es ist bereits nach 19 Uhr.

Endlich erreiche ich den Ort und schaue mir den Weg auf meinem Smartphon-Navi an. Erschreckt stelle ich fest, meine Unterkunft liegt außerhalb des Ortskerns. Ich rufe wieder an und hoffe es kommt der Satz: „Warten sie dort, ich hole sie ab.“ Leider Fehlanzeige, ich bekomme eine genaue Beschreibung des weiteren Weges.

Also weiter, ab der Kirche im Ortskern geht es neben der nun schon größeren Ems entlang. Dann endlich erreiche ich kurz nach 20 Uhr meine Pension. Ich habe kein Zimmer, sondern eine komplette Ferienwohnung.