Zwangspause Dorum-Neufeld

Zwangspause wegen des starken Windes.

Schon in der Frühe höre ich das Pfeifen des Windes. Ein Blick aus dem Fenster und ich sehe die Bäume und Büsche im Garten heftig biegen und schwanken. Es ist noch stärker als gestern. Ein Blick ins Internet zeigt mir für den Kreis Cuxhaven eine Wetterwarnung mit Windböen bis zu 75 km/h. Mein Entschluss reift, hier in Dorum-Neufeld eine Zwangspause einzulegen. Jetzt muss nur noch das Zimmer für heute frei sein.

Um 7:30 Uhr habe ich das Frühstück bestellt und frage sofort nach einer eintägigen Verlängerung. Es klappt. Die Zimmervermieterin erzählt mir, dass sie heute Morgen bei ihrer Hauswetterstation Windstärke 8 gemessen hat und es bei der örtlichen Messstation durchaus noch höher ausgefallen sein könnte.

Windstärke 8: „Große Bäume werden bewegt, beim Gehen merkliche
Behinderung.“

Heute werde ich gezwungenermaßen regenerieren und einen Waschtag für meine Kleidung einlegen. Vielleicht etwas im Ort spazieren gehen und nochmals den Kitesurfern zuschauen und diese fotografieren.

Auf Empfehlung meiner Zimmervermieterin laufe ich gegen Mittag zum Leuchtturm Obereversand. Dieser Leuchtturm wurde 2003 von seinem ursprünglichen Standort nach der Instandsetzung nach Dorum-Neufeld versetzt. Er ist 37,4 Meter hoch. Der Wind unten auf der Deichstraße ist gerade noch erträglich, jedoch oben auf dem Deich ist er sehr heftig. Als ich den Turm hinaufklettere, bläst der Wind immer stärker, je höher ich komme. Oben auf der Plattform muss ich mich zum Fotografieren des Wattenmeeres festhalten. Die Kamera ruhig zu halten ist schwierig, der Anblick des Wattenmeeres bei Niedrigwasser jedoch fantastisch. Vom Leuchtturm aus besuche ich noch den Kutterhafen. Die Fischkutter liegen jetzt bei Ebbe fest auf dem Untergrund.

Am Abend gehe ich nochmals zum Kutterhafen. In der Nähe davon surfen die Kitesurfer. Mit einem der Surfer unterhalte ich mich über diesen Trendsport. Er pumpt gerade Luft in den Rand des Schirms. Die Neoprenanzüge halte gut die Kälte ab und sie surfen bis zu zwei Stunden. Die Geschwindigkeiten liegen bei ca. 40 – 50 km/h. Der Weltrekord liegt sogar über 100 km/h.

55. Etappe: 01. Juni 2013

Wremen – Dorum-Neufeld  13,8 km

Noch vor dem Frühstück um 7 Uhr schreibe ich meinen gestrigen Bericht fertig. Wie schon das Abendessen ist auch das Frühstück sehr gut. Die Auswahl ist reichlich und ich genieße das Frühstück. Draußen regnet es und meine Lust wieder weiterzulaufen hält sich in Grenzen.

Als ich ziemlich lustlos starte, hat es endlich aufgehört zu regnen. Der Himmel ist eine einzige Milchsuppe und es weht ein leichter kühler Wind. Während des Gehens bemerke ich den ganz leichten Sprühregen. Schnell habe den Ort verlassen und bewege mich in Richtung Deich. Ein leichter Nebel nimmt mir die Sicht in die Ferne.

Ich komme an einer Rinderherde vorbei. Bis auf eine Kuh und ihr immer folgend ein Bulle, liegen ansonsten alle wiederkäuend im Gras. Es kommt wohl auch bei den Rindviechern keine recht Lust zum Bewegen auf.

Nur ganz wenige Radfahrer begegnen mir. Mit der Zeit nimmt der Wind deutlich zu und so langsam kriecht die Kälte in mir hoch. Wenn das so weitergeht, muss ich mir die wärmeren Sachen wieder schicken lassen. Bei einer Treppe gehe ich hoch auf den Deich. Es ist Ebbe und man sieht die Sandbänke. Lange halte ich es hier nicht aus und schnell begebe ich mich zurück zur Deichstraße. So viel besser ist es hier aber auch nicht. Der Wind bläst mir kräftig ins Gesicht. Ein bisschen mulmig wird mir bei den Gedanken nach einer Bleibe für heute Nacht. Die Alternative Zelt ist heute keine Alternative. Der Wind ist zu kräftig und es ist deutlich zu kalt.

Auf einer Bank versuche ich vergeblich, die Rufnummer der Touristeninformation von Dorum-Neufeld zu finden. Und so entschließe ich mich, direkt im Ort nach einer Unterkunft zu suchen. Dann plötzlich ist der Durchgang am Deich gesperrt und ich laufe die angegebene Straße weiter. Kaum jemand begegnet mir, dann ein Mann beim Frühstück im überdachten Eingangsbereich. Als ich ihn anspreche und meine, dass es doch etwas zu kühl wäre, bekomme ich die Antwort: „Alles nur Gewohnheit, erst unter fünf Grad wird es ungemütlich.“

Etwa fünf Kilometer vor Dorum sehe ich ein Gasthausschild und frage den Mann vor dem Gasthaus, ob es geöffnet ist. Er hat das Gebäude gekauft und ist am Umbauen. Vielleicht öffnet er danach den Gasthof wieder. Wir kommen ins Gespräch und er macht mir das Angebot, falls ich keine Unterkunft in Dorum finde, mich aufzunehmen. Das Zimmer ist teilweise vollgestellt, aber ein Bett zum Schlafen ist vorhanden. Ich bedanke mich und gehe weiter nach Dorum. Schon mal gut für den Notfall eine Bleibe zu haben.

Auf der Hauptstraße nach Dorum rein finde ich sofort ein Hotel. An der Rezeption erhalte ich eine Absage, alles belegt. Zumindest bekomme ich den Weg zum zweiten Hotel und zum Fremdenverkehrsbüro erklärt. Auch das zweite Hotel ist belegt und bei verschiedenen Ferienwohnungshinweisen steht: Belegt“. Keine rosigen Aussichten! Über dem Deich beim Hafen liegt die Kurverwaltung und hier frage ich erneut. Nach einem Telefonat habe ich mein Zimmer und erleichter begebe ich mich dorthin. Der Weg ist nur kurz, die Privatpension liegt direkt an der Deichstraße hinter dem Deich.

Mein Glück ist, dass das Zimmer heute frei geworden ist. Draußen am Schild ist noch belegt eingestellt. Es ist ein Doppelzimmer und mein Blick aus dem Fenster ist auf den Deich gerichtet.

Heute ist es eine sehr kurze Etappe, aber zwischen Dorum-Neufeld und Cuxhaven gibt es nur zwei kleine Orte und hier müsste ich direkt vor Ort suchen. Da es meistens nur Ferienwohnungen und –häuser gibt, sind das bei diesem Wetter die denkbar schlechtesten Voraussetzungen.

Zum Abend hin rieche ich Ei mit Speck, wahrscheinlich nur eine Wunschvorstellung. Doch der Gedanke nach etwas Essen nimmt bei mir zu. Und so gehe ich zur Kurverwaltung, denn dort gibt es nebenan ein Restaurant. Der Wind hat inzwischen deutlich zugenommen und pfeift gewaltig. Ich setzte mich an einen Tisch mit Blick auf die Nordsee. Draußen tummeln sich einige Windsurfer und viele Kitesurfer (Surfen mit Gleitschirm) in der Nordsee. Ich beobachte fasziniert das muntere Treiben. Nach dem Essen geht es gleich zurück und ich bin froh, schnell wieder im warmen Zimmer zu sein. Der Gedanke jetzt im Zelt zu liegen erschauert mich. 

54. Etappe: 31. Mai 2013

Bremerhaven – Wremen  20,2 km

Am Abend hatte ich wieder einmal ferngesehen. Eigentlich war alles nicht wirklich interessant. Ohne das ich es merkte, wurde es jedoch spät. Zwar weckt mich der Radiosender, doch komme ich erst gegen 7:30 Uhr hoch. Zum Frühstück muss ich zurück zum Hotel laufen. Nichts Gutes ahnend, denn gestern beim Einchecken machte es nicht den besten Eindruck. Es roch nach Rauch und der Raum wirkte schummerig. Doch als ich die Tür öffne, blicke ich in einen verwandelten Raum. Kein Rauchgeruch mehr, der Raum hell erleuchtet und zu einem ordentlichen Frühstücksraum hergerichtet. Es sitzen bereits einige Personen im Raum. Nach der Kleidung zu urteilen, hauptsächlich Radler. Die Auswahl ist erstaunlich groß und ich genieße in Ruhe das Frühstück.

Mit strahlend blauem Himmel und Sonne pur beginne ich heute meine Etappe. Vom Appartement aus bin ich rasch am Schifffahrtsmuseum mit den historischen Schiffen und dem U-Boot. Nicht viel später erreiche ich den großen Leuchtturm. Auf dem Weg dorthin verfolge ich die Öffnung einer Brücke für ein Segelboot.

Nach dem Schiffsmuseum erreiche ich den Dockbereich. Mächtige Kräne im Hintergrund und große Schiffe an den Docks werden gerade überholt. Zunächst ist der Anblick interessant, doch so langsam zieht sich mein Weg durch dieses Industriegebiet. Sitzmöglichkeiten gibt es hier nicht und der Wunsch danach wird immer größer. Dann erreiche ich einen Hafenbereich mit einem riesigen Frachter, in dem unentwegt Fahrzeuge hineinfahren. Auf den Parkplätzen davor stehen Massen von Pkws, Lkws, landwirtschaftliche Fahrzeuge, militärische Fahrzeuge, Wohnmobile, Boote und diverses technisches Gerät. Nicht weit davon erreiche ich eine Waggonschlange beladen mit Edelkarossen auf zwei Ebenen. Jetzt werden die Fahrzeuge gerade herausgefahren. Auf der rechten Seite der Straße einen schmalen Grünsteifen und danach eine Bahntrasse. Ich überquere die Straße und lege mich auf diesen Grünstreifen. Der Krach von den vorbeifahrenden Lkws ist mir egal. Zunächst beobachte ich die immer wieder vorbeiziehenden Fußpaare unten den Waggons, die dann verschwinden und im Inneren wieder sichtbar werden. Dann öffnen sich die Türen der Fahrzeuge und die Fußpaare verschwinden hinter den Türen, anschließend fahren die Edelkarossen vor. Dies wiederholt sich immer wieder und dabei schlafe ich sogar ein. Wie lange ich da liege, weiß ich nicht, nur nach dem Aufstehen, laufe ich noch einige Zeit schlaftrunken die nicht enden wollende Straße entlang. Ich fühle mich einfach nur schlapp und müde. Nach einiger Zeit sehe ich zu meiner Freude eine Tankstelle vor mir. Im Inneren bevölkern Trucker den Essbereich des Raumes und fachsimpeln lautstark über große schnelle Autos. Offenbar haben Einige solche Fahrzeuge, wie sie sich so etwas leisten können, verstehe ich nicht. Die Bedienung ist neu und kommt mit der Zubereitung der Speisen nicht nach. Ein Eckplatz mit Schemel zwischen den Truckern kann ich ergattern und trinke das Zuckerwasser „Cola“. Nach längerer Wartezeit nehme ich auch einen kleinen Imbiss zu mir.

Endlich bin ich aus dem Industriebereich raus und vor mir der internationale Hafen mit weiteren riesigen Frachtschiffen. Dann kann ich endlich wieder auf dem Deich entlang laufen. Mit mir sind noch noch zwei Paare unterwegs. Wir kommen an einer Zollstation unterhalb des Deiches vorbei und dann versperrt uns plötzlich ein Zaun den Durchgang. Die beiden Paare gehen brav den Deich zurück, ich laufe quer runter zum Zaun und komme so schnell zur Zollstation. Damit ich nicht noch einmal unnötige Wege laufe muss, frage ich einen Zollbeamten nach dem weiteren Weg durch das Gelände.

An einer Schleuse vorbei erreiche ich den Containerhafen von Bremerhaven. Dieser ist nach Hamburg der größte Containerhafen Deutschlands.

Nun kann ich endlich die Weser und deren Einmündung in die Nordsee vom Deich aus sehen. Ich laufe auf dem Deich entlang und habe dabei ständig den riesigen Containerhafen im Blick. Zwei der großen Containerschiffe verlassen in kurzen Abständen nacheinander den Hafen. Bei einer Bank setzte ich mich zu einem Paar und erfahre, dass sie auf das größte Containerschiff der Welt warten. Es sollte eigentlich schon gegen 15 Uhr hier, von Hamburg kommend, eintreffen und zusätzliche Beladung erhalten. Ich verstehe jetzt, warum so viele Menschen hier unterwegs sind. Das Paar glaubt aber nicht mehr an das Kommen des Schiffes.

Auf deren Empfehlung laufe ich auf dem Weg vor dem Deich. Es zunächst schön dicht an der Weser entlang zulaufen, doch mit aufkommendem Wind kämpfe ich mich mühsam voran. Nach einiger Zeit gebe ich auf und laufen über das hohe Gras zurück auf den Deich und bei einer Bank beginne ich mit der Zimmersuche. Bei der Touristeninformation erfahre ich, dass infolge des gestrigen Feiertages alles ausgebucht ist.

Mit zunehmender Dauer meiner Wanderschaft verliere ich den Überblick über Feier- und Wochentage. Es interessiert mich nicht mehr und so habe ich auch nicht mehr an diesen Feiertag gedacht. Die arbeitende Bevölkerung mag es mir bitte verzeihen, aber mich stören diese Feiertage. Es erschwert mir die Zimmersuche. Die kommenden Sommerferien werden für mich auch noch Probleme bereiten.

Ich erhalte noch eine Telefonnummer von einer Privatunterkunft, aber auch hier bekomme ich eine Absage. Dafür erfahre ich aber von einem Campingplatz bei diesem Ort. Für den absoluten Notfall werde ich es dort versuchen. Ich habe nur Bedenken, dass mein Zelt mit den kleinen Heringen nicht dem Wind Stand hält. Ich laufe weiter und werde es in Wremen direkt nochmals versuchen. Vielleicht finde ich ja vor Ort doch noch eine Bleibe.

Nach etwa zwei Kilometern erreiche ich den Ortseingang. Ein Mann kommt mit seinem Wagen angefahren und lädt gerade zwei Kisten mit Tauben aus dem Kofferraum. Zum Trainieren der jungen Tauben lässt er sie hier frei, wie er mir erklärt. Ich komme mit ihm ins Gespräch und frage schließlich auch ihn, ob er jemanden kennt, der ein Zimmer vermietet. Er kennt und ich fahre mit ihm zum Bauernhof. Der Bauer ist ein Schulfreund von ihm. Auf dem Hof angekommen, fragt er die gerade draußen arbeitende Bäuerin. Leider vermieten sie nicht mehr. Wir fahren ins Ortszentrum und er setzt mich bei einem Gasthof ab, der um 17 Uhr öffnet und vielleicht auch noch vermietet.

Da der Gasthof erst in 15 Minuten öffnet, laufe ich zu einer Pension, die der Mann mir auch empfohlen hat. Hier ist leider alles schon belegt, aber ich erhalte den Tipp von einem Landgasthaus in der Nähe. Sofort begebe ich mich dorthin. Zeitgleich mit mir treffen mehrere Biker ein und mehrere Fahrzeuge parken auf dem Parkplatz des Gasthauses. Meine Zuversicht geht gegen null. Das Restaurant ist noch geschlossen. Über den Hintereingang komme ich ins Gebäude, eine Frau ist beim Tischdecken und sie spreche ich mit wenig Hoffnung an. Statt einem: „Alles belegt“, erhalte ich die Antwort: „Ich muss mal schauen“ und ich habe Glück, ein Zimmer ist noch frei. Für das Ausfüllen der Anmeldung schnalle ich meinen Rucksack ab. Ich erstarre fast vor Schrecken, mein Navi ist nicht da. Panik kommt bei mir auf. Entweder habe ich das Navi beim Einsteigen ins Auto verloren, dann besteht wenig Hoffnung, es noch wiederzufinden oder es ist im Auto und beim Aussteigen runtergefallen.

Den Namen des Fahrers kenne ich nicht, meine einzige Hoffnung besteht nun, den Bauernhof wiederzufinden und über die Bäuerin Kontakt mit dem Fahrer zu bekommen. Ich lasse meinen Rucksack im Büro des Gasthauses zurück und laufe los. Erstaunlich, welche Reserven plötzlich noch in mir stecken, bei der Ankunft war ich müde und schlapp und nun jogge ich durch den Ort. Zunächst fehlt mir die Orientierung und ich frage mich durch nach dem anderen Gasthof. Von dort aus erreiche ich einen Bauernhof, ob es der richtige ist weiß ich nicht. Ich hatte nicht wirklich bei der Autofahrt darauf geachtet. Ich klingle, niemand meldet sich, ich rufe und schreie: „Hallo, hallo“. Der Bauerhof ist wie ausgestorben. Bei einem Hoftor betrete ich aus Verzweiflung das Grundstück und schreie weiter. Erst als ich um die nächste Hausecke komme und weiter Krach mache, erscheint ein Mann. Ich frage nach der Bäuerin. Die gibt es hier nicht, er wohnt alleine hier und weiterhelfen kann er mir nicht. Wieder auf der Straße suche ich nach einem weiteren Bauernhof. Jetzt beginnen schon die Gedanken nach einer Neubeschaffung in meinem Kopf herum zugeistern.

Ein Stück weiter an der Straße sehe ich den nächsten Hof und hoffe wieder. Beim Eintreffen sieht er aber nicht wie in meiner Erinnerung aus. Doch es ist der Richtige, ich sehe sofort die Bäuerin und erkläre ihr mein Anliegen. Sie ruft auch gleich bei dem Autofahrer an, der Sohn ist am Apparat und er will nachfragen und zurückrufen. Bange Minuten vergehen und dann kommt der Wagen auf den Bauerhof. Mein Navi liegt noch auf dem Rücksitz. Ende gut, alles Gut! Ich bedanke mich und gehe erleichtert zu meiner Unterkunft zurück. Ich benötige jetzt ein gutes Abendessen auf den Schreck!

Das Zimmer ist sehr geschmackvoll eingerichtet und um 19 Uhr genieße ich ein Spargelgericht. Das Essen ist vorzüglich und der Landgasthof „Wremer Deel“ einen echten Tipp wert.