Pausentag in Görlitz

23. August 2013

Mittags laufe ich von der Altstadt zum Bahnhof. In jeder Straße finde ich bereits wunderschöne restaurierte Gebäude, manchmal ganze Straßenzüge. Und trotzdem sind viele Gebäude noch in einem heruntergekommenen Zustand. Doch auch diese Gebäude kann ich mir in einem renovierten Zustand gut vorstellen. Beim Anblick der vielen wundervollen Fassaden und schmuckvollen Türen verschlägt es mir immer wieder die Sprache, eine solche Vielfalt habe ich in noch keiner anderen Stadt gesehen. Nicht umsonst schreibt man im Stadtprospekt: „Görlitz, die schönste Stadt Deutschlands.“ Dem kann ich nur begeistert zustimmen!

Ich freue mich auf das Treffen mit Arnold und erreiche pünktlich den Bahnhof. Auf dem Weg zum Bahnsteig kommt er mir bereits entgegen. Die Bahn war tatsächlich pünktlich! Wir beginnen bereits ab Bahnhof mit der ersten Besichtigungstour und nähern uns dabei nach und nach der Jugendherberge. Dort meldet Arnold sich an und ich lade einige Berichte und Bilder hoch in meinen Blog. Anschließend setzen wir unsere Altstadttour fort. An der Verkündungskanzel des Rathauses machen wir gegenseitig die ersten Fotos und nehmen danach an einer Rathausturmbesichtigung teil. Wir sind bei dieser Führung die einzigen Gäste und so ist viel Zeit zum Fotografieren. Von oben hat man einen herrlichen Überblick. Ich bin froh, an dieser Besichtigung teilgenommen zu haben.

Anschließend durchstreifen wir viele Straßen und Gassen. Überqueren die Altstadtbrücke und laufen auf polnischer Seite an der Neiße entlang. Auch hier stehen viele Buden und nehmen am Görlitzer Fest teil. Anschließend geht es gemeinsam zurück. In der Nähe der Jugendherberge trennen wir uns. Ich muss zurück und Bericht schreiben, Bilder bearbeiten und meine morgige Etappe planen. Arnold stürzt sich nun in den Trubel des Altstadtfestes.  

121. Etappe: 22. August 2013

Deschka – Görlitz  13,8 km

Gegen 9 Uhr starte ich zu einer kurzen Etappe nach Görlitz. Es ist noch etwas kühl, aber die Sonne ist schon sichtbar und auch der blaue Himmel kommt zwischen den Wolken hervor.

Der heutige Weg verläuft nach Karte weitgehend an Straßen entlang, mit hoffentlich einem Radweg. Wo genau die Jugendherberge Altstadt in Görlitz liegt, weiß ich noch nicht. Das Mobilfunknetz ist wie in den Tagen zuvor nicht vorhanden. Ich bin aber zuversichtlich, je mehr ich mich Görlitz nähere, um so größer ist die Chance wieder auf ein vorhandenes Mobilfunknetz, hoffentlich auch von der Telekom, vorzufinden. Mit einer Journalistin der Sächsischen Zeitung habe ich bei Ankunft in Görlitz ein Interview verabredet.

Zunächst geht es an der Kreisstraße mit Radweg entlang und kurz vor Zodel biege ich auf eine kleine Straße in den Ort ab. Kurz vor der Kirche steht ein drahtiger, braun gebrannter Mann am Gartentor und spricht mich an.

Wie schon zuletzt in Brandenburg sind auch hier in Sachsen, oder besser hier in Niederschlesien, die Menschen sehr kontaktfreudig und ich nehme gerne das Gespräch an.

Der Mann erzählt mir, dass er leidenschaftlich gerne mit dem Rad unterwegs ist und mehrere Tausend Kilometer im Jahr radelt. Er ist im gleichen Alter wie ich und Bewegung ist für ihn wichtig. Auch kann er keinen Badeurlaub machen, er muss immer unterwegs sein und Land und Leute kennenlernen. Seine nächste Reise geht für drei Wochen nach Indien. Auch dort will er durchs Land reisen.

Mein Rucksack drückt beim Stehen und so verabschiede ich mich von ihm. Doch schon wenige Meter später bin ich wieder mit einem Mann im Gespräch. Er gießt gerade seine Tomatenstauden und wir wechseln einige Worte. Zum Abschied schenkt er mir zwei reife Tomaten. Sie schmecken köstlich!

Schon im nächsten Ort Ober Neundorf, es ist bereits ein Vorort von Görlitz, verspüre ich beim Anblick einer Bäckerei Kaffeedurst. Und so beginne ich schon früh mit meiner ersten Pause. Von der netten Bedienung erfahre ich, dass die Radfahrerin „Rund um Deutschland“ auch hier eine Pause eingelegt und von mir erzählt hat.

Ab diesem Vorort reihen sich die Orte beiderseits der Straße ohne sichtbaren Abstand aneinander. Angesicht der Handwerker bei Renovierungsarbeiten an Gebäuden, wirkt es auf mich wie bei einer Aufbruchstimmung. Einige Gebäude sind schon adrett zurechtgemacht, doch noch ist viel zu tun. Was erwartet mich erst in der Stadt Görlitz?

Nach Unterquerung einer Autobahn bin ich zunächst wieder auf dem Land. Um mich herum abgeerntete Getreidefelder. Dann auf einem Hügel gelegen ragen gerade die zwei Türme der evangelischen Pfarrkirche St. Peter und Paul, hervor. Doch bis zur Kirche muss ich erst einmal den Hügel hinauf und auch wieder runter. Es geht durch das einzige erhaltene Stadttor, dem Finstertor. Das angrenzende Fachwerkhaus beherbergte früher den außerhalb der Stadtmauer lebenden Scharfrichter (der städtische Henker). Nur noch wenige Meter und ich bin mitten im Altstadtviertel angelangt. Dort noch einmal einige Meter hinauf und dann habe ich die stattliche Pfarrkirche erreicht. Gleich neben der Kirche auf einem Platz finde ich das hölzerne „G“ als Tisch-Bank-Gruppe für das Stadtfest gebaut. Hier sollen während des Festes Gespräche stattfinden. Und genau das passiert nach einigen Fotos durch den Fotografen dann auch zwischen der Journalistin und mir.

Nur einige Meter weiter finde ich später die Jugendherberge Görlitz Altstadt. Es ist eine schöne und ideal gelegene Jugendherberge. Nach dem Duschen ist wieder ein Waschgang angesagt und danach begebe ich mich auf die erste Entdeckungsreise. Überall werden Buden für das morgen beginnende Stadtfest aufgebaut. Die Altstadt ist überaus prächtig. Viele der alten Gebäude sind bereits renoviert und erstrahlen im alten Glanz.

Bei einem besonderen Senfladen, ich wusste nicht, dass es überhaupt so viele Senfsorten gibt, esse ich eine Thüringer Bratwurst. Besichtige den Senfladen und bin überwältigt von der Probierauswahl. Eine Verkäuferin erklärt mir auf meine Frage, ob man denn bei so vielen Proben überhaupt noch etwas unterscheiden kann: „Mehr als vier Proben machen tatsächlich keinen Sinn.“ Ich darf den Laden auch von innen fotografieren.

Etwas unterhalb der Altstadt überquere ich die Altstadtbrücke, vorbei an dem östlichsten Restaurant Deutschland und befinde mich bereits im polnischen Zgorzelec. Auch hier sind viele Gebäude renoviert und auch hier sind Aufbauarbeiten für das Fest im Gange. Ich bin froh, in Görlitz einen Pausentag eingelegt zu haben. Morgen werde ich mit Arnold, einem jungen Mann aus Singapur, er ist Student an der Technischen Universität in Darmstadt, nochmals die Stadt erkunden.  

120. Etappe: 21. August 2013

Podrosche – Deschka  30,4 km

Schon vor dem Frühstück ist mein Rucksack gepackt und ich nehme ihn mit in den Gastraum. Beim gemeinsamen Frühstück mit dem Radwanderer verquatsche ich mich und starte doch wieder später. Noch ist es kühl und so beginne ich die Etappe mit Jacke.

Nach kurzer Zeit erreiche ich das Dorf Klein Priebus, es ist ein „Gassendorf“, wie ein Hinweisschild ausweist. Fast alle Häuser stehen beiderseits der Dorfstraße. Danach durchquere ich wieder große landwirtschaftliche Nutzflächen. Diese sind umgeben von Wäldern und überall mit Blick auf die freien Flächen stehen Hochsitze. Dies ist ein mir seit Tagen vertrautes Bild. Beim Durchlaufen eines Maisfeldes gibt mir eine breite Furche den Blick frei auf einen Hochsitz. Von dort kann man auch das Maisfeld sicher gut überschauen. Die Neiße hat sich wieder hinter Baumreihen und Felder versteckt. Nur die Grenzpfähle deuten auf den nahen Verlauf der Grenze in der Neiße hin.

Dann verlasse ich die Nutzflächen und tauche ein in einen dichten großen Nadelwald. Mal sind es hochgewachsene, mal kleine Fichten. Beiden gemeinsam ist, sie wirken wie Streichhölzer. Vorbei geht es an großen Flächen, von den Wildschweinen, aufgewühlten Waldbodens. Hin und wieder sehe für einen kurzen Moment in einer Schneise eine Straße. Höre dann auch Verkehrsgeräusche, doch meistens ist es himmlisch ruhig. Selbst Vögel sind hier nur selten zu hören.

Der Wald endet und ich erreiche wieder ein Gassendorf, den Ort Steinbach. Vorbei an halb verfallenen Gebäuden. Hinter den Gartentoren bewohnter Häuser empfängt mich unerfreuliches und aggressives Hundegebell, ich bin froh mit diesen Hunden keinen Kontakt zu bekommen. Dann erreiche ich einen kleinen Platz. Auf ihm steht ein Fleischereiwagen und bietet seine Produkte an. Ich kann den luftgetrockneten Würsten nicht widerstehen und kaufe ein Paar. Gegenüber dem Wagen steht ein Wartehäuschen und ein älterer Mann sitzt dort. Ich geselle mich zu ihm, sehe seinen leeren Korb und frage ihn, worauf er noch wartet. Seine Antwort: „Auf den Bäckerwagen, der kommt immer nach dem Fleischer.“

Also warte auch ich und werde mir Brötchen kaufen. Von ihm erfahre ich, das er in seiner Kindheit auf der anderen Seite der Neiße zur Schule ging. Später auf diese Seite flüchtete. Früher gab es mehrere Brücken rüber, die meisten wurden Ende des Krieges von der deutschen Wehrmacht gesprengt. Dieser Teil von Sachsen gehört zu Niederschlesien. Hier sächselt man nicht. Auch er kann selbstverständlich Schlesisch. Heute leben in den Dörfern entlang der Neiße nur noch Rentner. Die Jungen sind alle weggezogen. Ein bisschen Wehmut klingt bei ihm durch.

Inzwischen wartet auch eine alte Frau auf dem Platz. Dann endlich kommt die Bäckerin. Der alte Mann ist als Erster dran. Doch das Meiste wurde heute schon in den Orten zuvor verkauft. Resigniert schreitet er von dannen, was er haben wollte, gab es nicht mehr. Dann ist die ältere Frau dran, und nun beginnt ein Marathon in Unentschlossenheit. Ein Gartenarbeiter steht hinter mir an und verdreht immer öfter die Augen. Nach langem Hin und Her bin ich schließlich dran. Statt Brötchen kaufe ich mir ein Kuchenstückchen. Nach der Kombination Wurst und Kuchenstück gehe ich wieder meines Weges.

Wieder öfters habe ich nun freien Blick auf die Neiße und die Ufer werden immer ursprünglicher und schöner. Die Neiße schlängelt sich durch die Landschaft und mit ihr auch der Oder-Neiße-Radweg. Bei Lodenau verliere ich wieder die Neiße und laufe danach am Rande eines ehemaligen Fliegerhorstes der DDR vorbei. Inzwischen nur noch Vergangenheit, heute haben sich ein paar Firmen dort angesiedelt und auch dabei ist eine kleine Flugschule.

Inzwischen ist es wärmer geworden und ich laufe wieder nur mit T-Shirt. Doch heute spüre ich deutlicher die Anstrengung. Eigentlich sollten es nach meinen Berechnungen nur etwa 23 Kilometer sein, doch mein Gefühl und die Reststrecke sagen etwas anderes. In Rothenburg suche ich wieder einmal eine Sitzgelegenheit und sehe bei einer Pension, obwohl geschlossen, einen geöffneten Garten mit Stühlen und Tischen. Ich brauche unbedingt eine Verschnaufpause und mehr als vertreiben kann man mich ja nicht. Ich lasse mich im Garten nieder. Wenig später kommt der Zimmerwirt und wir kommen miteinander ins Gespräch. Von ihm erfahre ich, das auch er bereits zweimal einen Wolf gesehen hat. Die Bevölkerung ist zu den Wölfen hier in zwei Lager gespalten.

Bei Nieder Neuendorf folge ich dem Radweg und damit einer unnötigen Schleife. Leider erkenne ich dies zu spät. Bis nach Deschka, meinem heutigen Ziel, sind es noch etwas mehr als 6 Kilometer, der Straße folgend, oder noch mehr Kilometer dem Radweg folgend. Meine müden Füße entscheiden sich für die Straße. Noch im Ort habe ich bei einer Bushaltestelle wieder einmal ein Mobilfunknetz und so melde ich mich bei der Pension.

Die letzten Kilometer auf der wenig befahrenen Straße ziehen sich mächtig, ich sehne mich heute nur noch nach dem Ende der Etappe. Schließlich erreiche ich mein heutiges Ziel. Obwohl ich angerufen hatte, blicke ich wieder in ein ungläubiges Gesicht. Im leeren Gastraum frage ich nach einem Abendessen. Sie wollte gerade schließen, doch mein wohl hungriger Gesichtsausdruck lässt sie erweichen und so kann ich noch etwas bestellen. Nach dem Duschen erhalte ich ein Schnitzel mit Spiegelei und Bratkartoffeln. Dieses Schnitzel ist dick, goss und saftig. Nicht zu vergleichen, mit den letzten großen dünn geklopften und trockenen Schnitzeln.  

119. Etappe: 20. August 2013

Bad Muskau – Podrosche  23,3 km

Nach der gestrigen langen Etappe lasse ich es heute etwas geruhsamer angehen. Gegen 9:30 Uhr verlasse ich die Pension und orientiere mich nach meinem Navi in Richtung des Oder-Neiße-Radweges. Von der Bautzener Straße geht eine kleine Straße seitlich ab und führt nach meinem Navi direkt zu dem Radweg. Doch das ist alles graue Theorie. Ein Privatgrundstück versperrt mir den Durchgang. Neben mir eine hohe Böschung und eine kleine Treppe führt hinauf. Zurück möchte ich nicht, also gehe ich hinauf und erreiche einen Kopfstein gepflasterten Weg. Diesen Weg folge ich, da er parallel zu meinem versperrten Weg verläuft. Doch dann in einem kleinen Wäldchen stehe ich vor einem versperrten Tor. Ich bin aber richtig, denn ein Stück weiter erkenne ich eine Unterführung unter einer Bahntrasse. Nur noch wenige Meter trennen mich davon, also klettere ich über Schutt und Erdhügel auf die andere Seite. Als ich mich umdrehe, stehe ich vor einem Schild mit: „Privatgrundstück. Betreten verboten. Zuwiderhandlungen werden zur Anzeige gebracht.“

Schon nach wenigen Metern befinde ich mich wieder auf dem Radweg. Für kurze Zeit laufe ich neben einer mäßig befahrenen Bundesstraße entlang, bevor ich in einen Wald abbiege und schließlich wieder in der Nähe der Neiße bin. Die Neiße sehe ich nur gelegentlich, meist ist sie durch Bäume verdeckt. Kurz vor Sagar fängt es wieder an zu regnen, nicht heftig, doch genug um den Poncho anzuziehen. Eine Radlerklause kommt mir da gerade recht und ich kehre für eine längere Pause dort ein. Nach mir kommen noch Radler, die ich schon gestern unterwegs gesehen habe. Wir unterhalten uns kurze Zeit, dann brechen sie auf und auch ich beende meine Pause. Rechte Lust bei diesem Schmuddelwetter habe ich nicht.

Mit Poncho verlasse ich die Radlerklause. Zunächst laufe ich am Waldrand entlang oder auch durch Wald. Die Neiße sehe ich nur gelegentlich. Meistens ist sie einige Hundert Meter entfernt oder durch Baumreihen und Büsche verdeckt. Doch regelmäßig ist ein Schwarz-Rot-Gelber Grenzpfosten sichtbar. An vielen abgeernteten Feldern und Weiden komme ich vorbei. Nur noch Maisfelder und auch einmal ein Sonnenblumenfeld stehen noch. Es ist eine schöne Landschaft und herrlich ruhig. Wie schon gestern komme ich an einer Staustufe (zumindest sieht sie so aus) vorbei. Der Sinn dieser Anlagen erschließt sich mir nicht. Vorbei geht es an Skerbersdorf und Pechern. Kurz vor Werdeck versuche ich erneut bei meiner heutigen Unterkunft anzurufen. Mehrere Versuche scheitern. Das deutsche Telekom-Mobilfunknetz ist wieder einmal grottenschlecht. Mehre polnische Netze wären verfügbar. Doch schließlich erreiche ich die Pension und teile mit, dass ich auf jedem Fall noch komme.

Vielleicht ist es für die Leser(innen) ungewöhnlich, dass ich nach einer Buchung unterwegs nochmals anrufe. Wie ich schon mehrfach erfahren habe, herrscht leider die Unsitte vor, zwar zu buchen, doch dann nicht aufzutauchen. Da es oft nur wenige Zimmer gibt, möchte ich nicht ankommen und das Zimmer ist anderweitig vergeben worden. Schon einige Male habe ich trotz vorherigem Telefonat in überraschte Gesichter geblickt. Man hatte nicht mehr mit mir gerechnet. So auch gestern Abend um 20:45 Uhr bei meiner Ankunft.

Von meinem letzten Rastplatz ist es dann nicht mehr weit und ich erreiche den kleinen Gasthof. Fast gegenüber führt eine Brücke zur polnischen Seite. Es sind wieder einmal nur wenige Meter bis nach Polen.

Zunächst trinke und esse ich etwas und werde danach über eine Außenwendeltreppe zu meinem Zimmer geführt. Schon auf dem Flur laufe ich auf knarrendem Boden. Das setzt sich auch im Zimmer fort. Jede Bewegung, selbst auf dem Stuhl verursacht ein Knarren. Später kommt noch ein Radwanderer an. Auch dessen Bewegungen im Zimmer oder auf dem Flur sind deutlich vernehmbar. 

118. Etappe: 19. August 2013

Forst (Lausitz) – Bad Muskau  35,1 km

Im Frühstücksraum erfahre ich von der Zimmerwirtin, dass noch eine Radwanderin dazu kommen wird. Und wenig später erscheint sie dann auch.

Ich frage sie, ob sie auch auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs ist. Sie bejaht es, fügt aber hinzu: „Ich bin auf einer Deutschlandumrundung unterwegs.“ Ich bin total überrascht, aber auch erfreut, tatsächlich jemanden zu treffen, der ebenfalls auf einer Umrundung unterwegs ist.

Sie hat gerade die Freistellungsphase der Altersteilzeit begonnen und startete in Baden Württemberg zunächst auf einer Tour auch auf den Spuren ihrer Vergangenheit. Dann ab Donau wollte sie bis zur Mündung in Rumänien fahren. Das Hochwasser setzte aber in Budapest einen Schlusspunkt. Von dort ist sie mit dem Zug zurück. Schon unterwegs hatte sie die Idee, wenn die Fahrt an der Donau zu gefährlich werden würde, alternativ eine Deutschlandumrundung vorzunehmen.

Zu Hause angekommen hat sie sich einige Tage gesammelt, wie sie es formulierte, und ist dann wieder los. Unterwegs erfuhr sie bei einer Zimmerwirtin von mir, ich hatte dort bereits übernachtet. Da ich mein Stempelheft dabei hatte, stellten wir eine weitere Übernachtung bei gleicher Zimmervermietung fest.

Sie muss Anfang Oktober zu einem Familientreffen, sollte sie bis dahin nicht mit der Umrundung fertig sein, fährt sie den Rest im nächsten Jahr.

Auf dem Hof verabschieden wir uns und dann starte ich. Die Unterkunft liegt im Norden von Forst und so dauert es einige Zeit, bis ich in der Nähe des Radweges ankomme. Hier wird mir der Weg versperrt durch eine Rosengartenausstellung. Eintritt 11 € und durch komme ich nicht, muss in jedem Fall zurück. Da es nach Regen aussieht und ich eine lange Tour vor mir habe, streiche ich die Besichtigung. Der alternative Weg ist beschildert. Bei einem Rastplatz am Wald mache ich eine kurze Pause. Eine „Schnapsdrossel“ sitzt schon da und schnell zieht er mich in ein Gespräch, eher er spricht mit mir und erwartet auch keine Antwort.

Er sitzt bisher nur bei einer Flasche Bier seit heute Morgen um 7 Uhr  :-P. “Mehr habe ich nicht getrunken”, erklärt er mir. Eine leere Flasche steht aber in seinem Rolator. “Habe ich nicht getrunken, ist nur gefundenes Leergut”, versichert er mir. Zwischendrin holt er eine Weinbrandflasche aus einer Tasche und nimmt einen kräftigen Schluck. Die Flasche ist dreiviertel leer und wieder versucht er mir zu versichern: „Die Flasche habe ich schon drei Tage und sie wird noch länger halten.“ Wer’s glaubt, wird selig 😛 .

Plötzlich kommt meine Radfahrerin von heute Morgen vorbei. Sie hat sich die Ausstellung angeschaut. Wir begrüßen uns kurz und dann ist sie schon vorbei. Auch ich starte wieder und nicht lange, dann habe ich den Deich an der Neiße erreicht.

Heute wechselt mehrfach die Landschaft an der Neiße. Zunächst sind es landwirtschaftlich genutzte Wiesen und Weiden am Ufer, dann wird es ursprünglicher und Kräuterwiesen folgen. Mittendrin immer wieder Bäume und Büsche. Schließlich säumen Eichen und Weiden das Ufer.

Ich durchlaufe auch immer wieder Waldgebiete. Irgendwo zwischendrin mache ich eine Rast bei einem umgerüsteten Gartenhaus als Radlertreff. Nachdem ich von meiner Wolfsbegegnung erzähle, erfahre ich, dass es hier tatsächlich Wölfe gibt. Also traf gestern ein „einsamer Wolf einen einsamen Wolf“ :-P.

Weiter geht es unter einer Autobahn hindurch, auch einen Märchenwald (Naturgebiet „Schwarze Grube, auch Märchenwald genannt) durchquere ich. Hole mir bei einem Ziegenhof ein paar köstliche Ziegenkäsehappen als Wegzehrung.

Immer wieder regnet es und ich trage dauerhaft den Poncho. Nur bin ich inzwischen nicht vom Regen durch und durch nass, sondern auch vom Schweiß. Mir rinnt dieser in Strömen. Mein kleines Schweißtuch kann ich inzwischen auswringen!

Unterwegs in einer regenfreien Zeit versuche ich eine Unterkunft zu finden. Leider kein leichtes Unterfangen. Viele Zimmervermietungen sind belegt und bei den noch Freien will man mir nicht das Doppelzimmer vermieten. Da der Ort ein „Bad“ davor stehen hat, wiederholt sich das, was ich schon in Feriengegenden erlebt habe. Schließlich kann ich doch eine sehr günstige Unterkunft für 18 € inklusive Frühstück buchen. Die Unterkunft liegt aber außerhalb von Bad Muskau in einem Vorort.

Erst etwa 4 – 6 Kilometer vorher kann ich mich nochmals bei der Zimmerwirtin melden. Wieder einmal ist kein Mobilfunknetz vorhanden. Inzwischen ist es spät geworden. Für die letzten Kilometer nutze ich das Smartphon-Navi. Dieses führt mich durch ein Waldgebiet. Der Weg ist nur noch schlecht sichtbar und mein Smartphone-Navi arbeitet sehr träge. Natürlich verlaufe ich mich und ziehe dann doch mein Outdoor-Navi zurate. Irgendwie komme ich schließlich wieder aus dem Wald und lande auf der richtigen Straße. Nach etwa 300 Metern bin ich dann bei der Unterkunft.

Die Zimmerwirtin guckt mich verdutzt an, als sie öffnet. Mit mir hat sie nicht mehr gerechnet. Mein kleines Zimmer liegt im 2. OG und WC und Bad sind über den Flur erreichbar. Zu meiner Freude gibt es ein Wannenbad und so genieße ich nach einer langen Tour ein entspannendes Bad.

117. Etappe: 18. August 2013

Guben – Forst (Lausitz)  31,3 km

Von der Pension aus muss ich quer durch Guben, bevor ich den Deich an der Neiße erreiche. Für ein kurzes Stück ist die Neiße sichtbar. Deutlich schmäler als die Oder, aber mit deutlich höherer Fließgeschwindigkeit. Dann versperren mir Schilf, Büsche und Bäume am Ufer wieder die Sicht auf den Fluss. Der Himmel ist bewölkt mit blauen Anteilen und die Sonne findet gelegentlich ihren Weg hindurch.

Der Deich führt mehr oder weniger dicht am Fluss entlang. Nur eine Wiese trennt mich von der Neiße. Mal geht es durch ein Wäldchen, mal laufe ich an abgeernteten Getreidefeldern vorbei. Leider begleitet mich auch die Straße für längere Zeit, die unmittelbar neben dem Deich entlang führt. Die Verkehrsgeräusche finde ich störend.

Wieder einmal verlässt der Deich glücklicherweise die Straße und plötzlich im Abstand von ca. 50 Metern steht zwischen Büschen am Ufer ein großer dunkelgrauer wolfsähnlicher Hund oder Wolf. Aufgeregt hole ich meine Kamera raus, doch dann hat er wohl Witterung von mir aufgenommen. Schaut für einen Moment in meine Richtung und flüchtet dann vor mir über den Deich auf ein abgeerntetes Getreidefeld. Kurz vor dem dahinter liegenden Maisfeld wird er wieder langsamer und verschindet im Mais. Genau in diesem Moment erwische ich ihn noch mit meiner Kamera.

Irgendwann laufe ich vor dem Deich und die Straße führt auf dem Deich entlang. Jetzt ist die Neiße eingebettet zwischen den Deichen auf polnischer und deutscher Seite in eine relativ schmale Wiesenlandschaft. Vor mir taucht eine teilweise zerstörte Betonbrücke auf. Die Zerstörung scheint aus der Zeit des 2. Weltkriegs zu stammen. Auf deutscher Seite gibt es keine Trümmer mehr. Die Reste des Brückenbeginns sind noch vorhanden und bei ihm mache ich eine Rast. An der Brücke befestigt eine Metallleiter mit Geländer und Radspur. Das Geländer auf der Brücke fehlt jedoch. Man kann aber über die Brücke die Neiße überqueren. Denn einen Moment später kommt ein Radler angefahren. Er steigt ab und betrachtet die Leiter und kehrt wieder um.

Mit der Zeit wird das Laufen an der Neiße ruhiger und die Straße verschwindet aus meinem Blickfeld. Irgendwann ist es sogar völlig ruhig. Bei einem alten Wasserwerk angekommen, steht im Garten davor eine alte MIG. Als ich die Kamera heraushole, mich dem Zaun nähere und fotografieren will, kommen zwei große und eher ungemütliche Rottweiler bellend und knurrend angelaufen. Sie verstehen offensichtlich keinen Spaß und so trete ich ohne Foto den Rückzug an. Am Kraftwerk überquere ich die Neiße um sie nach ein paar Hundert Metern erneut wieder zu überqueren. Es ist inzwischen heiß geworden und mein Wasser aufgebraucht. Mein Mund ist trocken und ich habe Durst, doch Abhilfe ist nicht in Sicht. Das nahe Gasthaus ist geschlossen. Ein Hinweisschild zeigt eine Öffnungszeit für Montag bis Freitag an und heute ist leider Sonntag.

Für längere Zeit durchlaufe ich einen Wald, die Neiße ist nicht mehr sichtbar. Doch dafür hat mich die etwas höher gelegene Straße wieder. Dann endlich ein Hinweisschild auf eine Rastmöglichkeit mit „Lehmanns Radler-Rast“. Und diese Radlerrast taucht auch wenig später als ein Getränkewagen mit Tischen und Bänken auf.

Nach Stillen meines Durstes mit 2 Liter Wasser geht es weiter. Zuvor erfahre ich noch von einer Abkürzung zu meiner heutigen Unterkunft. Von einem gerade eingetroffenen Anwohner erfahre ich auch noch, dass vor drei Jahren hier auch ein Wanderer mit Hund auf einer Deutschlandumrundung vorbei gekommen ist.

Ich bleibe wie empfohlen auf dem Radweg und blicke unerwartet in die Augen eines Rehes. Uns trennt gerade mal ein Bach. Wir schauen uns bewegungslos an. Vorsichtig beginne ich die Kamera aus der Tasche zu holen und blind auszurichten, ohne den Blick vom Reh zu lassen. Wir schauen uns weiterhin unverändert an. Erst als ich einen Blick auf den abgeklappten Monitor werfe und leider nochmals ausrichten muss, springt das Reh die Böschung hoch. Ich erwische es gerade noch, bevor es im Feld verschwindet. Weiter geht es durch ein paar kleine Siedlungen. Am Himmel brauen sich wieder dunkle Wolken zusammen, doch ich erreiche meine Unterkunft trocken.  

116. Etappe: 17. August 2013

Neuzelle – Guben  20,6 km

Gleich zu Beginn meiner heutigen Etappe streikt mein Navi. Es findet keine Satelliten. Da dies ungewöhnlich lange dauert, ahne ich Fürchterliches. Sollte mein Navi seinen Geist aufgegeben haben? Da ich mich bereits auf der B112 befinde und ein Wegweiser nach Guben zeigt, meinem heutigen Ziel, bleibe ich auf dem Radweg dieser Bundesstraße. Erst als ich einige Hundert Meter eine Abzweigung passiere, ist der Satellitenkontakt wieder da. Erleichtert laufe ich weiter, doch dann macht mich ein Hinweisschild „Kraftfahrstraße“ für die weiter verlaufende B112 nervös. Das bedeutet das Ende des Radfahrweges! Wieder beginnt ein Abwägen: zurück oder doch weiter. Weiter ist wohl verboten und ich muss mit höheren Geschwindigkeiten rechnen. Die Entscheidung ist schnell getroffen, also zurück zu der Abzweigung und dort weiterlaufen. Zu meinem Glück kommen mir gerade zwei Radfahrer entgegen und diese sind auch noch Einheimische. Sie geben Entwarnung, der Radweg verläuft auf einer alten Straße parallel zur neuen B112.

Also weiter auf dem Radfahrweg, der inzwischen neben einer zweispurigen Straße verläuft. Doch diese Straße verengt sich einige Zeit später zu einer schmalen einspurigen Straße. Zunächst bin ich alleine unterwegs, doch dann beginnt wieder der Raserwahnsinn. Plötzlich überholen mich mehrere Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit und mit wenig Abstand. Die Fahrgeräusche werden durch den Verkehr der daneben verlaufenden B112 übertönt. Jedes Mal wenn ein Fahrzeug neben mir vorbei fährt, erschrecke ich. Ich beuge mich den Verrückten und laufe neben der Straße auf einem sehr unebenen schmalen Rand. Besser auf jedem Fall als irgendwann angefahren zu werden. Nur wenige Haltebuchten sind vorhanden und ich hoffe, dass sich keine Raser begegnen und ich dann im Wege bin.

Kurz vor Steinsdorf überquere ich eine Brücke und danach habe ich das Ortsschild im Blick. Meine innere Anspannung lässt sofort wieder nach. Im Ort komme ich an einem kleinen Biergarten vorbei. Es ist heiß und mein Durst groß und so kehre ich ein. Wenig später setzt sich eine Frau zu mir an den Tisch. Wie ich von ihr erfahre, beginnt heute ein Dorffest und es werden Gäste aus Polen, aus der Schwestergemeinde, erwartet. Sie ist die Leiterin der örtlichen Schule und gleichzeitig die Dolmetscherin. Da einige Polen auch Deutsch sprechen, ist die Aufgabe nicht schwer, erklärt sie mir.

Ihre Polnischkenntnisse stammen aus der Zeit ihres Aufenthaltes in Warschau. Damals begann sie, nach einem Intensivkurs, mit dem Studium für Haustechnik. Sie korrigiert sich lachend: „Mit Gas, Wasser, Sch …“ Doch schnell merkte sie, dass das nicht das Richtige für sie ist. Schon alleine das Technische Zeichnen war ihr ein Gräuel. Außerdem wäre sie später nach dem Studium als Frau wahrscheinlich in der Verwaltung gelandet. Und als Alternative wäre dann nur der Außenhandel infrage gekommen. Damit aber auch zwingend der Eintritt in die Partei. Nach der Wende erzählte sie mir, wurden alle aus diesem Bereich entlassen und arbeitslos. So kam es, dass sie Pädagogik studierte und heute Lehrerin mit Leib und Seele ist.

Einige Zeit später trafen dann die polnischen Gäste ein und ihr Einsatz beginnt. Schon wenig später setzte sich ein Mann, er ist gerade mit einem Transporter eingetroffen, zu mir an den Tisch. Die Wirtin brachte ihm unaufgefordert einen Teller Suppe. Ich habe den Eindruck, es ist ihr Mann. Auch mit ihm bin ich schnell in einer Unterhaltung.

Nach dem Wiederkehrenden woher und wohin, zeigt er sich beeindruckt von meiner Leistung. Dann erzählt er mir von einem Radfahrer, der ebenfalls auf einer Rund-um-Deutschland-Tour unterwegs war. Er übernachtete hier in der Pension. Da sein Gepäckträger gebrochen war, suchte er eine Werkstatt. Die brauchte er aber nicht, denn hier im Ort wurde der Gepäckträger geschweißt. Stolz erklärt er mir, hier machen wir noch alles selber und brauchen keine Werkstatt.

Wenig später setzen sich mehrere Frauen aus der Küche an den Nebentisch. Auch sie mischen sich in unsere Unterhaltung ein. Eine fragt mich schließlich, wie alt ich bin. Eine andere fällt ihr ins Wort: „So was fragt man nicht!“ Als ich lachend mein Alter nenne, höre ich eine weitere Frau murmelnd sagen: „Der hat sich aber gut gehalten, was Wandern so alles ausmacht.“ Mir schwillt innerlich die Brust!

Als ich aufbrechen will, lädt mich der Mann ein, mit ihm nach Guben zu fahren. Ich lehne dankend ab. Daraufhin erklärt er mir noch den weiteren Weg nach Guben und ich setze meinen Weg fort.

Schnell habe ich das Dorf verlassen und laufe nach Überquerung einer Brücke wieder auf einem separaten Radweg neben der parallel zur B112 verlaufenden Straße. Kurz vor dem nächsten Ort höre ich plötzlich eine Stimme neben mir. Mein Gesprächspartner von vorhin fährt langsam an mir vorbei und ruft mir zu: „Sie sind auf dem richten Weg.“

Weiter geht es durch Bresinchen, dann durch Groß Breesen – bereits ein Stadtteil von Guben – und dort bremst plötzlich ein Radfahrer ab und fährt langsam neben mir.

Seine Frage an mich: „Von wo nach wo?“ Als ich antworte: „Von Darmstadt wieder nach Darmstadt“, folgt: „Ich bin Baujahr 58 und sie?“ Als ich antworte: „Baujahr 48“ ist sein Erstaunen groß und er erwidert: „Hochachtung, ich ziehe meinen Hut“, und fährt dann weiter. Ich höre ihn noch sagen: „Unglaublich, unglaublich!“

Nur wenig später hupt es plötzlich neben mir, ich blicke auf und sehe einen Autofahrer winken und mir den nach oben gestreckten Daumen zeigen. Und damit nicht genug, zwei mir entgegen kommende Radfahrerinnen rufen mir freundlich zu: „Frohes Wandern.“

Schließlich erreiche ich die Kreisstadt Guben. Doch bis zu meiner Pension muss ich noch fast den ganzen Ort durchlaufen. Die Pension ist ein flacher lang gezogener Bau, im Winkel dazu ein weiteres Gebäude mit Bowlingbahn und Restaurant. Mein Zimmer ist groß und neu renoviert.