155. Etappe: 27. September 2013

Großer Arber – Zwieslerwaldhaus
Distanz: 14,4 km; Aufstiege: 285 m; Abstiege: 948 m

In Fortsetzung des gestrigen Abends, versuche ich noch in der Frühe meine Routen anzupassen. Beim Versuch ins Internet zu kommen, erhalte nach einer Ewigkeit die Meldung „Zeitüberschreitung“ und es folgt der Abbruch. Telefonieren geht und geht mal nicht. Ich versuche eine Alternativlösung ohne Großen Falkenstein und Großen Rachel, aber die Schachten dazwischen, auf Empfehlung von Werner, in eine neue Route einzubauen. Sehr schwierig ohne Internet, Karten und Detailinformationen, wo genau die interessantesten Schachten liegen.

In jedem Fall folge ich für heute der Empfehlung und werde nur bis Zwieslwaldhaus laufen, dort versuche ich dann im ältesten Gasthof des Bayerischen Waldes zu übernachten.

Gegen 6:30 Uhr beginnt langsam der Sonnenaufgang, doch die Sonne zeigt sich nicht, nur der Himmel verfärbt sich. Nach und nach wird es heller, doch die Nebelschwaden verhindern eine Fernsicht. Schade, ich hätte gerne mehr von meinem Fenster aus gesehen.

Als ich loslaufe, finde ich nicht den Einstieg in den Goldsteig zur Seebadschleife. Da ich an der Sesselliftkasse nach einer Karte fragen möchte, gehe ich dorthin und erhalte auch eine Richtungsauskunft. Auf dem Weg abwärts genieße ich den Blick in die Ferne und ins Tal. Vereinzelte kleine Wolken schweben unter mir und über dem Tal. Ich schau wieder einmal zu spät auf mein Navi und erkenne dieser Weg führt in die falsche Richtung. Wieder zurück und kurz vor der Arber-Schutzhütte treffe ich auf drei Personen, die ich schon in Eck gesehen haben. Im Gespräch mit ihnen erfahre ich, dass einer der Drei schon die ehemalige Deutsch-Deutsche-Grenze abgelaufen ist. Beim Erzählen kommt er richtig ins Schwärmen. Ich werde mich nach meiner Rückkehr mit ihm in Verbindung setzten und mehr über diesen Weg in Erfahrung bringen. Denn wenn ich das Drumherum geschafft haben sollte, darf das Mittendurch nicht fehlen.

Diesmal gehe ich in das Arber-Schutzhaus, wenn auch mit wenig Hoffnung, und frage dort nach dem Goldsteigeinstieg. Tatsächlich kann man mir den Weg zum Goldsteig zeigen. Nun beginnt ein steiniger Abstieg. Mit meiner Bänderrissvergangenheit gehe ich langsam und mit höchster Konzentration abwärts. Neben den vielen kleinen und großen Steinen tauchen auch immer öfters Wurzeln auf. Zwei Wanderer mit kleinem Gepäck holen mich ein und kurze Zeit laufen wir zusammen.

Sie sind mit dem Sessellift hoch auf den Großen Arber gefahren und starten heute die erste Etappe, einer einwöchigen Goldsteigwanderung. Über einen Reiseveranstalter haben sie Übernachtungen und Gepäckservice gebucht. Erst mit den zugeschickten Unterlagen erfuhren sie, dass sie zum Teil auch mit dem Bus am Ende einzelner Etappen zu den Unterkünften fahren müssen. Einige Unterkünfte auf der Strecke waren bereits ausgebucht. Ich erzähle ihnen lieber nicht, dass nach dem anstrengenden Aufstieg zum Rachel auch noch ein längerer Abstieg zur Bushaltestelle folgen wird.

 Glücklicherweise endet nach einiger Zeit der anstrengende und steinige Abschnitt. Danach geht es auf einem breiten Weg zum Großen Arbersee. Ein kurzes Stück Straße folgt und dann bin ich wieder auf einem Waldweg abwärts. Gedankenverloren übersehe ich wieder einmal die Beschilderung und stelle erst mit dem Navi fest, das ich zu weit gelaufen bin. Doch mein Navi zeigt mir einen Alternativweg und so erreiche ich dann ohne Umkehr den Weiler Seebadschleife. Hier verlasse ich den Goldsteig und laufe nun nach dem nächsten Weiler Schwellhäusl. Hier ist es ein Muss im dortigen Gasthof einzukehren, wie mir eindringlich Werner rät.

Der Weg zum Schwellhäusl führt erst einmal wieder hoch. Ein junges Paar holt mich bei einer Verschnaufpause ein. Sie schauen bei ihrem Spaziergang nach Pilzen. Eine fette Ausbeute von drei Pilzen J ist bereits in ihrer Stofftasche. Wir gehen erzählend und dabei schnaufend zusammen weiter und erreichen schließlich den Gasthof. Er liegt idyllisch an einem Teich. Wir finden draußen im gut besuchten Biergarten einen Platz.

Das Paar stammt aus dem Saarland und macht hier in der Gegend einen Kurzurlaub. Sie übernachten in einer der Familie gehörenden Eigentumswohnung. Die junge Frau kommt schon seit ihrer Kindheit regelmäßig hierhin. Sie war auch schon einmal in Darmstadt bei „Jugend musiziert“ gewesen.

Der nun folgende Weg führt durch einen Mischwald, genau neben einen kleinen Bach entlang. Immer wieder komme ich an Totholz vorbei. Im Nationalpark gibt es keine Holzwirtschaft. Umgestürzte Bäume werden, soweit sie nicht die Wege blockieren, einfach liegen gelassen. Es ist ein schöner Weg, und wenn einmal die Sonne es durch die Wolken schafft, ist der Wald wunderbar lichtdurchflutet.

Nach diesem herrlichen Waldweg stoße ich schließlich auf eine Straße und erreich nach ca. 800 Metern den Ort Zwieslwaldhaus und meine heutige Unterkunft. Hier kann ich wieder einen Waschtag mit Waschmaschinenwäsche einlegen. Als ich später ins Internet will, geht dies hier leider wieder nicht. Auch der WLAN-Zugang klappt nicht. Die Wände des alten Gebäudes sind sehr dick, doch auch der Versuch draußen über das Mobilfunknetz ins Internet zu kommen, schlägt fehl.

Lange Zeit versuche ich für die morgige Etappe einen Weg über die Schachten zu finden. Ich probiere bestimmt zehn Varianten aus und jedes Mal liegen die Längen der Etappe über 28 bis zu 34 Kilometern. Damit verbunden sind auch einigen Höhenmeter zu überwinden, das ist mir zu viel. Ich gebe schließlich gegen 21 Uhr auf und nehme morgen eine leichte schnell zusammengestellte Alternativroute. Die Schachten auf dieser Wanderschaft sind aus meinem Programm gestrichen.

Die letzten Tage mit den ständigen Umänderungen der Streckenführung und nun der verzweifelte Versuch doch noch eine machbare Strecke zu finden, haben mich total aus meinem gewohnten Rhythmus gebracht. Bildbearbeitung und Berichte schreiben habe ich sträflichst vernachlässigt. Das nur, um unbedingt etwas Sehenswertes zu sehen. Die heutige leichte Etappe war definitiv zu kurz, ansonsten hätte es mit den Schachten wohl geklappt. Und doch hat sie auch etwas Gutes, ich konnte einen Waschtag einlegen. Am 5. Oktober will ich unbeschwert und entspannt in Passau sein und meine Familie begrüßen. Darauf freue ich mich sehr.

Meine Deutschlandumrundung mache ich nicht um bestimmte Sehenswürdigkeiten und bestimme Landschaften abzuarbeiten. Die meiste Zeit weiß ich vorher nicht, was mich unterwegs erwartet. Um so mehr freue ich mich dann, Schönes zu entdecken und zu sehen und es ausgiebig, wenn möglich, zu genießen. Das Tun um Bestimmtes sehen zu wollen, war eine gefährliche Gratwanderung, denn meine inzwischen gewonnene innere Ruhe und Ausgeglichenheit ist stark ins Wanken geraten. Doch genau diese Ruhe und Ausgeglichenheit und die Freude etwas Neues zu entdecken, ist mir wichtiger, als unbedingt etwas abzuhaken.

Ich lerne immer noch dazu und aus dem Gewesenen habe ich zumindest für Zukunft gelernt, nichts mehr sehen zu müssen. Keine Hetze mehr! Natürlich freue ich mich weiterhin auf Tipps und Infos, doch es muss in meine Streckenführung und Planung passen. Denn immer noch ist viel Spaß dabei, unterwegs zu sein und das soll so bleiben. Wenn es sich ergibt, genieße ich. Auch das gedankenverlorene Traben auf einer Asphaltpiste hat sein Gutes, ich kann inzwischen dabei total entspannen.

154. Etappe: 26. September 2013

Eck – Großer Arber
Distanz: 16,4 km; Aufstiege: 1100 m; Abstiege: 574 m

Als ich den Gasthof verlasse, nieselt es bereits. Der Aufstieg fängt gut an. Schnell bin ich auf einem schmalen Waldpfad steil nach oben unterwegs. Der Weg ist zwar auch voller Steinen und Wurzeln, doch es läuft sich weniger kräftezehrend als gestern. Trotzdem muss ich auch hier öfters eine Verschnaufpause einlegen.

Bei einem Schlachtfeld voller umgestürzter und zum Teil zersägter Bäume suche ich das erste Mal das Goldsteig-Wegezeichen. Auf meinem Weg komme ich oft an Totholz oder an abgestorbenen Fichten, deren kahlen Stämme immer noch stehen, vorbei. Auch sehe ich viele Vogelbeerbüsche, junge Birken und jungen nachwachsende Fichten. Der leichte Nieselregen hält sich weiterhin. Trotz des wenigen Baumbestandes ist die Fernsicht durch Nebelschleier getrübt.

Immer wieder sind kleine Klettereinlagen über Felsen und Steine notwendig. An manchen Stellen wünschte ich mir mehr Wegezeichen, wie es sie auf den leichteren Etappen zuvor gab. Öfters mal kommt leichte Unsicherheit auf, bin ich noch richtig unterwegs. Dann ein Fels vor mir und ich weiß für einen Moment nicht, wie ich da mit meinem Rucksack rüber kommen soll. Etwas seitlich ein kleiner Vorsprung, ausreichend für die Schuhspitze und in Griffnähe eine feste Wurzel. Ich setze die linke Fußspitze darauf und ziehe mich an der Wurzel hoch. Dann kann ich hochdrücken. Ich habe es mit dem Rucksack und den Stöcken geschafft. Bei solchen Momenten ist der Rucksack ein echtes Problem. Ich sehe kein Zeichen mehr und weiß nicht, ob ich noch richtig bin. Doch wieder zurück geht nicht. Wenig später befinde ich mich auf einem schmalen Pfad an einem Steilhang. Weit über mir ein metallenes Kreuz. Der feuchte Untergrund ist unangenehm zu laufend und meine Anspannung groß. Ein Ausrutschen auf den glitschigen Wurzeln wären nicht gut. Dann ein etwa 80 Zentimeter tiefe Stufe und in der Trittstelle Matsch. Ein Abstützen mit den Stöcken ist hier nicht möglich. Ich muss einfach diese Stufe nehmen und hoffen, nicht bei Auftreffen auszurutschen. Ich rutsche nicht, versinke aber mehrere Zentimeter im Schlamm. Danach noch einen steinigen Pfad weiter aufwärts und schließlich komme ich erleichtert unmittelbar unterhalb des Kreuzes an. Hier stelle ich fest, mein Weg am Steilhang war nicht der offizielle Goldsteigweg, denn der kommt seitlich vor mir rechts vor dem Kreuz. Lag es an einer schlechten Beschilderung oder einfach nur an meiner Unachtsamkeit bei dieser Extraeinlage. Doch so viel steht fest, ich bin nicht der Erste auf diesem Weg gewesen.

Nach vielem Auf und Ab über Steine, Felsen und auch vielen kahlen Flächen, erreiche ich ein Plateau mit jungen Nadelhölzern und Vogelbeerbüschen und inmitten eines Meers aus Heidelbeersträuchern und hellgelbem Gras. Viele Blätter der Heidelbeersträucher sind bereits herbstlich rot gefärbt und voller Heidelbeeren. Ich nasche ausgiebig und an meinen Finger sind die Spuren deutlich sichtbar. Ein junges Paar ohne Gepäck hetzt an mir vorbei und hat kein Auge für diese atemberaubend schöne Landschaft. Auch verschwenden sie keinen Moment für die vielen Heidelbeeren. Sie wollen nicht oben auf dem Großen Arber übernachten, sondern gleich wieder runter, wie sie mir kurz zurufen.

Wieder geht es einem kahlen Berg entgegen und auf dem Plateau ist der Pfad mit Holzbohlen ausgelegt. Seitlich schimmert zwischen den Gräsern Wasser durch. Ich durchschreite ein Hochmoorgebiet. Wieder fesselt mich diese Landschaft aus einem Farbenmeer von Grün-, Gelb- und Brauntönen, durchsetzt mit weißen Farbtupfern des Wollgrases.

Schließlich erreiche ich den Kleinen Arber und die dortige Schutzhütte. Einsam auf einer Bank im verlassenen Biergarten lege ich eine Pause ein. Der nun folgende Weg zum Großen Arber ist wieder vorbildlich ausgeschildert. Ich habe den Eindruck, dort wo es anstrengend wird, lässt die Beschilderung etwas nach.

Der weitere Aufstieg mündet auf einem breiten Fahrweg. Dieser schlängelt sich ordentlich ansteigend nach oben. Bei einer Kurve verlässt der Goldsteig wieder diesen Fahrweg. Doch ich bin froh nun unbeschwert laufen zu können und nehme den vielleicht etwas längeren Fahrweg nach oben in Kauf. Nur aus Gewohnheit schaue ich nach einiger Zeit auf mein Navi und zoome dabei den Fahrweg näher ran. Jetzt erkenne ich, dieser Weg führt zumindest auf meinem Navi nicht zum Ende der dargestellten Goldsteigetappe. Zweifel nagen an mir, ob ich hier überhaupt das Schutzhaus erreichen werde. Da das Mobilfunknetz wieder mal hier vorhanden ist, rufe ich zur Sicherheit im Schutzhaus an. Ein junger Mann meldet sich. Ich erkläre ihm, dass ich mich etwa einen Kilometer weit von ihm entfernt auf einem Fahrweg nach oben zum Arber befinde. Ob dieser Weg auch zum Arber-Schutzhaus führt. Der junge Mann hat keine Ahnung und erklärt mir lediglich: „Ich kenne diesen Weg und auch den Goldsteig nicht. Ist aber nicht schlimm, wenn sie nicht kommen.“ Ich bin perplex und irritiert, was soll das, wo soll ich denn hier übernachten. In meinem aufkommenden Ärger möchte ich den jungen Mann am liebsten zum Mond schießen. Ich verabschiede mich mit Mühen ruhig von ihm und laufe zurück zur Abzeigung.

Der junge Mann ist, wie ich später erlebe, ein ganz Netter und um seine Gäste bemüht und sehr hilfsbereit.

Wieder an der Abzweigung angekommen, sehe ich beim Studieren der Wegweiser den Hinweis, nur noch 800 Meter bis zum Ziel. Doch diese letzten 800 Meter haben es in sich. Über immer wieder hohen hölzernen Trittstufen klettere ich keuchend nach oben. Die gestrige Etappe ist sofort wieder in meinen Gedanken. Diese hohen Trittstufen sind sehr anstrengend. Jedes Mal wuchte ich mein Körpergewicht, noch mit zu viel Fett und meinen schweren Rucksack nur auf einem Bein nach oben. Das wiederholt sich einige Zeit und ich muss wieder einige Verschnaufpausen einlegen. Schließlich, wenn auch zum Teil in Nebel gehüllt, erkenne ich Antennenanlagen und ein nicht weit davon stehendes Gebäude. Das Gebäude mobilisiert noch einmal meine Reserven. Doch dieses Gebäude ist nicht das Arber-Schutzhaus, wie ich beim Erreichen feststelle. Dieses ist wenig später dann neben der Bergstation der Sesselliftanlage erreicht. Als ich das Schutzhaus betrete, kommt mir ehrlich erfreut der junge Mann entgegen.

Nun im Gespräch mit ihm erfahre ich, dass er immer den Sessellift nutzt. Er darf nicht mit seinem Auto hier hoch. Die Straße führt wahrscheinlich nur zu den Antennenanlagen der Bundeswehr. Von dort wäre ein Durchkommen nach hier nicht möglich.

Nach dem Duschen und dem Abendessen sitze ich in der Gaststube und bearbeite gerade meine Bilder, als mich Werner, ein Leser meines Blogs über das Schutzhaustelefon anruft. Internet und Mobilfunk klappen hier oben momentan nicht. Werner hat mir weitere Informationen über Mail geschickt. Er empfiehlt mir eindringlich die Schachten zu besichtigen. Morgen nur eine kurze Etappe bis nach Wieslwaldhaus über Schwellhäusl einzuplanen und am folgenden Tag die Schachten dann in Angriff zu nehmen.

Die Schachten sind ähnlich den Almen in den Alpen baumfreie Waldwiesen. Diese Freiflächen wurden als Übernachtungsplätze genutzt. Einzelne Bäume dienten als Schatten spendende Ruheplätze für die Rinder. Heute werden sie nicht mehr genutzt und die einzelnen Bäume sind inzwischen sehr alt. Nur in der Gegend um den Gr. Falkenstein und den Gr. Rachel heißen diese Lichtungen „Schachten“.

Noch in der Gaststube versuche ich Alternativwege auf meiner topografischen Karte am Notebook zu finden. Nicht wirklich einfach, wenn man die örtlichen Gegebenheiten und die richtigen Wegstecken nicht kennt. Lange halte ich nicht durch, dann bin ich müde und gehe auf mein Zimmer.