166. Etappe: 11. Oktober 2013

Burghausen – Pietling (Fridolfing)  25,9 km

Schon der erste Blick aus dem Fenster besagt nichts Gutes und sofort am Eingangsbereich des Hotels ziehe ich den Poncho halb an. Zunächst laufe ich in der Neustadt an der B20 entlang. Dann führt der Fuß- und Radweg weg von der B20 und ich folge ihm. Es geht aufwärts und ich erreiche die Burg zu Burghausen. Ein lang gezogener Komplex. Zur Sicherheit frage ich eine Passantin, ob ich auch am anderen Ende der Burg diese in Richtung Salzach verlassen kann. Und dies wird mir bestätigt. Vom Vorburgbereich habe ich bereits einen herrlichen Blick auf den Wöhrsee und auf die Salzach mit der angrenzenden Altstadt. Ihre prächtigen und farbenfrohen Fassaden sind unübersehbar. Nach fast einem Kilometer nähere ich mich dem Kernbereich der Burg und der Treppe zur Altstadt.

Am Ende des Abstiegs betrete ich direkt die Prachtstraße der Altstadt. Für eine Weile schlendere ich noch durch ein paar Gassen, dann geht es zu meiner heutigen Route an der Salzach entlang.

Die Straße verläuft genau neben der Salzach und wird durch eine etwa 80 Zentimeter hohe Mauer begrenzt. Sofort fällt mir die leicht türkisgrüne Farbe auf, noch mehr jedoch beeindruckt mich die sehr hohe Fließgeschwindigkeit. In den Bäumen, die direkt am Ufer stehen und mit ihrer Baumkrone die Mauer überragen, hängen deutliche Reste aus der Überschwemmung im Frühjahr. Ich frage ein paar Leute vor einem Café nach der Überschwemmung. Auf deutscher Seite ist es noch gut gegangen, das Wasser stand bis zur Mauer, doch auf der österreichischen Seite waren einige Häuser am Hang bis zum Erdgeschoss unter Wasser. Die Überschwemmung war hier nur kurz.

Nach einigen Hundert Metern verlasse ich die Straße und bin auf einem Kiesweg und stellenweise auf einem betonierten Weg unmittelbar neben der Salzach. Aus dem leichten Nieselregen ist inzwischen ein mittelprächtiger Dauerregen geworden. Es geht offensichtlich so weiter, wie es gestern aufgehört hat. Nur in Stadtnähe begegnen mir ein paar Jogger und Gassigeher, dann wird es zunehmend einsamer.

Je weiter ich an der Salzach entlang laufe, um so schöner wird die Landschaft. Passend dazu hat es inzwischen wieder aufgehört zu regnen. Der herbstliche Laubwald auf österreichischer Seite lenkt meine Blicke unaufhörlich dorthin. Die Gelb- und Rottöne sind ein Hingucker, aber auch die Vielfalt der Grüntöne haben ihre Reize. Auf mich wirken viele Äste mit ihren Zweigen und Blättern wie kleine farbige Wolken.

Schon von Weitem erkenne ich an der Reaktion des freilaufenden Hundes, das eine Attacke bevorsteht. Doch die Hundebesitzerin merkt offensichtlich nichts davon. Und dann startet er auf die merkwürdig herankommende blaue Gestalt los. Ein lautes Gebell begleitet ihn und kurz vor mir bleibt er mit seinem dicken Kamm stehen. Dann kommt die Hundebesitzerin heran und ich höre den immer wieder gleichen Satz: „Der tut nichts.“ Als ich das höre, werde ich ärgerlich und erkläre ihr, dass sie ihren Hund nicht im Griff hat und noch nicht einmal die eindeutigen Signale ihres Hundes bemerkt hat, als ich mich nähere. Tut nichts ist abgedroschen, ihr Hund kann sehr wohl zuschnappen. Ich habe keine Angst vor ihm, doch wenn er sich noch weiter aggressiv mir genähert hätte, hätte er meine Stockspitzen zu spüren bekommen. Schnell schnallt sie den immer noch bellenden Hund an und muss ihn mit einiger Kraft von mir wegziehen.

Immer wieder sehe ich die Spuren der Überschwemmung. Dann erreiche ich einen kleinen Weiler und das Hinweisschild, dass ab jetzt der Weg naturbelassen ist und man auf eigener Gefahr dort läuft. Zunächst geht es noch eine Weile auf einer Betonpiste entlang, dann erreiche ich den angekündigten naturbelassenen Pfad. Nun beginnt ein schmaler Traumpfad durch Waldgebiet. Zeitweise habe ich rechts die Salzach und links Tümpel oder kleine Rinnsale. Auf und ab führt dieser Pfad, häufig auf einem wundervoll federnden Waldboden. Leider endet nach ein paar Kilometer dieser Traumpfad. Ich erreiche einen breiten kurz zuvor vom Schlamm der Überschwemmung freigeräumten Weg. Beiderseits des Weges türmen sich die freigeräumten Schlammreste und die Spuren der Überschwemmung. Durch den vielen Regen versinke ich immer wieder im matschigen Untergrund. Das Laufen wird zusehens beschwerlicher.

Nach nun zwei Stunden Marsch sehne ich mich nach einer Bank oder auch nur nach einer Sitzmöglichkeit. Doch Fehlanzeige, entweder sind die Bänke unter Schlamm begraben oder es gibt sie hier nicht. Alternativen habe ich auch nicht, auf den wenigen Baumstümpfen liegen kleine Schlammhügel. Immer mehr drückt nun der Rucksack und die schöne Landschaft wird zur Nebensache. Dann nach über 2 ½ Stunden sehe ich einen kleinen sauberen Stein und sofort entledige ich mich vom drückenden Rucksack. Der Poncho liegt im Dreck und darauf der Rucksack. Mir egal, Hauptsache ich kann ohne Rucksack eine Pause machen. Der weiche Bodenbelag hat mir zu Schaffen gemacht.

Danach geht es mir wieder besser und ich erreiche wenig später Tittmonig. Hier mache ich auf einer Bank auf einem Spielplatz eine weitere Pause. Danach geht es am Ortsrand entlang, ein Stück an der B20 mit Radweg und schließlich biege ich auf eine kleine Kreisstraße nach Pietling, meinem Etappenziel, ab. Langsam beginnt der Sonnenuntergang und es bieten sich einige farblich schöne Momente. Auch sehe ich auf meiner Wanderschaft zum ersten Mal die schneebedeckten Alpen in der Ferne. Dann erreiche ich den Gasthof direkt an der Hauptstraße gelegen.  

165. Etappe: 10. Oktober 2013

Kirchdorf – Burghausen  22,5 km

Ich betrete zum Auschecken den Gastraum und die dortige Rezeption und sofort werde ich neugierig von einem Gast ausgefragt. Meine Antworten lösen bei den Anwesenden Erstaunen und offene Bewunderung aus. Von der Chefin an der Rezeption werde ich persönlich verabschiedet zu ihrem „Held“ ernannt :-P.

Zunächst geht es auf dem Gehweg an der Kreisstraße entlang raus aus Kirchdorf. Am Ortsende bin ich dann wieder auf der Fahrbahn unterwegs. Es ist einiges los, doch ich nehme den Verkehr inzwischen sehr gelassen hin. Einige Male müssen mir entgegenkommende Fahrzeuge abhalten und den Gegenverkehr vorbei lassen. Ich bin vermutlich für diese Fahrer(innen) zu einem Ärgernis geworden und störe ihre Kreise.

Nach etwa 8 Kilometern verlasse ich endlich die Straße und biege in einen Wirtschaftsweg ab. Bisher war der Himmel nur bewölkt, doch jetzt nimmt er graue Züge an und die Zeichen stehen auf Regen. Zur Vorsicht ziehe ich den Poncho wieder halb an. Doch noch sieht es nur bedrohlich aus, der Regen lässt auf sich warten. Ich hoffe, das bleibt bis zum Ziel nach Burghausen so.

Vom Wirtschaftsweg wechsel ich auf die Bundesstraße B12, geschützt durch Leitplanken vom starken Verkehr, überschreite ich den Inn. Nun verlasse ich endgültig diesen Fluss und werde ab jetzt mit mehr oder weniger großem Abstand an der Salzach entlang laufen. Die Grenznähe zu Österreich bleibt mir aber noch einige Tage erhalten. Schon kurz nach der Überquerung des Inn verlasse ich wieder die B12 und wechsele auf einen asphaltierten Weg in ein Waldgebiet. Nun bleibe ich für längere Zeit auf Wirtschaftswegen und kleinen Straßen. Dies ist gut so, denn inzwischen hat es angefangen zu regnen. Noch ist der Regen zaghaft, doch am frühen Nachmittag wird er kräftiger und anhaltend. Jetzt bin ich froh, nicht auf Feld- oder Waldwegen unterwegs zu sein. Ich durchlaufe einige schmucke kleine Dörfer und erreiche schließlich eine belebte Kreisstraße. Doch hier ich habe Glück, es gibt einen Fuß- und Radweg.

Schon bei Neuhofen sehe ich Schornsteine und Anlagen, die auf eine chemische Produktionsstätte hindeutet. Und etwa zwei Kilometer später laufe ich durch das Industriegebiet und Hinweise „Sie durchlaufen ein chemisches Werk. Bitte beachten Sie Lautsprecheransagen“ bestätigen meine Ahnung. Ein von mir geplanter Weg wird durch einen Zaun versperrt und so muss ich weiter auf dem Radweg neben der Kreisstraße und etwas später neben der B12 laufen. Dabei bekomme ich einige Duschen unfreiwillig ab. Gut, das ich auf einem separaten Radweg laufen kann, denn auf der B12 ist inzwischen ein hohes Verkehrsaufkommen. Es wird gerast und nichts ist spürbar von den bundesweit angekündigten Geschwindigkeitskontrollen.

Noch habe ich etwa drei Kilometer bis zum Stadtrand von Burghausen und der Regen prasselt unaufhörlich auf mich ein. Meine Schuhe und Strümpfe sind inzwischen klatschnass. Dann endlich erreiche ich den Stadtrand und sehe nur Supermärkte, Werkstätten und Bürogebäude. Ein Hotel oder ein Gasthof ist nicht dabei. Weiter stadteinwärts frage ich einen jungen Mann und der erklärt mir den Weg zum nächsten Hotel. Mir reicht es, wenn ein Zimmer frei und es nicht zu teuer ist, bleibe ich im Neustadtbereich. Der Altstadtbereich ist noch über einen Kilometer entfernt. Schnell ist das Hotel gefunden und ich checke ein. 

163. Etappe: 08. Oktober 2013

Egglfingen – Ering  16,7 km

Kaum habe ich den Gasthof verlassen, stelle ich fest, meine heutige GPS-Etappe habe ich nicht auf mein GPS-Gerät übertragen. Nochmals zurück will ich nicht und so laufe ich weiter und hoffe auf eine Bank. Dies ist ein Umweg, das weiß ich, doch diesen Weg kenne ich von gestern Abend bis zum Inn. Die Bank lässt nicht lange auf sich warten und so kann ich die GPS-Daten überspielen.

Bei der Innbrücke angekommen, folge ich der Inntalradweg-Beschilderung und bin auch nach einem Kilometer wieder auf dem Damm am Inn. Mir begegnen einige Radfahrer. Wie ich erfahre, kommen die Meisten aus Bad Füssing und machen hier ihre Radtour. Doch mit fortschreitender Dauer begegne ich nur noch wenige Radfahrer. Die gegenüberliegende Uferseite ist in leichtem Nebel gehüllt. Doch die Sonne kommt vereinzelt zwischen den Wolken hindurch und es verspricht ein guter Wandertag zu werden.

Im Randbereich des Inn tauchen immer öfters größere Streifen Schilf auf und so erlebe ich wieder eine schnatternde Entenschar. Bei einer Informationstafel lese ich, dass hier eine Vielzahl verschiedener Wasservögel zu Hause ist bzw. hier auf ihrem Flug nach Süden Rast machen.

Auf meinem Weg, etwas weiter vom Inn entfernt, begegnen mir immer mehr die eindeutigen Zeichen des Herbstes. Die Blätter der Büsche und Bäume erstrahlen nun öfters im leuchtenden Gelb, aber auch im Rot. Der Inn bleibt trotz einiger Entfernung mit seinem türkisfarbenen Wasser immer wieder durch das Buschwerk erkennbar. Trotz ewig langem geraden Dammverlauf bietet der Inn nun genügend Reize zum Ablenken. Auch gibt es immer wieder Bänke zum Verweilen und so vergeht die Zeit wie im Fluge.

Dann endet der Damm und der Weg wird durch ein kleines Dorf geleitet. Hier treffe ich auf eine ältere Bauersfrau. Sie fragt mich neugierig nach meinem Weg und ist voller Bewunderung. Schließlich bittet sie mich, einen Moment zu warten. Dieses Warten lohnt sich, denn sie kommt mit zwei noch warmen Zwetschgennudeln zurück. Eine leckere Zwischenmahlzeit. Ich nutzte die Gelegenheit, um nach einer Unterkunft zu fragen, und erhalte einen Namen in Ering.

Unterwegs versuche ich die Telefonnummer dazu herauszubekommen. Mehrfach habe ich wieder kein Mobilfunknetz. Doch dann klappt es. Nur es gibt einige gleichen Namens und so rufe ich einfach bei einer Nummer an. Ich habe Glück und erfahre den fehlenden Vornamen und auch die passende Rufnummer. Leider ist dort alles belegt, doch ich erhalte eine weitere Nummer für eine Privatunterkunft. Hier kann ich schließlich meine heutige Übernachtung buchen. Obwohl ich den Kirchturm von Ering schon lange sehe, dauert es doch noch eine Stunde, bis ich schließlich den Ort erreiche. Im Ort gibt es eine gute Beschilderung zu den Unterkünften und so finde ich meine heutige Bleibe problemlos. Es ist ein kleines gemütliches Zimmer im Dachgeschoss. Dusche und WC sind in der Etage darunter.  

162. Etappe: 07. Oktober 2013

Schärding – Egglfingen am Inn  24,5 km

Meine heutige Route plane ich entsprechend der Empfehlung des älteren Paares von gestern Abend neu. Das Stift Reichersberg muss ich unbedingt gesehen haben, rieten sie mir. Da es nur in Schärding und erst danach wieder in Obernberg eine Brücke gibt, werde ich heute auf der österreichischen Innseite bis Oberndorf bleiben.

Nach Verlassen der Pension besichtige ich zunächst noch den oberen Stadtplatz mit der Silberzeile. Schwungvolle Giebel zieren die historischen Fassaden. Die Farbenpracht der Häuser ist enorm und soll spätmittelalterlichen Zunftfarben entsprechen. Dann mache ich mich auf den Weg. Noch längere Zeit folge ich einer Hauptstraße durch die barocke Stadt. Übergangslos verlasse ich Schärding und bin in St. Florian.

Ein Briefzusteller versperrt mir mit seinem Fahrzeug ständig den Gehweg. Die österreichische Post scheint für ihre Kunden keine Spritkosten zu scheuen J, denn er fährt von Haus zu Haus und schmeißt die Post in die Briefkästen. An einigen mir bekannten Supermarktketten komme ich vorbei. Nur bei dem mir bekannten Label für ALDI steht Hofer drauf, ich vermute, im Supermarkt ist trotzdem ALDI drin.

Nach Verlassen von St. Florian befinde ich mich wieder einmal auf einer Straße ohne Radweg. Irgendwie habe ich als Vorurteil die Raserei von Österreichern gespeichert, doch jetzt erlebe ich eine normale Fahrweise und auch die gleichen Verhaltensmuster mir gegenüber als entgegenkommender Fußgänger. Das Intermezzo Straße ist bereits im Ort Badhöring vorbei und ich bin wieder auf einem Fuß- und Radweg neben dem Inn unterwegs. Der Blick zum Fluss wird mir meistens durch einen dichten Baum- und Buschstreifen verwehrt. Nur für kurze Momente erhasche ich den türkisfarbenen Inn.

Noch ist es triste, auf der einen Seite Zaun und dahinter ein Gewerbegebiet und auf der anderen Seite die dichte Baum- und Buschreihe. Das ändert sich glücklicherweise bald. Immer öfter gibt mir der dichte Grünstreifen den Blick frei. Auf meiner linken Seite breiten sich landwirtschaftliche Flächen aus. Die meisten Felder sind abgeerntet und bearbeitet, nur einige Maisfelder warten noch auf die Ernte. Inzwischen überwiegt die Farbe Braun. Bei einigen Feldern sind die Maispflanzenreste gerade untergepflügt worden und andere sind bereits mit der Kreiselegge für die nächste Bepflanzung hergerichtet. Aber es gibt auch noch Felder mit leuchtendem Gelb, hier wächst Senf als Dünger zum Unterpflügen.

Vor dem Ort Suben weist ein Schild auf die ehemalige Stiftskirche im Ort hin. Sie wird als Perle bezeichnet. Ich nehme mir vor, diese Perle von Kirche auch zu besichtigen. Nach einem Anstieg erreiche ich den Ort und dort fällt mein Blick automatisch auf ein Gebäude mit vergitterten Fenstern und einer hohen Mauer mit Stacheldraht. Es ist die Polizeiwache des Ortes. Gleich nach der Wache biege ich in eine kleine Straße zur Kirche ab. Durchschreite einen Rundbogen und bin im Innenhof des Kirchenbereichs. Hier empfängt mich geschäftiges Treiben. Überall wird an den Fassaden der Gebäude gearbeitet. Vorbei geht es an einer Containerbaracke und dann stehe ich auch schon am Kirchenportal. An der Tür hängt ein Schild mit „Wegen Renovierungsarbeiten geschlossen“. Enttäuscht gehe ich zurück und komme wieder am Container vorbei. Erst jetzt sehe ich das Schild „Eingangskontrolle“. Mit der uniformierten Frau im Inneren unterhalte ich mich kurz. Sie hat mich ohne Kontrolle passieren lassen, da ich mit meinem Rucksack ganz offensichtlich nur in die Kirche wollte.

Wieder an der Ortsstraße angelangt, sehe ich eine Bäckerei mit Café. Hier kehre ich ein. Ein alter Mann sitzt in einer Ecke und daneben telefonierend eine Frau. Da keine Bedienung da ist, warte ich geduldig. Nach einiger Zeit beendet die Frau das Telefonat und wendet sich mir zu. Sie ist die Bedienung, vielleicht auch die Chefin. Ich muss mich wohl in Österreich an etwas geruhsamere Verhaltensweisen gewöhnen. Mich stört es nicht. Jetzt aber werde ich mit viel Höflichkeit bedient. Kaffee und Kuchenstück werden mir an den Tisch gebracht. Danach werde ich mit einigem Interesse nach dem Woher und dem Wohin befragt. Für sie ist meine Wanderschaft unvorstellbar. „Immer unterwegs sein, im Zelt schlafen, das ist nichts für mich“, meint sie. Das entspricht genau meinem Eindruck von dieser attraktiven, gut gekleideten und mit einigem Schmuck behangenen Frau. Ja, Unterkünfte ohne Stern, Jugendherbergen oder Zelt sind nicht passend für sie. Wir haben eine nette Unterhaltung und die mischen sich zwei weitere Bedienungen ein.

Mit vielen guten Wünschen verlasse ich schließlich die Bäckerei. Nach Schnelldorf steigt mir zunächst der „Duft“ der Landwirtschaft, die Gülle, in die Nase. Als ich dieses endlich hinter mir habe, kommt mir eine Bank mit Blick auf den Inn wie gerufen. Hier mache ich eine ausgiebige Pause mit einem wohlverdienten Nickerchen. Die inzwischen scheinende Sonne und den blauen Himmel genieße ich mit dem schönen Blick auf den Fluss.

Schon wenig später unterschreite ich dicht neben dem Inn eine Autobahnbrücke, laufe an einem mit Zaun zum Weg abgetrennten großen Rastplatz vorbei. Und habe nun für einige Kilometer die lärmende Autobahn als Wegbegleiter neben mir und dem Fluss. Ich hoffe, dass mich das Stift für diesen Lärm entschädigen kann. Dann endlich entfernen sich Radweg und Autobahn voneinander, doch noch längere Zeit sind die Verkehrsgeräusche deutlich vernehmbar. Schließlich laufe ich wieder an Feldern vorbei und habe jetzt öfters den Blick frei zum Fluss. Ich entferne mich von dem Inn, durchlaufe einen kleinen Weiler und erreiche schließlich den Ort Reichersberg. Als ich mich dem Stift nähere, erkenne ich es sofort wieder. Bereits bei meinem Kuraufenthalt in Bad Füssing war ich mit Noriko hier gewesen.

Am Eingang zum Stift ist der Gasthof mit Biergarten. Von hier erkenne ich sofort in der Ferne das hohe Gebäude der Kurklinik Johannesbad, meine damalige geschlossene Anstalt in Bad Füssing, wieder. Geschlossen deshalb, da man als Nichtprivatpatient spätestens um 23 Uhr im Gebäude sein musste, danach wurde der Eingang verschlossen. Ich mache im Gasthof eine Essenspause und genieße das süffige dunkle Klosterbier.

Anschließend bin ich nach Verlassen von Reichelsberg auf einer kleinen Straße nach Obernberg unterwegs. Schon von Weitem sehe ich auf einem Feldweg einen Unimog mit zwei Anhängern stehen. In einem Anhänger leuchten bereits die hoch aufgetürmten goldgelben Maiskörner. Das Maiserntefahrzeug ist in der Nähe im Einsatz. Als ich mich der Auffahrt zum Feld nähere, steigt ein Mann aus dem Unimog aus und kommt mir winkend entgegen.

Es stellt sich heraus, das er ein Jakobspilger ist und bereits auf dem Camino in Spanien unterwegs war. Er ist sehr interessiert von meiner Wanderschaft zu hören und befragt mich auch über meine Geschwindigkeit, der Dauer und den Distanzen aus. Er ist über siebzig Jahre alt, und soweit es die Zeit zulässt, läuft er mehrmals die Woche 5 -6 Kilometer. Leider hat er keine Mitläufer mehr. Gleichaltrige aus seinem Bekanntenkreis schaffen es nicht mehr, berichtet er mir.

Nach der Begegnung ist es nicht mehr weit bis Obernberg. Doch bis ich schließlich die Brücke über den Inn erreiche, vergeht noch einige Zeit. Sofort danach wechsel ich von der Straße auf einen kleinen Weg nach Egglfingen. Schon an der Abzweigung sehe ich ein Schild zu einem Gasthof mit Fremdenzimmer. Diesen steuere ich im Ort an und bekomme auch ein Zimmer.  

161. Etappe: 06. Oktober 2013

Passau – Schärding (Österreich)  19,9 km

Bis mittags bin ich mit der Familie zusammen. In der Altstadt verabschiede ich mich schließlich und bin wieder unterwegs. Mein rechter Knöchel macht mir keine Probleme. Heute ist es nicht so lang bis zu meinem Ziel, eine Pension mitten in Schärding. Auch die nächsten Tage werde ich es noch geruhsam angehen und das Gelenk nicht überstrapazieren.

Es dauert nicht sehr lange, bis ich den Inn erreiche. Er strahlt mir mit seinem türkisfarbenem Wasser entgegen und fließt unaufgeregt und doch mit deutlicher Geschwindigkeit zur Donau. Immer wieder komme ich an verschiedenen Fakultäten der Passauer Universität vorbei. Unterschreite zwei alte Stahleisenbahnbrücken und sehe mehrfach die Jakobsmuschel. Hier verläuft wohl auch ein Jakobsweg.

Je weiter ich mich von Passau entferne, um so weniger Spaziergänger begegnen mir. Nur ein paar Radfahrer und Jogger sind noch unterwegs. Auf der anderen Innseite ist bereits Österreich und dort fährt immer wieder deutlich hörbar ein Güterzug vorbei.

Dann erreiche ich das EU-Naturschutzgebiet Neuburger Wald. Hier wurden 1978/1979 auf einer zuvor landwirtschaftlichen Nutzfläche über 100 verschiedene Bäume und Sträucher aus vielen Teilen der Erde angepflanzt. Beim Durchschreiten dieses Schutzgebietes sehe ich auch an verschiedenen Bäumen Nagespuren der Biber. Ich hätte nicht gedacht, dass sie sich auch an sehr dicken Bäumen zu schaffen machen.

Wegen eines Kraftwerkes muss ich einen Schlenker weg von dem Inn machen. Für kurze Zeit durchlaufe ich einen Ort und bin dann wieder im Hangwald an dem Inn unterwegs. Die Landschaft am Inn wird immer reizvoller und so ist mein Unterwegssein wieder ausgefüllt mit Beobachten der Natur und den Vögeln.

Vor Neuenburg erreiche ich eine Nordic Walkerin mit ihrer Tochter. Die falsche Handhabung der Stöcke springt mir sofort ins Auge und ich kann mal wieder nicht an mich halten und spreche sie an. Sie erhält von mir einen kurzen Crashkurs in Nordic Walking. Als wir einen Parkplatz erreichen, endet der Kurs und ihr heutiger Trainingseinsatz.

Nach Vornbach verlasse ich das Waldgebiet und auch den Inn. Durchlaufe Felder und nähere mich Neuhaus am Inn. Schon von Weitem sehe ich die Farbenpracht der Häuserrückseiten von Schärding auf der anderen Innseite. Doch zuvor komme ich am Kloster Neuhaus der Englischen Fräuleins vorbei. Zunächst wusste ich nicht, um was für ein Gebäude es sich hier handelt. Ein älteres Paar füttert gerade Enten und ich frage es nach dem Gebäude. Erhalte anschließend noch den dringenden Rat morgen auf österreichischer Seite zu bleiben und das Stift Reichersberg zu besuchen.

In Neuhaus überschreite ich die Brücke nach Schärding und erreiche bald die Silberzeile mit meiner dortigen Pension. Ich bin heute der einzige Gast. Eine Rumänin mit gutem Deutsch empfängt mich. Der Zimmerwirt ist unterwegs und sie ist in seiner Abwesenheit für die Vermietung zuständig. Im Obergeschoss zu meinem Zimmer durchschreite ich einen alten Gewölberaum, morgen mein Frühstücksraum.  

Ein herzliches Dankeschön!

Ein herzliches Dankeschön für die vielen Geburtstagsgrüße, die mich telefonisch, per Brief oder Karte, per WhatsApp, SMS, Kommentar, Kontaktmail oder Mail erreicht haben. Auch Geschenke haben mich erreicht als Buch, im Brief, sogar extra für mich gestrickte Strümpfe – sie waren zwar nicht als Geburtstagsgeschenk vorgesehen – kamen aber genau zu diesem Zeitpunkt. Von meiner Enkelin Joelle bekam ich ein eigens für mich erstelltes Gedicht. Die Anwesenheit der Familie in Passau war dann der Höhepunkt meines Geburtstages.

Ich bin wieder unterwegs und gerade in Ering am Inn. Morgen bin ich bereits in der Nähe der Einmündung der Salzach in die Inn. Leider kann ich meinen Blog nicht pflegen. Das deutsche Mobilfunknetz ist „grottenschlecht“, wenn es denn überhaupt mal verfügbar ist. Allein diese Mitteilung zu erstellen bedurfte einer Enkelsgeduld und dauerte ewig! 

160. Etappe: 02. Oktober 2013

Grainet – Breitenberg (Dreisessel – Lackenhäuser)
Distanz: 9,6 km; Aufstiege: 826 m; Abstiege: 642 m

Kurz vor Fertigstellung meines Berichtes, erreicht mich der Anruf von Werner. Er erkundigt sich nach meinem heutigen Weg. So wie ich, hat auch er herausgefunden, von Grainet über den Dreisessel nach Breitenberg zu laufen, ist sehr weit. Ich erzähle ihm, dass ich mir eine entspannte Route ohne Dreisessel nach Breitenberg ausgesucht habe. Und prompt kommt sein Vorschlag: „Was hältst du davon, wenn wir dich abholen und wir beide zum Dreisessel fahren. Der Rucksack bleibt im Auto?“ Mein Blick heute Morgen aus dem Fenster zeigte mir schon, heute gibt es ein Traumwetter zum Wandern und so willige ich sofort ein. Nochmals entspannt ohne Rucksack unterwegs zu sein, ist viel zu verführerisch und dann auch noch den dritten interessanten Berg des Bayerischen Waldes zu sehen, ist einfach toll.

Gegen 10:30 Uhr holen mich Werner und seine Frau von der Pension ab. Wir fahren zu einem Parkplatz unterhalb des Dreisessels. Ab hier geht es nun, nur mit Minirucksack bepackt, los. Kurz vor uns ist eine größere Wandergruppe angekommen und sie folgen uns mit einigem Abstand.

Es geht auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg aufwärts zum Gipfel. Unser Weg, je höher wir kommen, führt immer mehr durch große Flächen abgestorbener Fichten, meinen Baumleichen. Vereinzelt wächst junges Nadelholz nach und zwischendrin liegt viel Totholz. Überall das im Sonnenlicht erstrahlende goldgelbe Gras. Dazu passend der tiefblaue Himmel.

Unser Weg endet direkt beim Berggasthof Dreisessel. Hier hatte ich auch schon für eine Übernachtung angefragt. Doch das ist inzwischen nicht mehr möglich. Gleich links vor dem Berggasthof führt ein Pfad zu einer wenige Meter entfernten Aussichtsplattform. Natürlich müssen wir hier hoch. Die grandiose Fernsicht kann man von dort erst richtig genießen. In den Felsenblöcken auf der Plattform sind symbolisch drei Sitzmulden für den „Dreisessel“ herausgearbeitet. Wir haben nicht viel Zeit oben zu verweilen, denn schon beginnt der Aufstieg der Wandergruppe. Ich habe Mühe nach unten zu kommen.

Beim Gasthof kommen wir mit einigen Wanderer der Gruppe in ein munteres Gespräch. Die Wandergruppe, bestehend aus Bayern und Österreicher, in Harmonie vereint :-P, ist gut drauf. Wir haben schnell Spaß miteinander und gehen nun gemeinsam weiter zum nächsten Aussichtspunkt mit dem Gipfelkreuz. Dabei lerne ich, dass die Niederbayern „stein“reich sind.

Oben beim Gipfelkreuz haben wir wieder einen atemberaubenden Blick auf die Berge, hier jedoch mehr zur tschechischen und vermutlich auch zur österreichischen Seite. Die Plattform füllt sich nach und nach mit den anrückenden Wanderer. Nach einigen Fotos verlasse ich das Gedränge. Auf halber Höhe begegne ich einem Nichtbayern, der ein bisschen nach Luft ringt. Er lässt ziemlich trocken den Satz raus: „Ähnlich wie auf dem Kilimandscharo merkt man auch hier die dünnere Luft.“ Das provoziert mich bei dem Gedanken, dass der Dreisessel gerade mal 1312 Meter hoch ist und ich antworte: „Das aus der Puste sein, hat wohl eher etwas mit der Kondition zu tun.“ Ich habe die Lacher einiger vorbeikommender Wanderer auf meiner Seite.

Wieder runter vom Aussichtspunkt, komme ich an einem „Frauchen“ mit zwei Hunden vorbei. Ihr Mann ist ebenfalls hoch zum Aussichtspunkt. Die beiden Hunde warten sehnsüchtig auf ihr Herrchen. Sie fragt uns, ob man auch nach hinten runter kann. Wir lachen und erklären ihr, wenn ihr Mann hinter runter sein sollte, hätte sie das überdeutlich mitbekommen. Es gibt nämlich nur einen Aufgang, auf der anderen Seite ist nur ein felsiger Steilhang!

Wenig später treffen wir Frauchen mit beiden Hunden, zusammen mit unserem Kilimandscharo-Fan, wieder. Er bietet sich an, ganz „professionell“  😛 Fotos von uns zu machen. Entsprechend sieht auch das erste Foto von uns beiden aus. Ziemlich professionell fehlen unsere Füße auf dem Bild. Mit dem zweiten Versuch klappt es dann besser. Und doch wähle ich später das erste Bild, nur mehr heran gezoomt, aus. Beim munteren Gespräch erfahren wir, dass beide aus der Nähe von Köln stammen.

Wir wählen den Abstieg zunächst über den Kamm, als Grenzgänger dicht an oder auf der Deutsch-Tschechischen Grenze entlang. Wieder durchlaufen wir ein Meer von hellgrau schimmernden Baumleichen und haben immer wieder herrliche Fernblicke. Vorbei geht es an den goldgelben sich im Wind wiegenden Gräsern, die Hänge sind durchsetzt mit Vogelbeerbüschen und Heidelbeersträuchern. Der Weg ist sehr steinig und trotz Konzentration auf den Weg, kann ich immer wieder nicht den Blick, von dieser schönen Landschaft lassen. Dann das unerwartete nüchterne etwas schief stehende Schild mit: „Landesgrenze“. Hier überschreiten wir völlig unspektakulär die Grenze nach Tschechien. Und nach etwa einem Kilometer Grenzgang erreichen wir das Dreiländereck: „Deutschland – Österreich – Tschechien“. Nun betrete ich erstmals österreichischen Boden. Der Grenzstein zu allen drei Ländern ist eine Augenweide und von diesem „historischen“ Moment sind Fotos natürlich Pflicht. Zunächst macht Werner von mir mit Sicht auf alle drei Seiten des würdigen Grenzsteins Fotos. Im Anschluss daran platziert sich Werner selbst davor, natürlich im Hintergrund die deutsche Seite mit dem eingemeißelten Hinweis „FREISTAAT BAYERN“ 😛 . Danach bitten wir ein gerade eintreffendes Paar uns gemeinsam zu fotografieren. Im Anschluss daran machen wir gemeinsam eine Brotzeit. Und erfahren dabei, dass das Ehepaar bereits schon eine Deutschlanddurchquerung von Flensburg bis nach Frankfurt am Main auf dem Europäischen Fernwanderweg E1 hinter sich hat. Wieder haben wir eine nette Unterhaltung und ich lerne jetzt, es gibt einen „genetischen Bayerndefekt“ :-P. Was das genau sein soll, blieb mir leider aus sprachlichen Gründen verschlossen.

Nach der netten Plauderei geht es weiter abwärts, immer auf einem extrem steinigen Weg entlang. Trotz höchster Konzentration muss ich immer wieder die Landschaft mit dem Bayerischen blauweißen Himmel genießen. Dann passiert es, ich schaue für einen Moment zur Seite und knicke um. Es ist schmerzhaft, doch ich weiß aus genügender Erfahrung, es ist glimpflich ausgegangen. Dieses Umknicken mit meinem schweren Rucksack wäre schlimmer ausgegangen. Wir pausieren einige Minuten und dann geht es weiter, jetzt jedoch deutlich langsamer und vorsichtiger. Der steinige Weg nimmt kein Ende und ich muss einige Pausen einlegen. Das Kippeln ist unangenehm für mein rechtes Sprunggelenk.

Ein Schild nach Lackenhäuser, unser Ziel ein Parkplatz noch davor, weist noch 3,5 Kilometer aus. Inzwischen ist der Weg stellenweise erträglicher geworden. Ein Ausweichhinweis – natürlich mit Umweg – und mit einer Absperrung des Weges, aufgrund von Bauarbeiten, ignorieren wir. Weiter geht es an einer Baustelle mit einem im Bau befindlichen Gebäudes vorbei und dann durch einen Ortsrandbereich. Zuletzt noch über eine Wiese und wir haben den Parkplatz erreicht. Werner und seine Frau fahren mich nach Breitenberg zu meiner heutigen Unterkunft.

Die Tür in den Gasthof mit Pension ist offen. Da ich niemanden finde, mache ich mich lautstark im Restaurant, im Flur und in der Gaststube bemerkbar. Doch niemand meldet sich. Auch mein telefonischer Versuch scheitert und so warte ich erst einmal in der Gaststube. Nach einiger Zeit gehe ich nochmals in den Flur. Der Wirt kommt gerade von draußen zu Tür, schließt auf und merkt nicht, dass sie nicht verschlossen ist. Doch dann ist er erstaunt, als er mich im Flur vorfindet.

Später gehe ich nochmals in die Gaststube zum Abendessen und das ist gut und reichlich. Im Anschluss daran beginne ich mit der Bildbearbeitung. Heute habe ich eine Unmenge von Fotos geschossen. Die Auswahl für meinen Blog wird schwierig werden.

Die heutige Wanderung mit Werner war wieder sehr kurzweilig und hat mir ausgesprochen gut gefallen. Trotz meines Sturzes bin ich sehr froh, diese entspannte Wanderung gemacht zu haben. Ich kann beiden nur sagen: „Herzlichen Dank, es war ein schöner Tag.” 

159. Etappe: 01. Oktober 2013

Mauth – Grainet
Distanz: 21,2 km; Aufstiege: 679 m; Abstiege: 796 m

Die leckeren zwei halbe Dunkelbier gestern Abend in der Gaststube bin ich nicht gewöhnt. Denn als ich danach bequem im Bett weiter an meinem Bericht schreiben will, klappt das nur für kurze Zeit, dann bin ich irgendwann eingenickt. Nachts wache ich irgendwie auf, das Licht ist an und mein Notebook liegt aufgeklappt neben mir. Was ich abends nicht vollendet habe, hole ich nun nach. Auch die heutige Route erstelle ich erst erst.

Recht kühl aber trocken beginnt meine heutige Etappe. Schnell verlasse ich den Ort und nach einem kurzen Stück abwärts, beginnt wieder der Anstieg. Von 750 Metern steige ich heute wieder hoch auf über 1070 Meter. Zunächst durchlaufe ich Felder und habe dabei eine gute Fernsicht. Es könnte etwas heller sein, doch der Himmel ist verhangen und die Sonne zeigt sich leider nicht.

 Die Felder enden sehr bald und wieder bin ich in einem Wald, doch diesmal in einem Buchenwald. Zunächst ist die Streckenführung noch sehr gut, doch dann zeigt ein Schild den Berghang auf einem schmalen Pfad nach oben. Obwohl die Etappenführung – eine Route von einer Goldsteigwebseite – auf meinem Navi hier eine deutliche Abweichung anzeigt, gefällt mir der schmale Pfad deutlich besser und so folge ich ihm. Doch nach einiger Zeit entfernt sich der Weg immer mehr von der Naviroute und mir kommen Zweifel, ob dies wirklich der richtige Weg ist. Auch sehe ich keine weitere Beschilderung und so laufe ich querfeldein in Richtung eines weiter unten erkennbaren Weges. Dieser mündet kurze Zeit später wieder auf meine Naviroute. Unterwegs kommt mir der Gedanke, dass es es sich um eine bewusste Irreführung handeln könnte. Das Wegezeichen war falsch herum am Baum angeschraubt und der Richtungspfeil nachträglich aufgemalt. Was man nicht sehen will, sieht man nicht. Der kleine ausgewiesene Weg war schöner und so übersieht man Merkwürdigkeiten schnell. In jedem Fall war dieser Pfad schön und mir macht diese Abweichung nichts aus. Einige Zeit später sehe ich dann wieder ein Goldsteig-Wegezeichen.

Noch längere Zeit geht es weiter bergan und durch den schönen Buchenwald. Bis auf die Geräusche einer Motorsäge in der Ferne ist es himmlisch ruhig. Bei einer Lichtung, hier führt ein Sessellift nach oben, mache ich auf einer Bank meine Mittagspause. Es ist ein schöner Blick ins Tal, und wenn ich es richtig vermute, schaue ich zum Etappenziel des Goldsteigs auf Philippsreut. Nur die Liftanlage wirkt etwas störend.

In Philippsreut verlasse ich den Goldsteig und laufe auf einer eigenen Route weiter nach Herzogreut und von dort nach Grainet, meinem heutigen Ziel. Nach Herzogreut geht es auf einem Forstweg ordentlich abwärts. Dieser Weg ist erst vor kurzer Zeit wohl neu hergerichtet worden. Es läuft sich mit Nordic Walking Stöcken herrlich darauf. Bei einem kleinen Pfad biege ich von dem angenehmen Weg ab. Dieser läuft sich nun nicht mehr so gut, doch er schlängelt sich zwischen den Bäumen und Büschen hindurch. Teilweise muss ich genau hinschauen, um den Verlauf des Weges nicht zu verlieren. Schließlich stoße ich auf einen Wirtschaftsweg und danach auf eine Staatsstraße. Bis zum Ort und zu meiner Unterkunft sind es jetzt nur noch 700 Meter.

Im nahe gelegenen Gasthof stellt mir die Wirtin individuell ein warmes Gericht zusammen. Danach in der Pension arbeite ich meine morgige Route aus. Der Weg über den Dreisessel bis nach Breitenberg ist zu weit und so entschließe ich mich, es lockerer anzugehen. Es wird ein Arbeitstag an einigen Straßen entlang nach Breitenberg. Von Markus erreicht mich gegen 21:30 Uhr eine Mail, dass er mit seinem Sohn mich ein Stück vom Dreisessel begleiten möchte. Nun bekomme ich ein richtig schlechtes Gewissen. Aus diesem Treffen ab Dreisessel wird leider nichts. Tut mir Leid Philip, erst hat Dich Dein Papa überredet mit mir dort zu wandern und nun klappt es nicht. Vielleicht sehen wir uns woanders noch. Würde mich sehr freuen.

Ich habe ihm meine gerade durchgeführte Abweichung noch nicht mitgeteilt, und da er mir glücklicherweise seine Handynummer in der Mail mitgeteilt hat, rufe ich ihn sofort an. Aus der kurzen Mitteilung wird ein längeres Gespräch.  

158. Etappe: 30. September 2013

Waldhäuser – Mauth  15,2 km

Bereits um 5 Uhr klingelt mich mein Wecker aus dem Schlaf. Es dauert noch einige Zeit, bis ich schließlich wach bin. Doch dann ist mein erster Blick ins Internet auf die Wettervorhersagen für das Gebiet um den Lusen. Er gehört neben dem Arber und dem Rachel zu den höheren Bergen des Bayerischen Waldes und ist heute Bestandteil meiner Goldsteig-Etappe. Für die Wettervorhersage gehe ich zu einer Webseite des Bayerischen Waldes und werde von dort auf Wetter.info weitergelinkt. Dort springt mir sofort die Unwetterwarnung für Höhen ab 1100 Meter mit starkem Wind und Windböen von 80 km/h und örtlich mehr ins Auge. Mit meinem gestrigen Erlebnis der umstürzenden Baumleichen keine gute Vorstellung. Außerdem habe ich auf meiner Wanderschaft bereits zweimal Bekanntschaft mit Sturm und Sturmböen gemacht. Das war an der Nordsee und auf dem Deich. Ein harmloser Weg und das Hinfallen unproblematisch, lediglich unangenehm in den Hinterlassenschaften der Schafe zu landen. Ich war Spielball des Windes und wurde bestimmt einen Meter hin und her geschoben ohne mich dagegen wehren zu können. Wenn ich mir vorstelle, auf einem schmalen und steinigen Pfad bergauf zu sein, regt sich bei mir die Einsicht, heute nicht zum Lusen aufzusteigen. Stattdessen mit dem Bus nach Mauth zu fahren. Doch zunächst warte ich noch ab und werde nach dem Frühstück nochmals schauen.

Nach einem ausgiebigen Frühstück schaue ich nochmals auf die Wetterprognose für heute, leider keine Änderung und so setze ich eine entsprechende Info in meinem Blog. Später unten im Gasthof bekomme ich einen Plan der Busverbindungen der örtlichen Linien. Nachdem ich die Linien und Zeiten zusammengestellt habe, bitte ich um das Telefon, denn wieder gibt es keine Mobilfunkverbindungen. Zunächst buche ich in Mauth meine heutige Übernachtung und rufe dann Werner an, denn er wollte mir von Mauth entgegen laufen.

Ich freue mich schon sehr auf das Treffen. Er hat mir schon viele Tipps für Wege und Unterkünfte gegeben. Heute kommt er mit seiner Frau extra von Bonn in den Bayerischen Wald gefahren. Früher hat er einmal in Mauth gelebt. Stammt aus Regensburg und daher verbindet ihn viel mit dem Bayerischen Wald. Jetzt reist er an, auch um mich zu treffen. Wir kennen uns nur über das Internet und doch gibt es zu mir eine Verbindung. Er hätte früher einmal mein Chef sein können. Doch als ich in seinem ehemaligen Wirkungsbereich wechsele, ist er bereits Präsident der damaligen Oberpostdirektion Regensburg. Über einen ehemaligen Arbeitskollegen ist er auf mich aufmerksam gemacht worden. Als Blogleser verfolgt er schon lange meinen Weg. Er selbst ist ein leidenschaftlicher Wanderer und hat den Limes komplett erwandert und eine tolle und sehr informative Webseite darüber http://www.limeswanderweg.info erstellt. Den Goldsteig hat er ebenfalls schon erwandert und kennt ihn wie seine Westentasche.

Als ich Werner erreiche, höre ich, dass er bereits in der Nähe von Mauth ist. Ich berichte ihm, dass ich wegen der Sturmwarnung heute nicht zum Lusen wandere, sondern mit dem Bus nach Mauth fahre. Sofort bittet er mich im Gasthof zu warten, er kommt zu mir. Und schon wenig später betritt er den Gastraum. Wir begrüßen uns, als wenn wir uns schon länger kennen. Er ist mir, wie ich schon vermutet habe, sehr sympathisch. Nun reden wir erst einmal über den heutigen Tag und sein Vorschlag ist, meinen Rucksack hier im Gasthof stehen zu lassen und gemeinsam zum Lusen aufzusteigen. Ohne Rucksack ein verlockender Vorschlag und ich stimme zu. Also bleibt der Rucksack im Büro des Gasthofes und seine Frau fährt uns zum nahe gelegenen Einstiegsweg auf den Lusen.

Zunächst geht es völlig entspannt für mich auf einer kleinen Kreisstraße entlang. Eine neue Erfahrung ohne Rucksack unterwegs zu sein. Schließlich sind wir auf einem lang gezogenen Waldpfad, immer mit Blick auf den Gipfel des Lusen unterwegs. Die gesunden Nadelbäume verschwinden zunehmend und die hellgrauen Baumleichen mit ihren nackten Stämmen und kahlen Ästen überwiegen. Viele umgestürzte Bäume liegen beiderseits des Weges und doch sieht man überall bereits nachwachsende Nadelbäume, auch Laubbäume. Wieder als Farbtupfer die Vogelbeerbäume und –büsche. Der Blick seitlich in die Ferne wird immer besser und die großflächigen Bereiche mit den hellgrauen Baumleichen sind beeindruckend. Etwas unscharf betrachtet wirken diese Bereiche, wie mit Schnee bedeckt.

Der Wind ist da und doch nicht so stark, wie ich es nach der Wetterprognose vermutet hatte. Je länger ich laufe, um so froher bin ich, auf Werners Vorschlag eingegangen zu sein. Es ist schon eine beeindruckende Landschaft um mich herum. Immer deutlicher wird der steil aufsteigende Pfad nach oben. Wir sind auf dem Weg zur Himmelsleiter. Der Begriff ist mir bestens bekannt, denn zum Frankenstein, meinem Hausberg (eher Bergchen), gibt es den auch. Es ist eine lange Treppe hoch zum Gipfel. Auch hier geht es über Stein- und Felstreppenstufen aufwärts. Im obersten Bereich schimmert es hellgrün. Ich bin gespannt, was es mit der Farbe auf sich hat.

Bei der Himmelsleiter angekommen, beginnt nun der richtige Aufstieg zum Gipfel. Für mich jetzt ohne Rucksack völlig entspannend. Natürlich merke ich diesen Anstieg und doch bringt er mich nicht wirklich aus der Puste. Ich schwitze nicht mal richtig. Bleibe auch mehrmals stehen, doch eher um zu fotografieren. Vor uns einige Wanderer und kurz vor dem grünlich schimmernden Bereich habe ich Wanderer eingeholt. Das helle Grün entpuppt sich als eine riesige Steinfläche oder Geröllfeld, der Wetterseite zugewandt. Die Steine sind mit einer dünnen Moosschicht bedeckt. Vor mir ein Ehepaar auf den letzten Metern vor dem Ziel. Wie ich später erfahre, ist die Frau über 70 Jahre alt und hat zwei Handicaps, sie hat ein künstliches Kniegelenk und nur noch einen Lungenflügel. Auch bin ich von Werner beeindruckt, er ist 70 Jahre alt und hat vor einem Jahr ein neues Hüftgelenk bekommen. Natürlich machen wir die obligatorischen Fotos am Gipfelkreuz. Der Fernblick in alle Richtungen ist grandios.

Dann geht es wieder abwärts, zunächst wieder über ein Steinfeld und dann vorbei am Lusen Schutzhaus. Wir reden ununterbrochen und so ist schon der Weg aufwärts und auch jetzt abwärts kurzweilig und die Zeit vergeht wie im Fluge. Schließlich erreichen wir den Parkplatz bei Mauth und seine Frau steht bereits zum Abholen dort. Vom Parkplatz geht es zunächst nach Waldhäuser. Dort hole ich meinen Rucksack und im Gasthof befragt mich die Wirtin nach meinem Aufstieg. Ich berichte von einem wunderbaren Aufstieg und vom ertragbaren Wind.

Wir fahren weiter nach Mauth und dort in ein Café. Hier spendiert mir Werner Cappuccino und Kuchen. Eigentlich habe ich mir dies heute nicht verdient. Von dort ist es ein kurzes Stück zu meiner heutigen Bleibe. Dann verabschieden wir uns, doch zuvor vereinbaren wir noch ein Treffen wenn möglich in Hauzenberg.

Die heutige Etappe war wieder eine überaus gelungene Tour und an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Werner und seiner Frau. Ich verstehe sein Hinweis nun sehr gut: „Der Lusen ist ein Muss auf dem Goldsteig.“