189. Etappe: 05. November 2013

Konstanz – Radolfzell  25,5 km

Zum Frühstück setze ich mich zu meinem deutschen Zimmergenossen an den Tisch. Jetzt taut er etwas auf und ich erfahre, dass er heute mit einer Wanderung beginnt. Ich hatte zwar den Rucksack gesehen, doch nicht vermutet, dass er damit tatsächlich wandern will. Er hat gerade Zeit und möchte auf dem Europäischen Fernwanderweg E1 laufen. Allerdings in Richtung Norden. So ganz planvoll hört sich seine Wanderung nicht an. Wo er heute übernachtet, weiß er noch nicht und wo der Weg entlang führt, scheint mir, ist ihm auch nicht so klar. Nur bis Singen will er heute.

Inzwischen weiß ich, dass der E1 hier in der Gegend identisch mit meinem Schwarzwald Querweg verläuft. Bis Singen sind es schlappe 47 Kilometer. Das am ersten Tag durchzuziehen, ist ziemlich mutig oder spricht für Unerfahrenheit.

Als ich die Jugendherberge verlasse, ist es stark bewölkt und sieht in nächster Zeit nach Regen aus. Zunächst suche ich den Einstieg in den Schwarzwald Querweg. Nach einiger Zeit durchlaufe ich eine Parkanlage und ein Stück an der Straße und erreiche schließlich den Querweg. Nun geht es weiter auf meiner geplanten Route. Das Wegezeichen taucht zumindest im Waldgebiet öfters auf.

Inzwischen bin ich wieder in einem Stadtgebiet unterwegs und scrolle auf meinem Navi mehr aus Neugierde den weiteren Verlauf meiner Route. Leicht entsetzt stelle ich fest, ich bin seit geraumer Zeit in falscher Richtung unterwegs. Das Stadtgebiet ist wieder Konstanz. Ich habe eine Rolle rückwärts gemacht. Da Radolfzell am Untersee des Bodensees liegt, ist mein Irrweg nicht ganz so dramatisch. Ich entschließe mich, nun auf der Landstraße in Richtung Allensbach weiterzulaufen. Noch gibt es den Gehweg und nach einiger Zeit checke ich die Entfernung über die Straßen zu meinem gebuchten Hotel, es sind noch etwa 18 Kilometer.

Wie verabredet rufe ich im Gasthof an. Nun habe ich die Wirtin persönlich am Telefon. Wieder sind wir schnell bei der „genauen“ Ankunftszeit. Flexibilität ist bei dieser Dame nicht angesagt, nur immer wieder höre ich „genau“. Spontan lege ich mich auf 15 Uhr fest, versuche aber ihr zu erklären so ganz genau geht das nicht. Sie ignoriert dies völlig.

Angetrieben von dem genau, schalte ich nun meinen Turbo ein und hetzte weiter. Bei etwa 11 Kilometern vor dem Ziel erkenne ich, nicht um 15 Uhr, eher um 14 Uhr erreiche ich das Hotel. Es ist 11:45 Uhr und ich rufe nochmals an, um meine neue Ankunftszeit durchzugeben. Die erste Reaktion der Wirtin: „Das geht jetzt nicht mehr.“ Nun platzt mir aber der Kragen und ich erkläre ihr mit deutlich energischerer Stimme, dass ich nun schon sieben Monate unterwegs bin. In dieser Zeit in vielen Pensionen und Gasthöfen übernachtet habe. So viel Unflexibilität und Ignoranz ist mir aber bisher nicht untergekommen. Wenn es nicht geht, suche ich mir eine andere Unterkunft. Sie lenkt ein und meint nun, im Notfall ist sie persönlich da. „Es geht also doch“, denke ich. Doch jetzt liege ich wieder falsch. Nun beginnt wieder das „wann genau kommen sie“? Ich versuche ihr zu erklären, ich bin Wanderer und keine Maschine und daher kann der genaue Zeitpunkt etwas schwanken. Die Dame ist für keine Kompromisse zu haben.

Nun auf die neue Ankunftszeit 14 Uhr eingelassen, hetze ich weiter. Der Bodensee und die Umgebung interessieren mich nicht mehr, auch die Lust am Fotografieren ist mir vergangen. Da es nach Regen aussieht, möchte ich rechtzeitig eintreffen. Vom Regen und Schweiß eingeweicht schließlich zwei Stunden draußen zu warten macht keine Freude. Zu allem Überfluss neigt sich mein Naviakku dem Ende, er verlangt dringend nach einer Ladestation. Ich schalte aus, um zum Schluss nochmals etwas Power für den letzten Kilometer zu haben. Nun orientiere ich mich mit meinem Outdoornavi in Richtung Radolfzell.

Ich erreiche Radolfzell und bis zum Gasthof sind es noch etwa einen Kilometer. Es ist 13:58 Uhr und zur Sicherheit rufe im Gasthaus an. Es hebt aber niemand ab und so hetze ich weiter. In der Zielstraße kommt mir 14:07 Uhr eine Asiatin mit Fahrrad entgegen. Wir haben kurz Blickkontakt und ich habe das Gefühl, sie weiß, wer ich bin. Dann um 14:10 Uhr erreiche ich den Gasthof. Mit mir kommt ein Mann zur Eingangstür. Wie ich es bereits befürchtet hatte, sie ist verschlossen. Der Mann kennt sich aus und so folge ich ihm zum Eingang im nebenstehenden Gästehaus. Im Gebäude angekommen ist auch dort niemand zu erreichen. Ich bin im Warmen und doch brodelt es in mir. Ich hole mein Notebook raus und suchen nach einer Alternative. Diese finde ich auch in etwa 450 Meter zum Gasthof. Hier hält man für eine Stunde das Zimmer für mich bereit. Ich packe meinen Rucksack wieder und höre ein Geräusch in Richtung der verschlossenen Gaststube. Die Asiatin ist wieder eingetroffen. Ich bekomme mein Zimmerschlüssel.

Der Gedanke an den Bodensee ist bei mir nun sehr zwiespältig. Alles, was das Hotelgewerbe betrifft, erzeugt bei mir erhebliches Unbehagen und ich bin froh diesen Bereich möglichst schnell wieder zu verlassen.

188. Etappe: 04. November 2013

Romanshorn (Schweiz) – Konstanz  25,9 km
Friedrichshafen – Romanshorn mit Fähre

Nach dem gemeinsamen Frühstück mit Monika, Roland und Jonas fahre ich mit Monika nach Friedrichshafen. Sie arbeitet dort und ich will mit der Fähre rüber nach Romanshorn und dort die Schweiz besuchen. Dann auf Schweizer Seite am Bodensee entlang nach Konstanz laufen. Nach dem Parken bringt mich Monika zum Fährhafen und wir verabschieden uns. Es war eine schöne Zeit mit Monika und Roland.

Die Fähre fährt pünktlich 8:41 Uhr los. Während der gesamten Überfahrt habe ich einen grandiosen Blick auf die Schweizer Alpen. Im Hafen angekommen, geht es zunächst am Bahnhof vorbei und ein Stück durch den Ort. Dann habe ich die Nähe des Ufers erreicht. Jetzt trennt mich jedoch eine Reihe Häuser und edler Sommerresidenzen vom Ufer des Bodensees. Erst ab Uttwil beginnt ein für Radfahrer gesperrter Wanderweg. Nun laufe ich auf einem schmalen Weg vor den Bungalows und Häusern, meistens dicht am Ufer entlang.

Inzwischen habe ich wieder den Poncho halb an. Einige dunkle Wolken begleiten mich und am frühen Nachmittag begleitet mich dann auch wieder der Regen. In Kreuzlingen komme ich an große moderne Reihenhäuser vorbei. Bei einem der Häuser steht eine Bank und ich mache dort eine Pause. Ein kleiner Jagdhund nähert sich mir neugierig. Diesem blauen Ungetüm auf der Bank traut er nicht wirklich und bleibt so mit Abstand zu mir sitzen und beäugt mich weiter neugierig. Nach einer Weile kommt sein Herrchen angefahren. Der Fahrer und wie ich später erfahre, der Eigentümer des Hauses kommt interessiert zu mir. Wir unterhalten eine Weile und dann bietet er mir einen Kaffee an und ein natürliches Mittel zur Leistungssteigerung (=Nahrungsergänzungsmittel). Ich folge ihm in sein Haus. Wenig später kommt seine Frau oder Lebensgefährtin hinzu. Wir trinken zusammen einen Kaffee und wir essen dazu selbst gemachten Zopf. Schnell sind wir bei dem Produkt zur Leistungssteigerung. Stephan macht mit mir einen Test. Zunächst ohne Einnahme des leistungssteigernden Mittels und dann unmittelbar nach der Einnahme. Ganz offensichtlich wirkt es auf Anhieb und doch habe ich so meine Zweifel. Zum weiteren Testen schenkt er mir ein Fläschchen mit dem Wundermittel (?). Ich werde es in der nächsten Zeit testen.

Wieder unterwegs, hört es endlich zu regnen auf. Mein Weg führt mich weiter durch Kreuzlingen und dann durch Konstanz. Die Jugendherberge befindet sich außerhalb von Konstanz im Stadtteil Allmannsdorf. Zu ihr gehört der Otto-Moericke-Turm, ein ehemaliger Wasserturm. Hier bin ich in der ersten Etage in einem Mehrbettzimmer untergebracht. Als ich das Zimmer betrete, sind bereits zwei Betten belegt. Später kommen meine Zimmergenossen, ein Italiener und ein Deutscher im Allgäu in Österreich lebend, wie er mir später erzählt, hinzu. Mit dem Italiener kann ich mangels Sprachkenntnisse nicht kommunizieren und der Deutsche ist kein sonderlich kontaktfreudiger Zeitgenosse.

Nach dem Abendessen beginnt meine Suche nach einer Unterkunft und nun werde ich bei meinen Anrufen mehrfach ziemlich unhöflich und überheblich behandelt. „Für eine Nacht und eine Person vermieten wir nicht“ ist mehrfach die Auskunft. Nur in der Liste der Touristeninformation stand nicht, dass es sich um Ferienwohnungen handelte. Das aber wussten die Privatvermieter offensichtlich nicht. Ihre Einträge haben sie wohl nicht kontrolliert. Bei einem Garnihotel werde ich ziemlich unhöflich darauf hingewiesen, dass man bis Weihnachten geschlossen hat. Hätte ich es gewusst, ich hätte erst gar nicht angerufen. Ich ändere zunehmend meinen Zielort für die morgige Etappe. Schließlich finde ich in Radolfzell ein Gasthof mit Hotel. Doch hier gestaltet sich das Ganze wieder schwierig. Das Hotel ist von 12 bis 16 Uhr geschlossen. Bei meiner Nachfrage, ob ich trotzdem in dieser Zeit in mein Zimmer komme, will die junge Frau den „genauen“ Ankunftszeitpunkt wissen. „Das kann ich nicht genau sagen, ich bin Wanderer und keine Maschine“, gebe ich zur Antwort. Wir kommen zu keinem einvernehmlichen Ergebnis, immer wieder steht das „Genau“ zwischen uns. Ich soll morgen um 10 Uhr nochmals anrufen, ist schließlich das Ergebnis.

Gegen 22 Uhr mache ich als Letzter das Licht aus und werde morgen früh meine Route komplett umplanen müssen. Der Weg nach dem Jakobsweg fängt nicht vielversprechend an.