195. Etappe: 11. November 2013

Titisee – Freiburg im Breisgau (Mit Bahn unterwegs)

Am gestrigen Abend versuche ich Alternativrouten durchzuplanen. Immer muss ich zunächst noch höher bis auf knapp unter 1000 Meter. Erst dann geht es wieder runter. Alle Routen führen durch den Wald auf Waldwegen und nicht auf Wirtschaftswegen Richtung Freiburg. Die einzige Möglichkeit dem Schnee zu entgehen, führt an der Straße entlang, davon größtenteils an der Bundesstraße B31. Nach meiner Karte gibt es teilweise einen Weg in der Nähe der Straße, sicher ist das aber nicht. Gibt es diese Wege nicht, bewege ich mich auf einer stark befahrenen Straße. Die Straßen verlaufen in Serpentinen abwärts. Noch bin ich nicht sicher, welche Alternative ich wählen werde.

Am heutigen Morgen entschließe ich mich keine der gestrigen Alternativen zu wählen, sondern mit der Bahn nach Freiburg zu fahren. Mit der Gästekarte geht das kostenlos.

Im Hotel in Freiburg lese ich, dass es mit Schneebeginn ein Chaos im Hochschwarzwald gab. Viele Autofahrer konnten am ersten Tag damit nicht umgehen. Es kam zu zahlreichen Unfällen. Und ich als Fußgänger an der Straße wäre dann mitten im Geschehen unterwegs. Kein wirklich schöner Gedanke. Meine Entscheidung war richtig gewesen.

Nun beginnt die Suche nach einer Unterkunft. Scheinbar einfach, doch ich komme bereits am Vormittag an. Das frühste Einchecken ist um 14 Uhr, oft auch erst um 15 Uhr. Übrig bleibt ein kleines Hotel in der Nähe des Rathauses. Über ein Suchportal im Internet ist ein Einchecken auch früh möglich. Sicher ist sicher und ich rufe direkt dort an. Dort wird mir das Zimmer zehn Euro teurer und mit einer frühsten Belegung ab 14 Uhr angeboten. Also buche ich über das Internet und rufe nach Mitteilung der Buchungsnummer nochmals dort an. Jetzt ist das Zimmer auch bereits ab 10 Uhr belegbar.

Noch vor dem Frühstück schneit es wieder. Inzwischen liegt eine etwa zehn Zentimeter dicke Schneedecke. Als ich kurz vor 10 Uhr die Pension verlasse, hat es aufgehört zu schneien. Die Fahrt nach Freiburg erfolgt mit der Höllentalbahn. Dass es fast 600 Meter abwärtsgeht, merkt man. Die Bahn fährt beständig bremsend talabwärts. In Himmelreich – auch da bin ich nun zu Lebzeiten gewesen 🙂 – ist der erste Stopp und der Schnee ist verschwunden, es folgen Kirchzarten und Vororte von Freiburg. Dann erreiche ich den Hauptbahnhof von Freiburg. Von hier ist der Rathausplatz und in unmittelbarer Nähe davon mein Hotel schnell erreicht.

Es ist einiges los auf dem Rathausplatz. Etliche Personen warten mit bunten Kappen auf irgendein Ereignis. Seitlich am Rathaus steht ein Pferdewagen, darauf positioniert eine TV-Kamera. Am Brunnen wartet ein Bierfass auf den Anstich. Ich frage irritiert nach dem Grund dieses bunten Treibens. Und erhalte als Antwort: „Es ist der 11.11 und um 11:11 Uhr wird der traditionelle Fastnachtsbeginn ausgerufen.” Wenige Augenblicke später, pünktlich um 11:11 Uhr, geht es los. Es erfolgt eine Ansprache, dann die Zweite vom Vertreter des Oberbürgermeisters und dann der Bieranstich. Zu trinken bekommen aber nur ein paar Auserwählte, ich gehöre nicht dazu.

Unmittelbar danach begebe ich mich ins Hotel und kann auch gleich mein Zimmer beziehen. Es ist ein geräumiges und modern eingerichtetes Zimmer. Nur kurz halte ich mich dort auf, dann geht es auf einen Streifzug durch die Altstadt. Natürlich gehört auch das Freiburger Münster dazu. Hier steige ich etliche Stufen zum Turm hoch. Kurz vor dem Ziel muss ich noch Eintritt bezahlen. Geschickt gelöst, jetzt erst die Kasse, jeder will nun weiter und zahlt. Oben angekommen ist hier eine Baustelle und Gitter versperren den sonst freien Blick über die Stadt.

An einem französischen Wurststand vor dem Münster kaufe ich mir aus purem Appetit eine Salami mit Roquefort. Salami gibt es in den verschiedensten Variationen und Zutaten. Ich muss mich zurückhalten, nicht noch weitere Würste zu kaufen. Dann geht es zurück ins Hotel.

Dort beginnt nun die Neuplanung meiner weiteren Etappen. Ursprünglich wollte ich den Kandel Höhenweg ab Freiburg laufen. Doch der führt mich wieder in den Schwarzwald und es geht wieder auf über 800 Meter. Als Alternative kommt nur noch der Weg am oder in der Nähe des Rheins infrage. Dort bin ich dann in unmittelbarer Nähe zu Frankreich.

Abends gegen 20:30 Uhr bekomme ich Hunger und so begebe ich mich in die Altstadt. Doch hier scheint man um diese Zeit die Bürgersteige hochzuklappen. Ich finde nur geschlossene Gasthöfe und Restaurants. Bei einem Imbiss, auch dort wird bereits der Feierabend eingeläutet, erhalte ich noch eine der letzten Bratwürste. 

196. Etappe: 12. November 2013

Freiburg – Breisach am Rhein  28,7 km

Als ich den Frühstücksraum betrete, falle ich gleich mit meiner schmutzigen Wanderhose, den Wanderschuhen und dem roten Shirt mit weißen Salzrändern auf. Alle hier sind so adrett mit Kombination oder Anzug angezogen. Ein Anzugträger nimmt mich kurz ins Visier und wendet den Blick sofort wieder von mir. Das Ganze wirkt arrogant, doch verständlich, ich passe nicht in das Klischee der Gäste dieses Hauses. Ich wäre lieber nicht hier, doch was anderes habe ich nicht gefunden. Nur die Preisklasse nach oben war noch offen. Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig und so verwöhne ich mich mit den Angebotenem.

Gestern noch angenehm warm, heute Morgen jedoch empfindlich kalt. Ich ziehe bereits am Hoteleingang Mütze und Handschuhe an. Lange brauche ich um den Stadtrand von Freiburg zu erreichen. Der Weg danach geht viel an der Straße entlang, doch immer gibt es einen separaten Radweg. Gegen Mittag habe ich einen fast wolkenlosen blauen Himmel mit Sonne. Die Kraft der Sonne ist jedoch nicht mehr stark und so bleibt es kalt und ich trage weiterhin meine Mütze.

Nach dem kleinen Ort Opfingen trete ich in eine andere Welt ein. Nun bin ich im Weinanbaugebiet Tuniberg. Um mich herum überall Weinberge und -felder. Leider bin ich hier viel zu spät und so kann ich nicht mehr naschen. Mein Weg jetzt führt an einer Straße ohne Radweg entlang. Einen Mann im Weinfeld spreche ich an. Er stammt aus Rumänien und lebt mit seiner Familie in Deutschland. Spricht ganz gut Deutsch und ist stolz hier in für das Weingut zu arbeiten. Da wo er gerade arbeitet, wächst eine Sorte, die, wie er mir erklärt, „blutroten“ Wein hervorbringt. Das Gebiet des Tunibergs erstreckt sich fast von Freiburg bis nach Merdingen, dem nächsten Ort auf meiner Route.

Merdingen ist ein netter kleiner Weinort mit einigen schönen alten Fachwerkhäusern. Es folgt der Ort Ihringen und nun erlebe ich den Sonnenuntergang. Ich muss mich sputen, denn jetzt dauert es nicht mehr lange und ich laufe in der Dunkelheit.

Etwa drei Kilometer vor Breisach ist es bereits dunkel. Glücklicherweise kann ich auf einem separaten Radweg laufen. Mit Stirnlampe geht es nun meinem Zielort entgegen. Als ich das Café und Restaurant betrete, ist es kurz nach 18 Uhr. Nur wenige Gäste sind noch im Raum. Ich werde darauf hingewiesen, dass die Küche um 20 Uhr schließt.

Ich schaffe es noch zum Abendessen, doch danach geht es gleich vor Müdigkeit ins Bett. Die lange Etappe und wohl auch die leichte Erkältung fordern ihren Tribut.  

194. Etappe: 10. November 2013

Gündelwangen – Titisee (Mit Bus und Bahn unterwegs)

Irgendwann nachts wache ich auf und höre ein tropfendes und fließendes Geräusch. „Mist, warum können die im Gasthaus nicht die Heizkörper gescheit entlüften“, denke ich und schlafe aber wieder ein. Gegen 6 Uhr holt mich mein Wecker endgültig aus dem Schlaf. Wieder diese Geräusche. Doch diesmal gehe ich zum Fenster und öffne es kurz. Was ich schon in der Nacht gehört habe, ist der Regen und es sind die Fließgeräusche des Wassers in der oberhalb des Fensters verlaufenden Regenrinne.

Kurz vor dem Frühstück arbeite ich meine Route neu aus. Ich muss an der Straße entlang, im Gelände erwartet mich nur Matsch und gegen Mittag dann Schnee. Zunächst suche ich wieder einmal im schlechten Mobilfunknetz eine Unterkunft in Titisee. Gar nicht so einfach, einige Gästehäuser sind bereits geschlossen. Als die Zimmerwirtin hört, dass ich Wanderer bin, erklärt sie mir das Zimmer nur bis 16 Uhr zu reservieren. Ich muss, wenn es später wird, nochmals anrufen. Sie hat schlechte Erfahrung mit Wanderer gemacht, die zwar buchen, dann aber nicht auftauchen. Ich versichere ihr, ich komme und werde natürlich, wenn es später wird, anrufen. „Hoffentlich habe ich um diese Zeit ein Mobilfunknetz“ schießt es mir durch den Kopf.

Nach dem Frühstück regnet es immer noch und der Regen hat auch noch deutlich zugenommen. Ich denke erstmals über eine Busfahrt nach Titisee nach. Von der Frühstücksbedienung lasse ich mir den Weg zur Bushaltestelle erklären und erhalte auch ein altes Fahrplanbuch des örtlichen Verkehrsverbundes. Die passende Linie von Gündelwangen nach Neustadt am Titisee ist schnell gefunden und im Internet finde ich auch die aktuelle Abfahrtzeit für Sonntagmorgen. Nur alle zwei Stunden fährt ein Bus. Nochmals ein Blick auf meine Route, es geht größtenteils an der Straße und an einer Bundesstraße entlang, und meine Entscheidung für den Bus ist gefallen. Dann noch ein Anruf bei der Pension und ich darf bereits ab Mittag das Zimmer beziehen.

Seit Tagen habe ich, mal weniger, mal mehr Schmerzen im hinteren Ober- und Unterschenkel, im Bereich der Kniekehle. Als es anfing, versuchte ich mit zusätzlichen Dehnübungen dagegen zu halten. Die Dehnungen kombiniert mit einer wärmenden Salbe brachten keinen Erfolg, waren eher kontraproduktiv. Es wurde schlimmer. Dann begann ich mit Schmerzmittel, die ja auch entzündungshemmend wirken und einem Schmerzgel. Jetzt wurde es deutlich besser. Unterwegs vor Konstanz bekam ich das Wundermittel und setzte das Schmerzmittel und die Salbe zunächst einmal ab. Die lange Etappe mit einigen Steigungen am Freitag zeigt mir jedoch, so Wunderhaft ist das Mittel zumindest für diese Krankheit – wohl eine Sehnenentzündung – nicht. Die heutige Etappe mit Bus und Bahn wird mir, nun wieder mit Schmerzmittel und Schmerzgel, sicher gut tun.

Rechtzeitig laufe ich bei strömenden Regen zur Bushaltestelle und muss kurz, leider ohne Wartehäuschen, warten. Der Bus kommt glücklicherweise pünktlich. Die Fahrt ist mit der Gästekarte kostenlos. Bis kurz vor Neustadt regnete es und fast mit Erreichen der Stadtgrenze fällt nun der erste Schnee. Am Gleis des Bahnhofs, auf den Regionalzug wartend, werden die Schneeflocken dicker, bleiben jedoch noch nicht liegen.

Bei Ankunft in Titisee beginnt der Schnee doch langsam Spuren zu hinterlassen. Auf meinem Weg vom Bahnhof zur Pension erreiche ich den Wanderweg „Westweg“, am Laternenpfahl klebt die mir gut bekannte Wegemarkierung „Rote Route auf weißem Grund“. Ein schmaler Weg führt von der Straße zum See. Genau hier bin ich bereits 2009 zum See gelaufen. Damals hatte es einige Zeit vorher geregnet und ich hatte schon damals den blauen Poncho halb an. Die Badegäste beäugten mich neugierig aber auch kritisch, ich war ein Exot unter ihnen.

Damit schließt sich der Kreis mit meiner jüngeren Vergangenheit, meiner ersten großen Wanderschaft und Pilgerreise 2009 von Darmstadt nach Santiago de Compostela und Kap Finistere. Zuvor die beiden schönen Treffen mit Monika und Roland am Bodensee und am Freitag mit Rita und Dani, meinen Pilgerbekanntschaften aus 2009. Irgendwie kommt ein bisschen Wehmut bei den Gedanken an diese wundervolle Zeit in mir hoch.

Dann geht es weiter zur Pension. In meinem Zimmer ist bereits die Heizung an und es ist mollig warm. Genau richtig, wenn man aus der Kälte kommt.

Jetzt beim Schreiben des Berichtes hat es sich richtig eingeschneit. Auf den Bäumen und Dächern bleibt der Schnee liegen. Die Schneehöhe nimmt langsam zu, momentan sind es etwa 4 – 5 Zentimeter, jedoch weiter steigend. Ich werde meine morgige und vielleicht auch die weitere Route umplanen. Zunächst geht es auf jedem Fall noch über 900 Meter. Schwierig wird es wieder eine Unterkunft zu finden. Dann am Dienstag laufe ich in Freiburg ein, damit endet mit Sicherheit der weiße Zauber. Freiburg liegt unterhalb 300 Metern.  

192. Etappe: 08. November 2013

Welschingen – Achdorf
Distanz: 27,4 km; Aufstiege: 715 m; Abstiege: 668 m

Wieder beginnt ein wunderbarer Wandertag. Über mir ein blauer Himmel und ein paar weiße Wolken. Die Sonne gibt sich bereits Mühe, doch noch klappt es nicht wirklich und es bleibt noch recht kühl. Zunächst muss ich an der Straße entlang und durchquere dabei ein breites Tal. Links und rechts Weiden, gesäumt beiderseits von Wäldern. Dann biege ich in einen Wirtschaftsweg ein und meine erste Steigung beginnt. Schnell säumen alte knorrige Apfelbäume den Weg. Ab und zu hängen auch noch ein paar kleine rote Äpfel dran. Für mich aber unerreichbar. Die verwitternden Stämme, Äste und Zweige sind vom rauen Klima ummantelt mit zum Teil hart gewordenem Moos.

Bei einem alten Fachwerkhaus mache ich auf einer Bank unmittelbar vor dem Haus eine Pause. Mit dem Eigentümer bin ich schnell im Gespräch. Er ist interessiert, was der Zeitgenosse mit großem Rucksack so treibt. Aber auch ich erfahre etwas über sein Leben. Jetzt ist er in Rente, war Lkw-Fahrer und hat den ehemaligen Bauernhof von seinem Vater geerbt. Selbst betreibt er keine Landwirtschaft mehr. Nur drei Pferde hat er noch. Früher ist er auch bei Turnieren geritten, jetzt ist alles nur noch Hobby.

Der Weg ist ein ständiges Auf und Ab. Wenn ich in ein Tal laufe, sehe ich schon vor mir den nächsten Hügel. Fast immer habe ich eine herrliche Sicht in diese ausladende hügelige Landschaft mit ihren vielen kleinen Vulkanbergen.

In Watterdingen sehe ich eine Bäckerei mit Stehcafé und mein Verlangen nach etwas Warmen ist sofort da. In der Bäckerei gibt es doch eine Sitzgelegenheit. Sie wird kaum benutzt und so schauen eintretende Kunde zunächst irritiert nach mir hin. Sofort fällt mir ein Brotkorb mit einem darunter angebrachten Hinweis auf: „Brot vom Vortag zum ½ Preis!“ Von der Bedienung höre ich, dass dieses Angebot gut angenommen wird. Mir wird bewusst, ich bin im Schwabenland! Auch das Plakat mit der Werbung für das König Ludwig Brot & Krusti springt mir ins Auge. Provozierend frage ich die Bedienung, ob das Brot aus Bayern importiert wird. Etwas entrüstet antwortet sie: „Natürlich nicht, der Chef backt es selber.“ In der Gegend gibt es die Randegger Ottilien-Quelle und auch da ist der Chef sehr rührig und backt ein Sprudelbrot. Zum Abschied schenkt mir die Bedienung noch ein Stangenbrötchen.

Der blaue Himmel ist inzwischen durch eine fast dichte weiße Wolkendecke verdeckt. Bei einem Rastplatz mit Schutzhütte habe ich einen fantastischen Blick bis zum Bodensee. Die Schweizer Alpen sind nur in graublauen Pastelltönen erkennbar und mit den tief liegenden Wolken zum Teil verschmolzen.

Ein älteres Paar hat einen der beiden Tische in Beschlag. Um diese Sicht noch etwas zu genießen und das geschenkte Stangenbrötchen zu essen, steuere ich den Zweiten freien Tisch an. Wir sind schnell wegen der grandiosen Sicht im Gespräch. Von der Frau erfahre ich, dass sie in Singen leben und schon fast dreizig Jahre immer wieder hierhin kommen. Wie immer folgt schließlich die Frage, woher ich komme. Als sie hört, dass ich Deutschland umrunde, ist sie sichtlich beeindruckt. Meint dann zu mir: „Meiner (ihr Mann steht etwas abseits und raucht gerade) würde das nicht machen.“ Ergänzt dann aber: „Ich würde es aber auch nicht zulassen. Das ist ja so gefährlich. Man liest und hört ja immer wieder von Morden und Überfällen.“ Das kann ich so nicht im Raum stehen lassen und erkläre ihr, dass ich nun schon seit sieben Monaten unterwegs bin. Noch nie eine gefährliche Situation hatte, außer bei Auto- und Radfahrern. Sie erwidert dann: „Ja mit 50 Jahren kann man noch so etwas machen.“ Ich antworte: „Nicht 50, sondern mit 65 Jahren.“ Ihr Erstaunen ist groß. Sichtlich beeindruckt wendet sie sich an ihren und sagt: „Unglaublich! Siehste, mit Wandern bleibt man jung.“ Dann will sie wissen, wie viel Kilometer ich zu Fuß gelaufen bin. Als ich ihr antworte: „Um die 4200 km“, dreht sie sich wieder zu ihrem Mann und sagt: „Willi, das ist noch ein richtiger Mann!“ Meine Brust schwillt bis auch „Arnold Schwarzeneggerformat“. „Es wird Zeit, ich muss weiter“, erkläre ich den beiden. Die Frau inzwischen richtig fürsorglich, bietet mir ein belegtes Brötchen und eine Flasche Mineralwasser an. Ich nehme dankend an. Schultere meinen Rucksack und verabschiede mich von den beiden. Ein Stück weiter drehe ich mich nochmals um, ihre Blicke sind noch auf mich gerichtet. Ich winke ihnen nochmals zu und gehe mit raumgreifenden Schritten wie ein „richtiger Mann“ von dannen. Erst als ich sicher bin, sie sehen mich nicht mehr, ändert der richtige Mann wieder das Tempo und schreitet gemächlicher weiter.

Immer mehr laufe ich auch durch Wald oder durch Felder, dann aber in der Ferne der dunkle Nadelwald. Ich bin im Schwarzwald definitiv angekommen. Der als Querweg Freiburg Bodensee (auch Schwarzwald Querweg genannt) exzellent ausgeschilderte Wanderweg führt durch wundervolle Landschaften. Ich genieße immer wieder auf einer Bank, und die gibt es hier öfters, diese grandiosen Aussichten. Die Zeit schreitet voran und ich habe noch 9 Kilometer bis nach Achdorf.

Vor mir rechts erreiche ich Zollhaus-Blumberg. Nun muss ich noch den vor mir liegenden und bewaldeten Hügel überqueren. Die Dämmerung ist da und vor mir ein ungekanntes Gebiet. Ich habe hier abweichend vom Wanderweg eine eigene Route, direkt nach Achdorf zusammengestellt. Nun wird es mir doch etwas mulmig. Was erwartet mich bei Dunkelheit auf diesen Wegen, gibt es sie noch oder muss ich wieder zurück. Genau zum richtigen Zeitpunkt wird vor mir eine Alternativroute mit 5,5 Kilometern über Blumberg rechts am Hügel vorbei ausgewiesen. Ich nehme diesen Weg und erreiche nach knapp zwei Kilometer Blumberg.

Es fängt an zu regnen und so packe ich nicht nur meine Stirnlampe, sondern auch wieder einmal meinen Poncho aus. Am Ende des Ortes endet auch der Fußweg und ich laufe nun im Dunkeln an der Straße ohne Radweg entlang. Drei Kilometer muss ich nun unbeschadet überstehen, dann bin ich in Achdorf. Die Straße verläuft mit S-Kurven und zum Glück kommen mir nur wenige Fahrzeuge entgegen. Am Ortsrand von Achdorf schalte ich mein Smartphone-Navi ein, es sind noch 400 Meter bis zum Gasthof. Rita und Dani haben bereits angerufen. Ohne zu antworten, laufe ich weiter zum Gasthof. Kurz vor einer Brücke, ich sehe den Gasthof schon vor mir, kommt der nächste Anruf. Jetzt antworte ich und in diesem Augenblick höre ich auch schon lautes Lachen. Am Gasthof stehen winkend Rita und Dani. Beide sind ebenfalls gerade eingetroffen. Ein punktgenaues Wiedersehen!

Bevor wir uns begrüßen, muss erst noch ein Foto von meiner Ankunft gemacht werden. Das gestaltet sich schwierig. Nun folgen wie im Film J sich wiederholende Aufnahmeszenen. Mal bin ich zu schnell, dann blendet meine Stirnlampe, beim nächsten Mal ist es zu dunkel. Nach einigen Versuchen geben wir lachend auf. Nun folgt die sicher auch bühnenreife Begrüßung. Wir freuen uns, uns endlich nach vier Jahren wiederzusehen. Unsere gemeinsame Pilgerzeit war eine wunderschöne Zeit und wir hatten damals viel Spaß miteinander. Manchmal waren wir richtig ausgelassen.

Wir waren gerade erst von Genf auf der Via Gebennensis unterwegs, als wir einen kleinen Ort hinter Genf auf einer Anhöhe erreichten. Es war eine schmale Straße und auf der einen Seite stand ein gut gefüllter Pflaumenbaum und auf der anderen Seite grenzte ein Gartengrundstück mit einem kleinen Zaun an der Straße. Wir naschten von den köstlichen Pflaumen und spukten wie in einem Wettkampf die Kerne in Richtung Gartengrundstück. Als plötzlich eine ältere Frau dort stand. Glücklicherweise bekam sie keinen Kern ab. Sie sprach uns in Deutsch freundlich an und fragte uns, ob wir etwas Kühles zum Trinken möchten. Es war heiß und wir willigten gerne ein. Wenige Augenblicke später kam sie mit Eiswasser zurück.

Auch unvergessen war eine Unterkunft in einem großen Landhaus in einem riesigen Grundstück. Davor ein Swimmingpool, den wir auch ausgiebig nutzten. Unser Abendessen nahmen wir unter einem großen alten Eichenbaum ein. Über uns zur Dekoration ein Kronleuchter.

Dann geht es in den Gasthof. Kaum bin ich eingetreten, empfängt mich die Wirtin mit: „Unser Wanderer Herr Bach ist da.“ Alle Augen der Anwesenden sind auf mich gerichtet, ich falle mal wieder mit dem halb angezogenen blauen Poncho auf. Die Wirtin gibt mir den Zimmerschlüssel und meint: „Alle Treppen hoch.“ Auch das noch! Im Flur setze ich meinen Rucksack ab. Dani und Rita sollen ihn einmal heben. Rita schultert ihn kurz entschlossen und trägt ihn bis zu meinem Zimmer. An ihrem Gang sehe ich, so leicht fällt ihr das Tragen nicht.

Nach dem Frischmachen sitze wir im gut besuchten Gasthaus und feiern unser Wiedersehen. Die heutige Etappe war lang und anstrengend gewesen und so bestelle ich erst einmal ein großes Radler. Schnell sind wir bei den vielen gemeinsamen Geschichten und vergessen dabei ein Gericht auszuwählen. Die Bedienung und auch die Wirtin kommen mehrmals zu uns an den Tisch. Zur Feier des Tages bestellen wir verschieden Wildgerichte. Zum Abschluss gibt es noch ein Eis und bei mir brennt eine Wunderkerze darauf. Extra für mich arrangiert. 

Die gemeinsamen, aber auch die getrennten Caminoabschnitte bieten unendliche Geschichten und so finden wir erst zu Mitternacht, die anderen Gäste sind längs verschwunden, ein Ende. Danke liebe Rita und Danke lieber Dani für die Einladung und diesen wunderbaren Abend.

191. Etappe: 07. November 2013

Singen – Welschingen
Distanz: 17,2 km; Aufstiege: 541 m; Abstiege: 464 m

Als ich die Jugendherberge verlasse, empfängt mich ein wunderschöner Wandermorgen: „Blauer Himmel, weiße Wolken und strahlende Sonne“. Noch nicht sehr warm, doch das kann ja noch werden.

Zunächst muss ich erst einmal quer durch Singen und dann bewege ich mich auf den Singener Hausberg „Hohentwiel“ mit seiner Burgruine zu. Ich ahne es schon, hier muss ich hoch. Für die Autofahrer steht das Schild „19 %“ Steigung am Straßenrand. Meine Route führt mich vorher davon weg auf einen unbefestigten Weg. Zunächst geht es noch moderat bergauf, doch dann nach einer Kurve beginnt auch hier der Aufstieg über Serpentinen. Glücklicherweise muss ich nicht ganz bis zur Burgruine hoch. Der Anstieg endet bei einem Bauerhof und führt um den Berg herum auf die andere Seite. Hier habe ich jetzt einen herrlichen Blick in die weite Ebene.

Aus dem weißblauen Himmel ist ein stark bewölkter Himmel geworden. Diese dicken Wolkenhaufen faszinieren mich immer wieder. Mit ihrem Grau, manchmal auch ins Bläuliche getaucht, wirken sie so mächtig und bedrohlich. Ab und zu lugt die Sonne hervor und die Landschaft erstrahlt förmlich im hellen Licht. An anderen Stellen liegt sie jedoch deutlich im Schatten der Wolken.

Dann geht es quer über eine Wiese abwärts in Richtung Autobahn, über die untertunnelte Autobahn hinweg und schließlich rein in ein Wäldchen. Das ist schnell durchschritten und nun laufe ich am weitflächigen Hang, vorbei an einigen Gebäuden, durch die weithin offene Landschaft. Ich kann gut den Bodensee, die Orte Singen und Radolfzell erkennen. An einigen Merkmalen erkenne ich auch ungefähr meine Route der letzten Tage.

Bei einer Bank, weiter mit diesem herrlichen Weitblick, mache ich meine erste längere Pause. Noch während ich telefoniere, kommt ein Auto und parkt in unmittelbarer Nähe zu mir. Eine Frau steigt aus und geht langsam in Richtung Hohentwiel. Dabei schaut sie immer wieder in ein Fernglas. Sie bewegt sich schließlich an mir vorbei in entgegengesetzter Richtung. Weiterhin immer wieder mit Blick durch ihr Fernglas. Sie macht mich neugierig. Sucht sie etwas? So ein Fernglas hätte ich auch gerne an der Oder gehabt und die unendlich vielen Vögel beobachtet.

Ich schultere meinen Rucksack und erreiche die Frau wenig später. Ich spreche sie an und erfahre, dass sie gerne die Landschaft beobachtet. Dann höre ich auch, dass sie malt und in alt hergebrachter Art auf ihren Reisen ein Tagebuch führt. Als sie hört, dass ich auf einer großen Wanderung bin, ist ihre Neugierde an mir geweckt. Sie fragt mich, ob wir nochmals zurück zur Bank gehen und uns dort weiter unterhalten können. Ich erkläre ihr, dass ich noch einige Kilometer vor mir habe. Sofort bietet sie mir an, mich dann zu meiner Unterkunft zu fahren. Auch das muss ich leider dankend ablehnen. Ich gebe ihr meine Telefonnummer und meine Internetadresse und auch die Adresse meiner heutigen Unterkunft. „Wir können uns gerne heute Abend im Gasthof weiter unterhalten“, schlage ich ihr vor, dann verabschieden wir uns.

Am Abend ruft sie nochmals an und wir haben ein längeres Gespräch. Hier erzähle ich ihr mehr von meiner Wanderschaft. Obwohl selbst keinen Computer, hat sie es bereits bei Bekannten organisiert, in meinen Blog zu schauen.

Die Landschaft ist durchzogen von Vulkanhügeln und auf einigen dieser Hügel thronen Burgruinen. Mein Weg führt mit Beharrlichkeit immer wieder zu und auf diese Hügel. Nicht bis zum Gipfel, aber ein Vorgeschmack auf die Höhe ist immer dabei. Es geht durch Wiesen und Wäldchen immer mit Blick auf diese hügelig wellige Landschaft. Ich erfreue mich an den Strukturen, Formen und auch an den Farben. Von den sieben Stunden unterwegs sein, mache ich 3 ½ Stunden Pause. Die Landschaft gefällt mir und ich genieße wieder einmal in vollen Zügen.

In der Nähe einer weiteren Ruine, es geht von der Straße weg durch die Felder. Vor mir eine Frau mit einem Golden Retriever Rüden. Ich bin beharrlich hinter ihr und sie schaut mehrfach zurück. Mein Eindruck, sie ist durch meine Anwesenheit beunruhigt. Als ich sie erreiche, spreche ich sie an und sage: „Keine Bedenken, ich laufe nicht hinter ihnen her.“ Schlagfertig und überraschend für mich antwortet sie schmunzelnd: „Wenn doch mal jemand hinter mir herlaufen würde.“ Wir kommen ins Gespräch und laufen einige Zeit nebeneinander her. Sehr interessieren tut ihr meine Motivation für eine solche Reise. Für sie schwer zu verstehen, jetzt bei meist schlechtem Wetter noch unterwegs zu sein. Ob ich sie mit meinen Gründen überzeugen konnte, weiß ich nicht. Jedenfalls erkläre ich ihr, wie sie meine Webseite bei Google findet. Sie verspricht mir, dort einmal reinzuschauen.

Bei einem kleinen Wald fängt es ordentlich an zu winden und ein bisschen mulmig ist mir schon, hier durchzulaufen. Alles geht gut und nach einer weiteren Gipfelbesteigung 🙂 sehe ich noch einige Kilometer entfernt unter mir den Ort Weiterdingen. Imposant überragen die Kirche und das Schloss diesen Ort. Zwei Schilder weisen auf meinen Zielort hin. Einmal noch 11 Kilometer und einmal mit der Angabe „direkt“ und 5,5 Kilometer. Ich entscheide mich für die Kurzvariante. Doch auch diese dauert noch. Welscherdingen kann ich nur hinter einem Waldgebiet vermuten. Selbst in und nach Weiterdingen bleibt der Ort versteckt. Schließlich kann ich ihn auf einer kleinen Straße laufend, endlich vor mir sehen. Die Wandermarkierung des Querweges schickt mich weg von der Straße mit einem großen Bogen zum Ort. Da mir aber die Wirtin erklärt hat, dass der Gasthof direkt am Weg liegt, muss ich wohl der Markierung weiter folgen. Etwa einen Kilometer vor dem Ziel ruft mich Rita aus der Schweiz an. Passend vor mir eine Bank neben einem Wegekreuz. Wir schwätzen einige Zeit und vereinbaren für Morgen ein Treffen im Gasthof meiner Unterkunft. Ich freue mich sehr, endlich Rita und Dani wieder zu sehen. Wir waren längere Zeit auf meiner Pilgerreise 2009 auf der Via Jacobi in der Schweiz und dann auch noch länger in Frankreich zusammen.

Beschwingt die beiden schon morgen wieder zu sehen, setze ich meinen Weg zum Gasthaus fort. Dieser ist jetzt schnell erreicht. Der Gasthof ist nicht mehr in Betrieb, nur noch die Fremdenzimmer. Das Abendessen fällt heute aus. 

189. Etappe: 05. November 2013

Konstanz – Radolfzell  25,5 km

Zum Frühstück setze ich mich zu meinem deutschen Zimmergenossen an den Tisch. Jetzt taut er etwas auf und ich erfahre, dass er heute mit einer Wanderung beginnt. Ich hatte zwar den Rucksack gesehen, doch nicht vermutet, dass er damit tatsächlich wandern will. Er hat gerade Zeit und möchte auf dem Europäischen Fernwanderweg E1 laufen. Allerdings in Richtung Norden. So ganz planvoll hört sich seine Wanderung nicht an. Wo er heute übernachtet, weiß er noch nicht und wo der Weg entlang führt, scheint mir, ist ihm auch nicht so klar. Nur bis Singen will er heute.

Inzwischen weiß ich, dass der E1 hier in der Gegend identisch mit meinem Schwarzwald Querweg verläuft. Bis Singen sind es schlappe 47 Kilometer. Das am ersten Tag durchzuziehen, ist ziemlich mutig oder spricht für Unerfahrenheit.

Als ich die Jugendherberge verlasse, ist es stark bewölkt und sieht in nächster Zeit nach Regen aus. Zunächst suche ich den Einstieg in den Schwarzwald Querweg. Nach einiger Zeit durchlaufe ich eine Parkanlage und ein Stück an der Straße und erreiche schließlich den Querweg. Nun geht es weiter auf meiner geplanten Route. Das Wegezeichen taucht zumindest im Waldgebiet öfters auf.

Inzwischen bin ich wieder in einem Stadtgebiet unterwegs und scrolle auf meinem Navi mehr aus Neugierde den weiteren Verlauf meiner Route. Leicht entsetzt stelle ich fest, ich bin seit geraumer Zeit in falscher Richtung unterwegs. Das Stadtgebiet ist wieder Konstanz. Ich habe eine Rolle rückwärts gemacht. Da Radolfzell am Untersee des Bodensees liegt, ist mein Irrweg nicht ganz so dramatisch. Ich entschließe mich, nun auf der Landstraße in Richtung Allensbach weiterzulaufen. Noch gibt es den Gehweg und nach einiger Zeit checke ich die Entfernung über die Straßen zu meinem gebuchten Hotel, es sind noch etwa 18 Kilometer.

Wie verabredet rufe ich im Gasthof an. Nun habe ich die Wirtin persönlich am Telefon. Wieder sind wir schnell bei der „genauen“ Ankunftszeit. Flexibilität ist bei dieser Dame nicht angesagt, nur immer wieder höre ich „genau“. Spontan lege ich mich auf 15 Uhr fest, versuche aber ihr zu erklären so ganz genau geht das nicht. Sie ignoriert dies völlig.

Angetrieben von dem genau, schalte ich nun meinen Turbo ein und hetzte weiter. Bei etwa 11 Kilometern vor dem Ziel erkenne ich, nicht um 15 Uhr, eher um 14 Uhr erreiche ich das Hotel. Es ist 11:45 Uhr und ich rufe nochmals an, um meine neue Ankunftszeit durchzugeben. Die erste Reaktion der Wirtin: „Das geht jetzt nicht mehr.“ Nun platzt mir aber der Kragen und ich erkläre ihr mit deutlich energischerer Stimme, dass ich nun schon sieben Monate unterwegs bin. In dieser Zeit in vielen Pensionen und Gasthöfen übernachtet habe. So viel Unflexibilität und Ignoranz ist mir aber bisher nicht untergekommen. Wenn es nicht geht, suche ich mir eine andere Unterkunft. Sie lenkt ein und meint nun, im Notfall ist sie persönlich da. „Es geht also doch“, denke ich. Doch jetzt liege ich wieder falsch. Nun beginnt wieder das „wann genau kommen sie“? Ich versuche ihr zu erklären, ich bin Wanderer und keine Maschine und daher kann der genaue Zeitpunkt etwas schwanken. Die Dame ist für keine Kompromisse zu haben.

Nun auf die neue Ankunftszeit 14 Uhr eingelassen, hetze ich weiter. Der Bodensee und die Umgebung interessieren mich nicht mehr, auch die Lust am Fotografieren ist mir vergangen. Da es nach Regen aussieht, möchte ich rechtzeitig eintreffen. Vom Regen und Schweiß eingeweicht schließlich zwei Stunden draußen zu warten macht keine Freude. Zu allem Überfluss neigt sich mein Naviakku dem Ende, er verlangt dringend nach einer Ladestation. Ich schalte aus, um zum Schluss nochmals etwas Power für den letzten Kilometer zu haben. Nun orientiere ich mich mit meinem Outdoornavi in Richtung Radolfzell.

Ich erreiche Radolfzell und bis zum Gasthof sind es noch etwa einen Kilometer. Es ist 13:58 Uhr und zur Sicherheit rufe im Gasthaus an. Es hebt aber niemand ab und so hetze ich weiter. In der Zielstraße kommt mir 14:07 Uhr eine Asiatin mit Fahrrad entgegen. Wir haben kurz Blickkontakt und ich habe das Gefühl, sie weiß, wer ich bin. Dann um 14:10 Uhr erreiche ich den Gasthof. Mit mir kommt ein Mann zur Eingangstür. Wie ich es bereits befürchtet hatte, sie ist verschlossen. Der Mann kennt sich aus und so folge ich ihm zum Eingang im nebenstehenden Gästehaus. Im Gebäude angekommen ist auch dort niemand zu erreichen. Ich bin im Warmen und doch brodelt es in mir. Ich hole mein Notebook raus und suchen nach einer Alternative. Diese finde ich auch in etwa 450 Meter zum Gasthof. Hier hält man für eine Stunde das Zimmer für mich bereit. Ich packe meinen Rucksack wieder und höre ein Geräusch in Richtung der verschlossenen Gaststube. Die Asiatin ist wieder eingetroffen. Ich bekomme mein Zimmerschlüssel.

Der Gedanke an den Bodensee ist bei mir nun sehr zwiespältig. Alles, was das Hotelgewerbe betrifft, erzeugt bei mir erhebliches Unbehagen und ich bin froh diesen Bereich möglichst schnell wieder zu verlassen.

188. Etappe: 04. November 2013

Romanshorn (Schweiz) – Konstanz  25,9 km
Friedrichshafen – Romanshorn mit Fähre

Nach dem gemeinsamen Frühstück mit Monika, Roland und Jonas fahre ich mit Monika nach Friedrichshafen. Sie arbeitet dort und ich will mit der Fähre rüber nach Romanshorn und dort die Schweiz besuchen. Dann auf Schweizer Seite am Bodensee entlang nach Konstanz laufen. Nach dem Parken bringt mich Monika zum Fährhafen und wir verabschieden uns. Es war eine schöne Zeit mit Monika und Roland.

Die Fähre fährt pünktlich 8:41 Uhr los. Während der gesamten Überfahrt habe ich einen grandiosen Blick auf die Schweizer Alpen. Im Hafen angekommen, geht es zunächst am Bahnhof vorbei und ein Stück durch den Ort. Dann habe ich die Nähe des Ufers erreicht. Jetzt trennt mich jedoch eine Reihe Häuser und edler Sommerresidenzen vom Ufer des Bodensees. Erst ab Uttwil beginnt ein für Radfahrer gesperrter Wanderweg. Nun laufe ich auf einem schmalen Weg vor den Bungalows und Häusern, meistens dicht am Ufer entlang.

Inzwischen habe ich wieder den Poncho halb an. Einige dunkle Wolken begleiten mich und am frühen Nachmittag begleitet mich dann auch wieder der Regen. In Kreuzlingen komme ich an große moderne Reihenhäuser vorbei. Bei einem der Häuser steht eine Bank und ich mache dort eine Pause. Ein kleiner Jagdhund nähert sich mir neugierig. Diesem blauen Ungetüm auf der Bank traut er nicht wirklich und bleibt so mit Abstand zu mir sitzen und beäugt mich weiter neugierig. Nach einer Weile kommt sein Herrchen angefahren. Der Fahrer und wie ich später erfahre, der Eigentümer des Hauses kommt interessiert zu mir. Wir unterhalten eine Weile und dann bietet er mir einen Kaffee an und ein natürliches Mittel zur Leistungssteigerung (=Nahrungsergänzungsmittel). Ich folge ihm in sein Haus. Wenig später kommt seine Frau oder Lebensgefährtin hinzu. Wir trinken zusammen einen Kaffee und wir essen dazu selbst gemachten Zopf. Schnell sind wir bei dem Produkt zur Leistungssteigerung. Stephan macht mit mir einen Test. Zunächst ohne Einnahme des leistungssteigernden Mittels und dann unmittelbar nach der Einnahme. Ganz offensichtlich wirkt es auf Anhieb und doch habe ich so meine Zweifel. Zum weiteren Testen schenkt er mir ein Fläschchen mit dem Wundermittel (?). Ich werde es in der nächsten Zeit testen.

Wieder unterwegs, hört es endlich zu regnen auf. Mein Weg führt mich weiter durch Kreuzlingen und dann durch Konstanz. Die Jugendherberge befindet sich außerhalb von Konstanz im Stadtteil Allmannsdorf. Zu ihr gehört der Otto-Moericke-Turm, ein ehemaliger Wasserturm. Hier bin ich in der ersten Etage in einem Mehrbettzimmer untergebracht. Als ich das Zimmer betrete, sind bereits zwei Betten belegt. Später kommen meine Zimmergenossen, ein Italiener und ein Deutscher im Allgäu in Österreich lebend, wie er mir später erzählt, hinzu. Mit dem Italiener kann ich mangels Sprachkenntnisse nicht kommunizieren und der Deutsche ist kein sonderlich kontaktfreudiger Zeitgenosse.

Nach dem Abendessen beginnt meine Suche nach einer Unterkunft und nun werde ich bei meinen Anrufen mehrfach ziemlich unhöflich und überheblich behandelt. „Für eine Nacht und eine Person vermieten wir nicht“ ist mehrfach die Auskunft. Nur in der Liste der Touristeninformation stand nicht, dass es sich um Ferienwohnungen handelte. Das aber wussten die Privatvermieter offensichtlich nicht. Ihre Einträge haben sie wohl nicht kontrolliert. Bei einem Garnihotel werde ich ziemlich unhöflich darauf hingewiesen, dass man bis Weihnachten geschlossen hat. Hätte ich es gewusst, ich hätte erst gar nicht angerufen. Ich ändere zunehmend meinen Zielort für die morgige Etappe. Schließlich finde ich in Radolfzell ein Gasthof mit Hotel. Doch hier gestaltet sich das Ganze wieder schwierig. Das Hotel ist von 12 bis 16 Uhr geschlossen. Bei meiner Nachfrage, ob ich trotzdem in dieser Zeit in mein Zimmer komme, will die junge Frau den „genauen“ Ankunftszeitpunkt wissen. „Das kann ich nicht genau sagen, ich bin Wanderer und keine Maschine“, gebe ich zur Antwort. Wir kommen zu keinem einvernehmlichen Ergebnis, immer wieder steht das „Genau“ zwischen uns. Ich soll morgen um 10 Uhr nochmals anrufen, ist schließlich das Ergebnis.

Gegen 22 Uhr mache ich als Letzter das Licht aus und werde morgen früh meine Route komplett umplanen müssen. Der Weg nach dem Jakobsweg fängt nicht vielversprechend an. 

187. Etappe: 03. November 2013

Weiler – Lindau (Bodensee)
Distanz: 26,8 km; Aufstiege: 523 m; Abstiege: 739 m

Um zeitig starten zu können, frühstücke ich bereits um 7 Uhr. Doch das Wetter spielt mir einen Streich, kaum im Zimmer angekommen, beginnt es heftig zu regnen. Nichts ist mit dem frühen Aufbrechen. Ich warte erst einmal ab. Gegen 8:30 Uhr, es regnet immer noch Bindfäden, rufe ich bei Monika und Roland, meine Pilgerbekanntschaft aus 2009, an. Wohl etwas zu früh, irgendwie hört sich die Stimme von Monika verschlafen an. Ich habe sie geweckt und sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Dass es Sonntagmorgen ist, habe ich völlig vergessen.

Der Regen hört nicht auf und doch muss ich los. Meine Lust zum Laufen ist auf dem absoluten Höhepunkt. Den ganzen Vormittag bin ich im Regen unterwegs. Öfters nutze ich Buswartehäuschen, um wenigstens ab und zu einmal im Trocknen zu sein. Mal nieselt es nur und mal regnet es Bindfäden. Vor Unterstaufen geht es nun kontinuierlich abwärts, der Bodensee naht. Teilweise laufe ich wieder einmal an der Straße ohne Radweg entlang. Viele Fahrzeuge sind dank Sonntag nicht unterwegs und das Duschen durch vorbeifahrende Fahrzeuge hält sich daher in Grenzen. Erst als ich den kleinen Ort Schachters erreiche, hört es endlich zu regnen auf. Doch die dunklen Regenwolken halten sich beharrlich am Himmel und so stapfe ich mit halb angezogenem Poncho weiter dahin.

Vor Weißenberg habe ich eine gute Sicht zu den österreichischen Alpen. Die schneebedeckten Gipfel ragen leuchtend gegenüber dem dunklen Nadelwald im Vordergrund und den fast schwarzen fetten Regenwolken darüber, hervor. Schon ein bizarres Schauspiel und so lenkt mich dieses Alpenpanorama einige Zeit ab. Nicht weit von Weißenberg entfernt, erreiche ich einen Hügel und habe einen traumhaften Blick auf den Bodensee und auf die Schweizer und österreichischen Alpen. Mitten auf dem Hügel thront die kleine Marienkapelle, erbaut 1870 von Prinz Luitpold von Bayern zum Gedenken an seine verstorbene Gemahlin.

Nun geht es weiter abwärts und in den Weinbergen vor Lindau mache ich auf einer Bank eine Verschnaufpause. Mit einem Paar neben mir komme ich schnell ins Gespräch. Die Frau fragt interessiert nach meiner Wanderschaft. Mit ihrem Schweizer Dialekt kann ich sie nur mit Mühen verstehen und muss einige Mal nachfragen. Doch das stört sie nicht und sie bleibt beharrlich in ihrem Dialekt. Sie hat kein Erbarmen mit dem armen Wanderer :-). Bevor wir uns trennen, machen sie noch ein Foto von mir mit dem Bodensee als Hintergrund.

Es dauert noch, bis ich Lindau erreiche und direkt am Ufer des Bodensees auf einer Bank sitzen kann. Der Duft von gebrannten Mandeln steigt mir von der naheliegenden Insel Lindau ständig in die Nase. Dort gibt es ein Fest, viele Menschen und Autos sind hier unterwegs. In beiden Richtungen wälzen sich die Blechlawinen langsam vorwärts. Sie stehen jedoch mehr, als das sie fahren. Damit Monika und Roland sich nicht in diese Blechlawinen einreihen müssen, suche ich abseits des Trubels einen geeigneten Treffpunkt. Das ist zunächst gar nicht so einfach, doch schließlich nach einigem Durchfragen nach einem Café, erreiche ich schließlich ein Hotel-Café und teile den beiden meine Adresse mit.

Genau zum richtigen Zeitpunkt habe ich meinen Kaffee getrunken, gezahlt und meinen Rucksack geschultert, als Monika und Roland suchend nach mir das Café betreten. Beide haben sich gar nicht verändert, genau so habe ich sie in Erinnerung behalten. Ich gehe ihnen entgegen und die Freude über das Wiedersehen ist groß. Wir machen noch einen kurzen Abstecher nach Österreich, dann geht es zu ihnen nach Hause nach Haslach. Ich bekomme das Zimmer des jüngeren Sohnes. Wieder habe ich ein schlechtes Gewissen. Ihr Sohn muss im Wohnzimmer schlafen.

Wir haben uns viel zu erzählen und selbstverständlich auch von unserer gemeinsamen Zeit in Frankreich auf dem Camino. Ich schaue mir die gut gemachten Fotobücher ihrer mehrjährigen Pilgereisen bis nach Santiago und Kap Finisterre an. Auch ich bin in einem der Fotobücher vertreten. Zwischendurch werde ich mit leckerem Kuchen und später mit einem tollen Essen mit einem guten Roten verwöhnt. Roland ist hier der Koch und er versteht sein Metier. Mir schmeckt es vorzüglich.

Wir haben uns auf dem Jakobsweg „Via Gebennensis“ in Frankreich in einer als Gite umgebauten ehemaligen Käserei kennengelernt. Dort war ich mit Rita und Dani, ein Schweizer Pilgerpaar bereits eingetroffen, als dann Monika und Roland und weitere Pilger hinzukamen. Wir saßen draußen bei Traumwetter zum abendlichen Pilgermenü. Alle haben sich auf Anhieb gut verstanden und es wurde ein wunderschöner Abend. Dabei kamen wir irgendwann auch auf Streichhölzer, die den „Duft“ auf dem WC bei Anzünden vertreiben können. Wer darauf kam, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls das allgemeine Pflaumenessen als Hintergrund war der Auslöser.

Rita, Dani und ich trafen als Erste in der Gite ein. Wir fanden im Aufenthaltsraum eine große Schüssel mit Pflaumen. Sofort vielen wir über diese Köstlichkeit her. So nach und nach trafen dann auch die Anderen (es war weitere sechs Pilger(innen) aus Deutschland und der Schweiz) ein. Auch sie naschten fleißig von den Pflaumen.

Der Schlafraum war im ersten Stock und dort waren auch die Toilette und die Dusche. Diese beiden Räume waren aus dünnen Holzwänden gefertigt und daher sehr hellhörig. Neben der Toilette ging eine Treppe hoch zu einer zusätzlichen Schlafebene. Wir legten abends ein Päckchen Streichhölzer auf eine der Treppenstufen neben der Toilettentür.

Morgens in der Frühe, alle schliefen noch – jedenfalls dachte ich das – trieben die Pflaumen ihr Unwesen in meinen Gedärmen und so blieb mir nichts anderes übrig, als zur Toilette zu gehen. Leider ging das nicht so geräuschlos vonstatten. Dann fielen mir die Streichhölzer, draußen neben der Toilettetür, ein. Ich öffnete die Tür einen Spalt und griff nach den Streichhölzern. Schlagartig brüllte der Saal vor Lachen. Diese Geschichte hat dann anschließend einer der Gruppe in Gedichtsform und mit Zeichnung in dem dort ausliegendem Pilgerbuch verewigt.

Wir hatten eine weitere lustige Geschichte in einem Matrazenlager mit Roland als Hauptakteur und mit Monika und mir als Beteiligte. Doch diese Geschichte bleibt im Kreis der neun Pilger.

186. Etappe: 02. November 2013

Weitnau – Weiler im Allgäu
Distanz: 24,5 km; Aufstiege: 412 m; Abstiege: 619 m

Beim Frühstück erzählt mir die Wirtin, dass es eine Alternativroute nach Weiler gibt. Sie selbst ist den Jakobsweg und auch die Alternativroute, der ursprüngliche Jakobsweg, bereits gelaufen. „Ich muss doch wissen, wie der Weg verläuft, wenn man mich fragt“, verrät sie mir.

Am Nachbartisch kommt ein Paar mit Rucksack hinzu. Ich frage sie, ob sie auch auf dem Jakobsweg unterwegs sind. Sie sind es, jedoch heute geht es zurück nach München. Wir unterhalten uns noch eine Weile. Nach dem Frühstück erklärt mir die Wirtin auf einer Wanderkarte den möglichen Weg und gibt mir auch noch eine Kurzbeschreibung mit. Im Anschluss daran arbeite ich im Zimmer diese Route noch aus. Dann verlasse ich den Gasthof und ein Muss ist die danebenstehende Kirche. Bei einem Telefonat hatte mich Erhard von Elfis Pilgerquartier auf diese Kirche aufmerksam gemacht.

Als ich den Innenraum betrete, bin ich beeindruckt von der farbenfrohen Ausmalung der Wände und Decken dieser neugotischen Kirche. Ein richtiges Kleinode zwischen den meist barocken Kirchen. Von der Kirche gehe ich durch den Ort und treffe bei der Bushaltestelle nochmals das Paar aus München. Am Ortsrand beobachte ich einen Mann beim Mähen mit der Sense. Als ich ihm andeute, ein Foto zu machen, schüttelt er den Kopf. Ich bitte nochmals freundlich und so kommt er zu mir und fragt mich neugierig aus. Ich gebe ihm bereitwillig Auskunft und schließlich darf ich ihn doch fotografieren.

Die Kurzbeschreibung der Wirtin ist gut, denn an einer Stelle, hier hatte ich falsch geplant, sehe ich nun den von ihr vorgeschlagenen Weg. Nun bin ich auf einem Wirtschaftsweg unterwegs, doch mit einigem Verkehr. Es sind aus beiden Richtungen Fahrzeuge, auch einige mit Anhänger, unterwegs. Ich stelle schnell den Grund fest. Hier führt eine Abzweigung zu einem Wertstoffplatz und heute ist geöffnet. Schon von Weitem sehe ich vier sportlich gekleidete junge Männer beim Hantieren ihrer Rollerski. Sie halten den Verkehr auf. Es staut sich bei ihnen. Ich sehe den Unwillen der zwangsweise wartenden und langsam fahrenden Autofahrer. Einen Moment stoppen, ist schon ein Problem für sie. Die jungen Männer lassen sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Als ich sie erreiche, kommen wir ins Gespräch. Als ich auf ihre Fragen nach dem Woher und Wohin antworte, sind sie ein bisschen beeindruckt. Einer der Vier meint: „Wir haben vermutet, sie sind quer durch Deutschland unterwegs.“ Natürlich bin ich auch neugierig, was sie machen. Ich erfahre dann, dass sie Hochleistungssportler im Skilanglauf sind und momentan für die Olympiaqualifikation trainieren. Ich bitte sie einmal fotografieren zu dürfen. Sie stellen sich bereitwillig für ein Foto auf. Ich sage noch zu ihnen: „Schließlich möchte ich sie wieder erkennen, wenn sie auf dem Siegerpodest bei Olympia stehen.“ Auf einen der Vier richten sich die Finger, er ist wohl ein Kandidat für ganz vorne mitzumischen.

Unterwegs ziehen dicke graue Regenwolken über mir vorbei und ich ziehe zur Vorsicht den Poncho halb an. Es geht durch Täler an Weiden und einzelnen Gehöften vorbei. Dann erreiche ich auf einer Anhöhe Unterried. Wenig später tauche ich in einen Wald ein, laufe zum Teil an einem Hang entlang und habe unter mir eine große Holzfabrik. Hier sehe ich ein Schild nach Eistobel, doch das Hinweisschild nach Ebratshofen, dort führt mich meine geplante Route, weist in die entgegengesetzte Richtung. Später als ich ein Altenheim passiere und über eine kleine Holzbrücke laufe, erkenne ich, dass ich nun nicht mehr der Beschreibung der Wirtin folge. Ihre Ortsangabe habe ich nicht lesen können, habe ein „Gi“ zu Beginn des Namens entziffert, doch es war ein „Ei“ und es sollte Eistobel heißen. Nun gut, jetzt laufe ich halt anders. An der Straße nach Ebratshofen gibt es einen Fuß- und Radweg und so stört mich der vorbeifahrende Verkehr nicht.

Im Ort mache ich in einem kleinen Tante-Emma-Laden mit Stehcafé eine Pause. Entgegen der Angabe kann man doch sitzen. Im Gespräch mit der Ladeninhaberin erfahre ich von einem Weg direkt nach Stiefenhofen. Später unterwegs finde ich auch diese Abzweigung und muss nun eine Zeit lang über die Hügel laufen. Von Stiefenhofen geht es weiter nach Simmerberg und dort bin ich wieder auf dem Jakobsweg. Doch ich folge nun meinem Smartphone-Navi und erreiche nach etwas mehr als zwei Kilometer Weiler im Dämmerlicht. 

185. Etappe: 01. November 2013

Kempten – Weitnau
Distanz: 21,3 km; Aufstiege: 432 m; Abstiege: 302 m

Meine heutige Route weicht komplett vom Jakobsweg ab. Der wäre bis Weitnau, mein heutiges Ziel, viel zu lang gewesen. Es ist kalt und trübe und ich starte daher bereits mit Mütze. Noch am Stadtrand von Kempten biege ich von der Straße in einen schmalen Pfad in den Wald ab und laufe an einem Bach entlang. Ein umgestürzter Baum versperrt mir den Weg, und als ich schließlich dieses Hindernis überwunden habe, stehe ich am Ende des Pfads. Nur steil hoch könnte ich weiter. Doch diese Richtung ist völlig falsch. Wieder einmal muss ich zurück. Nachdem ich wieder die Straße erreicht habe, erkenne ich meinen Fehler. Nicht die Karte ist falsch, sondern ich habe meine Route zu ungenau an der betroffenen Stelle geplant. Genau an dieser ungenauen Stelle gab es tatsächlich einen Pfad. Ich folge nun dem Wirtschaftsweg, er ist gleichzeitig der Allgäuer Radweg.

Mit einigem Abstand zur Staatsstraße laufe ich einige Zeit auf dem Radweg entlang. In Ahegg verlasse ich den Radweg und bin wieder auf einem einsamen Wirtschaftsweg mit herrlicher Fernsicht unterwegs. Dazu habe ich einige Steigungen zu überwinden und in Ortsmitte von Buchenberg sehe ich linker Hand ein Café. Mir ist nach einem warmen Getränk zumute. Nur habe ich mir das falsche Café ausgesucht. Hier scheint man als Wanderer nicht willkommen zu sein. Nichtbeachtung und ziemlich unfreundliche Behandlung veranlassen mich, nach einer Tasse heißer Schokolade schnell wieder das ungastliche Café zu verlassen. Eigentlich wollte ich noch einen Kaffee trinken.

Auf dem nun folgenden Weg werde ich dafür mit einem traumhaften Fernblick in die Allgäuer Alpen entschädigt. Und dieser Anblick bleibt mir noch längere Zeit erhalten. Bei Schwarzerd biege ich auf einen deichähnlichen Weg ab. Dieser führt mich in ein Waldgebiet mit renaturalisiertem Hochmoor. Dem Naturschutzgebiet Breitenmoos und Schönleitmoos. Dieses stille und einsame Waldgebiet, mir ist gerade einmal ein Radfahrer begegnet, wird nach etwa zwei Kilometern durch starke Verkehrsgeräusche gestört. Ich nähere mich der viel befahrenen Bundesstraße B12. Hier holt mich ein Radler ein und wir unterhalten uns für kurze Zeit. Der 63 jährige Radler macht immer wieder europaweite Radtouren und ist auch auf dem Jakobsweg nach Spanien unterwegs gewesen. Bei der Unterführung unter der B12 zeigt er mir noch den Abzweig nach Weitnau und radelt davon.

Mein Weg führt mit einigem Abstand an der B12 entlang. Zunächst habe ich auf der anderen Seite eine kleine Schlucht mit Bachlauf und einem schmalen Wald. Dahinter höre ich am Hang immer wieder das Geläut der Rinder, sehen kann ich sie aber nicht. Nur hin und wieder schimmern die grünen Weiden hindurch. Dann öffnet sich die Landschaft vor mir. Die Straße verschwindet aus meinem Blickfeld. Auf der anderen Seite habe ich ein traumhaftes Tal mit sanften Hügeln, Busch- und Baumgruppen, kleinen Wäldchen und vor allem große Flächen saftig grüner Weiden vor mir. Mittendrin immer wieder einzelne Gebäude, meistens Bauernhöfe und auch öfters grasende Rinder. Jetzt fehlt nur noch die Sonne mit blauem Himmel und diese einzigartige Landschaft des Allgäus wäre vollkommen.

Alles hat irgendwann ein Ende und so erreiche ich Weitnau und auf einem schmalen Pfad abzweigend von meiner Route gelange ich in den Ortskern. Vor mir dann groß und wuchtig der alte Gasthof, etwas erhöht auf einem kleinen Hügel stehend, meine heutige Unterkunft.

Mit meiner heutigen Route ist mir eine wunderschöne Etappe gelungen. Nicht alles war der Allgäuer Radweg und auf dem von mir abweichenden Bereich gab es das Alpenpanorama zum Greifen nahe.