204. Etappe: 20. November 2013

Beinheim – Wissembourg (Frankreich)  25 km

Schon beim Gang über den Hof zum Frühstück regnet es leicht. Das Frühstück diesmal ohne Wurst und Käse, jedoch mit verschiedenen selbst gemachten Marmeladen. Dazu gibt es Baguette und Croissant. Der Wirtin fällt auf, dass mir die Bananen-Schoko-Mischung besonders gut geschmeckt hat, und schenkt mir beim Bezahlen ein Glas dieser selbst gemachten Marmelade.

Bei leichtem Regen starte ich wieder einmal mit Poncho. Der Weg durch Beinheim ist kurz. Wieder laufe ich an schönen alten Fachwerkhäusern vorbei. Außerhalb des Ortes geht es nun auf verschiedenen Departementsstraßen mit mäßigem Verkehr weiter. Wie schon 2009 auf meiner Pilgerreise durch Frankreich springt mir der Hinweis „Sauf“ unter einem Verkehrsschild ins Auge. Dürfen hier die Radfahrer auf der Strecke saufen? Natürlich nicht, nur die Aussage „Durchfahrverbot, mit Ausnahme der Radfahrer oder gilt nicht für Radfahrer“.

Ich durchlaufe eine leicht hügelige und wellige Landschaft. Viele der Felder wurden erst vor Kurzem gepflügt oder mit der Kreiselegge bearbeitet. Auch stehen noch einige Maisfelder und warten auf ihre Ernte. Es liegt leichter Nebel über der Landschaft. Der Regen hat schnell wieder nachgelassen und es nieselt nur noch leicht vor sich hin.

Mangels Sitzmöglichkeiten nutze ich in Niederroeden bei einer Gärtnerei einen leeren Betonständer für Pflanzen als Sitzplatz. Schnell hat mich eine junge Bedienung entdeckt und zu meiner Überraschung spricht sie mich in Deutsch an. Sieht man mir das Deutsch an meiner Nasenspitze an? Ich spreche sie darauf an. Dass sie mich einen Augenblick zuvor auf Französisch angesprochen hatte, hatte ich nicht mitbekommen. Daher folgte Deutsch, denn nur das kann sie als Fremdsprache. Als ich weiter den Ort durchquere, laufe ich wieder an schönen alten Fachwerkhäusern vorbei.

Direkt am Ortseingang von Croettwiller steht ein Seitenradar mit Geschwindigkeitsanzeige. Eigentlich uninteressant für mich als Wanderer. Doch ich traue meinen Augen nicht, da wird tatsächlich meine Geschwindigkeit von 6 km/h auf der Anzeigentafel angezeigt. Das muss ich unbedingt festhalten. Also nochmals zurück und diesmal nähere ich mich erneut der Anzeige mit eingeschalteter Kamera. Ein Autofahrer überholt mich und die Anzeige springt auf 41 km/h. Nicht meine Geschwindigkeit, also nochmals zurück und wieder nähere ich mich der Anzeige. Diesmal zeigt sie 5 km/h an. Zum Fotografieren bleibe ich dämlicherweise einen kurzen Moment stehen und schwupps die Anzeige ist weg. Also nochmals auf ein Neues. Nun nähere ich mich dem Seitenradar und wieder springt die Anzeige auf 5 km/h. Diesmal kann ich meine Geschwindigkeit im Bild festhalten. Es ist nun amtlich dokumentiert, ich bin noch in der erlaubten Geschwindigkeit im Ort unterwegs :-).

Vor Trimbach steht eine große Richtungstafel mit vielen vertrauten deutschen Ortsbezeichnungen. In Trimbach in einer Boulangerie und Pâtisserie mache ich eine längere Kaffeepause.

Auf dem weiteren Weg habe ich links und auch vor mir ein Mittelgebirge. Ich bin zunächst verunsichert, sind es noch die Vogesen oder bereits der Pfälzer Wald. Dann erreiche ich die viel befahrene Departementsstraße D263. Mit leichtem mulmigen Gefühl nähere ich mich der Straße. Es gibt keinen Radweg, dafür einen breiten Randstreifen und auf dem kann ich gelassen in Richtung Altenstadt und Wissembourg laufen. Je näher ich Wissembourg komme, um so deutlicher zeichnet sich das Mittelgebirge des Pfälzer Waldes vor mir ab. Der breite Randstreifen bleibt bis zu einem Kreisverkehr in Altenstadt und dort biege ich links nach Wissembourg ab. Bereits jetzt sehe ich das erste Hinweisschild zu meinem Hotel. Von der Hauptstraße muss ich noch einmal abbiegen und mein Hotel ist schnell erreicht.

Das Zimmer ist ok, nur eine Heizung fehlt und wird durch eine sehr laute Klimaanlage ersetzt. Ich heize einmal auf 23 Grad auf und schalte dann die nervige Anlage komplett ab.

203. Etappe: 19. November 2013

Hügelsheim – Beinheim (Frankreich)  10,8 km

Es war eine sehr gute Nacht, ohne Probleme bin ich entspannt und ausgeschlafen erwacht. Mein Wecker hatte keine Zeit mich aus dem Schlaf zu holen. Noch in der Nacht zuvor hatte ich Kopfschmerzen und konnte kaum schlafen. Ich genieße das üppige Frühstück und werde heute die kurze Etappe in den Elsass beschwingt angehen.

Hügelsheim habe ich schnell verlassen und bin bei leichtem Nebel in Richtung Hochwasserdamm unterwegs. Komme an Pferdekoppeln und an einem Gehege mit Rehen vorbei. Dann überquere ich den Rheinniederungskanal, ein unscheinbares Gewässer.

Schließlich erreiche ich den Damm und laufe auf ihm für kurze Zeit bis zur Rheinbrücke mit der Bundesstraße B500. Zunächst gibt es einen abgesetzten schmalen Betonrandstreifen, es folgt ein etwas breiterer Randstreifen nur durch Markierung von der Fahrbahn getrennt und der wird schließlich wieder zu einem recht schmalen Streifen. Der entgegenkommende Verkehr fährt hier recht langsam. Dabei überquere ich den Rheinkanal, einen See und komme dann an einem Kraftwerk vorbei. Als Erstes sehe ich das Hinweisschild, das in etwas einem Kilometer die Straße zu einer Schnellstraße wird, also für Fußgänger und Radfahrer gesperrt ist. Dann erreiche ich den Rhein und nun versperrt mir ein Fußgängerverbotsschild den Weg. Das kann nicht sein! Für mich als Wanderer mal eben umdrehen und die nächste in einigen Kilometern entfernte Brücke nehmen, ist mit einem riesigen Umweg verbunden und nicht denkbar für mich. Ich beachte das Schild nicht und gehe weiter. Nur die Polizei kann mich jetzt noch stoppen.

Auf der anderen Straßenseite sehe ich eine Abfahrt, doch mein Navi signalisiert mir, dass hier ist noch nicht die richtige Abfahrt! Und richtig, ich muss noch einen Kanal überqueren und dann erst kann ich runter von dieser Bundesstraße bzw. Nationalstraße. Die Überquerung dauerte etwa einen Kilometer. Dann wechsele ich die Fahrbahn und überklettere die Leitplanke. Nun bin ich auf einer kleinen Straße in Richtung des Ortes Beinheim unterwegs.

Bei einer Kontrolle meines Navis hält ein Autofahrer an und erkundigt sich nach meinem Ziel. Ich bin richtig unterwegs, und wenn ich gewollt hätte, er hätte mich sogar mitgenommen. Weiter geht es auf der wenig befahrenen Straße. Dabei komme ich an einem See vorbei und unterquere eine Brücke, dann habe ich Beinheim erreicht. Kurze Zeit durchlaufe ich den Ort und erreiche das Zentrum und schon von Weitem sehe ich das rot gestrichene Gebäude, meine heutige Unterkunft.

Die Zimmerwirtin führt mich über einen Hof zu einem Nebengebäude. Im ersten Stock befindet sich mein Zimmer. Alles ist neu umgebaut und erst seit einem Monat gibt es bei diesem Restaurant ein Chambres D’Hotes. Mein Zimmer ist sehr modern gestaltet. Mir gefällt es gut. Da ich noch Kaffeedurst habe und es in unmittelbarer Nähe eine Boulangerie und Pâtisserie gibt, stelle ich meinen Rucksack ab und begebe mich dorthin. 

198. Etappe: 14. November 2013

Sasbach – Rheinhausen  16,9 km

Wieder ist nicht leicht ein Einzelzimmer zu buchen. Ich bin in der Nähe des Europaparks in Rust. Es werden fast nur Ferienwohnungen angeboten und bei den Pensionen und Gästehäusern nur Doppel- und Mehrbettzimmer, genau passend für die Besucher des Parks. Wanderer sind hier hoffnungslos in der Minderheit und das bringt wohl auch kein Geld. In einem Internetportal stoße ich auf ein Appartement. Hier ist der Preis für das Appartement fest und akzeptabel. Lediglich das Frühstück fehlt, dafür gibt es ein Thairestaurant.

Auf dem Weg über den Hof zum Frühstück nieselt es leicht. Doch beim Verlassen des Gasthofes ist es wieder trocken. Ich folge heute einem Radwanderweg mit dem Namen „Veloroute Rhein“. Glücklicherweise schlängelt er sich abseits des zur Zeit langweiligen Rheins. Ich laufe mehr durch Obstplantagen als durch Weinfelder. Der Nebel bedeckt die Landschaft mit einem leichten Schleier. Nur die nähere Umgebung ist gut erkennbar. In der Ferne sehe ich die Berge nur in schwachen Umrissen. Es ist kalt und wieder bin ich mit Mütze und Handschuhe unterwegs. Auf den kleinen Straßen und Wirtschaftswegen begegnet mir niemand. Der eigentlich für gestern geplante Zielort Wyhl liegt nun vor mir, doch von seiner schlechtesten Seite. Ich nähere mich Kränen, Silos und Lagerhallen. Es ist das Gewerbe- und Industriegebiet von Wyhl. Als ich es erreiche, sind mehrere neue Hallengebäude darunter, dann aber folgen wieder ältere Bauwerke und bei einer Einfahrt zu einer Mechanischen Werkstatt mache ich eine Pause. Nun ist die Stunde meines neuen, alten Isomattenzuschnitts gekommen. Es ist ein Betonsockel, auf dem ich mich setzte. Mein Hintern bleibt warm, nur sonst ist es mir nach kurzer Zeit zu kühl. Ich muss wieder weiter und mich bewegen. Den Ortskern erreiche ich nicht, es geht am Ortsrand, an einer Neubausiedlung vorbei. Danach biege ich wieder einmal auf eine Landstraße ohne Radweg ab. Dies nur für eine kurze Zeit und dann hat mich die Einsamkeit eines Wirtschaftswegs wieder eingeholt.

Kurz vor Weisweil finde ich die erste Bank. Jetzt lässt sich, wenn auch nur immer wieder für einen kurzen Moment, die Sonne blicken. Ich telefoniere mit einem ehemaligen Arbeitskollegen, als vor mir ein Auto einbiegt und zwei Schäferhunde davor laufen. Ich werde Zeuge des modernen „Gassifahrens“. Mein Telefonat hindert mich, diese neue Variante des Gassigehens fotografisch festzuhalten. Wenn das in Zukunft um sich greift, oh arme bewegungslose Gesellschaft. Dann später stöhnen und sich über die vielen Pillen, fürs Herz, gegen den Bluthochdruck und gegen den Blutzucker, beschweren.

In diesem Zusammenhang fällt mir sofort wieder ein dicker Wirt ein, der zurückgelehnt im Stuhl saß, jedoch mehr lag als saß. Seinen Schmerbauch vor sich herstreckte, dabei die breiten Hosenträger verrutscht seitlich neben dem Bauch lagen und zu seinem Sitznachbarn sprach: „Kann man die vielen Pillen nicht durch homöopathische Mittel ersetzten?“ Mir kam dabei sofort in den Sinn: „Trink und esse nicht soviel!“ Dazu noch etwas Bewegung, das hilft auch!“ Ich drücke es hier etwas vornehmer aus, als es mir tatsächlich zu diesem Zeitpunkt in den Sinn kam :-).

Nur noch in Weisweil begegnen mir ein paar Mütter mit ihren Kindern, dann bin ich wieder alleine unterwegs. Noch vor Rheinhausen ziehen dunkle Regenwolken auf. Ich riskiere es und verzichte den Poncho rauszuholen. Oberhausen, ein Ortsteil von Rheinhausen, durchlaufe ich am Rand, dann erreiche ich endlich den Zielort Niederhausen. Als ich vor dem Thairestaurant stehe, ist es verschlossen. „Es fängt gut an,“ denke ich! Doch der Anruf sorgt schnell für Abhilfe und ich betrete ein geräumiges und modernes Appartement. Es gibt zwei Schlafzimmer, ein Bad und der Flur ist gleichzeitig auch Küche. Hier steht ein Kaffeeautomat. Kaffeebohnen sind drin und kostenlos zu nutzen.

Der einzige Wermutstropfen, dies merke ich erst zur Nachrichtenzeit, der SAT-Receiver ist total verstellt und zu keiner Anzeige bereit. Für mich nicht so schlimm, es geht auch ohne.

Heute genieße ich ein leckeres Thaigericht, dann geht es zurück ins Appartement. Ich plane für die nächsten zwei Tage und buche bereits auch. Am Samstag werde ich Kehl am Rhein erreichen. Strasbourg auf der anderen Rheinseite werde ich jedoch nicht besuchen. Dort war ich erst vor einem Jahr. 

197. Etappe: 13. November 2013

Breisach – Sasbach am Kaiserstuhl  18,8 km

Eigentlich hatte ich meine heutige Etappe bis Wyhl geplant, doch dort finde ich keine Unterkunft. Auch im Ort danach sieht es nicht besser aus. Erst in Rheinhausen gibt es wieder etwas. Das ist aber deutlich über 30 Kilometer und so konzentriere ich mich rückwärts. In Sasbach werde ich schließlich fündig.

Als ich die Pension verlasse, ist es kalt und bewölkt. Mein erster Weg, wenn schon in der Straße Rheinufer, gilt, natürlich dem Rhein. Dort ist noch nichts los. Am gegenüberliegenden Ufer gibt es eine Zusammenkunft der Schwäne. Vom Rhein muss ich zurück auf die Hafenstraße. Diese führt mich zunächst durch das Gewerbe- und Industriegebiet von Breisach. Vorbei geht es an große Speichersilos, Lagerhallen, Betonfabrik mit dem Namenszusatz „Beton & Design“. Ich sehe aber nur Betonklötze in einfachen Formen. Es folgen Autohändler und Baumarkt. Dann neben einer Großen und inzwischen in die Tage gekommenen Lagerhalle entsteht eine Eventhalle. Auf der gegenüberliegenden Rheinseite wieder Silos irgendeiner Fabrik. Diese Eventhalle hat das ideale Umfeld zum Feiern :-). Wahrscheinlich kann man hier bis in die Nacht ohne Rücksichtnahme lärmen. Das ist aber auch das einige Schmankerl in dieser tristen Umgebung.

Danach biege ich Richtung Rhein ab, doch zunächst geht es noch an einem duftenden Klärwerk vorbei und durch den Wald, bis ich endlich den Rhein erreiche. Der Weg hinter dem Damm führt an einem kleinen Bachlauf mit Waldgebiet entlang. Wald habe ich schon genug gesehen und so steige ich hoch auf den Damm, um wenigstens den Rhein und die gegenüberliegende französische Uferseite zu sehen. Eine leichte Enttäuschung macht sich bei mir breit. Der Rhein ist hier noch recht schmal und noch wirkt alles auch hier oben ziemlich triste. Auf der französischen Seite nur Bäume und der Rheinverlauf wirken auf mich irgendwie begradigt. Dazu liegen noch in der Ferne leichte Nebelschwaden auf dem Rhein.

Vor mir in einiger Entfernung zwei Gassigeher mit drei Hunden. Ansonsten ist hier nichts los. Nach einiger Zeit verschwinden auch die Gassigeher. Nun bin ich alleine. Lange Zeit begegnen mir weder Radfahrer noch Fußgänger. Zu allem Übel gibt es auch keine Bänke. Hier kommen wohl nur Radfahrer im Sommer vorbei und für die sind keine Bänke vorgesehen.

In der Ferne sehe ich ein den Damm überspannendes Transparent. Was es bedeutet, erkenne ich zunächst nicht. Als ich es erreiche, verweigert es mir den Durchgang mit Bußgeldandrohung. Hier erfolgen Baumfällarbeiten. Die Arbeiter waren wohl zu faul das Transparent etwa einen Kilometer weiter bei einer kleinen Brücke über den Bach aufzustellen. Dann hätte ich es wohl akzeptiert, so aber laufe ich weiter. Jetzt bin ich zu faul nochmals einen Kilometer zurückzulaufen! Ich nähere mich zwei Attrappen. Beim Näherkommen sind es jedoch Personen, sie bewegen sich für mich nicht erkennbar. Auf der anderen Bachseite versucht gerade ein Waldarbeiter die Kettensäge anzuschmeißen. Doch die streikt zumindest, bis ich an den Personen vorbei bin. Man beachte mich überhaupt nicht. Gut, dass ich nicht zurückgegangen bin. Alles wäre nur unnötige Latscherei gewesen. Dann erreiche ich das zweite Transparent und hier gibt es auch eine Brücke. Vermutlich haben die Aufsteller hier in der Nähe ihr Fahrzeug geparkt. Laufen st heute nicht mehr angesagt!

Dann nähere ich mich einem Teich und einer Kies- und Sandfabrik. Hier ziehe ich mein Smartphone-Navi zusätzlich zurate und sehe, hier kann ich schräg über Burkheim und Jechtlingen meinen Zielort erreichen. Vielleicht finde ich hier etwas Abwechslung. Der Rheinverlauf ist momentan nur langweilig und ohne Abwechselung.

Unterwegs auf dem Weg nach Burkheim, vorbei an einem Badebereich des Baggersees, begegne ich einer Spaziergängerin und unterhalte mich einige Zeit mit ihr. Sie unternimmt öfters Touren bis zu 15 Kilometer in der Umgebung, erzählt sie mir. Weiter geht es nach Burkheim. Bei einem Antiquariatsmarkt für alte Gartenmöbel stehen verführerisch zwei massive Holzbänke. Den Mann davor, es ist der Inhaber des Antiquariatsmarktes, frage ich, ob ich hier eine Pause machen darf. Ja, ich darf und bekomme als Sitzunterlage ein Lammfell angeboten. Nun sitze ich warm und bequem und wir sind schnell im Gespräch. Auch er macht ab und zu längere Wanderungen. Dazu gehört auch eine Alpenüberquerung bis nach Venedig und in der letzten Zeit öfters auch Wanderungen in den vor der Haustür liegenden Vogesen. Dann bietet er mir an eine Sitzunterlage zuzuschneiden. Er hat noch eine alte Isomatte. Natürlich nehme ich an. Wir schneiden sie gerade so groß, dass mein Allerwertester darauf Platz hat. Es folgt eine Einladung zu einer Tasse Tee und einer Apfelschorle im warmen Inneren. Neben mir ein alter eiserner Kohle- und Holzofen. Immer wieder befeuert er ihn mit Holzscheite. Es ist gemütlich warm. Aus einem Tee werden zwei Tassen und wir plaudern weit über eine Stunde miteinander. Es war angenehm und unterhaltsam. Bei so einer Plauderei vergesse ich gerne die Lauferei. So etwas ist das Salz in der Suppe bei meiner Umrundung.

Er empfiehlt mir unterhalb der Burg links wieder zum Rhein und von dort nach Sasbach zu laufen. Doch vom momentan tristen Rhein habe ich genug gesehen und werde in den nächsten Tage an ihm noch viele Kilometer weiterlaufen. Ich entschließe mich, weiter an der Straße entlang zu laufen. Zunächst geht es durch den netten kleinen Ort unterhalb der Burg, dann bin ich auf der Landstraße. Je weiter ich laufe, um so tiefer bin ich im Weinanbaugebiet des Kaiserstuhls. Um mich herum Weinfelder und –hänge. Alles überwiegend in gelben Farbtönen getaucht. Dabei etwas Grün und Braun. Das Gelb der Obstbäume erstrahlt im herrlichen Gelb, obwohl sich die Sonne überhaupt nicht blicken lässt. Ich bin froh diesen Weg gewählt zu haben.

Die Straße ist an einigen Stellen unangenehm zu laufen, doch inzwischen habe ich mir ein dickes Fell angeeignet und genügend Gottvertrauen. Auch die Passagen überstehe ich und erreiche schließlich Sasbach und den Gasthof mit Pension. Als ich den Gastraum betrete, empfängt mich eine Ausstattung der 60er Jahre, doch irgendwie gemütlich. Die meisten Tische sind belegt. Das Gästehaus ist über den Hof erreichbar und modern eingerichtet. Ebenso auch das Zimmer.

Nach dem Duschen begebe ich mich wieder in den Gastraum. Bestelle ein Gericht mit Spätzle und dazu einen Rote aus Sasbach. Das Essen ist gut und reichlich und der Wein schmeckt vorzüglich. Hier arbeite ich noch, bis mein Notebook-Akku streikt.

195. Etappe: 11. November 2013

Titisee – Freiburg im Breisgau (Mit Bahn unterwegs)

Am gestrigen Abend versuche ich Alternativrouten durchzuplanen. Immer muss ich zunächst noch höher bis auf knapp unter 1000 Meter. Erst dann geht es wieder runter. Alle Routen führen durch den Wald auf Waldwegen und nicht auf Wirtschaftswegen Richtung Freiburg. Die einzige Möglichkeit dem Schnee zu entgehen, führt an der Straße entlang, davon größtenteils an der Bundesstraße B31. Nach meiner Karte gibt es teilweise einen Weg in der Nähe der Straße, sicher ist das aber nicht. Gibt es diese Wege nicht, bewege ich mich auf einer stark befahrenen Straße. Die Straßen verlaufen in Serpentinen abwärts. Noch bin ich nicht sicher, welche Alternative ich wählen werde.

Am heutigen Morgen entschließe ich mich keine der gestrigen Alternativen zu wählen, sondern mit der Bahn nach Freiburg zu fahren. Mit der Gästekarte geht das kostenlos.

Im Hotel in Freiburg lese ich, dass es mit Schneebeginn ein Chaos im Hochschwarzwald gab. Viele Autofahrer konnten am ersten Tag damit nicht umgehen. Es kam zu zahlreichen Unfällen. Und ich als Fußgänger an der Straße wäre dann mitten im Geschehen unterwegs. Kein wirklich schöner Gedanke. Meine Entscheidung war richtig gewesen.

Nun beginnt die Suche nach einer Unterkunft. Scheinbar einfach, doch ich komme bereits am Vormittag an. Das frühste Einchecken ist um 14 Uhr, oft auch erst um 15 Uhr. Übrig bleibt ein kleines Hotel in der Nähe des Rathauses. Über ein Suchportal im Internet ist ein Einchecken auch früh möglich. Sicher ist sicher und ich rufe direkt dort an. Dort wird mir das Zimmer zehn Euro teurer und mit einer frühsten Belegung ab 14 Uhr angeboten. Also buche ich über das Internet und rufe nach Mitteilung der Buchungsnummer nochmals dort an. Jetzt ist das Zimmer auch bereits ab 10 Uhr belegbar.

Noch vor dem Frühstück schneit es wieder. Inzwischen liegt eine etwa zehn Zentimeter dicke Schneedecke. Als ich kurz vor 10 Uhr die Pension verlasse, hat es aufgehört zu schneien. Die Fahrt nach Freiburg erfolgt mit der Höllentalbahn. Dass es fast 600 Meter abwärtsgeht, merkt man. Die Bahn fährt beständig bremsend talabwärts. In Himmelreich – auch da bin ich nun zu Lebzeiten gewesen 🙂 – ist der erste Stopp und der Schnee ist verschwunden, es folgen Kirchzarten und Vororte von Freiburg. Dann erreiche ich den Hauptbahnhof von Freiburg. Von hier ist der Rathausplatz und in unmittelbarer Nähe davon mein Hotel schnell erreicht.

Es ist einiges los auf dem Rathausplatz. Etliche Personen warten mit bunten Kappen auf irgendein Ereignis. Seitlich am Rathaus steht ein Pferdewagen, darauf positioniert eine TV-Kamera. Am Brunnen wartet ein Bierfass auf den Anstich. Ich frage irritiert nach dem Grund dieses bunten Treibens. Und erhalte als Antwort: „Es ist der 11.11 und um 11:11 Uhr wird der traditionelle Fastnachtsbeginn ausgerufen.” Wenige Augenblicke später, pünktlich um 11:11 Uhr, geht es los. Es erfolgt eine Ansprache, dann die Zweite vom Vertreter des Oberbürgermeisters und dann der Bieranstich. Zu trinken bekommen aber nur ein paar Auserwählte, ich gehöre nicht dazu.

Unmittelbar danach begebe ich mich ins Hotel und kann auch gleich mein Zimmer beziehen. Es ist ein geräumiges und modern eingerichtetes Zimmer. Nur kurz halte ich mich dort auf, dann geht es auf einen Streifzug durch die Altstadt. Natürlich gehört auch das Freiburger Münster dazu. Hier steige ich etliche Stufen zum Turm hoch. Kurz vor dem Ziel muss ich noch Eintritt bezahlen. Geschickt gelöst, jetzt erst die Kasse, jeder will nun weiter und zahlt. Oben angekommen ist hier eine Baustelle und Gitter versperren den sonst freien Blick über die Stadt.

An einem französischen Wurststand vor dem Münster kaufe ich mir aus purem Appetit eine Salami mit Roquefort. Salami gibt es in den verschiedensten Variationen und Zutaten. Ich muss mich zurückhalten, nicht noch weitere Würste zu kaufen. Dann geht es zurück ins Hotel.

Dort beginnt nun die Neuplanung meiner weiteren Etappen. Ursprünglich wollte ich den Kandel Höhenweg ab Freiburg laufen. Doch der führt mich wieder in den Schwarzwald und es geht wieder auf über 800 Meter. Als Alternative kommt nur noch der Weg am oder in der Nähe des Rheins infrage. Dort bin ich dann in unmittelbarer Nähe zu Frankreich.

Abends gegen 20:30 Uhr bekomme ich Hunger und so begebe ich mich in die Altstadt. Doch hier scheint man um diese Zeit die Bürgersteige hochzuklappen. Ich finde nur geschlossene Gasthöfe und Restaurants. Bei einem Imbiss, auch dort wird bereits der Feierabend eingeläutet, erhalte ich noch eine der letzten Bratwürste. 

196. Etappe: 12. November 2013

Freiburg – Breisach am Rhein  28,7 km

Als ich den Frühstücksraum betrete, falle ich gleich mit meiner schmutzigen Wanderhose, den Wanderschuhen und dem roten Shirt mit weißen Salzrändern auf. Alle hier sind so adrett mit Kombination oder Anzug angezogen. Ein Anzugträger nimmt mich kurz ins Visier und wendet den Blick sofort wieder von mir. Das Ganze wirkt arrogant, doch verständlich, ich passe nicht in das Klischee der Gäste dieses Hauses. Ich wäre lieber nicht hier, doch was anderes habe ich nicht gefunden. Nur die Preisklasse nach oben war noch offen. Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig und so verwöhne ich mich mit den Angebotenem.

Gestern noch angenehm warm, heute Morgen jedoch empfindlich kalt. Ich ziehe bereits am Hoteleingang Mütze und Handschuhe an. Lange brauche ich um den Stadtrand von Freiburg zu erreichen. Der Weg danach geht viel an der Straße entlang, doch immer gibt es einen separaten Radweg. Gegen Mittag habe ich einen fast wolkenlosen blauen Himmel mit Sonne. Die Kraft der Sonne ist jedoch nicht mehr stark und so bleibt es kalt und ich trage weiterhin meine Mütze.

Nach dem kleinen Ort Opfingen trete ich in eine andere Welt ein. Nun bin ich im Weinanbaugebiet Tuniberg. Um mich herum überall Weinberge und -felder. Leider bin ich hier viel zu spät und so kann ich nicht mehr naschen. Mein Weg jetzt führt an einer Straße ohne Radweg entlang. Einen Mann im Weinfeld spreche ich an. Er stammt aus Rumänien und lebt mit seiner Familie in Deutschland. Spricht ganz gut Deutsch und ist stolz hier in für das Weingut zu arbeiten. Da wo er gerade arbeitet, wächst eine Sorte, die, wie er mir erklärt, „blutroten“ Wein hervorbringt. Das Gebiet des Tunibergs erstreckt sich fast von Freiburg bis nach Merdingen, dem nächsten Ort auf meiner Route.

Merdingen ist ein netter kleiner Weinort mit einigen schönen alten Fachwerkhäusern. Es folgt der Ort Ihringen und nun erlebe ich den Sonnenuntergang. Ich muss mich sputen, denn jetzt dauert es nicht mehr lange und ich laufe in der Dunkelheit.

Etwa drei Kilometer vor Breisach ist es bereits dunkel. Glücklicherweise kann ich auf einem separaten Radweg laufen. Mit Stirnlampe geht es nun meinem Zielort entgegen. Als ich das Café und Restaurant betrete, ist es kurz nach 18 Uhr. Nur wenige Gäste sind noch im Raum. Ich werde darauf hingewiesen, dass die Küche um 20 Uhr schließt.

Ich schaffe es noch zum Abendessen, doch danach geht es gleich vor Müdigkeit ins Bett. Die lange Etappe und wohl auch die leichte Erkältung fordern ihren Tribut.  

194. Etappe: 10. November 2013

Gündelwangen – Titisee (Mit Bus und Bahn unterwegs)

Irgendwann nachts wache ich auf und höre ein tropfendes und fließendes Geräusch. „Mist, warum können die im Gasthaus nicht die Heizkörper gescheit entlüften“, denke ich und schlafe aber wieder ein. Gegen 6 Uhr holt mich mein Wecker endgültig aus dem Schlaf. Wieder diese Geräusche. Doch diesmal gehe ich zum Fenster und öffne es kurz. Was ich schon in der Nacht gehört habe, ist der Regen und es sind die Fließgeräusche des Wassers in der oberhalb des Fensters verlaufenden Regenrinne.

Kurz vor dem Frühstück arbeite ich meine Route neu aus. Ich muss an der Straße entlang, im Gelände erwartet mich nur Matsch und gegen Mittag dann Schnee. Zunächst suche ich wieder einmal im schlechten Mobilfunknetz eine Unterkunft in Titisee. Gar nicht so einfach, einige Gästehäuser sind bereits geschlossen. Als die Zimmerwirtin hört, dass ich Wanderer bin, erklärt sie mir das Zimmer nur bis 16 Uhr zu reservieren. Ich muss, wenn es später wird, nochmals anrufen. Sie hat schlechte Erfahrung mit Wanderer gemacht, die zwar buchen, dann aber nicht auftauchen. Ich versichere ihr, ich komme und werde natürlich, wenn es später wird, anrufen. „Hoffentlich habe ich um diese Zeit ein Mobilfunknetz“ schießt es mir durch den Kopf.

Nach dem Frühstück regnet es immer noch und der Regen hat auch noch deutlich zugenommen. Ich denke erstmals über eine Busfahrt nach Titisee nach. Von der Frühstücksbedienung lasse ich mir den Weg zur Bushaltestelle erklären und erhalte auch ein altes Fahrplanbuch des örtlichen Verkehrsverbundes. Die passende Linie von Gündelwangen nach Neustadt am Titisee ist schnell gefunden und im Internet finde ich auch die aktuelle Abfahrtzeit für Sonntagmorgen. Nur alle zwei Stunden fährt ein Bus. Nochmals ein Blick auf meine Route, es geht größtenteils an der Straße und an einer Bundesstraße entlang, und meine Entscheidung für den Bus ist gefallen. Dann noch ein Anruf bei der Pension und ich darf bereits ab Mittag das Zimmer beziehen.

Seit Tagen habe ich, mal weniger, mal mehr Schmerzen im hinteren Ober- und Unterschenkel, im Bereich der Kniekehle. Als es anfing, versuchte ich mit zusätzlichen Dehnübungen dagegen zu halten. Die Dehnungen kombiniert mit einer wärmenden Salbe brachten keinen Erfolg, waren eher kontraproduktiv. Es wurde schlimmer. Dann begann ich mit Schmerzmittel, die ja auch entzündungshemmend wirken und einem Schmerzgel. Jetzt wurde es deutlich besser. Unterwegs vor Konstanz bekam ich das Wundermittel und setzte das Schmerzmittel und die Salbe zunächst einmal ab. Die lange Etappe mit einigen Steigungen am Freitag zeigt mir jedoch, so Wunderhaft ist das Mittel zumindest für diese Krankheit – wohl eine Sehnenentzündung – nicht. Die heutige Etappe mit Bus und Bahn wird mir, nun wieder mit Schmerzmittel und Schmerzgel, sicher gut tun.

Rechtzeitig laufe ich bei strömenden Regen zur Bushaltestelle und muss kurz, leider ohne Wartehäuschen, warten. Der Bus kommt glücklicherweise pünktlich. Die Fahrt ist mit der Gästekarte kostenlos. Bis kurz vor Neustadt regnete es und fast mit Erreichen der Stadtgrenze fällt nun der erste Schnee. Am Gleis des Bahnhofs, auf den Regionalzug wartend, werden die Schneeflocken dicker, bleiben jedoch noch nicht liegen.

Bei Ankunft in Titisee beginnt der Schnee doch langsam Spuren zu hinterlassen. Auf meinem Weg vom Bahnhof zur Pension erreiche ich den Wanderweg „Westweg“, am Laternenpfahl klebt die mir gut bekannte Wegemarkierung „Rote Route auf weißem Grund“. Ein schmaler Weg führt von der Straße zum See. Genau hier bin ich bereits 2009 zum See gelaufen. Damals hatte es einige Zeit vorher geregnet und ich hatte schon damals den blauen Poncho halb an. Die Badegäste beäugten mich neugierig aber auch kritisch, ich war ein Exot unter ihnen.

Damit schließt sich der Kreis mit meiner jüngeren Vergangenheit, meiner ersten großen Wanderschaft und Pilgerreise 2009 von Darmstadt nach Santiago de Compostela und Kap Finistere. Zuvor die beiden schönen Treffen mit Monika und Roland am Bodensee und am Freitag mit Rita und Dani, meinen Pilgerbekanntschaften aus 2009. Irgendwie kommt ein bisschen Wehmut bei den Gedanken an diese wundervolle Zeit in mir hoch.

Dann geht es weiter zur Pension. In meinem Zimmer ist bereits die Heizung an und es ist mollig warm. Genau richtig, wenn man aus der Kälte kommt.

Jetzt beim Schreiben des Berichtes hat es sich richtig eingeschneit. Auf den Bäumen und Dächern bleibt der Schnee liegen. Die Schneehöhe nimmt langsam zu, momentan sind es etwa 4 – 5 Zentimeter, jedoch weiter steigend. Ich werde meine morgige und vielleicht auch die weitere Route umplanen. Zunächst geht es auf jedem Fall noch über 900 Meter. Schwierig wird es wieder eine Unterkunft zu finden. Dann am Dienstag laufe ich in Freiburg ein, damit endet mit Sicherheit der weiße Zauber. Freiburg liegt unterhalb 300 Metern.  

192. Etappe: 08. November 2013

Welschingen – Achdorf
Distanz: 27,4 km; Aufstiege: 715 m; Abstiege: 668 m

Wieder beginnt ein wunderbarer Wandertag. Über mir ein blauer Himmel und ein paar weiße Wolken. Die Sonne gibt sich bereits Mühe, doch noch klappt es nicht wirklich und es bleibt noch recht kühl. Zunächst muss ich an der Straße entlang und durchquere dabei ein breites Tal. Links und rechts Weiden, gesäumt beiderseits von Wäldern. Dann biege ich in einen Wirtschaftsweg ein und meine erste Steigung beginnt. Schnell säumen alte knorrige Apfelbäume den Weg. Ab und zu hängen auch noch ein paar kleine rote Äpfel dran. Für mich aber unerreichbar. Die verwitternden Stämme, Äste und Zweige sind vom rauen Klima ummantelt mit zum Teil hart gewordenem Moos.

Bei einem alten Fachwerkhaus mache ich auf einer Bank unmittelbar vor dem Haus eine Pause. Mit dem Eigentümer bin ich schnell im Gespräch. Er ist interessiert, was der Zeitgenosse mit großem Rucksack so treibt. Aber auch ich erfahre etwas über sein Leben. Jetzt ist er in Rente, war Lkw-Fahrer und hat den ehemaligen Bauernhof von seinem Vater geerbt. Selbst betreibt er keine Landwirtschaft mehr. Nur drei Pferde hat er noch. Früher ist er auch bei Turnieren geritten, jetzt ist alles nur noch Hobby.

Der Weg ist ein ständiges Auf und Ab. Wenn ich in ein Tal laufe, sehe ich schon vor mir den nächsten Hügel. Fast immer habe ich eine herrliche Sicht in diese ausladende hügelige Landschaft mit ihren vielen kleinen Vulkanbergen.

In Watterdingen sehe ich eine Bäckerei mit Stehcafé und mein Verlangen nach etwas Warmen ist sofort da. In der Bäckerei gibt es doch eine Sitzgelegenheit. Sie wird kaum benutzt und so schauen eintretende Kunde zunächst irritiert nach mir hin. Sofort fällt mir ein Brotkorb mit einem darunter angebrachten Hinweis auf: „Brot vom Vortag zum ½ Preis!“ Von der Bedienung höre ich, dass dieses Angebot gut angenommen wird. Mir wird bewusst, ich bin im Schwabenland! Auch das Plakat mit der Werbung für das König Ludwig Brot & Krusti springt mir ins Auge. Provozierend frage ich die Bedienung, ob das Brot aus Bayern importiert wird. Etwas entrüstet antwortet sie: „Natürlich nicht, der Chef backt es selber.“ In der Gegend gibt es die Randegger Ottilien-Quelle und auch da ist der Chef sehr rührig und backt ein Sprudelbrot. Zum Abschied schenkt mir die Bedienung noch ein Stangenbrötchen.

Der blaue Himmel ist inzwischen durch eine fast dichte weiße Wolkendecke verdeckt. Bei einem Rastplatz mit Schutzhütte habe ich einen fantastischen Blick bis zum Bodensee. Die Schweizer Alpen sind nur in graublauen Pastelltönen erkennbar und mit den tief liegenden Wolken zum Teil verschmolzen.

Ein älteres Paar hat einen der beiden Tische in Beschlag. Um diese Sicht noch etwas zu genießen und das geschenkte Stangenbrötchen zu essen, steuere ich den Zweiten freien Tisch an. Wir sind schnell wegen der grandiosen Sicht im Gespräch. Von der Frau erfahre ich, dass sie in Singen leben und schon fast dreizig Jahre immer wieder hierhin kommen. Wie immer folgt schließlich die Frage, woher ich komme. Als sie hört, dass ich Deutschland umrunde, ist sie sichtlich beeindruckt. Meint dann zu mir: „Meiner (ihr Mann steht etwas abseits und raucht gerade) würde das nicht machen.“ Ergänzt dann aber: „Ich würde es aber auch nicht zulassen. Das ist ja so gefährlich. Man liest und hört ja immer wieder von Morden und Überfällen.“ Das kann ich so nicht im Raum stehen lassen und erkläre ihr, dass ich nun schon seit sieben Monaten unterwegs bin. Noch nie eine gefährliche Situation hatte, außer bei Auto- und Radfahrern. Sie erwidert dann: „Ja mit 50 Jahren kann man noch so etwas machen.“ Ich antworte: „Nicht 50, sondern mit 65 Jahren.“ Ihr Erstaunen ist groß. Sichtlich beeindruckt wendet sie sich an ihren und sagt: „Unglaublich! Siehste, mit Wandern bleibt man jung.“ Dann will sie wissen, wie viel Kilometer ich zu Fuß gelaufen bin. Als ich ihr antworte: „Um die 4200 km“, dreht sie sich wieder zu ihrem Mann und sagt: „Willi, das ist noch ein richtiger Mann!“ Meine Brust schwillt bis auch „Arnold Schwarzeneggerformat“. „Es wird Zeit, ich muss weiter“, erkläre ich den beiden. Die Frau inzwischen richtig fürsorglich, bietet mir ein belegtes Brötchen und eine Flasche Mineralwasser an. Ich nehme dankend an. Schultere meinen Rucksack und verabschiede mich von den beiden. Ein Stück weiter drehe ich mich nochmals um, ihre Blicke sind noch auf mich gerichtet. Ich winke ihnen nochmals zu und gehe mit raumgreifenden Schritten wie ein „richtiger Mann“ von dannen. Erst als ich sicher bin, sie sehen mich nicht mehr, ändert der richtige Mann wieder das Tempo und schreitet gemächlicher weiter.

Immer mehr laufe ich auch durch Wald oder durch Felder, dann aber in der Ferne der dunkle Nadelwald. Ich bin im Schwarzwald definitiv angekommen. Der als Querweg Freiburg Bodensee (auch Schwarzwald Querweg genannt) exzellent ausgeschilderte Wanderweg führt durch wundervolle Landschaften. Ich genieße immer wieder auf einer Bank, und die gibt es hier öfters, diese grandiosen Aussichten. Die Zeit schreitet voran und ich habe noch 9 Kilometer bis nach Achdorf.

Vor mir rechts erreiche ich Zollhaus-Blumberg. Nun muss ich noch den vor mir liegenden und bewaldeten Hügel überqueren. Die Dämmerung ist da und vor mir ein ungekanntes Gebiet. Ich habe hier abweichend vom Wanderweg eine eigene Route, direkt nach Achdorf zusammengestellt. Nun wird es mir doch etwas mulmig. Was erwartet mich bei Dunkelheit auf diesen Wegen, gibt es sie noch oder muss ich wieder zurück. Genau zum richtigen Zeitpunkt wird vor mir eine Alternativroute mit 5,5 Kilometern über Blumberg rechts am Hügel vorbei ausgewiesen. Ich nehme diesen Weg und erreiche nach knapp zwei Kilometer Blumberg.

Es fängt an zu regnen und so packe ich nicht nur meine Stirnlampe, sondern auch wieder einmal meinen Poncho aus. Am Ende des Ortes endet auch der Fußweg und ich laufe nun im Dunkeln an der Straße ohne Radweg entlang. Drei Kilometer muss ich nun unbeschadet überstehen, dann bin ich in Achdorf. Die Straße verläuft mit S-Kurven und zum Glück kommen mir nur wenige Fahrzeuge entgegen. Am Ortsrand von Achdorf schalte ich mein Smartphone-Navi ein, es sind noch 400 Meter bis zum Gasthof. Rita und Dani haben bereits angerufen. Ohne zu antworten, laufe ich weiter zum Gasthof. Kurz vor einer Brücke, ich sehe den Gasthof schon vor mir, kommt der nächste Anruf. Jetzt antworte ich und in diesem Augenblick höre ich auch schon lautes Lachen. Am Gasthof stehen winkend Rita und Dani. Beide sind ebenfalls gerade eingetroffen. Ein punktgenaues Wiedersehen!

Bevor wir uns begrüßen, muss erst noch ein Foto von meiner Ankunft gemacht werden. Das gestaltet sich schwierig. Nun folgen wie im Film J sich wiederholende Aufnahmeszenen. Mal bin ich zu schnell, dann blendet meine Stirnlampe, beim nächsten Mal ist es zu dunkel. Nach einigen Versuchen geben wir lachend auf. Nun folgt die sicher auch bühnenreife Begrüßung. Wir freuen uns, uns endlich nach vier Jahren wiederzusehen. Unsere gemeinsame Pilgerzeit war eine wunderschöne Zeit und wir hatten damals viel Spaß miteinander. Manchmal waren wir richtig ausgelassen.

Wir waren gerade erst von Genf auf der Via Gebennensis unterwegs, als wir einen kleinen Ort hinter Genf auf einer Anhöhe erreichten. Es war eine schmale Straße und auf der einen Seite stand ein gut gefüllter Pflaumenbaum und auf der anderen Seite grenzte ein Gartengrundstück mit einem kleinen Zaun an der Straße. Wir naschten von den köstlichen Pflaumen und spukten wie in einem Wettkampf die Kerne in Richtung Gartengrundstück. Als plötzlich eine ältere Frau dort stand. Glücklicherweise bekam sie keinen Kern ab. Sie sprach uns in Deutsch freundlich an und fragte uns, ob wir etwas Kühles zum Trinken möchten. Es war heiß und wir willigten gerne ein. Wenige Augenblicke später kam sie mit Eiswasser zurück.

Auch unvergessen war eine Unterkunft in einem großen Landhaus in einem riesigen Grundstück. Davor ein Swimmingpool, den wir auch ausgiebig nutzten. Unser Abendessen nahmen wir unter einem großen alten Eichenbaum ein. Über uns zur Dekoration ein Kronleuchter.

Dann geht es in den Gasthof. Kaum bin ich eingetreten, empfängt mich die Wirtin mit: „Unser Wanderer Herr Bach ist da.“ Alle Augen der Anwesenden sind auf mich gerichtet, ich falle mal wieder mit dem halb angezogenen blauen Poncho auf. Die Wirtin gibt mir den Zimmerschlüssel und meint: „Alle Treppen hoch.“ Auch das noch! Im Flur setze ich meinen Rucksack ab. Dani und Rita sollen ihn einmal heben. Rita schultert ihn kurz entschlossen und trägt ihn bis zu meinem Zimmer. An ihrem Gang sehe ich, so leicht fällt ihr das Tragen nicht.

Nach dem Frischmachen sitze wir im gut besuchten Gasthaus und feiern unser Wiedersehen. Die heutige Etappe war lang und anstrengend gewesen und so bestelle ich erst einmal ein großes Radler. Schnell sind wir bei den vielen gemeinsamen Geschichten und vergessen dabei ein Gericht auszuwählen. Die Bedienung und auch die Wirtin kommen mehrmals zu uns an den Tisch. Zur Feier des Tages bestellen wir verschieden Wildgerichte. Zum Abschluss gibt es noch ein Eis und bei mir brennt eine Wunderkerze darauf. Extra für mich arrangiert. 

Die gemeinsamen, aber auch die getrennten Caminoabschnitte bieten unendliche Geschichten und so finden wir erst zu Mitternacht, die anderen Gäste sind längs verschwunden, ein Ende. Danke liebe Rita und Danke lieber Dani für die Einladung und diesen wunderbaren Abend.

191. Etappe: 07. November 2013

Singen – Welschingen
Distanz: 17,2 km; Aufstiege: 541 m; Abstiege: 464 m

Als ich die Jugendherberge verlasse, empfängt mich ein wunderschöner Wandermorgen: „Blauer Himmel, weiße Wolken und strahlende Sonne“. Noch nicht sehr warm, doch das kann ja noch werden.

Zunächst muss ich erst einmal quer durch Singen und dann bewege ich mich auf den Singener Hausberg „Hohentwiel“ mit seiner Burgruine zu. Ich ahne es schon, hier muss ich hoch. Für die Autofahrer steht das Schild „19 %“ Steigung am Straßenrand. Meine Route führt mich vorher davon weg auf einen unbefestigten Weg. Zunächst geht es noch moderat bergauf, doch dann nach einer Kurve beginnt auch hier der Aufstieg über Serpentinen. Glücklicherweise muss ich nicht ganz bis zur Burgruine hoch. Der Anstieg endet bei einem Bauerhof und führt um den Berg herum auf die andere Seite. Hier habe ich jetzt einen herrlichen Blick in die weite Ebene.

Aus dem weißblauen Himmel ist ein stark bewölkter Himmel geworden. Diese dicken Wolkenhaufen faszinieren mich immer wieder. Mit ihrem Grau, manchmal auch ins Bläuliche getaucht, wirken sie so mächtig und bedrohlich. Ab und zu lugt die Sonne hervor und die Landschaft erstrahlt förmlich im hellen Licht. An anderen Stellen liegt sie jedoch deutlich im Schatten der Wolken.

Dann geht es quer über eine Wiese abwärts in Richtung Autobahn, über die untertunnelte Autobahn hinweg und schließlich rein in ein Wäldchen. Das ist schnell durchschritten und nun laufe ich am weitflächigen Hang, vorbei an einigen Gebäuden, durch die weithin offene Landschaft. Ich kann gut den Bodensee, die Orte Singen und Radolfzell erkennen. An einigen Merkmalen erkenne ich auch ungefähr meine Route der letzten Tage.

Bei einer Bank, weiter mit diesem herrlichen Weitblick, mache ich meine erste längere Pause. Noch während ich telefoniere, kommt ein Auto und parkt in unmittelbarer Nähe zu mir. Eine Frau steigt aus und geht langsam in Richtung Hohentwiel. Dabei schaut sie immer wieder in ein Fernglas. Sie bewegt sich schließlich an mir vorbei in entgegengesetzter Richtung. Weiterhin immer wieder mit Blick durch ihr Fernglas. Sie macht mich neugierig. Sucht sie etwas? So ein Fernglas hätte ich auch gerne an der Oder gehabt und die unendlich vielen Vögel beobachtet.

Ich schultere meinen Rucksack und erreiche die Frau wenig später. Ich spreche sie an und erfahre, dass sie gerne die Landschaft beobachtet. Dann höre ich auch, dass sie malt und in alt hergebrachter Art auf ihren Reisen ein Tagebuch führt. Als sie hört, dass ich auf einer großen Wanderung bin, ist ihre Neugierde an mir geweckt. Sie fragt mich, ob wir nochmals zurück zur Bank gehen und uns dort weiter unterhalten können. Ich erkläre ihr, dass ich noch einige Kilometer vor mir habe. Sofort bietet sie mir an, mich dann zu meiner Unterkunft zu fahren. Auch das muss ich leider dankend ablehnen. Ich gebe ihr meine Telefonnummer und meine Internetadresse und auch die Adresse meiner heutigen Unterkunft. „Wir können uns gerne heute Abend im Gasthof weiter unterhalten“, schlage ich ihr vor, dann verabschieden wir uns.

Am Abend ruft sie nochmals an und wir haben ein längeres Gespräch. Hier erzähle ich ihr mehr von meiner Wanderschaft. Obwohl selbst keinen Computer, hat sie es bereits bei Bekannten organisiert, in meinen Blog zu schauen.

Die Landschaft ist durchzogen von Vulkanhügeln und auf einigen dieser Hügel thronen Burgruinen. Mein Weg führt mit Beharrlichkeit immer wieder zu und auf diese Hügel. Nicht bis zum Gipfel, aber ein Vorgeschmack auf die Höhe ist immer dabei. Es geht durch Wiesen und Wäldchen immer mit Blick auf diese hügelig wellige Landschaft. Ich erfreue mich an den Strukturen, Formen und auch an den Farben. Von den sieben Stunden unterwegs sein, mache ich 3 ½ Stunden Pause. Die Landschaft gefällt mir und ich genieße wieder einmal in vollen Zügen.

In der Nähe einer weiteren Ruine, es geht von der Straße weg durch die Felder. Vor mir eine Frau mit einem Golden Retriever Rüden. Ich bin beharrlich hinter ihr und sie schaut mehrfach zurück. Mein Eindruck, sie ist durch meine Anwesenheit beunruhigt. Als ich sie erreiche, spreche ich sie an und sage: „Keine Bedenken, ich laufe nicht hinter ihnen her.“ Schlagfertig und überraschend für mich antwortet sie schmunzelnd: „Wenn doch mal jemand hinter mir herlaufen würde.“ Wir kommen ins Gespräch und laufen einige Zeit nebeneinander her. Sehr interessieren tut ihr meine Motivation für eine solche Reise. Für sie schwer zu verstehen, jetzt bei meist schlechtem Wetter noch unterwegs zu sein. Ob ich sie mit meinen Gründen überzeugen konnte, weiß ich nicht. Jedenfalls erkläre ich ihr, wie sie meine Webseite bei Google findet. Sie verspricht mir, dort einmal reinzuschauen.

Bei einem kleinen Wald fängt es ordentlich an zu winden und ein bisschen mulmig ist mir schon, hier durchzulaufen. Alles geht gut und nach einer weiteren Gipfelbesteigung 🙂 sehe ich noch einige Kilometer entfernt unter mir den Ort Weiterdingen. Imposant überragen die Kirche und das Schloss diesen Ort. Zwei Schilder weisen auf meinen Zielort hin. Einmal noch 11 Kilometer und einmal mit der Angabe „direkt“ und 5,5 Kilometer. Ich entscheide mich für die Kurzvariante. Doch auch diese dauert noch. Welscherdingen kann ich nur hinter einem Waldgebiet vermuten. Selbst in und nach Weiterdingen bleibt der Ort versteckt. Schließlich kann ich ihn auf einer kleinen Straße laufend, endlich vor mir sehen. Die Wandermarkierung des Querweges schickt mich weg von der Straße mit einem großen Bogen zum Ort. Da mir aber die Wirtin erklärt hat, dass der Gasthof direkt am Weg liegt, muss ich wohl der Markierung weiter folgen. Etwa einen Kilometer vor dem Ziel ruft mich Rita aus der Schweiz an. Passend vor mir eine Bank neben einem Wegekreuz. Wir schwätzen einige Zeit und vereinbaren für Morgen ein Treffen im Gasthof meiner Unterkunft. Ich freue mich sehr, endlich Rita und Dani wieder zu sehen. Wir waren längere Zeit auf meiner Pilgerreise 2009 auf der Via Jacobi in der Schweiz und dann auch noch länger in Frankreich zusammen.

Beschwingt die beiden schon morgen wieder zu sehen, setze ich meinen Weg zum Gasthaus fort. Dieser ist jetzt schnell erreicht. Der Gasthof ist nicht mehr in Betrieb, nur noch die Fremdenzimmer. Das Abendessen fällt heute aus. 

189. Etappe: 05. November 2013

Konstanz – Radolfzell  25,5 km

Zum Frühstück setze ich mich zu meinem deutschen Zimmergenossen an den Tisch. Jetzt taut er etwas auf und ich erfahre, dass er heute mit einer Wanderung beginnt. Ich hatte zwar den Rucksack gesehen, doch nicht vermutet, dass er damit tatsächlich wandern will. Er hat gerade Zeit und möchte auf dem Europäischen Fernwanderweg E1 laufen. Allerdings in Richtung Norden. So ganz planvoll hört sich seine Wanderung nicht an. Wo er heute übernachtet, weiß er noch nicht und wo der Weg entlang führt, scheint mir, ist ihm auch nicht so klar. Nur bis Singen will er heute.

Inzwischen weiß ich, dass der E1 hier in der Gegend identisch mit meinem Schwarzwald Querweg verläuft. Bis Singen sind es schlappe 47 Kilometer. Das am ersten Tag durchzuziehen, ist ziemlich mutig oder spricht für Unerfahrenheit.

Als ich die Jugendherberge verlasse, ist es stark bewölkt und sieht in nächster Zeit nach Regen aus. Zunächst suche ich den Einstieg in den Schwarzwald Querweg. Nach einiger Zeit durchlaufe ich eine Parkanlage und ein Stück an der Straße und erreiche schließlich den Querweg. Nun geht es weiter auf meiner geplanten Route. Das Wegezeichen taucht zumindest im Waldgebiet öfters auf.

Inzwischen bin ich wieder in einem Stadtgebiet unterwegs und scrolle auf meinem Navi mehr aus Neugierde den weiteren Verlauf meiner Route. Leicht entsetzt stelle ich fest, ich bin seit geraumer Zeit in falscher Richtung unterwegs. Das Stadtgebiet ist wieder Konstanz. Ich habe eine Rolle rückwärts gemacht. Da Radolfzell am Untersee des Bodensees liegt, ist mein Irrweg nicht ganz so dramatisch. Ich entschließe mich, nun auf der Landstraße in Richtung Allensbach weiterzulaufen. Noch gibt es den Gehweg und nach einiger Zeit checke ich die Entfernung über die Straßen zu meinem gebuchten Hotel, es sind noch etwa 18 Kilometer.

Wie verabredet rufe ich im Gasthof an. Nun habe ich die Wirtin persönlich am Telefon. Wieder sind wir schnell bei der „genauen“ Ankunftszeit. Flexibilität ist bei dieser Dame nicht angesagt, nur immer wieder höre ich „genau“. Spontan lege ich mich auf 15 Uhr fest, versuche aber ihr zu erklären so ganz genau geht das nicht. Sie ignoriert dies völlig.

Angetrieben von dem genau, schalte ich nun meinen Turbo ein und hetzte weiter. Bei etwa 11 Kilometern vor dem Ziel erkenne ich, nicht um 15 Uhr, eher um 14 Uhr erreiche ich das Hotel. Es ist 11:45 Uhr und ich rufe nochmals an, um meine neue Ankunftszeit durchzugeben. Die erste Reaktion der Wirtin: „Das geht jetzt nicht mehr.“ Nun platzt mir aber der Kragen und ich erkläre ihr mit deutlich energischerer Stimme, dass ich nun schon sieben Monate unterwegs bin. In dieser Zeit in vielen Pensionen und Gasthöfen übernachtet habe. So viel Unflexibilität und Ignoranz ist mir aber bisher nicht untergekommen. Wenn es nicht geht, suche ich mir eine andere Unterkunft. Sie lenkt ein und meint nun, im Notfall ist sie persönlich da. „Es geht also doch“, denke ich. Doch jetzt liege ich wieder falsch. Nun beginnt wieder das „wann genau kommen sie“? Ich versuche ihr zu erklären, ich bin Wanderer und keine Maschine und daher kann der genaue Zeitpunkt etwas schwanken. Die Dame ist für keine Kompromisse zu haben.

Nun auf die neue Ankunftszeit 14 Uhr eingelassen, hetze ich weiter. Der Bodensee und die Umgebung interessieren mich nicht mehr, auch die Lust am Fotografieren ist mir vergangen. Da es nach Regen aussieht, möchte ich rechtzeitig eintreffen. Vom Regen und Schweiß eingeweicht schließlich zwei Stunden draußen zu warten macht keine Freude. Zu allem Überfluss neigt sich mein Naviakku dem Ende, er verlangt dringend nach einer Ladestation. Ich schalte aus, um zum Schluss nochmals etwas Power für den letzten Kilometer zu haben. Nun orientiere ich mich mit meinem Outdoornavi in Richtung Radolfzell.

Ich erreiche Radolfzell und bis zum Gasthof sind es noch etwa einen Kilometer. Es ist 13:58 Uhr und zur Sicherheit rufe im Gasthaus an. Es hebt aber niemand ab und so hetze ich weiter. In der Zielstraße kommt mir 14:07 Uhr eine Asiatin mit Fahrrad entgegen. Wir haben kurz Blickkontakt und ich habe das Gefühl, sie weiß, wer ich bin. Dann um 14:10 Uhr erreiche ich den Gasthof. Mit mir kommt ein Mann zur Eingangstür. Wie ich es bereits befürchtet hatte, sie ist verschlossen. Der Mann kennt sich aus und so folge ich ihm zum Eingang im nebenstehenden Gästehaus. Im Gebäude angekommen ist auch dort niemand zu erreichen. Ich bin im Warmen und doch brodelt es in mir. Ich hole mein Notebook raus und suchen nach einer Alternative. Diese finde ich auch in etwa 450 Meter zum Gasthof. Hier hält man für eine Stunde das Zimmer für mich bereit. Ich packe meinen Rucksack wieder und höre ein Geräusch in Richtung der verschlossenen Gaststube. Die Asiatin ist wieder eingetroffen. Ich bekomme mein Zimmerschlüssel.

Der Gedanke an den Bodensee ist bei mir nun sehr zwiespältig. Alles, was das Hotelgewerbe betrifft, erzeugt bei mir erhebliches Unbehagen und ich bin froh diesen Bereich möglichst schnell wieder zu verlassen.