66. Etappe: 15. Juni 2013

Büsum – Tönning  30,4 km

Es dauert nicht lange und ich bin mitten im Zentrum des Nordseebades Büsum. Überall Cafés, Restaurants, Geschäfte und Souvenirläden. Viele ältere Kurgäste begegnen mir. Vom Hafen aus komme ich nicht direkt zum Deich. Der Deich wird im Ortsbereich erneuert und muss rechtzeitig vor den möglichen Sturmfluten im Herbst fertig sein. Für Kurgäste ist dies sicherlich ärgerlich, mich stört es nicht. Der Himmel ist verhangen und es bläst mir ein leichter Wind entgegen. Von der Sonne keine Spur und sie ist nur durch den hellen Fleck hinter den Wolken erahnbar.

Mit einem gewissen Abstand zum Deich laufe ich weiter durch den Ort. Komme bei einer Konzertbühne vorbei und erlebe bereits für einen Moment eine Aufführung. Einige Kurgäste nehmen mich wahr und schauen etwas irritiert zu mir hin. Ich laufe weiter in der Nähe zum Deich und kann die Baustelle erkennen. Kurz vor dem Ortsausgang strömen Familien, Gruppen und ältere Kurgäste zum Deich. Hier ist wieder freier Zugang und vor der Treppe hoch zum Deich komme ich an ein Wärterhäuschen vorbei. Groß angeschrieben steht: „Nur mit gültiger Kurkarte zu betreten.“ Ich ignoriere diesen Hinweis und werde beim Vorbeigehen auch nicht angehalten. Oben angekommen blicke ich auf Kolonien von meist verwaisten Standkörben. Mit einem weiten Bogen verlasse ich nun endgültig den Ort und damit auch die spaziergehenden Kurgäste.

Es ist Niedrigwasser und das trockene Wattenmeer breitet sich vor mir aus. Auf einer Broschüre über den Nationalpark Wattenmeer heißt es: „Meeresgrund trifft Horizont.“ Und genauso ist es, ich kann bis zum Horizont kein Wasser der Nordsee entdecken. Viele Wattwanderer sind unterwegs und in der Ferne liegt ein Schiff wie gestrandet im Schlick des Watts.

Zwischen Nordsee und Deichweg sind Gesteinbrocken mit Beton zu einem Vordeich aufgetürmt. Hierin verfangen sich auf der Seeseite viel abgestorbenes Gestrüpp und Strandgut. Diese Gesteinsbrocken und das Gestrüpp dienen den Vögeln auch als Brutstätten. Das Watt ist hier in große Felder mit Pflöcken und Reisig abgetrennt. Zur Seeseite hin gibt es kleine offene Stellen, durch die der Schlick bei Flut angeschwemmt wird. Damit entsteht mit der Zeit neues Land. Ich komme an Feldern vorbei, wo ich bereits deutlich Ablagerungen des Schlicks und auch kleinere Schilfgrasflächen sehen kann.

Plötzlich fliegen lautstark und aufgeregt Rotschenkel und Austernfischer um mich herum. Ich bin wohl in der Nähe ihrer Nester. Dann sehe ich kurz ein Rotschenkelküken zwischen den Gesteinsbrocken verschwinden. Und wenig später kann ich im Gras des Deiches einen Großen Brachvogel beobachten. Beim Laufen hier vor dem Deich gibt es ständig etwas zu beobachten und so vergehen die Kilometer wie im Fluge.

Zu meiner Erleichterung habe ich Rückenwind, nur manchmal werde ich von Windböen leicht hin und hergeschoben. Spaziergänger gibt es nicht mehr und nur ganz selten begegnen mir Radfahrer. Vor mir, in einiger Entfernung, sehe ich ein paar offene Strandkörbe. Ich nehme mir vor, endlich einmal in einem Strandkorb meine Pause zu machen. Als ich näherkomme, erkenne ich ein Paar darin Sitzen. Vielleicht haben sie die Strandkörbe gemietet? Mein Wunsch im Strandkorb zu sitzen ist zu groß und ich nehme mir vor, das Paar zu fragen, ob ich bei ihnen eine Pause machen kann. Dann erreiche ich das Paar und ich erfahre von ihnen, dass sie selbst hier nur eine Pause machen. Die Frau stellt mir ihren Strandkorb zur Verfügung und setzt sich neben ihrem Mann. Schnell sind wir im Gespräch und es macht Spaß sich mit ihnen zu unterhalten. Als es zu regnen anfängt, stellen wir die beiden Strandkörbe gegenüber. Natürlich machen wir ein paar Fotos. Ich erfahre, dass sie in Hamburg leben und sie aus Büsum stammt. Sie mag die Unruhe und ist auch einmal spontan zu einem Treffen von Hamburg nach Heide mit dem Fahrrad gefahren (meine Anmerkung: ca. 110 km). Ich muss den beiden von meiner Wanderschaft berichten und erfahre dann von Ihnen, wie sie sich kennengelernt haben. Da er den Nachnamen eines bekannten TV-Quizmasters hat, wurde sie vor der Hochzeit immer wieder gefragt, ob ihr zukünftiger Mann dieser Quizmaster sei. Daraufhin hat ihre Mutter bei der Heiratsanzeige bewusst den Vornamen dieses Quizmasters angegeben. Seitdem nennen alle ihn nur noch mit diesem Vornamen. Zwischendrin bekomme ich noch ein belegtes Brötchen. Inzwischen habe ich keine Lust mehr weiterzulaufen. Die gegenseitigen Erzählungen reißen nicht ab. Doch ich muss nach über einer Stunde Plauderei doch wieder weiter. Es ist bereits Nachmittag und ich habe noch bestimmt 20 Kilometer vor mir. Da sie Interesse an meiner Wanderschaft haben, gebe ich ihnen meine Visitenkarte mit der Weblogadresse. Zum Abschied machen wir nochmals Fotos und ich erhalte als Wegzehrung ein weiteres Brötchen. Dann starte ich wieder. Aus der Ferne vernehme ich noch einen Jodler von ihr.

Die Plauderei mit dem Paar hat gut getan und nach dieser Pause bin ich wieder energiegeladen und  nehme Tempo auf. Ich muss Zeit aufholen! Der Deichweg wird zunehmend verschmutzter mit Schafkot. Ich vollführe Slaloms, um diesen Schafhinterlassenschaften auszuweichen. Dabei beachte ich nicht die heranziehenden dunklen Wolken. Dann plötzlich bricht ein Sturm los, der mich zum Teil bis zu einem Meter wie ein Spielball hin und her schiebt. Ich sehe nur die Rettung im Windschatten hinter dem Deich. Mit viel Mühe steige ich den Deich hinauf. Die Schafe blöken ängstlich und haben sich eng zu Gruppen zusammengefunden. Auf der anderen Seite des Deiches klettere ich über den Begrenzungszaun zur Deichstraße und habe Glück, dass hier der obere Zaundraht kein Stacheldraht ist.

Kaum bin ich rüber und schon regnet es wie aus Kübeln. Rucksack runter und Poncho raus. Das Anziehen des Ponchos über den Rucksack wird zur Qual. Der Wind reißt ihn mir immer wieder weg. Als ich ihn dann halbwegs anhabe, bin ich bereits bis auf die Haut durchnässt und in den Schuhen steht das Wasser. Auch Minuten später ist der Himmel immer noch drohend dunkel und in der Ferne sehe ich riesige Blitze. Das Donnergrollen kommt immer näher. Etwas mulmig ist mir, wenn ich daran denke, dass ich in einigen Kilometer beiderseits des Weges Wasser habe und bei Gewitter dort laufen werde.

Ich eile mit Tempo weiter, in der Hoffnung irgendwo noch Unterschlupf zu finden. Der Wind ist immer noch sehr heftig, aber im Windschatten besser als vor dem Deich. Faszinierend beobachte ich, wie sich der dunkle Himmel hin zu einem strahlend blauen Himmel verändert. Schon zwanzig Minuten später deutet nichts mehr auf das Unwetter hin, nur ich bin immer noch klatschnass.

In einem Restaurant bei einer Ferienkolonie kehre ich für eine Rast ein. Die Wirtin erzählt mir, dass ihre Strandkörbe durch den Sturm umgestoßen wurden. Weiter geht es und kurz vor dem Eider-Sperrwerk, das größte deutsche Küstenschutzbauwerk zum Mündungstrichter der Eider, klettere ich mit dem Ziel ein paar Fotos von der aufgepeitschten Nordsee zu machen, hoch auf den asphaltierten Deich. Das hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Oben schüttelt mich der Sturm dermaßen durch, dass ich weder ruhig stehen noch fotografieren kann. Breitbeinig und mit mulmigem Gefühl, vom Wind umgestoßen zu werden, gehe ich zurück runter zur Deichstraße.

Der Radweg endet am Tunnel durch das Eider-Sperrwerk und ich muss hinauf zur Plattform. Wieder empfängt mich der immer noch heftige Wind und ein ohrenbetäubender Lärm aus Gezwitscher Hunderter Küstenseeschwalben , Brandungsgeräusche des Wassers gegen das Sperrwerk und Sturmgeräusche. Hier gibt es Geländer und ich halte mich daran zum Fotografieren fest. Die Schwalbenkolonie reicht hoch bis unterhalb des Geländers. Die Schwalben segeln im Wind manchmal nur einen halben Meter entfernt vor meinem Gesicht.

Auf der anderen Seite des Sperrwerks gehe ich wieder zur Straße runter, als plötzlich meine Rucksackschutzhülle vom Sturm losgerissen wird. Sie fliegt unten zur Straße und verfängt sich an einem Masten. Ich eile, soweit es mir möglich ist, hinterher. Kaum bin ich bei der Hülle  angelangt, fliegt sie weiter und verfängt sich am Geländer zum Wasser. Gerade noch rechtzeitig kann ich zugreifen, bevor sich die Hülle wieder löst und endgültig zum Wasser fliegt.

Nach dem Sperrwerk – dies war auf meiner topografischen Karte der schmale Weg zwischen Nordsee und Mündungsarm der Eider – biege ich rechts an der Eider entlang nach Tönning ab. Bei einer Schutzhütte möchte ich eine Pause einlegen, doch diese Hütte ist total vermüllt und so setzte ich mich auf den Radweg.

Gleich am Ortseingang finde ich die Jugendherberge. Ein Anruf mit unbekannter Mobilfunknummer ist registriert und ich rufe zurück. Die Frau aus Hamburg ist am Apparat und fragt mich, wie es mir ergangen ist und ich berichte ihr von meinem unfreiwilligem Bad. Sie sind bald vom Rad gedrückt worden und zu den Strandkörben zurückgelaufen.

Wie bereits telefonisch mitgeteilt, ist die Rezeption der Jugendherberge heute erst um 19:45 Uhr durch eine Vertretung besetzt. Ich nutze die Zeit und gehe zum Duschen. Endlich kommen die nassen Klamotten runter und eine heiße Dusche bringt mich wieder auf Trapp. Es ist eng im Vorraum der Dusche, aber irgendwie schaffe ich es trotzdem, trockene Kleidung aus dem Rucksack zu holen.

Kaum fertig geduscht kommt auch schon die Vertretung und ich checke ein. Im Anschluss daran erhalte ich noch altes Zeitungspapier, um meine Schuhe zum Trocknen auszustopfen. Da ich ein Mehrbettzimmer gebucht hatte, bekomme ich noch gegen 22 Uhr einen Mitbewohner. Es ist ein Lehrer aus Bremen, der fürs Wochenende St. Peter-Ording und Husum besucht hat. Glücklicherweise unterdrückt das Zeitungspapier einigermaßen den intensiven Geruch meiner, seit nun 2 ½ Monaten unentwegt getragenen Wanderschuhe. Jedenfalls reagiert er nicht, ich höre kein Aufstöhnen beim Eintritt ins Zimmer und auch reißt er kein Fenster auf. Wenn er ein Problem damit hat, dann muss er sich melden. 

Ein Gedanke zu „66. Etappe: 15. Juni 2013

  1. Hallo Werner,

    habe eben Deine letzten Berichte gelesen und weiß jetzt, dass Du auf der Hallig Hooge weilst. Da wäre ich jetzt auch gern.
    Nun noch ein kleiner Tipp für Deine nächsten Tage: Solltest Du an Niebüll vorbeikommen, dann musst Du unbedingt das Museum von Emil Nolde
    besuchen; http://www.nolde-stiftung.de/ hier findest Du mehr.
    Dir wünsche ich noch eine gute Erholung und – Gesundheit.

    Herzliche Grüße schickt aus Darmstadt
    Harald

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