Nauheim – Darmstadt (wieder zu Hause) 27,3 km
Die Nacht habe ich schlecht geschlafen. Ob es das nahe Ende meiner langen Wanderschaft ist oder die weiche Matratze, ich weiß es nicht. Jedenfalls brauche ich keinen Wecker, ich bin bereits um 5:00 Uhr wach. Noch eine Zeit lang bleibe ich im Bett und nun kreisen meine Gedanken um das Ende der unglaublich schönen, manchmal auch anstrengenden Wanderschaft.
Ich fühle mich großartig und habe eigentlich keine Verschleißerscheinungen. Vielleicht brauche ich die eine oder andere Pause mehr. Doch zuletzt habe ich ja bewusst nicht den einfachen, sondern den anstrengenden Weg über die Berge und Täler an der Mosel und am Rhein gewählt. Doch noch immer kann ich auch am Ende einer Etappe zulegen. Das musste ich zuletzt des Öfteren, um im Hellen am Etappenziel anzukommen. Nach einer kurzen Regeneration am Abend bin ich schnell wieder fit. Die lange Wanderung hat seine positiven Spuren hinterlassen.
Was erwartet mich bei der Ankunft? Schaffe ich es pünktlich beim Lauftreff zu sein? Wie fühlt es sich danach wieder an ohne das Tägliche weiter? Fragen über Fragen. Eines weiß ich aber ganz genau, ich freue mich auf die Familie und ganz besonders auf meine Enkel. Gegen 6:30 Uhr stehe ich endlich auf. Kurz nochmals duschen und dann packe ich ein letztes Mal meinen Rucksack. Das ist inzwischen Routine geworden. Alles hat seinen Platz in verschieden farbigen und verschieden großen Plastikbeutel. Selbst diese haben im Rucksack ihren festen Platz.
Um 7:30 Uhr gehe ich zum Frühstück. Ich bin der Einzige im Restaurant. Der zweite Gast, wie ich jetzt erfahre, möchte erst gegen 9 Uhr frühstücken. Später wird mir klar, auch ich hätte zu dieser Zeit frühstücken können. Doch der Gedanke pünktlich beim Lauftreff einzutreffen, hat mich getrieben.
Um 8:30 Uhr verlasse ich den Gasthof. Draußen empfängt mich mit Kälte ein bewölkter Morgen. Glücklicherweise ist es trocken. Ich muss heute nicht hetzen, nur zügig voran schreiten. Durch den nächtlichen Bodenfrost sind die Wege teilweise noch mit Raureif bedeckt und leicht rutschig.
Schnell habe ich Nauheim verlassen und bin auf einem unbefestigten Weg links neben den Bahngleisen unterwegs. Doch dieser endet nach einiger Zeit abrupt bei einem Bach. Zurück kommt nicht infrage und so klettere ich hoch zu den Bahngleisen. Weit und breit keine Bahn in Sicht. Schnell überquere ich die Brücke über den Bach und danach die Gleise. Auf der anderen Seite habe ich nun einen asphaltierten Wirtschaftsweg. Es folgt ein Gewerbegebiet, heute am Samstag wie ausgestorben. Eine viel befahrene Landstraße tangiere ich nur und mache schließlich einen Schlenker weg von dieser Straße. Neben dem Gehweg Unmengen von Müll. Diese geballte Menge an Unrat auf gerade mal 100 – 200 Meter erzeugt Wut in mir. Was geht in den Menschen vor, die die Landschaft als Müllhalde nutzen? In diesem Moment wünsche ich mich zurückversetzt auf die langen Wege in der Natur abseits der Großstädte und ohne Müll. Denn das gibt es glücklicherweise auch noch.
Ich durchlaufe den Randbereich der Kreisstadt Groß Gerau und erreiche schließlich wieder die Landstraße, jedoch auf einem getrennten Fuß- und Radweg. Kaum habe ich die Kreisstadt verlassen bin ich auf Wirtschaft- und Feldwegen durch landwirtschaftliche Nutzflächen unterwegs. Die Bauern waren noch vor Kurzem hier fleißig bei der Arbeit. Neben mir immer wieder frisch gepflügte Felder. Ich bewege mich nur noch auf völlig vermatschten Wegen Richtung Büttelborn. Diesen Ort tangiere ich kurz und bin dann wieder einsam durch die Felder unterwegs. Dann ein ernstes Hindernis. Die einzige Unterführung unter der Bahntrasse steht unter Wasser. Ich lote die Tiefe aus, meine Stöcke sind bis zu 20 cm unter Wasser. Nur ein schmaler matschiger Streifen unmittelbar an einer der Wände ist begehbar. Ich versinke trotzdem ein paar Zentimeter im Matsch. Es folgt das nächste Hindernis, ein frisch gepflügtes Feld. Hier kämpfe ich mich am schmalen unbehandelten Rand neben einer Hecke entlang. Ganz ohne in den umgepflügten weichen Boden zu treten, geht auch das nicht ab. Auch die nun folgenden asphaltierten Wege sind mit einer dünnen schmierigen Lehmschicht bedeckt. Das Laufen abseits der Straßen macht heute nicht wirklich Spaß. Gut, dass ich die Gamaschen anhabe. Sie zeigen im Wadenbereich deutliche Spuren meines heutigen Weges. Dann endlich einmal sorgen 14 Weißstörche vor mir im Feld für eine gelungene Abwechselung. Ich kann mich einige Zeit ungehindert ihnen nähern. Schließlich überschreite ich wohl die akzeptierte Grenze und alle fliegen ein paar Hundert Meter weiter.
Gegen 13 Uhr erreiche ich Griesheim. Viel zu früh und so kehre ich bei einem Italiener ein. Hier genieße ich in Ruhe ein Pastagericht. Meine Gedanken kreisen nun um das bevorstehende Treffen mit meiner Gruppe. Den richtigen Zeitpunkt zu erwischen ist gar nicht so einfach. Schließlich gegen 14:30 Uhr mache ich mich wieder auf dem Weg.
Ohne Uhr und ohne Kenntnis der Wegelänge schreite ich mit raumgreifenden Schritten auf dem schnurgeraden Eberstädter Weg Richtung unseres Lauftreffwaldes. Dabei überquere ich die A67 und erreiche schließlich die Schranke an der Landstraße. Diese Schranke ist immer wieder unser Gruppenziel bei Dunkelheit. Ich bin viel zu früh und so mache ich auf der kurz danach auftauchenden Bank eine längere Pause. Habe aber keine Ruhe, um nur tatenlos dort rumzusitzen und so laufe ich weiter. Unterwegs rufe ich kurz Brigitte an. Der Lauftreffstart steht noch bevor. Ich erreiche die vereinbarte Kreuzung. Dieser Treffpunkt hat für unsere Gruppe eine besondere Bedeutung.
Christl ein lebendes GPS, jeder auch noch so kleine Weg hier im Wald ist ihr vertraut. Sie braucht keine Uhr, sie kommt immer, auch bei unterschiedlichen Wegstrecken, pünktlich zurück. Doch auch das „lebende GPS“ hatte einmal bei Schneegestöber Orientierungsprobleme. Es war abends, alles hoch verschneit. Auch die Wegweiser waren keine Hilfe, sie waren ebenfalls zugeschneit. Jetzt half nur noch, dass Maria von Ludwig auf die Schultern genommen wurde und die Schilder freiräumen musste. Diese Episode ist immer wieder Gesprächsthema bei uns. 😛 😛
Ich schaue auf mein Smartphone und bin immer noch zu früh. Warten ist nicht mein Ding und so nutze ich die Zeit, noch etwas in Richtung Pfungstadt zu laufen. Unterwegs noch eine weitere Wartepause. Dann geht es wieder zurück zur vereinbarten Kreuzung. Doch noch immer sehe ich keine Gruppe und so laufe ich ihr entgegen. Zunächst bewegt sich ein dunkles schwankendes Etwas in der Ferne auf mich zu. Schon vom Weitem höre ich das fröhliche Hallo der Teilnehmer. Dann die für mich sehr bewegende Begrüßung nach so langer Zeit. Die ersten Fotos werden gemacht und weiter geht es zum zweiten Treffpunkt.
Jetzt geht Schlag auf Schlag. Unterwegs übernimmt Jens meinen Rucksack und wenig später gibt es die nächste Begrüßung mit Irmgards Jogginggruppe. Am „Hüttchen“ empfängt uns Jochem, unser Vorsitzender des Lauftreffs. Die Begrüßung mit Jochem fällt zusammen mit der gerade eintreffenden Nordic-Walking-Gruppe von Sigrid.
Plötzlich meint Christl, es ist zu früh und wir müssen noch eine Ehrenrunde laufen. Da ich natürlich zusammen mit ihnen eintreffen möchte, bleibt mir nichts anders übrig der nun „Gas“ gebenden Gruppe zu folgen. Schnell vergessen sie, dass sie einen Wanderer dabei haben. Zwar trägt gerade Jens meinen Rucksack. Doch nach kurzer Zeit schwächelt er 😆 und der Abstand zur Gruppe wird größer. Ich übernehme wieder meinen gewohnten Rucksack. Er ist wie eine zweite Haut für mich geworden. Horst, Jens und ich kämpfen uns langsam wieder heran. Dann beginnt meine Überholaktion, denn schließlich bin ich heute die Hauptperson und sollte auch ganz vorne einlaufen. Ich war lange weg und die Gruppe muss sich wieder daran gewöhnen, dass ich in die erste Reihe gehöre und wieder das Tempo mitbestimme 😛 .
Schon von Weitem erkenne ich ein großes über den Weg gespanntes Spruchband. Die Ankunft ist überwältigend. Mit uns treffen weitere Gruppen ein. Kaum habe ich das Spruchband erreicht, kommen meine beiden Enkel Joelle und Jim angerannt. Das ist die schönste Begrüßung, die ich bekommen konnte. Nun folgen Noriko, Akane und Matthias. Dann gibt es noch viele herzliche Begrüßungen mit Teilnehmer(innen) des Lauftreffs. Diese schöne Begrüßung wieder in der Heimat werde ich nicht vergessen.
Nachdem die letzten Gruppen eingetroffen sind, hält Jochem, unser Vorsitzender, eine kleine Ansprache. Dabei weist er auf einen wichtigen Termin für mich hin. Am Montag, den 23.12.2013, muss ich zum TÜV. Es findet eine Untersuchung statt, ob ich irgendwelche Karosserieschäden oder Verschleißerscheinungen davon getragen habe 😆 .
Ein Büfett hat man auch vorbereitet und nun beginnt der lockere Ausklang meiner Wanderschaft. Viel Zeit dazu habe ich nicht. Es folgt das Interview mit Steffen Huss vom Darmstädter Echo über meine Wanderung. Verspätet erscheint auch der Pressefotograf und macht mehrere Fotos von mir. In dieser Zeit wird mein Rucksack des Öfteren Probe getragen.
Ein herzliches Dankeschön an alle, die diesen Empfang vorbereitet haben und natürlich auch an alle, die mich wieder so herzlich in der Heimat begrüßt haben.
Schließlich kommen auch noch meine Tochter Michiko und Alex, sie waren wegen einer Hochzeit verhindert. Meine kleine Mina schläft im Auto, aber mein jüngster Enkel Kai begutachtet seinen unbekannten Opa. Ich habe ihn nur nach der Geburt und kurz vor dem Start einmal gesehen und dann noch einmal bei unserem Treffen in Passau. Das wird sich nun ändern.
Meine Wanderschaft ist erst zu Hause zu Ende und so schultere ich nochmals den Rucksack. Ziehe meine Stirnlampe an und gehe gemeinsam mit Noriko durch den mir vertrauten Wald die letzten zwei Kilometer bis nach Hause. Eine lange erlebnisreiche Wanderung mit unglaublich vielen und schönen Eindrücken endet ziemlich genau um 18 Uhr dort, wo sie vor 9 Monaten begonnen hat.
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