98. Etappe: 28. Juli 2013

Greifswald – Lubmin  22,3 km

Um 6 Uhr versuche ich wieder einmal ins Internet zu kommen, wieder nur eine überaus bescheidene Geschwindigkeit. Dateiübertragung und Seitenaufbau im Schlafwagentempo! Dann schaue ich mir meine heutige Route des Fernwanderweges E9 an und entschließe mich dieser Route nur ein Stück zu folgen. Ich möchte an der Ostseeküste bleiben und mit der Fähre bei Freest nach Penemünde überzusetzen. In Freest gibt es zudem ein Campingplatz. Also ändere ich meine heutige Wegstrecke. Der Weg nach Freest ist sehr lang, vermutlich über 30 Kilometer und die Wettervorhersage sagt Gewitter zum Abend voraus. Noch bin ich unsicher, wie weit ich laufe und wo und wie ich übernachte.

Es wird spät, bis ich das Hotel verlasse und schon nach wenigen Minuten erreiche ich den Marktplatz von Greifswald. Ich bin beeindruckt, alle Gebäude sind bereits restauriert. Auch auf meinem weiterer Weg zum Museumshafen laufe ich an alten restaurierten Gebäuden vorbei. Am Hafen angekommen muss ich bei einer Verkehrsinsel über die Straße. Geduldig warte ich eine Weile, aber kein Auto hält an und lässt mich rüber. Also warte ich eine kleine Lücke ab und zeige mein Überschreiten an und gehe los. Das ankommende Fahrzeug muss halten und der Fahrer beschimpft mich wütend. Ich bin inzwischen schon gelassener und ignoriere ihn. Die hinter ihm stehenden Fahrer werden ungeduldig und einige hupen.

Am Museumshafen an der Ryck stehen einige alte Segelschiffe und mein Weg verläuft parallel zu diesem Fluss. Den historischen Schiffen folgen Segeljachten und in ihrem Hintergrund einige farbenprächtige mehrstöckige schmale Schwedenhäuser. Es ist eine herrliche Kulisse. Der Weg am Ufer der Ryck führt auf einem Deich entlang. Auf der anderen Seite des Deichs häufig Schilf im stehenden Wasser. Ab und zu blitzt durch Sonnenstrahlen das helle Grün der Algen auf. Ich durchlaufe eine idyllische Landschaft und bin froh diesen Weg gewählt zu haben. In Wiek endet mein Weg an der Ryck. Hier mache ich meine erste Pause mit einem erfrischenden Eis. Es ist sehr heiß geworden und die Pause tut gut.

Ein kurzes Stück laufe ich unter Bäumen hindurch, rechts von mir ein Deich. Doch der schattige und kühlere Weg ist schnell Vergangenheit. Ich wechsel auf eine Landstraße mit separatem Radweg. Nun fehlen Schatten spendende Bäume und Büsche, beiderseits nur Getreidefelder. Am Ortseingang von Kemnitz führt der Radweg weg von der Straße. Ich lande plötzlich in einer Sackgasse, nur ein schmaler Durchgang zu einer Wiese ist vorhanden. Mir kommen Zweifel, ob ich nun in einem Privatgelände eintrete. Trotzdem, ich gehe hindurch und am Ende der Wiese steht ein riesiger Baum mit tief hängenden Ästen. Ein herrlicher schattiger Rastplatz und einige Meter oberhalb sehe ich die Autos vorbei fahren. Ich bin wieder in der Nähe der Straße und halte unter dem Baum an. Rucksack ab und auf die Wiese gelegt. Wieder einmal schlafe ich für kurze Zeit ein.

Der Schlaf und die angenehme Kühle taten gut und ich muss mich aufraffen, um wieder zu starten. Nach Überwindung der Böschung stehe ich an der inzwischen viel befahrenen Landstraße, doch jetzt ohne Radweg. Glücklichweise gibt es nach ein paar Hundert Metern wieder einen Radweg. Die Hitze ist ordentlich und meine Gedanken hängen jetzt bei der Wasserversorgung. Meine große Flasche Wasser ist fast leer und so kommt mir, die nach einigen Kilometern, stehende Tankstelle recht. Als ich das Gebäude betrete, empfängt mich eine herrliche Kühle. In Sichtweite ein großes Kühlregal mit einer riesigen Auswahl an Getränken. Ich entscheide mich für O-Saft und 1 ½ Liter Wasser.

Nach meiner Stehpause reift in mir der Gedanke, nur nach Lubmin abzubiegen. Lubmin ist ein Seebad und sollte auch Hotels haben. Doch in der Tankstelle habe ich überhaupt keinen Mobilfunkkontakt. Schräg gegenüber der Tankstelle gibt es ein Buswartehäuschen und dieses steuere ich an. Zunächst werden meine Blasen unter kleinem und großem Zeh versorgt und dann schalte ich nochmals mein Smartphone an. Diesmal ist Kontakt da und ich komme sogar ins Internet und kann mir Hoteladressen mit Telefonnummer aufschreiben. Doch das Telefonieren wird schwierig, ich verstehe durch den vielen Verkehr kaum etwas. Doch ich habe bei einem Anruf Glück und kann ein einigermaßen günstiges Zimmer buchen.

Meine Landstraße hat ab hier keinen Radweg mehr, jetzt heißt es wieder am Straßenrand laufen. Der entgegen kommende Verkehr hat deutlich zugenommen. Fahrzeugkolonnen rollen mal langsamer und mal sehr schnell auf mich zu. Doch diesmal gibt es keine verrückten Raser, es wird mir immer Platz gemacht. Dann erreiche ich einen Bahnübergang mit modernen Schranken. Die Bahn hat hier vorausschauend auch eine Schranke für Fußgänger und Radfahrer gebaut. Nur nach dieser genialen Schranke gibt es nur eine Wiese!

In Lubmin angekommen, sehe ich einen offenen Supermarkt. Also nichts wie hin und mein Abendessen einkaufen. Nachdem ich bereits meinen Rucksack und die Stöcke in den Einkaufswagen gelegt hatte, weist mich eine Frau daraufhin, dass der Supermarkt gerade geschlossen. Ihre junge Tochter zeigt mir mit ihrem Finger das Schild der Öffnungszeiten und Sonntag ist bis 18 Uhr offen. Pech gehabt, und als ich meinen Rucksack aufsetze, fällt mein Blick zufällig auf ein Asia Bistro mit Döner. Eine wilde Kombination, aber vermutlich den Kundenwünschen angepasst. Ich steuere dieses Bistro an und trete ein. Am Ende des Raumes ist ein Fenster auf und davor ein Tisch. Zielstrebig steuere ich diesen Tisch an. Der asiatische Koch spricht mich laut und ernst an: „Wohin wollen sie?“ Ich antworte: „Zum Tisch mit dem offenen Fenster und dann etwas essen.“ Mit dieser Antwort entspannt er sich und lacht. Jetzt erst sehe ich die Tür zum WC, ebenfalls im hinteren Teil des Raumes. Dann aber dringt eine Frauenstimme an mein Ohr: „Dahin wollte ich mich setzen!“

Auch diese Hürde ist sofort nehmbar, denn es ist genug Platz für uns beide an diesem Tisch und so kommen wir schließlich beim Essen ins Gespräch.

Die Frau hat eine 11-stündige Reise vom Saarland mit der Bahn hinter sich und wartet auf ihr Essen. Sie hat das Fenster geöffnet und wartet nur bis zur Fertigstellung ihrer Speise vorne. Sie erzählt mir, dass sie in Lubmin aufgewachsen ist und nun im Saarland lebt und in Heidelberg als Krankenschwester in der Betreuung von alten Menschen arbeitet. Sie übernachtet auch in Heidelberg und fährt somit nicht täglich nach Hause.

Hier in der Nähe von Lubmin gibt es ein Kernkraftwerk. Ihr Vater hat dort gearbeitet und war bis zu seinem Tod, er ist an Krebs gestorben, von der Ungefährlichkeit der Kernkraft überzeugt. Sie berichtet mir auch, dass in ihrem Umfeld viele Menschen an Krebs erkrankt sind.

Ein Bauer hatte mit dem Bürgermeister eine Auseinandersetzung, den Grund habe leider ich vergessen. Jedenfalls hat der Bauer seinem Esel rote Socken angezogen und ist damit vor das Rathaus marschiert. Dort hat er den Esel sein Geschäft verrichten lassen. Ihre Mutter hat diese Begebenheit fotografiert. Bürgermeister hat später eine Eselmetallskulptur errichten lassen.

Nach dem Essen gehen wir ein Stück gemeinsam in den Ort, und wie es sich herausstellte, hatte sie in der Straße meines Hotels einmal gewohnt. Die Straßennamen wurden zwischenzeitlich geändert.

Meine Bauchentscheidung heute unterwegs, im Hotel zu übernachten, war richtig gewesen. Am Abend kommen dann das Gewitter und der erste heftige Regen. Bis spät in die Nacht gibt es mehrere wolkenbruchartige Regenschauer, begleitet vom Donnergrollen. 

2 Gedanken zu „98. Etappe: 28. Juli 2013

  1. Hallo Werner,
    wie gehts? Ich hatte mal wieder Krach mit Windows 8, aber die
    netten Telekommenschen haben mir mal wieder aus der Patsche geholfen.
    So, jetzt bin ich wieder mal online.
    Ich wünsche Dir keine Blasen, keine Bremsen und keine Mücken.
    Schöne Fotos hast Du gemacht.
    Das Buch von Arno Amthor ist sehr interessant. Vielleicht kannst Du es ja
    irgendwann auch mal lesen.
    Bussi
    Traudl

  2. Hallo Werner,
    ich lese Deine Berichte mit großem Interesse und bewundere Dich für Deine tägliche Motivation und den Durchhaltewillen (gerade bei Regen und den oft schlechten Wegen). Die Hälfte der Tour hast Du jetzt wohl geschafft. Ich wünsch Dir gutes Wetter, Gesundheit und Freude an Deutschland!
    Jens

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