Adorf – Rehau
Distanz: 23,1 km; Aufstiege: 481 m; Abstiege: 373 m
Es ist bewölkt und dicke graue Regenwolken hängen am Himmel. Bereits im Ortskern an der Kirche ziehe ich zur Sicherheit den Poncho halb an. Adorf verlasse ich über eine wenig befahrene Kreisstraße Richtung Grenze zu Tschechien. Teilweise habe ich einen schönen Blick in die bergige Landschaft des Vogtlandes. Die Ferne ist leicht in Nebel getaucht. Von der Kreisstraße wechsel ich schließlich auf einen Waldpfad. Dieser Weg ist auch Teil des Vogtland Panorama Weges. Unterwegs komme ich an einen interessanten Felsblock, mit Namen „Hoher Stein“, vorbei.
Dieser Felsblock besteht überwiegend aus Quarz und feinschuppigem Muskovit. Im alten Moskau wurde dieser Quarz für die Herstellung von Fensterscheiben verwendet.
Wenige Meter vor der Grenze wechsel ich auf eine kleine Straße und erreiche dann die Grenze zu Tschechien. Nicht viel, lediglich ein Schild mit „Ceska Republika“ zeigt mir, hier betrete ich hier Tschechien. Direkt hinter der Grenze ein Altenheim. Dann laufe ich Richtung Hranice und auch hier lässt nur ein Hinweisschild erkennen, dass ich im Nachbarland bin. Hranice verlasse ich wieder auf einer kleinen Straße. Unterwegs dann eine kleine Überraschung. Am Straßenrand steht ein alter Gedenkstein für Kriegsopfer des 1. Weltkrieges, errichtet 1929. Auf ihm nur Namen deutscher Gefallener. Mich erstaunt, dass dieses Mahl unbeschädigt die Zeit hier überdauert hat. Viele kleine Dörfer in Grenznähe wurden abgerissen und nichts erinnert heute mehr daran. Genau so erfahren in der Nähe des ehemaligen Ortes Moldau, heute Moldava, von einer alten Frau. Sie berichtete mir aus ihrer Kindheit.
Längere Zeit führt mich mein Weg über diese kleine Straße und dann wechsel ich auf einen Feldweg. Zunächst läuft es sich noch recht gut, doch dann ist der Weg übersät mit Pfützen und ich habe Mühe daran vorbei zu kommen. Kaum wird der Feldweg wieder besser, stehe ich vor einem Elektrozaun und der versperrt mir das Weiterlaufen. Dahinter eine große Weide, die Wegespuren sind aber weithin sichtbar. Mein Navi zeigt mir keine Alternativen und eine Karte von hier habe ich nicht. Ein zurück, wieder über Hranice, wäre beträchtlich und so entscheide ich mich für das Weiter. Eine kurze Berührung und ich weiß, hier fließt noch Strom. Zunächst schiebe ich den Rucksack unter dem Zaun durch. Dann krabbel ich auf allen Vieren, mit leichter seitlicher Verrenkung, den losen mittleren Pfosten hochhaltend, unter dem Zaun hindurch.
Auf dem Weg über die Weide sehe ich in einiger Entfernung eine Rinderherde, einige schauen neugierig zu mir. Jetzt jedoch vermeide ich das Reden mit den Rindern. Nur zu gut habe ich das neugierige Kommen im Münsterland und Emsland, damals noch mit viel Spaß, in Erinnerung. Nur heute kann ich darauf verzichten, denn wenn sich ein Bulle in der Herde befindet, hört der Spaß auf. Doch die Rinder sind viel zu träge und so erreiche ich schließlich die andere Seite des Weges mit wieder einem Elektrozaun. Und wieder das gleiche Prozedere wie zuvor.
Lange laufe ich durch einen Wald, nie begegnet mir jemand. Dann erreiche ich eine Anhöhe mit einigen Windkrafträdern. Die scheinen schon etwas betagt zu sein, denn die Lagergeräusche sind bei einem Windrad unüberhörbar. Nach der Anhöhe geht es über einen matschigen Feldweg wieder einem Wald entgegen. Nun ist es nicht mehr weit bis zur Grenze und hoffentlich gibt es keine weiteren Hindernisse. Mein heutiger Bedarf ist gedeckt. Der Feldweg schmiegt sich dicht an dem Waldrand entlang und nach ein paar Schleifen bin ich wieder im Wald und ein Wanderwegzeichen führt entlang meines Weges.
Dann erreiche ich die Grenze zu Deutschland. Von einem Grenzübergang ist nichts erkennbar. Beiderseits des schmalen Waldweges stehen Holzbänke. Ein Hinweisschild weist auf ein Projekt „Geschichte des verlorenen Dorfes Mähring“ hin und dann überschreite ich eine kleine Holzbrücke. Hier gibt es einen Rastplatz und eine Informationstafel zum Dorf Mähring. Nur etwa drei Meter weiter, steht leicht schief ein schlichtes Schild mit „Staatsgrenze“ darauf. Kaum zu glauben hier verlief einmal der „Eiserne Vorhang“. Als ich meinen Rucksack gerade für eine Pause ablege, kommen zwei Radfahrer von deutscher Seite angefahren und halten ebenfalls hier an.
Der Ältere spricht mich in einer mir nicht bekannten Sprache, ich vermute Tschechisch, an. Und ich antworte in Deutsch. Nun erklärt mir der Jüngere in einem guten Deutsch, dass sie Russen sind. Er lebt mit seiner russischen Frau in Rehau, meinem heutigen Ziel. Der Ältere ist sein Schwiegervater. Sie stammen aus einem Ort zwischen Moskau und dem Uralgebirge. Als ich nach meiner Wanderschaft gefragt werde, können sie sich kaum vorstellen, so lange und so weit zu laufen. Der Ältere schlägt mir lachend vor, doch einmal Russland zu umlaufen. Dann kann ich für mehrere Jahre unterwegs sein.
Nach dem Staatsgrenzschild biege ich auf einem breiten Weg ab. Nun bin ich im Freistaat Bayern und dort im Regierungsbezirk Oberfranken angekommen. Damit habe ich endgültig die neuen Bundesländer verlassen. Ein Hinweisschild weist auf ein Dreiländereck hin. Von diesem Dreiländereck habe ich zuvor in einem der letzten Unterkünfte schon gehört.
Bei diesem Dreiländereck trafen einst die drei Königreiche Bayern, Sachsen und Böhmen zusammen. Ab 1949 waren es die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Demokratische Republik und die Tschechoslowakische Republik. Nachdem Tschechien dem Schengener Abkommen 2007 beigetreten ist, kann man nun ungehindert die Staatsgrenzen überschreiten.
Wieder geht es längere Zeit durch einen Wald, dann erreiche ich den Waldrand und sehe schon in der Ferne hinter einer Autobahn die Stadt Rehau. Bei einer Bank mache ich eine weitere Pause. Bayern empfängt mich nun mit weiß-blauem Himmel und Sonnenschein. Also packe ich endgültig meinen Poncho ein. Heute sah es nach Regen aus, doch glücklicherweise blieb der dann aus. Als ich so gedankenverloren auf der Bank sitze, in der Ferne das Schauspiel, kleiner Hund zieht Frauchen, beobachte, höre ich plötzlich das vertraute klack, klack, klack. Eine Nordic Walkerin erreicht mich und ich werde mit einem freundlichem „Grüß Gott“ begrüßt. Ja jetzt bin ich tatsächlich in Bayern angekommen.
Der weitere Weg zieht sich noch etwas, meine heutige Unterkunft liegt auf der anderen Seite des Ortes. Dann erreiche ich endlich den Gasthof. Später zum Ausfüllen der Meldekarte und zum Essen gehe ich runter in den Gastraum. An einem langen Tisch sitzen bereits einige Stammgäste fröhlich plaudern beieinander.
Die Wirtin fragt mich, ob ich auf dem Jakobsweg unterwegs bin. Ich verneine und erzähle ihr, ich Deutschland umrunde. Für sie unvorstellbar so lange unterwegs zu sein. Ob das denn meine Füße aushalten. Was den meine Familie so lange alleine mache. Fragen auf Fragen stürzen auf mich ein. Dann erzählt sie mir, hier war schon ein Motorradfahrer, auch auf der Umrundung Deutschlands. Ich bin jetzt die harte Variante dazu. Auch erzählt sie mir von einem inzwischen 79-jährigen, der viermal auf dem Jakobsweg unterwegs war. Einmal beginnend vom Bayerischen Wald aus. Dann fragt sie mich unvermittelt nach meinem Alter. Als ich ihr mein Alter nenne, scheint sie überrascht und antwortet: „Genau so alt wie mein Mann!“, dann ruft sie Richtung Stammtisch zu ihrem Mann: „Du musst auch wandern.“ Wir unterhalten uns noch eine Weile über schöne Landschaften und Tierbegegnungen.