116. Etappe: 17. August 2013

Neuzelle – Guben  20,6 km

Gleich zu Beginn meiner heutigen Etappe streikt mein Navi. Es findet keine Satelliten. Da dies ungewöhnlich lange dauert, ahne ich Fürchterliches. Sollte mein Navi seinen Geist aufgegeben haben? Da ich mich bereits auf der B112 befinde und ein Wegweiser nach Guben zeigt, meinem heutigen Ziel, bleibe ich auf dem Radweg dieser Bundesstraße. Erst als ich einige Hundert Meter eine Abzweigung passiere, ist der Satellitenkontakt wieder da. Erleichtert laufe ich weiter, doch dann macht mich ein Hinweisschild „Kraftfahrstraße“ für die weiter verlaufende B112 nervös. Das bedeutet das Ende des Radfahrweges! Wieder beginnt ein Abwägen: zurück oder doch weiter. Weiter ist wohl verboten und ich muss mit höheren Geschwindigkeiten rechnen. Die Entscheidung ist schnell getroffen, also zurück zu der Abzweigung und dort weiterlaufen. Zu meinem Glück kommen mir gerade zwei Radfahrer entgegen und diese sind auch noch Einheimische. Sie geben Entwarnung, der Radweg verläuft auf einer alten Straße parallel zur neuen B112.

Also weiter auf dem Radfahrweg, der inzwischen neben einer zweispurigen Straße verläuft. Doch diese Straße verengt sich einige Zeit später zu einer schmalen einspurigen Straße. Zunächst bin ich alleine unterwegs, doch dann beginnt wieder der Raserwahnsinn. Plötzlich überholen mich mehrere Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit und mit wenig Abstand. Die Fahrgeräusche werden durch den Verkehr der daneben verlaufenden B112 übertönt. Jedes Mal wenn ein Fahrzeug neben mir vorbei fährt, erschrecke ich. Ich beuge mich den Verrückten und laufe neben der Straße auf einem sehr unebenen schmalen Rand. Besser auf jedem Fall als irgendwann angefahren zu werden. Nur wenige Haltebuchten sind vorhanden und ich hoffe, dass sich keine Raser begegnen und ich dann im Wege bin.

Kurz vor Steinsdorf überquere ich eine Brücke und danach habe ich das Ortsschild im Blick. Meine innere Anspannung lässt sofort wieder nach. Im Ort komme ich an einem kleinen Biergarten vorbei. Es ist heiß und mein Durst groß und so kehre ich ein. Wenig später setzt sich eine Frau zu mir an den Tisch. Wie ich von ihr erfahre, beginnt heute ein Dorffest und es werden Gäste aus Polen, aus der Schwestergemeinde, erwartet. Sie ist die Leiterin der örtlichen Schule und gleichzeitig die Dolmetscherin. Da einige Polen auch Deutsch sprechen, ist die Aufgabe nicht schwer, erklärt sie mir.

Ihre Polnischkenntnisse stammen aus der Zeit ihres Aufenthaltes in Warschau. Damals begann sie, nach einem Intensivkurs, mit dem Studium für Haustechnik. Sie korrigiert sich lachend: „Mit Gas, Wasser, Sch …“ Doch schnell merkte sie, dass das nicht das Richtige für sie ist. Schon alleine das Technische Zeichnen war ihr ein Gräuel. Außerdem wäre sie später nach dem Studium als Frau wahrscheinlich in der Verwaltung gelandet. Und als Alternative wäre dann nur der Außenhandel infrage gekommen. Damit aber auch zwingend der Eintritt in die Partei. Nach der Wende erzählte sie mir, wurden alle aus diesem Bereich entlassen und arbeitslos. So kam es, dass sie Pädagogik studierte und heute Lehrerin mit Leib und Seele ist.

Einige Zeit später trafen dann die polnischen Gäste ein und ihr Einsatz beginnt. Schon wenig später setzte sich ein Mann, er ist gerade mit einem Transporter eingetroffen, zu mir an den Tisch. Die Wirtin brachte ihm unaufgefordert einen Teller Suppe. Ich habe den Eindruck, es ist ihr Mann. Auch mit ihm bin ich schnell in einer Unterhaltung.

Nach dem Wiederkehrenden woher und wohin, zeigt er sich beeindruckt von meiner Leistung. Dann erzählt er mir von einem Radfahrer, der ebenfalls auf einer Rund-um-Deutschland-Tour unterwegs war. Er übernachtete hier in der Pension. Da sein Gepäckträger gebrochen war, suchte er eine Werkstatt. Die brauchte er aber nicht, denn hier im Ort wurde der Gepäckträger geschweißt. Stolz erklärt er mir, hier machen wir noch alles selber und brauchen keine Werkstatt.

Wenig später setzen sich mehrere Frauen aus der Küche an den Nebentisch. Auch sie mischen sich in unsere Unterhaltung ein. Eine fragt mich schließlich, wie alt ich bin. Eine andere fällt ihr ins Wort: „So was fragt man nicht!“ Als ich lachend mein Alter nenne, höre ich eine weitere Frau murmelnd sagen: „Der hat sich aber gut gehalten, was Wandern so alles ausmacht.“ Mir schwillt innerlich die Brust!

Als ich aufbrechen will, lädt mich der Mann ein, mit ihm nach Guben zu fahren. Ich lehne dankend ab. Daraufhin erklärt er mir noch den weiteren Weg nach Guben und ich setze meinen Weg fort.

Schnell habe ich das Dorf verlassen und laufe nach Überquerung einer Brücke wieder auf einem separaten Radweg neben der parallel zur B112 verlaufenden Straße. Kurz vor dem nächsten Ort höre ich plötzlich eine Stimme neben mir. Mein Gesprächspartner von vorhin fährt langsam an mir vorbei und ruft mir zu: „Sie sind auf dem richten Weg.“

Weiter geht es durch Bresinchen, dann durch Groß Breesen – bereits ein Stadtteil von Guben – und dort bremst plötzlich ein Radfahrer ab und fährt langsam neben mir.

Seine Frage an mich: „Von wo nach wo?“ Als ich antworte: „Von Darmstadt wieder nach Darmstadt“, folgt: „Ich bin Baujahr 58 und sie?“ Als ich antworte: „Baujahr 48“ ist sein Erstaunen groß und er erwidert: „Hochachtung, ich ziehe meinen Hut“, und fährt dann weiter. Ich höre ihn noch sagen: „Unglaublich, unglaublich!“

Nur wenig später hupt es plötzlich neben mir, ich blicke auf und sehe einen Autofahrer winken und mir den nach oben gestreckten Daumen zeigen. Und damit nicht genug, zwei mir entgegen kommende Radfahrerinnen rufen mir freundlich zu: „Frohes Wandern.“

Schließlich erreiche ich die Kreisstadt Guben. Doch bis zu meiner Pension muss ich noch fast den ganzen Ort durchlaufen. Die Pension ist ein flacher lang gezogener Bau, im Winkel dazu ein weiteres Gebäude mit Bowlingbahn und Restaurant. Mein Zimmer ist groß und neu renoviert.

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