Podrosche – Deschka 30,4 km
Schon vor dem Frühstück ist mein Rucksack gepackt und ich nehme ihn mit in den Gastraum. Beim gemeinsamen Frühstück mit dem Radwanderer verquatsche ich mich und starte doch wieder später. Noch ist es kühl und so beginne ich die Etappe mit Jacke.
Nach kurzer Zeit erreiche ich das Dorf Klein Priebus, es ist ein „Gassendorf“, wie ein Hinweisschild ausweist. Fast alle Häuser stehen beiderseits der Dorfstraße. Danach durchquere ich wieder große landwirtschaftliche Nutzflächen. Diese sind umgeben von Wäldern und überall mit Blick auf die freien Flächen stehen Hochsitze. Dies ist ein mir seit Tagen vertrautes Bild. Beim Durchlaufen eines Maisfeldes gibt mir eine breite Furche den Blick frei auf einen Hochsitz. Von dort kann man auch das Maisfeld sicher gut überschauen. Die Neiße hat sich wieder hinter Baumreihen und Felder versteckt. Nur die Grenzpfähle deuten auf den nahen Verlauf der Grenze in der Neiße hin.
Dann verlasse ich die Nutzflächen und tauche ein in einen dichten großen Nadelwald. Mal sind es hochgewachsene, mal kleine Fichten. Beiden gemeinsam ist, sie wirken wie Streichhölzer. Vorbei geht es an großen Flächen, von den Wildschweinen, aufgewühlten Waldbodens. Hin und wieder sehe für einen kurzen Moment in einer Schneise eine Straße. Höre dann auch Verkehrsgeräusche, doch meistens ist es himmlisch ruhig. Selbst Vögel sind hier nur selten zu hören.
Der Wald endet und ich erreiche wieder ein Gassendorf, den Ort Steinbach. Vorbei an halb verfallenen Gebäuden. Hinter den Gartentoren bewohnter Häuser empfängt mich unerfreuliches und aggressives Hundegebell, ich bin froh mit diesen Hunden keinen Kontakt zu bekommen. Dann erreiche ich einen kleinen Platz. Auf ihm steht ein Fleischereiwagen und bietet seine Produkte an. Ich kann den luftgetrockneten Würsten nicht widerstehen und kaufe ein Paar. Gegenüber dem Wagen steht ein Wartehäuschen und ein älterer Mann sitzt dort. Ich geselle mich zu ihm, sehe seinen leeren Korb und frage ihn, worauf er noch wartet. Seine Antwort: „Auf den Bäckerwagen, der kommt immer nach dem Fleischer.“
Also warte auch ich und werde mir Brötchen kaufen. Von ihm erfahre ich, das er in seiner Kindheit auf der anderen Seite der Neiße zur Schule ging. Später auf diese Seite flüchtete. Früher gab es mehrere Brücken rüber, die meisten wurden Ende des Krieges von der deutschen Wehrmacht gesprengt. Dieser Teil von Sachsen gehört zu Niederschlesien. Hier sächselt man nicht. Auch er kann selbstverständlich Schlesisch. Heute leben in den Dörfern entlang der Neiße nur noch Rentner. Die Jungen sind alle weggezogen. Ein bisschen Wehmut klingt bei ihm durch.
Inzwischen wartet auch eine alte Frau auf dem Platz. Dann endlich kommt die Bäckerin. Der alte Mann ist als Erster dran. Doch das Meiste wurde heute schon in den Orten zuvor verkauft. Resigniert schreitet er von dannen, was er haben wollte, gab es nicht mehr. Dann ist die ältere Frau dran, und nun beginnt ein Marathon in Unentschlossenheit. Ein Gartenarbeiter steht hinter mir an und verdreht immer öfter die Augen. Nach langem Hin und Her bin ich schließlich dran. Statt Brötchen kaufe ich mir ein Kuchenstückchen. Nach der Kombination Wurst und Kuchenstück gehe ich wieder meines Weges.
Wieder öfters habe ich nun freien Blick auf die Neiße und die Ufer werden immer ursprünglicher und schöner. Die Neiße schlängelt sich durch die Landschaft und mit ihr auch der Oder-Neiße-Radweg. Bei Lodenau verliere ich wieder die Neiße und laufe danach am Rande eines ehemaligen Fliegerhorstes der DDR vorbei. Inzwischen nur noch Vergangenheit, heute haben sich ein paar Firmen dort angesiedelt und auch dabei ist eine kleine Flugschule.
Inzwischen ist es wärmer geworden und ich laufe wieder nur mit T-Shirt. Doch heute spüre ich deutlicher die Anstrengung. Eigentlich sollten es nach meinen Berechnungen nur etwa 23 Kilometer sein, doch mein Gefühl und die Reststrecke sagen etwas anderes. In Rothenburg suche ich wieder einmal eine Sitzgelegenheit und sehe bei einer Pension, obwohl geschlossen, einen geöffneten Garten mit Stühlen und Tischen. Ich brauche unbedingt eine Verschnaufpause und mehr als vertreiben kann man mich ja nicht. Ich lasse mich im Garten nieder. Wenig später kommt der Zimmerwirt und wir kommen miteinander ins Gespräch. Von ihm erfahre ich, das auch er bereits zweimal einen Wolf gesehen hat. Die Bevölkerung ist zu den Wölfen hier in zwei Lager gespalten.
Bei Nieder Neuendorf folge ich dem Radweg und damit einer unnötigen Schleife. Leider erkenne ich dies zu spät. Bis nach Deschka, meinem heutigen Ziel, sind es noch etwas mehr als 6 Kilometer, der Straße folgend, oder noch mehr Kilometer dem Radweg folgend. Meine müden Füße entscheiden sich für die Straße. Noch im Ort habe ich bei einer Bushaltestelle wieder einmal ein Mobilfunknetz und so melde ich mich bei der Pension.
Die letzten Kilometer auf der wenig befahrenen Straße ziehen sich mächtig, ich sehne mich heute nur noch nach dem Ende der Etappe. Schließlich erreiche ich mein heutiges Ziel. Obwohl ich angerufen hatte, blicke ich wieder in ein ungläubiges Gesicht. Im leeren Gastraum frage ich nach einem Abendessen. Sie wollte gerade schließen, doch mein wohl hungriger Gesichtsausdruck lässt sie erweichen und so kann ich noch etwas bestellen. Nach dem Duschen erhalte ich ein Schnitzel mit Spiegelei und Bratkartoffeln. Dieses Schnitzel ist dick, goss und saftig. Nicht zu vergleichen, mit den letzten großen dünn geklopften und trockenen Schnitzeln.