182. Etappe: 29. Oktober 2013

Lechbruck – Marktoberdorf
Distanz: 26,8 km; Aufstiege: 644 m; Abstiege: 579 m

Nachts werde ich durch starken Regen, der auf das Dachflächenfenster niederprasselt, wach und das schließlich nochmals gegen 4 Uhr. Der Tag beginnt deprimierend.

Als ich den Frühstücksraum betrete, fallen mir sofort wieder die vielen Kissen auf. Wie schon in meinem Zimmer, dort gibt es vier Kissen in meinem Bett, liegen hier überall Kissen. Meine Zimmerwirtin hat ganz offensichtlich ein Faible dafür. Als zusätzliche Sitzunterlage gibt es noch Lammfelle. Der Raum ist hell und geschmackvoll eingerichtet. Alles richtig gemütlich.

Meine Zimmervermieterin ist fast 80 Jahre alt, wie sie mir erzählt. Mich als Preuße scheint sie wie einen Ausländer einzustufen, denn nach fast jedem Satz kommt (ins Hochdeutsche übersetzt :-): „Haben sie mich verstanden?“ Beim Befüllen des Brotkorbes mit Brötchen sagt sie beiläufig: „Diese zwei Brötchen sind für sie:“ Ich antworte: „Nur zwei Brötchen? Ein Pilger hat großen Hunger.“ „Ich habe noch selbst gebackenen Zopf und Roggenbrot“, antwortet sie. Sofort ist sie hellwach und holt einen weiteren Brotkorb aus dem Schrank. Hier kommen meine beiden Brötchen rein. Die restlichen Brötchen bleiben in der Küche. Man weiß ja nicht, ob der Pilger doch mehr als die zwei Brötchen isst :-). Sicher ist sicher. Dann schneidet sie drei Scheiben von ihrem selbst gebackenen Zopf ab und betont: „Ihr Preußen sagt doch lecker? Wir sagen (ein Versuch es bayerisch klingen zu lassen :-)): „Is guuart“.“ Danach fragt sie mich, ob ich auch Spiegeleier mit Speck mag. Ich bejahe es und schon steht sie am Herd und bringt mir wenig später einen großen Teller mit Eier und Speck. Mit Blick auf den Brotkorb kommt von ihr mit vorwurfsvoller Stimme: „Sie haben ja noch nicht meinen Zopf probiert!“

Während des Essens fragt sie mich, ob ich nicht das Gästehaus kaufen möchte. Dann beklagt sie sich über einen Pilger. Dieser hatte es abgelehnt bei ihr ein Zimmer zu nehmen, da die WCs auf dem Flur sind. Hier beruhige ich sie und erkläre ihr, das war kein wirklicher Pilger, höchstenfalls „Edel- oder Luxuspilger. Als Pilger braucht man keine Sterneunterkunft. Herbergen in Spanien oder Frankreich haben die Duschen und WCs auf dem Flur. Diese besonderen Ansprüche gab es bereits bei einem „Promipilger“ 🙂 mit Buchveröffentlichung.

Meine Etappe beginne ich mit Poncho und leichtem Regen. Zur Vorsicht bleibe ich bis Bernbeuren auf der wenig befahrenen Kreisstraße. In Bernbeuren besuche ich die Kirche und finde dort in einem kleinen Kasten auch einen Pilgerstempel. Meine Vermieterin hatte so etwas nicht. Nach Bernbeuren führt der Camino durch die Feuersteinschlucht. Ich riskiere es und komme in eine problemlos zu laufende kleine Schlucht mit einem munter dahin plätschernden Bach. Zwar muss ich auch auf die nassen Blätter und Wurzeln achten, doch hier gibt es keine kritischen Stellen.

Nach Verlassen der Schlucht erreiche ich eine Kreisstraße und verlasse diese nicht mehr bis auf den Auerberg. Die Sicht in die weitläufige Landschaft und zu den Alpen ist hier sehr gut. Ich halte mich jedoch nicht lange auf und steige wieder ab. Jetzt geht es teilweise durch dichten Nadelwald, doch meistens am Waldrand entlang, immer wieder mit Blick auf die Alpen. Leider sind die Gipfel komplett in Wolken gehüllt. Bei einer Bank mit herrlichem Blick mache ich eine Pause. Hier gibt es eine sehr detaillierte Panoramansicht mit allen Namen der Bayerischen- und Allgäuer Alpen.

Danach durchlaufe ich Stötten und Burk. Schließlich nähere ich mich Bertoldshofen. Hier sehe ich einen jungen Bauern beim Werkeln an einem Elektrozaun. Neugierig frage ich ihn nach der Dauer einer Batterieladung für einen Elektrozaun. Sicher etwas unpräzise meine Frage und so dauert es eine Weile, bis er antwortet: „Kommt drauf an.“ Ich hake nach: “Hier bei diesem Zaun?“ Er wieder: „Kommt drauf an. Hängt von der Batterie ab.“ Ich: „Bei dieser Batterie.“ Er wieder mit Verzögerung: „Kommt drauf an.“ Nun gehe ich in die Offensive: „Eine Woche oder einen Monat?“ Er sichtlich genervt: „Von Frühjahr bis Herbst.“ Nicht ohne seinen Nachsatz zu vergessen: „Kommt aber drauf an.“ Mir reicht es, dem jungen Mann muss ich jedes Wort aus der Nase ziehen und so verabschiede ich mich von ihm. An seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, er ist froh den lästigen Frager loszuwerden. Ab Bertoldshofen folge ich meinem Smartphone-Navi und verlasse das Dorf auf einem Wirtschaftsweg Richtung Rieder. Bei der Abzweigung zur Bundesstraße rufe ich meinen Zimmervermieter an und frage nach Möglichkeiten zum Abendessen in der Kreisstadt. Er antwortet mir, dass er mich in den Ort fahren kann, ich aber auch bei ihm etwas essen könnte. Ich soll erst einmal ankommen, dann bereden wir das. Jetzt sind es noch etwa drei Kilometer.

Der Weg führt geradewegs auf die Bundesstraße zu und ich sehe regen Verkehr und schnelles Fahren. Hoffentlich gibt es dort einen Radweg. Als ich näherkomme, erkenne ich das entsprechende Hinweisschild und bin beruhigt. Etwa einen Kilometer laufe ich an der B472 entlang und biege dann auf einen schmalen Weg Richtung Marktoberdorf ab. Dieser mündet in eine Allee mit alten knorrigen und wuchtigen Linden. Kurz bevor ich das Ende der Allee erreiche, überhole ich einen Mann. Er fragt mich, ob ich ein Jakobspilger bin und ich bejahe es. Sofort folgt die Frage, ob ich zu Elfis Pilgerquartier gehe. Auch das bejahe ich und er bestätigt mir, hier auf dem richtigen Weg zu sein. Ergänzt dann noch: „Dort gibt es einen Pilgerstempel, sie brauchen nicht zur Kirche zu laufen.“ Ich bedanke mich für diese Information und eile weiter. Inzwischen ist es deutlich dunkler geworden. Am Parkplatz laufe ich ein kurzes Stück in falsche Richtung, merke aber schnell den Fehler. Schließlich erreiche ich das Haus mit dem Pilgerquartier.

Erhard empfängt mich und führt mich zur Herberge. Ich trete ein und bin schlagartig in der Welt spanischen Herbergen angekommen. Gleich am Eingang stehen Pilgerstöcke und auch an der Wand hängen drei Stöcke. Die Wände uneben verputzt und weiß gestrichen, klassisch wie in Spanien. Ich bin begeistert und beeindruckt. Sofort kommen Erinnerungen an meine Caminos in Spanien bei mir hoch. Zum Empfang erhalte ich erst einmal Saft und Wasser. Erhard überträgt Daten meines Pilgerausweises in seine Pilgerliste und wir unterhalten uns eine Weile. Dann führt er mich hoch zu den Zimmern. In meinem Zimmer stehen zwei Betten, doch später sehe ich, man kann noch jeweils ein Bett herausziehen. Es gibt einen Aufenthaltsraum mit Bibliothek, eine Selbstversorgerküche und ein großes Bad mit WC. Was es so angenehm macht, sind die vielen Kleinigkeiten. Hier haben Personen eingerichtet, die selbst schon viel unterwegs waren und die Bedürfnisse genau kennen. Alles ist geschmackvoll und gemütlich hergerichtet.

Der nächste Höhepunkt kommt, als ich zur vereinbarten Zeit nach unten gehe. Der Tisch ist bereits gedeckt und eine Flasche Rioja steht ebenfalls auf dem Tisch. Als Aperitif gibt es einen Portwein. Es folgen Rioja und ein viergängiges Pilgermenü. Der Abend klingt mit Gesprächen über die Caminos und von meiner Wanderschaft aus.  

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