53. Etappe: 30. Mai 2013

Rodenkirchen – Bremerhaven  16,9 km

Noch vor dem Frühstück plane ich meine heutige Route nach Bremerhaven und wieder einmal komme ich dadurch sehr spät los. Es ist noch trocken, aber für heute ist Gewitter angesagt.

Gegen Mittag erreiche ich den Weserdeich. Eine Treppe führt auf den Deich und voller Spannung steige ich hinauf. Die Enttäuschung ist groß, von der Weser ist hier nichts zu sehen.

Mein Weg führt mich einige Zeit am Deich entlang, dann erreiche ich das Kernkraftwerk Unterweser und muss im großen Bogen die Weser verlassen. Noch bevor ich mich wieder der Weser nähere, erreiche ich einen kleinen See, der zu einem Fischereiverein gehört. Da es am See mehrere Bänke gibt, mache ich hier meine erste Pause. Ein Journalist der Kreiszeitung Wesermarsch hatte sich überraschend gestern bei mir gemeldet und mit ihm spreche ich über ein Treffen in Nordenham.

In Kleinensiel verpasse ich den Zugang zur Deichstraße. Mein gepflasterter Wirtschaftsweg verläuft jedoch parallel dazu und uns trennt nur ein Bahngleis. Nach etwas mehr als zwei Kilometer bin ich am Stadtrand von Nordenham angelangt und vereinbare nun den Zeit- und Treffpunkt für das Interview. Bis ins Zentrum sind es dann noch weitere zwei Kilometer.

In einem Café fragt mir Herr Schönig „Löcher in den Bauch“. Im Anschluss daran gehen wir in Richtung Deich und er macht bei einer Skulptur noch einige Fotos von mir.

Der weitere Weg zum Fährhafen verläuft unspektakulär auf einem Radweg an der Kreisstraße entlang. Am Hafen abgekommen, brauche ich nicht lange zu warten und eine Fähre legt an. Nach ca. 20 Minuten erreiche ich dann Bremerhaven. Mein Hotel liegt in der Nähe des Hafens und ist schnell erreicht. Ich bin nicht im Hotel, sondern in einem Appartementhaus untergebracht.

52. Etappe: 29. Mai 2013

Varel – Rodenkirchen  24,9 km

Mein Wecker reißt mich um 6 Uhr aus dem Schlaf. Ich brauche noch einige Zeit richtig wach zu werden. Dann aber beginne ich mit dem gestrigen Bericht, ich bin im Hintertreffen mit zwei Berichten. Um 7 Uhr unterbreche ich für das bestellte Frühstück.

Das Frühstück ist reichlich und der Hotelier sehr aufmerksam. Schnell erhalte ich neuen Saft und neuen Kaffee. Papiertüten zum Einpacken des Proviants für unterwegs liegen auch schon auf dem Tisch. Ich schmiere mir zwei Brote und erhalte noch zusätzlich Joghurt zum Mitnehmen.

Anschließend schreibe ich meinen Bericht fertig und erstelle meine heutige Route. Nach dem Bezahlen füllt mir der Hotelier meine Wasserflasche mit Mineralwasser und Apfelsaft auf. Dann endlich gehe ich los. Schnell erreiche ich die Bundesstraße B437. Es wird ein ungemütlicher „Arbeitstag“. Bis auf ein Teilstück laufe ich heute auf dem asphaltierten Radweg nach Rodenkirchen. Leider setzt sich das Traumwetter von gestern nicht fort. Der Himmel ist bedeckt und es ist auch deutlich kühler geworden. Nach etwa zwei Kilometer erreiche ich eine Brücke über eine Bahntrasse und mein Navi zeigt mir die Abzweigung von der Bundesstraße an. Dieser Weg ist länger und so entscheide ich mich kurz entschlossen für die harte Variante, weiter an der Bundesstraße entlang. Noch schaue ich mir die Landschaft rechts und links von der Straße an. Und schon bald sehe ich linker Hand den Deich zum Jadebusen. Es ist viel Verkehr auf der B437 und es wird zum Teil gerast und häufig riskant überholt. Dieses Überholen und auch die Raserei nerven mich.

Nach einer endlos erscheinenden Graden erreiche ich die Jade. Sie mündet hier mit einem Mündungssperrwerk in den Jadebusen. Zu allem Übel setzt nun auch der angekündigte Regen ein und ich muss meinen Poncho anziehen. Es folgen weiter endlose Geraden, die lediglich durch eine Kurve unterbrochen werden.

Bei einer Pferdekoppel mit vier Hengsten halte ich kurz an. Sie drehen neugierig ihre Köpfe zu mir hin und ich spreche auf sie ein. Ein Hengst nickt mit dem Kopf, als wolle er meine Worte bestätigen. Dann galoppiert er plötzlich los. Kommt aber danach näher zu mir hin und wieder rede ich auf ihn ein. Wieder folgt ein Nicken mit anschließendem Galopp. Leider ist der Regen zu stark um diese Situation mit der Kamera festzuhalten.

In Diekmannshausen nutze ich ein geöffnetes Restaurant für eine Pause im Warmen und ohne Regen. Danach erreiche ich kurz hinter Diekmannshausen die schon öfters angekündigte Straßenbaustelle mit Vollsperrung. Ab hier stapfe ich für ca. drei Kilometer alleine an der Baustelle entlang. Der Regen ist inzwischen kräftiger geworden. Am Ende der Baustelle sehe ich eine überdachte Bank bei einer Tischlerei und verbringe wieder eine Pause im Trockenen.

Auf der nächsten langen Geraden komme ich an einer Viehweide mit jungen Rindern vorbei. Wieder rede ich mit ihnen und ein zügiger Marsch aller Rinder setzt ein. Schön in reih und Glied stehen sie dann am Zaun und beäugen den seltsamen Wandergesellen. Das Bild ist herrlich und diesmal mache ich ein Foto davon. Irgendwie komme ich mir wie Doktor Dolittle mit seinen Tieren vor. Bereits nach der nächsten Kurve schwätze ich mit der nächsten Rinderherde und halte diesmal den Marsch in einem kurzen Video fest.

Nun beginnt für mich der lange und unerfreuliche Marsch von etwa neun Kilometer auf dem fast schnurgeraden Radweg. Der Regen hat aufgehört und ich ziehe den Poncho aber nur halb aus, da die dunklen Regenwolken weiteren Regen ankündigen. Selbst der schön anzusehende Holunder, der für eine längere Strecke ein Spalier bildet, kann mich nicht mehr richtig begeistern. Ich spüre immer deutlicher meine Füße, die nach Ende schreien und die Geraden machen mich zusätzlich mürbe. Selbst eine fast völlig vermüllte Schutzhütte und nach weiteren drei Kilometer eine mit Vogelkot verschi… Hütte stören mich nicht wirklich, mein Körper verlangt nach Pausen. Die noch zu leistenden sieben Kilometer nehmen kein Ende. Dann endlich verlasse ich die B437, die hier zu einer Schnellstraße wird, und biege auf eine Kreisstraße ab. Jetzt sind es nur noch zwei Kilometer und diese letzten Kilometer vergehen nun schnell. Um 19:30 Uhr erreiche ich endlich meine heutige Unterkunft.

51. Etappe: 28. Mai 2013

Neuenburg – Varel  20 km

Der Morgen empfängt mich mit blauem Himmel und Sonnenschein. Es ist trotzdem noch etwas kühl, aber der Tag beginnt sehr vielversprechend. Nach ca. 1 ½ Kilometer verlasse ich Neuenburg und laufe an Feldern und Wiesen vorbei. Teilweise wurde auch schon gemäht und das Gras liegt noch zum Trocknen auf den Wiesen. Dann rechts vor mir ein sehr großer Stall und oben im Gipfelbereich des Stalls steht ein Schild: „Onken’s Hof. Legehennenstall. Eier aus Freilandhaltung“. Ich bin irritiert, auf den Feldern und Weiden um das Gebäude herum ist kein einziges Huhn zu sehen. Wo sind die freilaufenden Legehennen?

Zunächst ist der Wirtschaftsweg asphaltiert, dann ändert sich der Belag und der Boden ist mit rechteckigen Pflastersteinen in loser Folge belegt. Spurrinnen und ausgefahrene Löcher erschweren das Laufen. Der Weg führt durch einen Mischwald. Um mich herum viel Vogelgezwitscher und glücklicherweise nur ab und zu kommt Fahrzeug an mir vorbei. Auf einer Informationstafel lese ich, dass ich mich gerade auf der Urwaldroute durch den Neuenburger Urwald befinde. Um diesen Urwald ranken zahlreiche Sagen, berichtet die Informationstafel.

Nach dem Verlassen des Urwaldes habe ich jetzt beiderseits des Weges Kräuterwiesen mit lockerem Baum- und Buschbestand. Eingetaucht im satten Grün und durchsetzt mit vielen weißen Köpfen des Löwenzahns.

Am Rande eines Dorfes mache ich auf einer frisch gemähten Wiese unter einem alten Baum meine erste längere Pause. Endlich einmal schönes Wetter und ich genieße Sonne und blauen Himmel.

Vorbei geht es an Anbauflächen und einzelnen Gehöften. Die Bäume am Rande des Weges überragen teilweise den Wirtschaftsweg und bilden hin und wieder eine Allee. Ich komme an einem Klosterhof vorbei. Nach einiger Zeit bin ich mitten in herrlichen Kräuterwiesen und umgeben von einer Buschlandschaft. Keine Motorengeräusche, nur noch Vogelgezwitscher und über mir die Sonne und mit Wolken durchzogenen blauen Himmel. Mir fällt sofort eine Landschaft auf der Via de la Plata ein, auf der ich zu einer Herberge in einer alten Ölmühle unterwegs war. Nur dort standen vereinzelt alte Olivenbäume, ansonsten sah alles sehr ähnlich aus. Ich entschließe mich erneut für eine längere Pause auf der Wiese am Wegesrand und breite meine Zeltunterlage aus. Hier zu liegen und endlich die Sonne zu spüren ist ein wundervolles Gefühl. Mein Blick in den wolkigen Himmel genieße ich. Es erinnert mich an viele traumhafte Tage durch Frankreich und Spanien. Jetzt fehlt fast nur noch ein Baguette und Roquefort oder ein leckerer Ziegenkäse zum Glück. Irgendwie schlafe ich dabei ein und wache nach ca. 20 Minuten wieder auf.

Auf der Via de la Plata machte ich in der ähnlichen Landschaft ebenfalls eine Pause. Auch dort bin ich eingeschlafen und wurde durch die Guardia Civil – eine mehr militärisch ausgerichtete Polizeieinheit – geweckt. Was sie damals von mir wollten, habe ich nicht verstanden. Ich antwortete in Deutsch und sie fuhren danach weiter.

Weiter laufe ich noch einige Zeit durch diese schöne Landschaft. Am Ende stoße ich auf einen kleinen Graben und mit leichtem Dickicht dahinter, das mich von der Kreisstraße trennt. Das Hindernis ist jedoch kein Problem zum Überwinden. Ich laufe ein kurzes Stück an der Straße entlang. Nach meiner ausgearbeiteten Route sollte es jetzt auf der anderen Straßenseite einen Waldweg zum Mühlenteich geben. Ich finde nur einen kaum erkennbaren Trampelpfad in den Wald und folge diesem ca. 100 Meter. Doch der lässt keine Abbiegung, wie mein Navi von mir verlangt, zu. Das ist mir alles viel zu unsicher und so laufe ich zurück zur Kreisstraße. Nach etwa 500 Meter kann ich dann links abbiegen und folge dem Weg. Nach meinem Navi verläuft dieser Weg mit einigem Abstand fast parallel zur Route durch den Wald. In Obenstrohe zeigt mir mein Navi eine Verbindungsstraße durch den Ort zurück auf meine Route an. Zuvor jedoch mache ich an einem Kiosk Rast. Die junge Bedienung fragt interessiert nach meiner Wanderschaft. Ich bin überrascht und erfreut, es ist das erste Mal, dass ich von einer jungen Person darauf angesprochen werde. Gerne gebe ich Auskunft und dabei kaufe ich mir aus „Heißhunger“ 2x eine Tüte mit Süßigkeiten.

Ich erreiche meine Route wieder und biege dem Navi folgend recht in einen kleinen Weg ab, der mich zu einer Brücke über die Autobahn bringen soll. Leider endet der Weg vor einem Feld und ich muss umkehren. Über den Wirtschaftsweg geht es an Feldern vorbei und im Wald dann zur Brücke über die A29. Auf der anderen Seite bin ich sofort wieder im Wald und folge dann einem kleinen Trampelpfad am Zaun entlang einer verlassenen Kaserne bis nach Varel. Das Hotel liegt, wie der Name des Hotels „Central Hotel“ besagt, im Zentrum von Varel. Obwohl ich heute nur 20 Kilometer mit viel herrlichen Pausen bewältigt habe, bin ich müde und verschiebe das Schreiben des Berichtes auf morgen früh. 

50. Etappe: 27. Mai 2013

Wittmund – Zetel-Neuenburg  24,7 km

Noch bis 0:30 Uhr saß ich heute Nacht beim Schreiben meiner Postkarten und gegen 21 Uhr war plötzlich die Mine leer. Ich musste Jürgen bitten, mir mehrere Kugelschreiber zu bringen. Auf halben Weg in Wittmund trafen wir uns zur Übergabe.

Um 7 Uhr gehe ich in die Kasernenkantine. Widererwarten sitzen nur zwei Soldaten hier. Ich hatte mir mehr Leben hier erwartet. Nach dem Frühstück packe ich meinen Rucksack und rufe Jürgen um 8:30 Uhr für ein Treffen in Tankstelle an. Dort ist eine Poststelle und ich muss hier unbedingt meine Postkarten und einen Brief abgeben.

Fast gleichzeitig kommen wir an und Jürgen lädt mich zum Abschiedskaffee ein. Er hat den Anzeiger für Harlingerland dabei. Auf Seite 4 ist ein Artikel über mich. Er ist mit dem Artikel in den Langeoog News identisch. Wie immer sprüht Jürgen über vor guter Laune. Wir gehen nochmals zum Fliegerhorst, damit ich mich dort noch bedanken kann und auch um einen Stempel in mein Stempelheft zu bekommen. Leider treffen wir den Ex-Kollegen von Jürgen nicht an. Meinen Stempel bekomme ich trotzdem.

Jürgen begleitet mich bis zur Kreuzung B210 und Kreisstraße Richtung Friedeburg. Dort fotografieren wir uns mit der Phantom im Hintergrund. Er entschließt sich, mich noch bis zur Harle zu begleiten. Dann verabschieden wir uns endgültig.

Nach drei Tagen Pause geht’s nun wieder los. Bei einer Pause beginne ich mit der Unterkunftssuche. Das Naturfreundehaus ist belegt und jetzt muss ich erfahren, dass Vermieter von Ferienwohnungen keinen Wanderer für eine Nacht wollen. Es gestaltet sich schwierig, und erst als ich auf den nächsten Ort Neuenburg ausweiche, finde ich ein Hotel. Dann geht es wieder weiter. Bei der nächsten kurzen Pause in einem Buswartehäuschen versuche ich nochmals Hinrich, meinen Ex-Schwager, zu erreichen. Diesmal klappt es und wir reden kurze Zeit unter erschwerten Bedingungen – der Krach durch vorbei fahrende Fahrzeuge ist groß – miteinander. Er erkundigt sich nach meinem Weg, bevor ich wieder starte.

Ich erreiche Leerhafe und am Ausgang des Ortes kommt jemand plötzlich auf den Radweg und fotografiert mich. Es ist Otto, der Freund von Hinrich. Der kommt dann auch hinzu. Ich freue mich sehr, dass ich zu guter Letzt nun auch Hinrich treffe. Wir schwätzen noch eine Weile und verabreden ein weiteres Treffen in Friedeburg um etwa 14 Uhr.

Zunächst geht es noch eine Weile an der Kreisstraße entlang, bis ich endlich in einen Waldweg abbiegen kann. Das Wetter ist angenehm und so breite ich an einer bemoosten Böschung des Weges meine Zeltunterlage aus und lege mich für ein Päuschen hin. Irgendwie schlafe ich ein und wache erst nach 20 Minuten wieder auf. Eigentlich könnte ich hier noch länger liegen, nur wird es jetzt eng mit meinem Treffen in Friedeburg. Ich befinde mich in einem Mobilfunkloch und kann auch nicht anrufen.

Bei einer Brücke über einen Fluss frage ich zwei Männer nach dem Namen des Flusses und erfahre, es der Ems-Jade-Kanal ist. Wir kommen eine Weile ins Gespräch und einer der beiden berichtet mir, dass er gerne eine Alpenüberquerung machen möchte.

Auf dem weiteren Weg laufe ich an kleine Siedlungen vorbei. Bei Hesel an einem Denkmal mache ich eine Rast und rufe Hinrich an. Sie warten bereits in Friedeburg und dachten, ich komme an der Kreisstraße entlang. Nun kommen sie zum Denkmal.

Hinrich lädt mich zum Kaffee ein und wir fahren zu einem, beiden bekannten, Café. Wir schwätzen einige Zeit, auch über die Vergangenheit, und die Zeit rinnt dahin. Otto fährt mich bis nach Marx. Hier steht ein altes Kirchenspiel, mit erstmaliger Erwähnung in einer Urkunde im Jahre 1134. Ich entschließe mich, weiter an der Straße zu laufen. Meine Route führt mich nach Zetel, ich habe aber in Neuenburg meine Unterkunft. Im Nachhinein war es gut, bis nach Marx gebracht zu werden.

NachErreichen von zwei Baggerseen komme ich an ein abgesichertes Gelände vorbei, eine Kaserne oder ein Munitionslager. Der Weg an dem Militärgelände vorbei zieht sich und ich mache am Straßenrand eine Pause. Dabei stelle ich fest, dass Wilbur mich bereits mehrmals versucht hat zu erreichen. Er möchte mich nochmals treffen. Gerne verabrede ich mich mit ihm in meinem Hotel. Kurz vor 19 Uhr erreiche ich das Hotel und gegen 19:30 Uhr sitzen wir beide bereits zusammen. Jetzt haben wir endlich Zeit auch mal über unseren Werdegang der letzten vierzig Jahrezu berichten. Nach dem Essen hilft mir Wilbur, meine morgige Route nach Varel am Notebook auszuarbeiten. Keine leichte Aufgabe, denn diese Gegend ist durchzogen von Bächen und Gräben. Dabei kann Wilbur einmal sehen, wie lange so eine Planung am PC dauert. Hier kennt er sich ganz gut aus, ich aber habe nie eine Kenntnis von den Gegebenheiten der jeweiligen Gegend. Als es ans Zahlen geht, übernimmt zu meinem Erstaunen Wilbur meinen Anteil.

Wir verabschieden uns und für mich war dieser Tage ein Tag mit vielen Überraschungen. Insgesamt war meine Zeit in Ostfriesland sehr intensiv und mit vollem Programm. Es war sehr schön, wieder hier gewesen zu sein. Ich werde noch lange an diese Zeit denken.

Fotos von mir Fotos von Otto Foken

Pausentage Wittmund

Freitag, den 24. Mai 2013

Wieder habe ich keinen Wecker gestellt und werde relativ spät wach. Die Erkältung steckt mir in den Knochen und es reift bei mir der Entschluss, heute nicht nach Wittmund zu laufen. Ich genieße wieder das gemeinsame Frühstück mit Inge und Manfred. Danach beginne ich, den Bericht für vorgestern zu schreiben. Es dauert und die schlechte Mobilfunkverbindung bringt mich zur Verzweiflung.

Danach bringen mich Inge und Manfred zum Fliegerhorst des Traditionsgeschwaders, Jagdgeschwader 71 „Richthofen“ (kurz JG 71). Hier habe ich nach der Grundausbildung meine 4-jährige-Bundeswehrzeit verbracht. Im Fliegerhorst ist für mich eine Unterkunft organisiert. An der Hauptwache wechsel ich meinen Personalausweis gegen einen Besucherausweis und einen Umschlag mit Zimmerschlüssel. Ich freue mich, nun auch wieder in meine Vergangenheit einzutauchen. Vieles erkenne ich sofort wieder. Die F86 Sabre MK6 steht immer noch im Eingangsbereich des Fliegerhorstes. Hinzugekommen ist der Starfighter F-104 G und die Phantom F-4F. Auch der Eingangsbereich des Gebäudes erkenne ich sofort wieder, wenn ich auch damals in einem anderen Gebäude untergebracht war. Ein spannender Moment ist es, als ich meine Zimmertür im Obergeschoss öffne. Ich blicke sofort auf ein Doppelstockbett, das frische Bettzeug und ein Handtuch liegen darauf. Links von der Tür zwei Kleiderspinde. Heute mit einer grünen Kunststoffbeschichtung, früher war es eine Holzverkleidung. Ich öffne die Tür und im Inneren sieht es immer noch so aus, wie ich es in Erinnerung habe. Spiegel in der rechten Tür, mit Schloss abschließbares Privatfach rechts (dieses wurde nicht bei der Stubenkontrolle kontrolliert) und ein weiteres großes Fach mit Tür. Darunter drei offene Fächer und links das große Kleiderfach für Jacken und Hosen. Oberhalb davon noch ein schmales, über der gesamten Schrankbreite verlaufendes, Fach. Im Raum steht noch ein Tisch mit zwei Stühlen. Für das Beziehen des Bettes hätte ich damals sicher einen Ansch… bekommen und es nochmals Beziehen müssen. Für mich ist es aber ordentlich genug.

Auf dem Flur im Obergeschoss sind die WCs, die Wasch- und Duschbereiche für Männer sind hier jetzt im Erdgeschoss untergebracht. Im Obergeschoss befinden sich jetzt als Neuerung gegenüber damals, die Duschen und der Waschraum für „Damen“.

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken, die es mir ermöglicht haben im Fliegerhorst zu übernachten.

Ich räume einen Teil des Rucksackes in den Spind und breite mich auf dem Tisch aus. Der Bericht für die letzte Etappe nach Westeraccumersiel muss geschrieben werden. Zwischendurch verabrede ich mich mit Helga für den Abholtermin um 18 Uhr von der Hauptwache. Der Bericht, die Bearbeitung der Bilder und GPS-Daten nimmt mich bis kurz vor 18 Uhr in Beschlag.

Pünktlich um 18 Uhr bin ich an der Hauptwache und auch Helga kommt gerade angefahren. Ich freue mich sie wiederzusehen und wir fahren auf Wunsch von mir auf der alten Poststraße nach Adorf. Wir kommen an der Nebenwache vorbei und die ersten Erinnerungen kommen in mir hoch. Damals bin ich in der letzten Zeit meiner Bundeswehrzeit als Heimschläfer auch über die Nebenwache und über die alte Poststraße nach Hause gefahren. Vieles erkenne ich nicht mehr, alles ist jetzt so aufgeräumt und neu. Erst als wir an dem Gasthof in Adorf vorbeifahren, kommen bei mir die Erinnerungen zurück. Hier hatte ich mit Marga, meine erste Frau, die Hochzeitsfeier und später fand hier auch die Silberhochzeitsfeier meiner Ex-Schwiegereltern statt. Nebenan steht noch das Haus des örtlichen Hausarztes, Margas erste Arbeitsstelle. Weiter geht es in Richtung Borgholt. Beim Bauernhof von Margas Eltern und meinem letzten Wohnort in Ostfriesland halten wir kurz an. Heute leider mit einem großen Hoftor verschlossen und inzwischen unbewohnt. Ein komisches Gefühl kommt bei mir hoch, den Bauernhof so unbewohnt zu sehen. Nicht weit von hier erreichen wir dann den Bauernhof von Helga und Hinrich. Zunächst fahren wir zum links liegenden kleinen Haus. In der Zeit meines Ostfrieslandaufenthaltes, die Bleibe von Horst und seiner Mutter.

Dieses kleine Haus, inzwischen mit Anbauten, war auch unser Ferienhaus in Ostfriesland. Damals haben Noriko und ich mit unseren beiden Töchtern Akane und Michiko hier übernachtet. Mit unserem neuen Honda Accord (damals die erste Baureihe des Herstellers in Deutschland) und zwei Kinderbetten auf dem Dach, reisten wir hier an. Damals war gerade auch Marga bei ihrer Mutter zu Besuch und wir trafen uns bei meiner Ex-Schwiegermutter.

Etwas grau, aber unverändert, kommt uns Hinrich, auch ein Cousin von Marga, entgegen. Ihn wiederzusehen, freut mich sehr. Beide haben die Landwirtschaft vor etwa sieben Jahren aufgegeben. Sie führen mich auf dem großen Gelände des Hofes rum. Vieles haben sie in Eigenleistung verändert und es sich sehr wohnlich gestaltet. Dazu gehört auch ein großer Partyraum, in dem schon viele Feiern veranstaltet wurden. Anschließend essen wir an einem reichlich gedeckten Tisch zu Abend. Als mich Helga fragt, ob ich Kaffee oder Tee haben möchte, entscheide ich mich als Kaffeetrinker hier und heute für den klassischen Ostfriesentee. Es ist für mich seit damals wieder das erste Mal, so einen echten Ostfriesentee zu bekommen.

Beim „echten“ Ostfriesentee handelt es sich um eine spezielle, kräftige Teemischung, die aus über 20 verschiedenen Teesorten in Ostfriesland gemischt wird. Es gibt drei große Teehandelshäuser für diesen speziellen Tee. Der Name ist aber nicht geschützt.

In einer dünnen Porzellantasse gibt mir Helga ein paar weiße Kluntjes (Kandiszucker). Dann schüttet sie mir den heißen Ostfriesentee nach und es knistert leicht. Mit einem speziellen Sahnelöffel (Rohmlepel) gibt sie mir ein paar Tropfen Sahne (Rohm) in den Tee. Es entsteht durch die dicke, fette Sahne eine typische Sahnewolke im Tee („’n Wulkje Rohm“).

Helga und Hinrich sind mir schon immer sehr sympathisch gewesen und so kommen wir schnell ins Plaudern. Helga zeigt mir Bilder von unserem Aufenthalt bei ihnen. Wir tauschen uns aus über die lange Zeit ohne Kontakt. Der Gesprächsstoff nimmt kein Ende und in der Wohnstube schauen wir uns Bilder ihrer Reise nach Lanzarote an. Ich merke, dass diese von ihren Kindern geschenkte und organisierte Reise, ein einmaliges Erlebnis für beide war. Hinrichs Schwestern, die auch dort leben, taten ein Übriges dazu. Mit der vorher betriebenen Landwirtschaft war es unmöglich so eine Reise zu unternehmen. Es folgen noch Bilder meiner Wanderschaft und ich erfahre danach noch von Hinrichs großer Leidenschaft zur Musik. Ich freue mich für beide, dass sie inzwischen ohne Landwirtschaft förmlich aufblühen. Wir verplaudern uns bis nach ein Uhr in der Frühe. Dann bringt mich Helga zurück zum Fliegerhorst. Es war wunderbarer Abend mit beiden.

Samstag, den 25. Mai 2013

Die Nacht zum Samstag wieder ohne wecken tat mir gut. Nun steht ein volles Programm für mich an. Zunächst kommt Jürgen, mein Freund aus der Bundeswehrzeit, zu mir in den Fliegerhorst. Schon auf dem Gang höre ich die „zackige“ Stimme von Jürgen. Er weiß nicht, in welchem Zimmer ich untergebracht bin und macht sich bemerkbar. Groß ist die Freude, als er ins Zimmer tritt. Immer noch unverändert sieht er aus und wie früher ein immer mit guter Laune gesegneter Mensch. Unsere Fahrt beginnt mit einem kurzen Abstecher zu den Gebäuden der Elowa-Staffel. Natürlich gehen wir zusammen hoch in den ersten Stock und zu unserem letzten gemeinsamen Zimmer. Ich verkneife mir Fotos im Fliegerhorst zu machen, auch wenn es sicher schön gewesen wäre, ein paar Bilder von hier zu haben.

Danach fährt mich Jürgen zu meinem Termin bei Horst und Hannelie. Dabei geht es vorbei an der Tankstelle, der Polizeiwache und dem Gasthof im Innenstadtbereich von Wittmund.

An dieser Tankstelle habe ich mein erstes Auto, einen Opel Kadett A, gekauft. Der Benzinpreis lag damals bei ca. 30 – 40 Pfennig! Die Polizeiwache habe ich zusammen mit Jürgen, Plautschi und noch ein paar anderen zwangsweise besucht und ist mir in guter Erinnerung geblieben.

Wir fuhren nach der Grundausbildung in Goslar zusammen im Zug nach Wittmund und alle waren zunächst entsetzt in eine so „einsame“ Landschaft, weit weg im Norden stationiert zu werden. Daher sind wir gleich zu Beginn unseres Aufenthaltes bei der ersten Gelegenheit im Ort zu dieser Kneipe, heute ein Hotel, gelaufen. Hier haben wir einiges konsumiert und sind gut angeheitert und singend mit einem Bein auf dem Bürgersteig und mit dem anderen Bein auf der Straße in Richtung Fliegerhorst marschiert. Das auf dieser Strecke auch die Polizeiwache lag, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Polizei, unser Freund und Helfer, leitete unseren Marsch in die Wache um. Das Ganze ging glücklicherweise glimpflich ab.

 Das Haus von Horst und Hannelie liegt versteckt hinter vielem Grün. Ich klingele und Hannelie öffnet mir die Tür. Sie ist, immer noch wie ich es in Erinnerung habe, eine schöne und exotisch aussehende Frau. Freudig begrüßen wir uns und ich trete in ein atemberaubendes mit viel Liebe eingerichtetes Inneres. Dort empfängt mich erfreut Horst, auch er ist immer noch unverändert. Irgendwie kommt sofort viel Erinnerung aus vergangener gemeinsamer Zeit in mir hoch. Auch hier wähle ich wieder den klassischen Ostfriesentee, der mir als Kaffeetrinker, wieder immer besser schmeckt. Schnell tauchen wir wieder ein, in unsere gemeinsame Vergangenheit. Ein paar alte Fotoalben verstärken noch in mir diese Vergangenheitsgefühle.

Mit Horst, Hannelie, Marga und noch ein paar anderen fuhren wir immer an den Wochenenden zu verschieden Tanzlokalen mit Bands. Horst und Hannelie konnten unglaublich gut tanzen und waren ständig die Attraktion auf der Tanzfläche. Inzwischen haben sie eine Flamencotanzgruppe aufgebaut und geben sehr erfolgreich in Ostfriesland Aufführungen.

Damals haben wir öfters bei Horst und Hannelie auf einem Fell vor dem offenen Kamin gesessen und gefeiert. Hier fing auch meine Leidenschaft für die Fotografie an und unsere Gruppe war mein erstes Fotoobjekt. Es folgte die tolle Hochzeit der beiden mit Pferdekutsche. Für Wittmund damals ein außergewöhnliches Ereignis. Wir hatten damals eine schöne Zeit zusammen.

Leider geht meine Zeit bei den beiden viel zu schnell vorbei und ich verabschiede mich mit etwas Wehmut. Nun laufe ich nach Wittmund zurück. Ich bin bei Jürgen und Hannelore zum Mittagessen eingeladen. Hannelore begrüßt mich sehr herzlich. Beide sind ein liebenswertes Paar und ich fühle mich gleich sehr wohl bei ihnen. Nach wieder einem Ostfriesentee und Kuchen am Nachmittag fahren wir zum Fliegerhorst zurück. Im Kasino hat Jürgen mit ehemaligen Kameraden ein Treffen organisiert.

Hier treffe ich mich nun mit den Kameraden Jürgen, Wilbur, Pemann, Atze und Jabo. Wilbur erkenne ich sofort wieder, er hat sich nicht verändert. Die anderen Drei hätte ich nicht mehr erkannt, auch ihnen geht es mit mir so. Wir verbringen einen schönen Abend zusammen und ich bleibe für das Champions-League-Finale vom BVB gegen Bayern noch im Kasino. Enttäuscht von der Niederlage geht es danach zurück zum Zimmer.

Sonntag, den 26. Mai 2013

Nach einer weiteren Nacht im Fliegerhorst, einem ausgiebigen Frühstück im Kasino sitze ich nun beim Schreiben dieses Berichtes und meiner Karten. Mit den Medikamenten lässt langsam meine Erkältung nach und es geht mir wieder besser. Dieser zusätzliche Tag tut mir gut. Die Zeit hier in Ostfriesland war eine intensive Reise in die Vergangenheit und ich brauche sicherlich noch einige Zeit alle Eindrücke zu verarbeiten.

49. Etappe: 23. Mai 2013

Insel Langeoog  6,5 km

Ohne Wecker werde ich heute Morgen wach und spüre, dass ich mir eine Erkältung zugezogen habe. Ich frühstücke ausgiebig mit Inge und Manfred und lasse es gemächlich angehen. Heute möchte ich die Insel Langeoog besuchen. Zuvor versuche ich noch Jürgen, meinen Freund aus der gemeinsamen Bundeswehrzeit, zu erreichen. Schon seit zwei Tagen klappt das nicht und und werde, wenn es wieder schief geht, diesmal mit Manfred zu ihm nach Wittmund fahren. Ich habe Glück und er meldet sich endlich. Er hatte Probleme mit seinem DSL-Anschluss und war daher nicht erreichbar. Jürgen versucht mir zwei Übernachtungen im Fliegerhorst zu organisieren und eventuell auch ein Treffen mit Ehemaligen aus meiner Bundeswehrzeit.

Manfred fährt mich nach Bensersiel, der Hafen des Fährschiffes nach Langeoog. Die Abfahrtzeit ist 11:30 Uhr. Ich habe nach der Ankunft keine lange Wartezeit und im Touristenstrom geht es gleich aufs Schiff. Nach etwa 40 Minuten erreichen wir den Hafen von Langeoog. Hier lasse ich mich jetzt nicht vom Strom der Touris zur Inselbahn treiben. Biege rechts zum Deich hin ab. Schon jetzt erkenne ich das Teehaus mit seinem Reetdach. Zu meiner Zeit auf Langeoog stand dieses Haus auch schon. An andere Gebäude kann ich mich nicht mehr erinnern, nur es waren bestimmt weniger Gebäude.

Nach meiner 4-jährigen-Bundeswehrzeit in Wittmund habe ich bis zum Schulbeginn bei einer Baufirma in Ostfriesland gearbeitet. Da ich einen bei der Bundeswehr erworbenen Lkw-Führerschein hatte, verschlug es mich für 2-3 Monate auf die Insel Langeoog. Hier wurde der Deich erneuert oder neu gebaut. Ich lebte in dieser Zeit auf einem Bauerhof und wurde Montagsmorgens mit anderen Fahrern von der Baufirma abgeholt. Wir wurden dann zum Hafen nach Bensersiel gebracht und fuhren mit einem kleinen Fischkutter zur Insel Langeoog. Am Freitagnachmittag ging es mit dem Kutter wieder zurück.

In der Nähe des Hafens hatten wir ein Camp mit mehreren Bauwagen. Zu uns gehörte auch ein Koch mit Küchenwagen, der in großzügiger Weise für unser leibliches Wohl sorgte. Es wurde im 2-Schichten-Betrieb gearbeitet. Mit den Lkws ging es vom Camp aus auf einer Sandpiste zur Baustelle. Wir fuhren dann den Sand aus einer vom Bagger ausgehobenen Grube – heute ein kleiner Teich – in immer wiederkehrenden Fahrten zum Deich. Eine Raupe erstellte den Deich dann in seiner heutigen Form. Eine Zeit lang fuhr ich auch Grasnarbenstücke, die damals Holländer auslegten, zum Deich.

Wir hatten zum Teil eine sehr trockene Zeit. Beim Fahren mit den Lkws zurück zur Baustelle, eigentlich ein Rasen, ging es hinter dem Teehaus entlang. Dabei wirbelte der Sand hoch und wurde durch den Wind zu den Kuchen essenden Gästen des Teehauses getragen. Es gab echten Sandkuchen! Das hatte natürlich eine Beschwerde zur Folge, sorgte trotzdem es für einige Zeit bei uns zur Erheiterung.   

Ich steuere zielstrebig das Teehaus an, muss dann davor aber feststellen, dass heute Ruhetag ist. Ein Mann mähte beim Teehaus den Rasen und ich spreche ihn an. Es stellte sich heraus, das er der heutige Eigentümer oder Pächter ist. Vom Teehaus laufe ich weiter bis zur heutigen Segelschule und biege dann links ab. Einige Meter später stehe ich am Deichbeginn. Hinter dem Deich verläuft heute ein gepflasterter Weg, unsere damalige Sandpiste. Bis zum großen Rechtsbogen laufe ich noch auf dem Teich. Am Ende dieses Bogens habe ich damals täglich den Sand abgekippt. Hier komme ich mit einer fotografierenden Spanierin ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass sie in Frankfurt lebt. Sie erzählt mir, dass sie aus dem Baskenland stammt und als junge Frau alleine durch die Extremadura unterwegs war. Dort aber wurde sie von den Leuten als Fremde angefeindet. Wir haben einigen Gesprächsstoff, den auf der Via de la Plata bin ich bei meiner zweiten Pilgerreise auch durch die arme und kaum bevölkerte autonome Provinz Spaniens gelaufen.

Nach diesem Abstecher zum Deich kehre ich zum Hafen zurück. In einem Restaurant beim Hafen will ich einen Kaffee trinken. Zwei Bedienungen laufen öfters an mir vorbei, doch werde ich nicht wahrgenommen. Ich verlasse das Restaurant ohne Kaffee wieder und laufe zurück zum Deichanfang. Hier habe ich mit einem Journalisten der Langeoog News einen Termin. Pünktlich kommt er mit dem Rad, das Verkehrsmittel der Insel, angefahren. Wir plaudern über meine Wanderung, meine Reise in die Vergangenheit und von meiner Tätigkeit auf der Insel. Er macht am Deichbeginn ein Foto von mir und auch noch eins mit meiner Kamera. Am Samstag wird der Artikel dann auf dem Internetportal der Langeoog News erscheinen. Bei mir auf diesem Blog ist rechts im Sideboard bei Berichte der Link zum Artikel inzwischen eingefügt.

Vom Treffpunkt aus laufe ich wieder zum Hafen zurück und begebe mich zu Fuß in den Ort. Nach einem Kaffee am Kiosk beim Bahnhof steige ich in die Inselbahn ein. Um 16 Uhr fährt mich die Bahn zum Hafen und es geht dann mit dem Fährschiff zurück nach Bensersiel. Als ich das Hafengebäude verlasse, wartet Manfred bereits auf mich.

Ich spüre deutlich die immer mehr aufziehende Erkältung und habe auch leicht erhöhte Temperatur. Daher fährt mich Manfred noch zur Apotheke in Bensersiel. Hier nimmt sich die Apothekerin viel Zeit für mich und ich verlasse gut Beraten und mit einem Medikament die Apotheke wieder.

Zurück bei Inge und Manfred, schmeißt Manfred den Grill an. Es ist kühl, aber den ganzen Tag gab es blauen Himmel mit Sonnenschein. Manfred grillt Fleischspieße, Pflaumen ummantelt mit Speck und noch ein Fleischgericht, das er in Brasilien kennengelernt hatte. Für eine weitere Grillphase trete ich in Streik, dies wäre mir vor der Wanderung sicher nicht passiert. Es schmeckte alles vorzüglich, aber ich platzte aus allen Nähten. Mein Magen ist wohl schon geschrumpft nach den oft fehlenden Abendessen. Wir unterhalten uns noch bis Mitternacht. Es war ein schöner und entspannter Tag und vor allem ein schöner Abend mit beiden gewesen. Ich habe mich bei Inge und Manfred wie zu Hause gefühlt und bedanke mich bei beiden sehr herzlich.

48. Etappe: 22. Mai 2013

Norddeich – Westeraccumersiel 30 km

Noch vor Frühstücksbeginn schreibe ich meinen Bericht vom Vortag und korrigiere auch noch meine heutige Route. Dann gehe ich zum Frühstück. Eine reichhaltige Auswahl empfängt mich und ich genieße reichlich diese Auswahl, da ich vermutlich erst wieder bei Inge und Manfred, meinem Schulfreund, etwas zu essen bekomme.

Draußen empfängt mich ein kalter und starker Wind. Ich laufe zunächst wieder in Richtung des Ortes Norden und biege dann in Richtung Küste ab. Bei einem Kreisel geht es auf eine Kreisstraße nach Bensersiel. Einen Radweg gibt es hier nicht. Die Straße ist stark befahren und die meisten Autofahrer verhalten sich mir gegenüber gut und weichen mit genügend Platz zu mir aus. Leider gibt es auch ein paar Id…, die dicht an mir vorbeifahren. Mir wird es mulmig und ich schaue auf mein Navi und suche nach der ersten Abbiegmöglichkeit zum Deich. Der starke Wind schiebt mich immer wieder hin und her.

Nach ca. 1 ½ Kilometer gibt es endlich eine Abzweigung zum Deich. Ich bin froh, endlich von der Straße wegzukommen. Jetzt jedoch bläst mir noch stärker der kalte Wind entgegen. Ich kämpfe gegen diesen Wind und trotz meiner guten Kleidung kühle ich immer mehr aus. Mit meinem großen Rucksack biete ich eine große Angrifffläche für den Wind und Windböen schieben oder drücken mich hin und her. In der Ferne sehe ich mehrere Windkrafträder und die Flügel drehen sich sehr schnell. Ich hoffe, wenn ich den Deich erreiche, dass er mich vor dem Wind schützt. Ich komme dem Deich näher und statt weniger Wind, schütteln mich nun Windböen stark durch.

Am Deich angekommen, geht genau hier eine Treppe hoch auf den Deich. Neugierig endlich die Nordsee einmal zu sehen, gehe ich hoch. Oben angekommen ist der Wind unglaublich stark und ich muss mich am Geländer festhalten. Ich habe Schwierigkeit die Kamera ruhig zu halten, um ein Foto zu schießen. Schnell gehe ich wieder runter und laufe im Windschatten hiner dem Deich. Neben mir im Feld biegen sich die Bäume und Sträucher sehr stark vom Wind.

Mir ist es nur noch kalt und ich sehne mich nach einem Platz zum Aufwärmen. Wie gerufen taucht eine Mutter-Kind-Kurklinik vor mir auf. Doch als ich dort ankomme, sehe ich kein Café und entschließe mich trotzdem in das Gebäude zu gehen. Als ich in den Eingangsbereich komme, sind die Augen von zwei Müttern und mehrerer Kinder auf mich gerichtet. Ich erkläre, dass ich mich nur etwas aufwärmen möchte. Eine Mutter fragt mich, ob ich einen Kaffee haben möchte und ich nicke erfreut.

Nach dieser angenehmen Aufwärmphase laufe ich weiter. Lange Zeit bin ich im Windschatten, nur eine Bank fehlt mir. In einem großen Deichbogen bläst mir der Wind wieder ins Gesicht. Ein Radfahrer fährt an mir vorbei und bald sehe ich ihn in der Ferne als Punkt verschwinden. Die Erkenntnis, dass es noch sehr lange ist, bis ich den Bogen hinter mir lasse, ist frustrierend. Vor allem möchte ich endlich wieder im Warmen sitzen. Keine Bank weit und breit, aber in der Ferne sehe ich einen Bauwagen und bin fest entschlossen, wenn dort jemand ist, nachzufragen, ob ich im Wagen eine Pause machen kann. Endlich erreiche ich den Wagen und komme zur offenen Tür. Fünf Augenpaare sind fragend auf mich gerichtet. Ich bitte um Einlass und sofort wird für den seltsamen Wandervogel Platz gemacht. Schnell bricht das Eis und ich bin in einem munteren Gespräch mit den Leuten verwickelt. Diese arbeiten vor dem Deich bei den Wellenbrechern. Bei diesem Wind keine angenehme Arbeit.

Die muntere Gesprächsrunde muss ich leider nach einiger Zeit verlassen es geht weiter. Endlich verlasse ich den Bogen und damit auch wieder den starken Wind. Nach weiteren Kilometern sehe ich auf dem Deich endlich eine Bank und mache eine überfällige Pause im mir entgegen blasenden Wind. Dann geht es weiter und nach einiger Zeit sehe ich ein Schild mit Hinweis auf einen Kiosk in etwa 300 Meter Entfernung hinter dem zweiten Deich zu meiner Rechten. Da ich endlich etwas Warmes trinken möchte, biege ich auf den kleinen Verbindungsweg ab. Wieder bläst jetzt der Wind sehr heftig. Angekommen hinter dem zweiten Deich lese ich auf einem zweiten Schild 1300 Meter bis zum Kiosk, ich bin verärgert, fühle mich vera… und kehre zum Deichweg zurück.

Es ist halb vier und über mir ziehen sich die Wolken zu dicken dunklen Regenwolken zusammen. Vorher schaute noch ab und zu die Sonne zwischen den Wolken hindurch, nur jetzt könnte es heftig werden. Doch die dicken dunklen Wolken werden vom Wind schnell ins Landesinnere geblasen.

Kurz vor 18 Uhr erreiche ich Inge und Manfred. Endlich ist die heutige Etappe beendet, die 30 Kilometer waren gefühlte 40 Kilometer. Ein erstes Bier steht bereit und die freundliche Aufnahme der beiden lässt mich die Anstrengungen schnell vergessen. Beide haben schon einiges zum Abendessen vorbereitet und bei einem Rotwein genieße ich das Abendessen und die Bemutterung.


Windgeräusche auf dem Deich:

47. Etappe: 21. Mai 2013

Pewsum – Norddeich  28,9 km

Nicht lange nach Verlassen der Pension bin ich schon wieder umgeben von der Natur mit Wiesen und Weiden. Nur diesmal kommen viele Windkrafträder im fast 180-Grad-Blickwinkel hinzu. Die Rapsfelder als schmaler gelber Streifen am Fuße der Krafträder bilden einen interessanten Kontrast. Es bläst ein leichter kalter Wind und der Horizont ist nur schemenhaft erkennbar. Ich komme einem Windkraftrad sehr nahe und höre erstaunlicherweise nur ein leichtes Windgeräusch der drehenden Flügel.

Da ich heute unbedingt bis Norddeich laufen möchte, rufe ich bereits jetzt die Touristeninformation von Norden-Norddeich an. Am Telefon meldet sich ein junger Mann. Ich schildere ihm, dass ich unterwegs als Wanderer mit schwerem Rucksack bin und für heute Abend eine günstige Unterkunft suche. Er antwortet mir, es gebe keine freien Zimmer, ich solle vorbeikommen, vielleicht kommt ja noch etwas rein. Daraufhin erkläre ich ihm, dass ich dazu erst noch ca. 28 Kilometer laufen muss und ungerne ankomme, um dann ohne Zimmer dazustehen. Er hört nicht zu und wiederholt, ich solle vorbeikommen. Nochmals versuche ich ihm zu erklären, dass das nicht geht und ob es denn in Norden freie Zimmer gebe, wieder die gebetsmühlenartige Antwort. Nicht mal ein Hinweis, wo ich eventuell nachfragen könnte. Es ist hoffnungslos mit diesem Mann und ich bedanke mich für die große Unterstützung. Bisher hatte ich bei den vielen Touristeninformationen auf meiner Wanderschaft immer Personen am Telefon, die bemüht waren mir zu helfen. Diesmal jedoch habe ich das Gefühl, ich störe seine Kreise. Wenn ich eine Schulnote vergeben müsste, eine glatte Sechs! Ziemlich angefressen suche ich nun in der Kälte weiter nach einer Unterkunft und ich werde nach einigen Absagen fündig. Es ist ein Hotel, nicht so günstig wie eine Pension, aber mit der Beruhigung ein Zimmer gefunden zu haben.

Auf einem Feld etwa hundert Meter von mir entfernt sprüht ein Bauer seine Jauch aus. Der penetrante süßliche Geruch begleitet mich nun bis zum nächsten Dorf. Trotz des Gestank geht mir das Gespräch mit der Touristeninfo nicht aus dem Sinn. Es dauert noch eine Weile bis ich dieses Gespräch verdaut habe. Meine Gelassenheit habe ich auf der Wanderschaft leider noch nicht gefunden. Nach etwa zehn Kilometer erreiche ich Greetsiel und kehre für meine Mittagspause in einem SB-Restaurant ein.

Kaum bin ich wieder auf dem Weg, beginnt ein leichter Nieselregen. Vielleicht nach einem Kilometer endet der Radweg an der Straße. Es gibt jedoch einen Abzweig zum Deich und ich sehe eine Brücke. Ich folge diesem Wirtschaftsweg und nach der Brücke über einen breiten Entwässerungsgraben verläuft dieser Weg parallel zur Straße. Der Regen wird stärker und ich ziehe meinen Poncho an. Begleitet wird der Regen durch einen kalten Wind. Rechts und links vom Weg Zäune und dahinter Schafe. Dann ein schmaler Pfad mit Treppe hoch auf den Deich. Neugierig steige ich hoch und die Enttäuschung ist groß, von der Nordsee ist durch den Dunstschleier nicht zu sehen.

Von einem Radfahrer erfahre ich, dass ich auf dem Weg nach sechs Kilometer über ein Sperrwerk wieder die Straße erreiche. Diese Kilometer werden sehr lang und auf dem Weg gibt es keine Sitzmöglichkeit. Erst in Sichtweite zum Sperrwerk kommen wieder zwei Bänke auf dem Deich. Natürlich mache ich auch bei dieser Dauerberieselung eine Pause. Vorbeifahrende Radler schauen irritiert zu mir hoch, wie kann da jemand bei Regen gemütlich auf der Bank sitzen.

Ich erreiche schon bald das Sperrwerk und dort gibt es ein Kiosk mit Vorzelt. Zum Aufwärmen verbringe ich mit einem heißen Kaffee dort eine weitere Pause. Beim abschließenden 12-Kilometer-Weg hört es erst kurz vor dem Hotel auf zu regnen.

Leider gibt es kein Restaurant im Hotel. Allerdings erhalte ich den Tipp, dass es etwa zehn Minuten von hier eine Pizzeria gibt. Das ist mir zu weit und ich verzichte auf das Abendessen. Das anschließend heiße Bad lässt den miesen kalten und regnerischen Tag vergessen.

46. Etappe: 20. Mai 2013

Emden – Pewsum  15,6 km

Kurz nach 8 Uhr komme ich wie mit der Zimmervermieterin abgesprochen zum Frühstückszimmer. Der Tisch ist bereits liebevoll gedeckt und ich hole meinen Fotoapparat um ein paar Bilder zu machen. Es dauert nicht lange und zwei Radler gesellen sich dazu. Beide kommen aus Münster und haben mich gestern überholt. Wir sind sehr schnell im Gespräch. Unsere Vermieterin setzt sich zu uns und liest uns aus einem Gedichtsband zwei kleine Gedichte vor. Diese Gedichte stammen von einer 90-jährigen Japanerin, die erst mit 80 Jahre angefangen hat Gedichte zu schreiben.

Wenig später kommt noch ein junges Paar aus Chikago hinzu. Beide sind für eine Promotion in Deutschland und haben Geschichte studiert. Unsere Zimmervermieterin erzählt von der evangelisch-reformierten Großen Kirche in Emden und der dortigen ungebrachten Johannes a Lasco Bibliothek.

Von der Pension aus laufe ich am alten Binnenhafen entlang. Noch bevor ich die Hubbrücke überqueren kann, wird sie für ein Motorboot angehoben. Wenig später erreiche ich den Stadtgraben mit einer sich im Wasser spiegelnden Brücke. Weiter geht es zum Stadtrand und dort überquere ich die Autobahn A31. Auf der anderen Seite stehe ich sofort im ländlichen Bereich mit Feldern. Ein Bauer bringt gerade seine Pferde auf die dort gepachtete Weide. Im Gespräch empfiehlt er mir, nicht über die Straße nach Freepsum zu laufen, sondern über einen kleinen Feldweg. Entsprechend seiner Empfehlung laufe ich auf dem Wirtschaftsweg in Richtung des Feldweges. Zur Sicherheit frage ich bei dem nächsten Bauernhof nach diesem Feldweg. Die Bäuerin begleitet mich ein Stück und dabei erfahre ich, dass die kleinen Entwässerungsgräben in Ostfriesland Schloote heißen. Erst die größeren Gräben werden Tiefs genannt. Beim ersten Feldweg, den ich nicht gehen soll, verabschiedet sich die Bäuerin. Inzwischen ist es leicht nebelig geworden. Die Temperatur liegt wahrscheinlich um die 10 Grad, immerhin es regnet nicht.

Über den kleinen Feldweg, zum Teil eine Sandpiste, erreiche ich Gross Midlum. Von dort geht es auf dem Radweg an der Straße entlang nach Freepsum. Freepsum galt mit – 2,5 Meter unter NN lange Zeit als der tiefste Punkt Deutschlands. Weiter auf dem Radweg erreiche ich schon bald Pewsum und meine heutige Pension.

45. Etappe: 19. Mai 2013

Leer – Emden  29,4 km

Nach dem Aufstehen plane ich meine Route nochmals um und so komme ich recht spät von meiner Unterkunft weg. Mein Zimmer liegt abseits der Pension in einem kleinen Einfamilienhaus. Daher gibt es hier auch kein Frühstück. Meine Hoffnung, in der Bäckerei in der Nähe etwas zu bekommen, zerschlägt sich sehr schnell. Alles ist dunkel, es lohnt sich wohl nicht, am Pfingstsonntag hier zu öffnen. Nun bleibt mir die Hoffnung auf meinem Weg durch die Stadt eine geöffnete Bäckerei oder auch eine Tankstelle zu finden. Ich habe zu gut meine Route auf Nebenstraßen durch Leer geplant, auf diesen Wegen gibt keine Einkehrmöglichkeit. Auch die Straßen und Wege sind nicht für eine Tankstelle attraktiv genug.

Es ist ein trübes kaltes Wetter, und nachdem ich die Stadt verlassen habe, sehe ich nur noch Industrieanlagen, Windkrafträder in der Ferne und laufe an Weiden vorbei. Die schnurgeraden Wirtschaftswege haben wieder nur Asphalt oder Beton als Belag und machen mich mürbe. Weiterhin nirgends eine Einkehrmöglichkeit. Mein Weg führt mich über die Autobahn und nach einiger Zeit endlich wieder an die Ems. Hier versperrt mir der Deich, wie schon gestern, die Sicht auf den Fluss.

Inzwischen hat es sich ein bisschen aufgeklart und die Sonne kommt zwischen den Wolken ab und zu durch. Bei einem Hinweisschild und einer Aussichtsplattform auf ein Biotop sehe ich eine kleine freie Sandfläche. Ich breite meine Zeltunterlage aus und freue mich auf meine Mittagspause. Der Platz ist etwa 10 Meter von der Straße entfernt und vom Tümpel hinter der Plattform höre ich das Konzert der Frösche. Kaum habe ich meine Schuhe ausgezogen und liege auf meiner Unterlage, kommt die erste Radlergruppe an. Im Gänsemarsch geht es an mir vorbei zur Plattform. Natürlich schauen alle zu dem seltsamen Zeitgenossen im Sand. So hatte ich mir eigentlich nicht meine Pause vorgestellt. Nach dieser Gruppe komme ich nur für kurze Zeit zur Ruhe. Schon rollt die nächste Gruppe an und das Schauspiel Gänsemarsch und irritiertes Schauen wiederholt sich.

Seit dem Münsterland komme ich mir wie eine aussterbende Spezies vor. Kommen mir Auto- oder Motorradfahrer entgegen, egal ob ich unterwegs bin oder am Wegesrand raste, alle Augen sind auf mich gerichtet. Manchmal habe ich Angst einen Unfall zu verursachen. Die Fahrzeuge fahren viel zu dicht hintereinander und die Fahrer schauen nur zu mir. Bisher ist mir noch kein Wanderer begegnet. Unterwegs sind neben den Auto- und Motorradfahrern nur noch Radfahrer und Hundebesitzer.

Ich habe wohl den einzigen sonnigen Moment abgepasst, den schon bald nach meinem Aufbruch verschwindet die Sonne wieder und es ist wie zuvor nur noch kühl. Weiter und weiter geht es, langsam merkte ich das fehlende Essen. Ich laufe nur noch lustlos und inzwischen deutlich langsamer. Erst gegen 15 Uhr sehe ich bei Rorichum ein Hinweisschild mit einer 150-Meter-Angabe zu einem Gasthof und Biergarten. Es keimt Hoffnung auf und dieses Schild macht mich wieder munter. Ich biege ab und tatsächlich ist dort Betrieb. Im Biergarten mache ich meine Rast und habe schnell das Interesse vom Gastwirt, der draußen persönlich bedient, geweckt. Neben einem Warmgetränk und einem Essen unterhalten wir uns über meine Wanderschaft. Eine Bedienung hatte mich am Vormittag bereits gesehen und zusammen mit weiteren Gästen entsteht eine muntere Unterhaltung.

Gestärkt geht es weiter und mein Schritt ist wieder raumgreifender. Dabei verpasse ich die vom Wirt empfohlene Abzweigung zum Ems-Seitenkanal. Erst nach Petkum biege ich zum Kanal ab. Endlich keine Autos und Motorräder mehr, nur noch Angler und die störe höchstens ich mit meinem Klack, klack der Stöcke.

Unmittelbar vor Emden verlasse ich den Ems-Seitenkanal und überquere einen Verbindungskanal und kurze Zeit später den Borßumer Kanal. Emden empfängt mich mit kleinen Ziegelstein-Reihenhäusern und Doppelhaushälften. Zum Eingang führen bei allen Häusern drei Stufen, lediglich die umfassenden Mäuerchen unterscheiden sich ab und zu. Diese Häuser haben sicherlich schon etliche Jahre auf dem Buckel. Die Treppenstufen sind ideal zum Pausieren, und da mein Rucksack drückt, frage ich einen gerade angekommenen Motorradfahrer, ob ich mich auf seine Treppe setzten darf. Er erwidert: „Ja natürlich, vor allem Personen mit solchen Schuhen.“ Kaum habe ich mich gesetzt, sind wir schon im Gespräch über Wanderausrüstung. Er holt mir zur Erfrischung gleich ein Malzbier und erzählt mir anschließend, dass er öfters kurze Wanderungen in Dänemark unternimmt. Für längere Wanderungen hat er aus beruflichen Gründen leider keine Zeit. Auf seinem iPad zeigt er mir eine neue Software zur Routenplanung. Wir haben so viel Gesprächsstoff und ich könnte sicher noch Stunden im Gespräch mit ihm verbringen, doch ich muss weiter. Meine Zimmervermieterin wartet sicherlich schon auf mich.

Bis zum Ziel sind es nur noch etwa 1 ½ Kilometer und ich kann bis dahin auf dieser Straße bleiben. Um 19:50 Uhr erreiche ich meine heutige Pension. Sie liegt direkt am alten Binnenhafen von Emden. Kaum bin ich im Gebäude, komme ich mit der Zimmervermieterin ins Gespräch. Sie hat eine bewegte und interessante Vergangenheit.

Sie ist 78 Jahre alt und wurde in Schanghai geboren. Ihr Mann verstarb vor drei Jahren und war Schiffsbauingenieur. Zuletzt hat er einen neuartigen Schiffstyp entwickelt. Die Töchter mit ihren Ehemännern haben die Patente bis heute aufrechterhalten und stehen zurzeit mit Interessenten in Kontakt.

Ihr Mann kommt aus einer alten Emdener Schiffbaufamilie. Sie haben einige Jahre in den USA gelebt und sie hat nach einem abgebrochenen Elektrotechnikstudium in Deutschland dann in den USA Museumspädagogik studiert. Später hat ihr Mann im Iran eine kleine Werft ausgebaut und danach ohne persischen Partner eine eigene Firma gegründet und betrieben. Dazu musste viel Geld auf einer persischen Bank als Rücklage hinterlegt werden. Bei Beginn der Revolution 1978 wurden vom Schah die Gelder auf den persischen Banken gesperrt. Sie und ihr Mann kamen danach nicht mehr an ihr Geld. Sie verloren alles und flüchteten nach Deutschland. Hier angekommen waren sie, wie sie sich ausdrückte: „Arm wie eine Kirchenmaus“. Er baute wieder eine Firma auf und kaufte das Haus, in der die heutige Pension untergebracht ist. Zunächst ging es gut, dann jedoch konnten sie in einer schlechten Phase nicht die Tilgung und die Zinsen kurzfristig zahlen. Die Bank wollte schon das Haus übernehmen, als ein iranischer und ein deutscher Freund der Familie halfen.

Alle Töchter leben weit von Emden entfernt. Eine Tochter ist eine erfolgreiche Malerin in den USA. Eine andere lebt in Berlin. Sie möchte gerne zu dieser Tochter und der kleinen Enkelin ziehen und das Haus verkaufen. Trotz der Rückschläge hatte sie ein gutes und glückliches Leben, wie sie betonte. Genau so einen Eindruck macht sie auch auf mich.

Es ist spät geworden, die Etappe war anstrengend und ich habe nun keine Lust mehr zu scheiben. Das werde ich morgen nachholen.