180. Etappe: 27. Oktober 2013

Hohenpeißenberg – Rottenbuch  16,0 km

Mein Frühstück, Brötchen, Wurst und Käse vom gestrigen Einkauf, nehme ich im Zimmer ein. Nur der Kaffee fehlt mir. Da in der Nacht die Zeitumstellung war, warte ich deutlich länger um meine heutige Übernachtung zu buchen. Und trotzdem hört sich die Stimme am Telefon ziemlich verschlafen an. Ich habe ein schlechtes Gewissen bei einer Privatunterkunft am Sonntagmorgen so früh anzurufen. Die Zimmervermieterin versichert mir aber, sie war schon auf.

Schon wenige Meter nach Verlassen des Gästehauses bei einer Schule stoppe ich und ziehe den Poncho halb an. Es ist zwar trocken, doch die dunklen Regenwolken verheißen nichts Gutes. Einzig das Fotografieren macht bei so einem Licht Spaß. Die Herbstfarben erstrahlen dabei so herrlich.

Für meine heutige Etappe wähle ich bei diesem Wetter nicht den Weg durch die Ammerschlucht, sondern eine von mir bereits geplante Alternativroute. Zunächst durchlaufe ich wieder Wiesen und Waldgebiet. Dann vor einem Bahnübergang zeigt mir mein Navi einen Weg an, der wohl nur selten gelaufen wird. Ich folge diesem Weg, doch bereits nach etwa 300 Metern geht es nicht mehr weiter. Also wieder zurück und über den Bahnübergang und weiter auf dem Wirtschaftsweg. Noch vor der Bundesstraße folge ich einem Weg, der als Radweg ausgewiesen ist. Auf meinem Navi aber wird er nicht dargestellt. Das ändert sich aber schon bald und ich bin wieder auf meiner geplanten Route. Der zunächst unbefestigte Weg geht über in einen asphaltierten Weg parallel zur Bundesstraße. Immer mit einigem Abstand, mal unterhalb und mal oberhalb der Straße führt dieser Weg entlang.

Dann bei einer Unterführung verlasse ich den Radweg und die Bundesstraße. Bereits jetzt habe ich den Kirchturm der ehemaligen Augustiner-Chorherren-Stiftskirche deutlich vor mir. Mit einem großen Bogen erreiche ich endlich das ehemalige Kloster von Rottenbuch und durchschreite den Torbogen. Nun bin ich im Klosterhof und vor mir die ehemalige Stiftskirche und heutige römisch-katholische Pfarrkirche Maria Geburt.

Meine heutige Privatunterkunft ist in einem Haus an diesem Klosterhof. Von der Vermieterin erfahre ich, dass der Pilgerstempel in der Kirche ausliegt und ich die Kirche wegen eines Konzertes nur jetzt noch besichtigen kann. Ich lasse meinen Rucksack im Zimmer zurück und eile zur Kirche. Hier finden gerade Chorproben statt, ich kann aber die Kirche noch besichtigen. Kaum habe ich die Kirche betreten, kann mich sofort wieder daran erinnern, hier war ich schon einmal.

Schon bei Betreten des Klosterhofes kamen Erinnerungen zurück. Zusammen mit Noriko und einem japanischen Gast waren wir hier gewesen. Damals war am Morgen das Kirchenportal noch verschlossen. Der vorbei kommende Pfarrer öffnete uns jedoch die Kirche und wir konnten sie besichtigen. Damals waren alle Bänke mit Folien abgedeckt und es gab hier Renovierungsarbeiten. Doch das prachtvolle Innere beeindruckte mich schon damals sehr. Selbst die damals auch besuchte Wieskirche empfand ich nicht als prachtvoller.

Nach der Besichtigung gehe ich zur nahe gelegenen Gaststätte und Pizzeria. Ich kann zwar noch eintreten, doch essen ist hier heute nicht mehr möglich. Es wird für eine geschlossene Gesellschaft gedeckt. Im nahe gelegenen Café bekomme ich dann doch noch eine Kleinigkeit. Nach mir kommt eine größere Pilgergruppe ins Café und setzt sich am großen Nebentisch. Mit ihnen kommt auch der Regen. Beiläufig höre ich von Pilgerinnen, dass der Weg durch die Schlucht sie wohl heftig ins Schwitzen gebracht hat. Es war der Angstschweiß, wie eine Pilgerin erzählt.  

179. Etappe: 26. Oktober 2013

Raisting – Hohenpeißenberg
Distanz: 21,7 km; Aufstiege: 507 m; Abstiege: 245 m

Der Morgen empfängt mich bereits mit blauem Himmel. Die Sonne ist schon da. Jedoch noch zu schwach und so trage ich zunächst meine Jacke. Ich habe wieder einen goldenen Oktobertag vor mir.

Der Ort ist schnell verlassen und ich schreite auf einem Wirtschaftsweg an Wiesen und Weiden vorbei. Der herbstliche Laubwald ist immer in meiner Nähe. Zeitweise erhasche ich auch schon einen freien Blick auf die Berge.

Nach einiger Zeit schaue ich einmal zur Kontrolle auf mein Navi und stelle fest, wieder einmal habe ich eine Abzweigung verpasst. Noch unschlüssig, ob ich zurückgehe oder diesem Weg weiter folgen soll, kommt mir ein Pilger entgegen. Die Jakobsmuschel hängt sichtbar um seinen Hals. Er ist mit einem Außengestellrucksack unterwegs. Erfreut endlich einen Pilger auf größerer Tour zu begegnen bin ich sofort im Gespräch mit ihm.

Er ist von Freiburg gestartet und nun auf dem Weg nach München unterwegs. Von ihm erfahre ich, dass ich weiter auf diesem Weg bleiben kann und Wessobrunn erreiche. Weiterhin gibt er mir einige Hinweise zum weiteren Pilgerweg. Der Weg über die Ammerschlucht ist schwierig zu gehen. Ein Ständiges hoch und runter. Die schmalen Holzstege ohne Geländer sind sehr glitschig und schwer jetzt zu gehen, erklärt er mir.

Er ist Deutscher, lebt aber schon über zwanzig Jahre in Helsinki. War bei der letzten Entlassungswelle bei Nokia auch betroffen und ist jetzt mit seinen 63 Jahre im Zwangsruhestand. Er fliegt zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, nach Deutschland und ist dann auf Wanderschaft oder Pilgerreise. Seine Frau gewährt ihm so um die 25 Tage am Stück, verrät er mir schmunzelnd. Im April war er im Raum Limburg/Lahn unterwegs gewesen. Wir hätten uns auch dort über den Weg laufen können.

Wir unterhalten uns noch eine Weile und ich mache auch ein Foto zur Erinnerung. Dann gehen wir wieder unsere Wege. Mein Weg zieht nach einiger Zeit an, jetzt geht es wieder hoch auf ca. 700 Meter. Unterwegs bei einem Bauwagen mache ich meine Mittagspause. Ein älteres Paar kommt Fahrrad schiebend die Straße hoch. Ich rufe dem älteren Mann lachend zu: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ Sofort bin ich mit ihm und wenig später auch mit seiner Frau in einer Unterhaltung. Beide wohnen in Weilheim und machen öfters längere Touren mit dem Rad. Ich schnalle meinen Rucksack auf und gehe mit ihnen weiter. Bei einer Senke verabschieden sie sich von mir und radeln davon. Doch das ist nur von kurzer Dauer, denn am nächsten Berge schieben sie wieder und ich hole sie wieder ein. Nun gehe ich jedoch mit meinem Tempo weiter und erreiche wenig später den Ort Wessobrunn. Gleich zu Beginn des Ortes besuche ich das Klostergelände und im Anschluss daran die „tausendjährig“ Tassilolinde. Ein beeindruckender Baum mit etwa 14 Meter Umfang.

Bei einem Gasthof, dort hatte ich gestern auch zur Übernachtung angefragt, mache ich im verwaisten Biergarten eine Pause. Bei Einschalten des Smartphones erreicht mich die Nachricht, dass meine ehemaligen Kollegen aus dem Rechenzentrum Krefeld gerade gemütlich in einer Kneipe beisammensitzen. Ich rufe Herbert an und wir plaudern bei laut gestelltem Handy eine Weile.

Der nun folgende Weg nach Hohenpeißenberg ist geprägt von einer grandiosen Sicht in die Alpen. Teilweise habe ich den Eindruck, einen fast 180-Grad-Blick auf die schroffen Berge zu haben. Der Hohe Peißenberg mit der auf dem Gipfel stehenden Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt ist auch immer sichtbar. Ob ich den Berg noch erklimme, weiß ich noch nicht, das werde ich kurzfristig entscheiden.

Als ich mich dem Ort Hohenpeißenberg nähere, steht mir nicht mehr der Sinn nach weiteren Höhenmetern, um dann danach wieder runter zu meiner Unterkunft zu laufen. Ich muss nicht alles gesehen haben, auch nicht die vermutlich noch bessere Sicht auf die Alpen. Ich rufe vereinbarungsgemäß meine Zimmervermieterin an und erkläre ihr, dass ich noch 2,5 Kilometer zu laufen habe. Sie antwortet: „Dann sind sie ja in 10 Minuten da.“ Nach unserem Gespräch wird mir klar, fliegen kann ich noch nicht und für die Strecke brauche ich mindestens 20 Minuten. Im Ort komme ich an einem Supermarkt vorbei und dort kaufe ich einige Lebensmittel und Getränke. Schon am Ausgang erreicht mich ihr Anruf und ich erkläre ihr, dass die zehn Minuten nicht einhaltbar sind.

Bepackt mit einer Plastiktüte eile ich dem Gästehaus entgegen. Inzwischen hat sie wohl erkannt, dieser Zeitansatz war unrealistisch. Sie holt mir sogar noch Brötchen und O-Saft vom Supermarkt. Von meinem Zimmer habe ich einen guten Blick auf die Berge.

 

 

 

 

178. Etappe: 25. Oktober 2013

Kloster Andechs – Raisting  16 km

Vom Frühstücksraum beobachte ich, wie die Krähen auf dem Dachfirst aufgereiht nebeneinander in Richtung zum glutroten Sonnenaufgang sitzen. Man könnte meinen, sie schauen sich in erster Reihe den Sonnenaufgang an. Kaum ist der glutrote Himmel verschwunden, sind auch die Krähen verschwunden.

Nachdem ich den Schlüssel an der Klosterpforte abgegeben habe, laufe ich noch etwas im Klostergelände herum. Es ist bereits ein herrlicher Morgen und ich habe bereits eine grandiose Sicht in die Ferne. Über einen Nebeneingang besuche ich anschließend noch die Klosterkirche.

Schon bald nach Verlassen des Klosters und dem angrenzenden Ort Erling bin ich im herbstlichen Buchenwald. Der wird immer wieder durch Wiesen unterbrochen und gibt mir dann den freien Blick auf eine wunderschöne weitläufige Landschaft und auf den Ammersee frei. Auch kann ich schon die Antennen der Erdfunkstelle Raisting sehen.

Ich fotografiere wieder einmal viel und so schließe zwei Frauen und ein Mann zu mir auf. Mein großer Rucksack erzeugt Aufmerksamkeit und so kommen wir schnell ins Gespräch. Ich laufe eine Weile mit ihnen und erfahre dabei, dass sie einen Wanderweg für Personen eines Altenheims erkunden. Von dem Mann erfahre ich dabei, dass sein Neffe in Frankfurt lebt und bereits auf mehreren Jakobswegen unterwegs war. Doch er das mit einem Rollstuhl bewältigt hat und auch zwei Bücher veröffentlich hat. Sofort ist mir klar, dass ich sein Buch über seine Pilgerreise auf der Via de la Plata gelesen habe. Ich bin selbst auf diesem Camino unterwegs gewesen und kann abschätzen, was für eine besondere Leistung er dabei vollbracht hat. Das Buch habe ich in meiner Liste der Buchtipps aufgeführt. Ich gebe dem Mann meine Karte, vielleicht kann ich diesen jungen Mann in Frankfurt einmal treffen. Ich würde mich darüber sehr freuen. Bei einer Gabelung trennen sich unsere Wege.

Wenig später erreiche ich eine kleine Kapelle. Dort sitzt ein älteres Paar und ich setzte mich zu ihnen. Unterhalb der Marienfigur ist in der Wand eine Tafel angebracht mit dem Hinweis: „Hier fand Moritz von Schwind seine Waldkapelle.“ Ich kenne diesen Maler nicht und erhalte gleich vom Paar ein paar Informationen. Ein bisschen höre ich den Vorwurf heraus, diesen Maler müsste ich eigentlich kennen.

Moritz Ludwig von Schwind (1804 – 1874) war ein österreichischer Maler und Zeichner.

Danach laufe ich zunächst weiter auf einem breiten Waldweg und im letzten Moment sehe ich ein kleines verwittertes Holzschild mit „nach Pähl“. Ich folge nun diesem Schild und laufe auf einem schmalen Pfad, nicht immer frei von Gestrüpp und Pflanzen, tiefer in den Wald hinein. Komme an einem Weiher vorbei und mache schließlich auf einer Bank, wieder mit herrlichem Blick auf die Ebene unter mir, eine Pause. Dieses Grün der Wiesen und Weiden durchzogen mit Büschen und Bäumen in herbstlichen Farben ist eine Augenweide. Jetzt erkenne ich auch deutlich die Antennen und meinen Zielort Raisting.

Nach Pähl führt mich der Weg kurze Zeit an der Straße entlang. Eigentlich müsste mein Weg die Straße verlassen, doch jetzt versperrt mir ein Elektrozaun den Durchgang. Also weiter auf der Straße und dabei überquere ich eine Kreuzung mit zwei viel befahrenen Straßen und erkenne glücklicherweise in einigem Abstand meine eigentliche Route wieder. Bloß weg von der Straße ohne Radweg und so laufe ich schließlich mit einigem Abstand zur Straße an einem Bach entlang. Nur einmal muss ich zur Straße und über eine Brücke, dann biege ich mit weitem Bogen wieder weg vom Verkehr. Schließlich erreiche ich Raisting und dort meine heutige Unterkunft.  

174. Etappe: 20. Oktober 2013

Rosenheim – Netterndorf
Distanz: 29,1 km; Aufstiege: 406 m; Abstiege: 256 m

Nach dem Frühstück gestaltete sich die Festlegung des heutigen Etappenziels zunächst schwierig. Von meinem geplanten Etappenziel Feldkirchen im Landkreis Rosenheim rücke ich schnell ab. Nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten und zu teuer. Dann versuche ich es in der Gegend um Glonn. Diesen Tipp hatte ich gestern von der Fotografin und ihrem Mann als Alternative mit schönerer Gegend erhalten. Doch auch hier ist die Auswahl nicht groß und wieder teuer. Je näher ich München komme scheinen die Preise für eine Übernachtung zu steigen. Schließlich finde ich einen Gasthof in Netterndorf und dort buche ich.

Danach plane ich meine heutige Etappe und um 10 Uhr verlasse ich endlich den Gasthof. Die Strecke ist lang und viele Pausen und ein gemütliches Laufen geht heute nicht. Ich muss mich langsam umstellen, bereits um 19 Uhr ist es dunkel. Ab nächste Woche nochmals früher.

 Lange brauche ich, die Stadt Rosenheim zu verlassen. Auf Kreisstraßen, Wirtschaftswegen und Feld- und Waldwegen durchlaufe ich wieder eine traumhafte Landschaft häufig mit den Bergen im Hintergrund. Dazu passend der blaue Himmel und eine strahlende Sonne. Ich ziehe schon am Vormittag meine Jacke aus und laufe im T-Shirt. Autos begegnen mir nur wenige, schon öfters sind heute Radfahrer unterwegs.

Gegen 14:30 Uhr erreiche ich einen Golfplatz und suche verzweifelt den mir im Navi angezeigten Weg zu finden. Den gibt es aber nicht, ich stehe im Hof eines Golfrestaurants. Kurz entschlossen steuere ich den Golfplatz an und dort den einzigen Weg, den ich dort finde. Doch mein Durchmarsch wird von Golfern gestoppt. Sie fragen nach meinem Ansinnen und empfehlen mir lieber hier nicht weiterzulaufen. Viel zu gefährlich meinen sie und zeige mir einen Weg etwas oberhalb des Platzes. Als ich den Weg erreiche, ist es genau mein gesuchter Weg, jetzt nur hinter dem Restaurant. Nur wenige Meter später laufe ich am Schloss Maxlrain vorbei und erreiche wieder nur wenig später die Schlossbrauerei Maxlrain und einen gut besuchten Biergarten. Für Momente werde ich schwach, jetzt ein gutes Bier könnte mir gefallen. Doch ich habe mich im Griff und gehe an der Versuchung vorbei. Bis zum Zielgasthof ist es noch weit und ich möchte ihn bei Tageslicht erreichen.

Für etwa einen Kilometer begegnen mir jetzt Spaziergänger und dann tauche ich ich wieder in ein Waldgebiet ein und schlagartig wird es ruhig. Lediglich ein Jogger begegnet mir noch. Nach dem Wald überquere ich einen Bach und laufe entsprechend meiner Planung einen Wirtschaftsweg entlang, um bis zur Kreisstraße abzukürzen. Vom nahen Bauernhof kommt mir der Bauer entgegen. Statt mich zu fragen, wohin ich will, lässt er mich einfach weiterlaufen. Am Bauernhof ist dann Schluss. Hier gibt es kein Weiterkommen und so muss ich umkehren und der Straße folgen. Aus der Abkürzung wurde ein Umweg.

Weiter geht es wenig später auf einer Kreisstraße ohne Radweg und nun habe ich zum nahenden Abschluss doch noch Verkehr. Den Blick bereits auf Netterndorf gerichtet mache ich bei einem Wegekreuz mit Bank eine Pause. Schon von der Ferne fallen mir eine Gruppe junger Männer in Trachten auf. Sie kommen lärmend an der Kreisstraße nach Netterndorf und in Richtung meines Weges entlang. Neugierig geworden beende ich die Pause und schließe wenig später zu ihnen auf. Ich frage sie, was sie feiern. Sofort schallt es mir vielstimmig entgegen: „Kirta. Kirta-Schar auf da Roas.“ Ich verstehe nur Bahnhof und frage nochmals. Nun sind sie bemüht, einem Preußen es verständlich zu erklären.

Sie feiern Kirchweih. Am Kirchweihsonntag ziehen hier die Burschen aber auch die Madln durch die Gemeinde und versuchen kostenlos Bier zu bekommen.

Meine Schar Burschen sind schon deutlich angeheitert und inmitten der Schar laufe ich zu meinem Gasthof. Ich bitte sie um ein gemeinsames Foto. Schnell holt einer der Burschen die Wirtin und wir postieren uns vor dem Gasthof. Die Wirtin macht mehrere Fotos von uns. Herannahende Frauen eilen hinzu und so gibt es weiter Fotos von der nun vergrößerten Schar. Dann trennen sich unsere Wege, die Burschen ziehen weiter und ich kehre ein.  

173. Etappe: 19. Oktober 2013

Bernau – Rosenheim
Distanz: 27,3 km; Aufstiege: 449 m; Abstiege: 575 m

Kaum habe ich Bernau verlassen, muss ich den ersten Hügel hinauf. Es ist noch kühl und bewölkt. Von der angekündigten Sonne noch keine Spur. Fast oben auf dem Hügel angekommen, lädt mich eine Bank unter einer mächtigen Eiche zum Verweilen ein. Die Wiese ist noch vom Raureif nass und der Wald vor mir scheint zu dampfen. Nebelschwaden ziehen hoch. Die nahe Autobahn ist zwar nicht zu sehen, doch der laute Verkehrslärm übertönt jedes andere Geräusch und so bleibe ich nicht lange an diesem Platz.

Auf dem Hügel angekommen und an einigen Bauernhöfen vorbei, präsentiert sich die andere Seite plötzlich im hellen Licht. Die Sonne erstrahlt an einem blauen Himmel. Noch vor wenigen Minuten war alles Trübe und trist. Jetzt erstrahlt das Herbstlaub des Waldes und die ersten Blicke auf die nahen Berge werden vom Nebel freigegeben. So schön das auch ist, gleichzeitig höre ich nun nicht nur die Autobahn, ich sehe sie auch noch.

Ich unterquere die Autobahn und durchlaufe die erwachende Landschaft mit ihren sanften Hügeln und den schroffen Bergen als Hintergrundkulisse. Mit der Zeit lässt auch der Lärm nach und die Autobahn verschwindet aus meinem Blickfeld. Dann noch nebelverhangen vor mir der Chiemsee. Wieder mache ich auf einer Bank mit direktem Blick auf den See eine Pause. Dabei kann ich miterleben, wie sich die Nebelschwaden auflösen und den Blick freigeben. Ein paar Segelboote sind bereits unterwegs.

Der triste Morgen verwandelt sich zu einem traumhaft schönen Herbsttag. Schroffe Berge, sanfte Hügel, saftig grüne Wiesen, die Farbenpracht des Laubwaldes gepaart mit Sonne und blauem Himmel, ich genieße diese atemberaubende Landschaft in vollen Zügen.

Meine Route verläuft auf einsamen kleinen Straßen und Wirtschaftswegen. Ich nähere mich einer kleinen Bahnstation und beobachte schon von Weitem eine Frau beim Fotografieren. Natürlich bin ich neugierig und suche das Gespräch. Sie ist Fotografin und jetzt mit ihrem Mann rein privat unterwegs. Als sie erfährt, dass ich auf großer Wanderschaft bin, erwecke ich ihr fotografisches Interesse. Gerne lasse ich mich von Ihr fotografieren. Sie will mir die Fotos zur Verfügung stellen und ich darf sie auch auf meinem Blog nutzen. Abweichend von meiner geplanten Route begleite ich das Paar bis Wildenwart. Hier wollen beide zu Mittag essen. Das kann ich leider nicht, ich habe noch eine lange Strecke vor mir.

Auf einem Wirtschaftsweg bei Wurmsdorf kommt mir eine junge Reiterin entgegen. Neben ihr führt sie ein kleines Pony an der Leine. Der erste Gedanke, der mir bei diesem Bild einfällt, ist: „Hier wird ein Pony zum Gassi ausgeführt.“ Ich frage sie, ob ich von ihnen ein Foto machen darf und sie willigt ein. Von der jungen Reiterin erfahre ich, dass das Pony bereits 30 Jahre alt ist und der Hengst erst 10 Jahre und noch im Flegelalter. Sie führt das Pony aus, damit es noch etwas Bewegung hat. Nicht weit davon kehre ich in einen Hofladen mit Café ein. Dort genieße ich zwei köstliche Zitronenstücke.

Danach mache ch mich gestärkt wieder auf den Weg. Nach Wolferkam sehe ich rechter Hand den Simssee und habe auf der anderen Seite einen herrlichen Blick auf einen einsam auf dem Feld stehenden Baum mit den Bergen als Hintergrund. Der Baum, mehr nur als Kontur erkennbar, erweckt mein Interesse. Auch eine Weide, gerade angestrahlt von der Sonne, fasziniert mich. Der weite Weg ist kurzweilig, immer wieder herrliche Motive. Leider muss ich mich sputen, wenn ich rechtzeitig ankommen will.

Gegen 17 Uhr rufe ich zur Sicherheit im Gasthof an und erkläre, dass es auch später werden kann. Die Bedienung beruhigt mich. „Ich bin noch einige Zeit da“, erklärt sie mir. Plötzlich bremst ein BMW und einer der Bedienungen des Hofladens steigt aus. Sie bietet mir an, mich mitzunehmen. Ich bin erfreut über dieses Angebot, doch ich lehne dankend ab.

Der Weg zieht sich und ich laufe bereits bei Dämmerung an dem Inn auf einem Radweg neben einer stark befahrenen Staatsstraße entlang. Endlich erreiche ich die Brücke über den Inn. Danach dauert es noch, bis ich den Gasthof in Rosenheim im Dunklen erreiche. 

170. Etappe: 16. Oktober 2013

Bad Reichenhall – Inzell
Distanz: 16,0 km; Aufstiege: 350 m; Abstiege: 218 m

Gemeinsam mit Christa und Jürgen frühstücke ich. Bis zu meinem Start können sie jedoch nicht warten und so verabschieden wir uns schon vorher.

Leider stimmte die Wettervorhersage und so muss ich wieder einmal mit meinem Poncho starten. Noch im Stadtgebiet wird der Regen heftiger und Besserung ist nicht in Sicht. Die nahen Berge sind fast völlig in Nebel gehüllt. Mein Weg verläuft zunächst auf dem Gehweg neben der Staatsstraße entlang. Immer wieder werde ich von Fahrzeugen leicht abgeduscht. Dann endlich sehe ich den ersehnten Wegweiser „Soleleitungsweg“.

Seit keltischer Zeit wurden bereits die natürlichen Solequellen bei Reichenhall genutzt. Um 700 n. Chr. wurden sie erstmals schriftlich erwähnt. Eine 1613 neu entdeckte Solequelle bei Reichenhall konnte mangels Brennstoff dort nicht mehr versottet werden. So entschloss man sich die Sole in die holzreichen Gegenden des Trauntals zu leiten und in Traunstein eine neue Saline zu gründen.

Mit der Verlegung einer 31 Kilometer langen Soleleitung von Reichenhall zur Saline nach Traunstein gelang innerhalb von zwei Jahren eine technische Pioniertat. Erstmals wurden mittels Pumpenvorrichtung auch Höhenunterschiede überwunden. Die Fernleitung bestand aus ca. 9000 Deicheln, ca. 4 Meter langen Holzrohren. Diese wurden von Hand durchbohrt, im Wasser gelagert um Rissbildung zu vermeiden und später in der Erde verlegt. Der Soleleitungsweg führt entlang dieser Fernleitung. Immer wieder sieht man Depots mit alten Holzrohren.

Nun geht es erst einmal steil über Treppenstufen am Hang hinauf. Überall nasses Herbstlaub und so bewege ich mich vorsichtig nach oben. Schließlich erreiche ich einen Hangweg mit splittähnlichem Belag. Durch den Dauerregen haben sich etliche Pfützen gebildet, doch diese kann ich problemlos umgehen. Auf dem Weg läuft es sich trotz Nässe hervorragend. Zeitweise sehe ich seitlich unter mir die Bundesstraße. Und überquere schließlich diese beim Thumsee. Ich folge dem Wegweiser nach Weißbach und laufe am Ufer des Sees entlang. Bei meinem Eintreffen an einem Rastplatz am See nehmen sofort drei Enten Kurs auf mich. Sie erwarten wohl eine Fütterung. Leider habe ich nichts dabei.

Schließlich erreiche ich wieder die Bundesstraße und überquere diese erneut in Richtung „Weißbachschlucht“. Diese kleine Straße mündet bei einem Bundeswehrschießplatz. Kurz davor zweigt ein kleiner Pfad links ab. Doch ein Hinweisschild weißt auf Wegeschäden hin. Ich bin unentschlossen und halte ein gerade vom Schießplatz kommendes Bundeswehrfahrzeug an. Es ist ein Zivilist und er kennt diesen Pfad. Er ist begehbar, versichert er mir.

Ich folge also diesem Pfad zur Weißbachschlucht und werde nun von ohrenbetäubendem Lärm der Schießübungen begleitet. Nach einiger Zeit erreiche ich einen Wasserfall, der Lärm hat jetzt deutlich nachgelassen. Bei einem weiteren Wegweiser muss ich mich für eine Richtung zur Weißbachschlucht entscheiden. Eine Stunde über den Soleleitungsberg oder 30 Minuten über Wegscheid, was auch immer damit gemeint ist. Bei diesem Dauerregen sind mir die 30 Minuten lieber. Schnell wird klar, Wegscheid heißt erst einmal auf einem sehr schmalen Pfad dicht an der Bundesstraße entlang zu laufen. Wieder erhalte ich ein paar unfreiwillige Autoduschen. Dann bei einem Straßendreieck überquere ich die Straße und nun geht es auf einem schmalen Pfad mit Treppen steil nach unten. Wieder überall nasses Laub und wieder bewege ich mich vorsichtig nach unten. Dann geht es zunächst in völlig falsche Richtung weiter. Fast unten angekommen macht der Weg endlich einen scharfen Bogen und verläuft nun in richtiger Richtung. Jetzt geht es am Weißbach entlang. Ich bin enttäuscht, es ist ein Bach in schmaler Schlucht und nichts Besonderes. Doch das ändert sich nach einigen Hundert Metern. Zunächst erreiche ich ein Schild: „Nur für Geübte. Benutzung auf eigene Gefahr.“ Was erwartet mich nun mit meinem schweren Rucksack, Poncho und bei Dauerregen? Ein bisschen mulmig wird es mir, doch nun bin ich einmal hier und zurück möchte ich nicht.

Wenig später erreiche ich eine malerische Schlucht mit einem laut tosenden Bach, der sich über natürliche Felsstufen immer wieder nach unten ergießt. Ein wahrhaft grandioses Schauspiel. Trotz starkem Regen wurschtel ich immer wieder meine Kamera unter dem Poncho hervor und fotografiere. Doch dieses grandiose Schauspiel hat seine zwei Seiten. Jetzt verstehe ich warum nur für Geübte. Der sehr schmale Pfad schlängelt mal auf der Höhe des Baches, mal ein paar Meter höher durch die Schlucht. Von Felsüberhängen werde ich durch kleine Wasserfälle geduscht. Schmale und glitschige Holzstege mit und ohne Geländer oder Betonplatten überbrücken kleine Bachläufe. Immer wieder schräger Fels, über den ich mich vorwärts bewege. An einigen Stellen gibt es ein Drahtseil zum Festhalten, doch das ist nicht immer vorhanden. Ein Ständiges rauf und runter. Bei schönem und trockenem Wetter und ohne großen Rucksack ein Traumpfad, nur jetzt für mich alles andere als traumhaft zu laufen. In meinen Schuhen steht das Wasser und ich bin ziemlich aufgeweicht.

Dann auf einem Holzsteg mache ich eine leichte Grätsche, kann mich aber gerade noch am Geländer festhalten. Ab jetzt laufe ich über die vielen noch folgenden Holzstege wie eine Schnecke und mein Blick ist mehr auf den Weg als auf diese tolle Landschaft gerichtet. Die Schlucht nimmt kein Ende. Dann eine Treppe nach oben zu einem Hotel. Doch ich entschließe mich, weiter in dieser Schlucht zu laufen. Jetzt möchte ich sie komplett sehen. Dann nach etwa einem Kilometer erreiche ich das Ende der grandiosen Schlucht. Irgendwie bin ich froh, dass es zu Ende ist und ich wieder deutlich entspannter laufen kann und doch bin ich auch froh diese Schlucht durchlaufen zu haben.

Weiter geht es durch den Wald und danach erreiche ich Weißbach. Vor mir Souvenirgeschäfte und Restaurants. Im Eingangsbereich eines geschlossenen Restaurants mache ich eine Pause. Ab jetzt kenne ich nur noch den Weg über die Bundesstraße nach Inzell. Es ist immer noch Dauerregen und einiges los auf der Straße und so entschließe ich mich in der Pension anzurufen. Vielleicht kann man mich abholen. Ich habe Glück und die Zimmerwirtin kommt.

In der Pension erhalte ich ein schönes Zimmer und auch einige Zeitungen. Aus meinen Schuhen kann ich nach dem Ausziehen, das Wasser ausschütten! Die mit Zeitung ausgestopften Schuhe und auch andere Kleidungsstücke kann ich im Heizungskeller zum Trocknen abstellen bzw. aufhängen. Am Abend muss ich das völlig aufgeweichte Papier durch neues Zeitungspapier tauschen. Erst am Abend hört es zu regnen auf. 

Pausentag Bad Reichenhall

15. Oktober 2013

In der Nacht habe ich kaum geschlafen. Die Erkältung hat mich doch noch fest im Griff. Daher reift am frühen Morgen bei mir der Entschluss, heute einen Pausentag einzulegen. Damit verbinde ich das Auskurieren mit der Routenplanung für die nächsten Tage. Ursprünglich wollte ich auf dem Maximilianweg über die bayerischen Alpen wandern. Dort liegt zum Teil Schnee und die Hütten schließen um diese Zeit. Daher muss ich nun neue Wege bis auf die Höhe von München finden.

Ich sitze gerade im Frühstücksraum, als Jürgen und Christa vom Eberstädter Lauftreff den Raum betreten. Unsere Blicke treffen sich und für einen Moment sind wir total überrascht, dann ist die Freude groß. Nach der Begrüßung setzten sich beide zu mir an den Tisch. Es gibt viel zu erzählen.

Bei meiner Planung entschließe ich mich über Inzell, Bergen, Bernau, Rosenheim, Feldkirchen und dann bis in die Nähe von München zu laufen. Großstädte durchwandere ich nicht. So habe ich es schon mit Köln und Hamburg gehalten.

169. Etappe: 14. Oktober 2013

Freilassing – Bad Reichenhall  19,2 km

Sofort nach Verlassen des Gasthofes suche ich eine Buchhandlung, die hier auf der Straße existieren soll. Ich benötige für meine Planungen Karten ab Bad Reichenhall. Doch ich werde nicht fündig und auch Personen unterwegs können mir nicht weiterhelfen und so verschiebe ich die Suche auf Bad Reichenhall. Immer wieder habe ich einen herrlichen Blick auf die Alpen. Es ist wie gestern schon Föhn und daher sind die Berge zum Greifen nahe.

Nach einiger Zeit erreiche ich den Pfad zur Saalach, doch ein Hinweisschild versperrt mir den Durchgang. Einem provisorischen Umleitungsschild folge ich und stehe schließlich an der Saalach jedoch vor einem Zaun eines Privatgrundstückes. Dahinter als nächste Hürde eine Bahnbrücke. Also wieder zurück und suchen nach einem Alternativweg. Einen mir entgegenkommenden Gassigeher frage ich nach einem Weg zur Saalach. Von ihm erfahre ich, dass das Schild wohl vergessen wurde zu entfernen. Er selbst ist gestern dort entlang gefahren. Bis vor Kurzem wurde der Uferweg aufgrund der Überschwemmungen im Frühjahr neu hergerichtet. Also gehe ich an dem Schild vorbei und komme zum Fluss und auch unter der Bahnbrücke hindurch. Sofort habe ich einen herrlichen Weitblick mit Fluss und den mit Bergen als Hintergrund.

Lange Zeit laufe ich auf dem Uferweg der Saalach entlang. Genau wie die Salzach ist die Saalach türkisfarben und fließt mit großer Geschwindigkeit dahin. Immer wieder komme ich an kleinen Stromschnellen vorbei. Kleine und größere Steine im Fluss werden über- und umspült. Dabei entstehen über einige der Steine wellige glatte Flächen, die zudem von der Sonne zum Glitzern gebracht werden. Erst hinter den Steinen, etwas tiefer, zerfallen diese welligen Gebilde zu einer weißen Gischt.

Mehrfach probiere ich mit meinem Smartphone ins Netz zu kommen. Erst zur Mittagszeit und nach einigen Versuchen klappt es. Ich rufe das Fremdenverkehrsbüro in Bad Reichenhall an und bekomme ein Garnihotel in Zentrumnähe vermittelt und mein Zimmer gebucht.

Einmal unterquere ich eine Autobahn und in einem Waldstück wechsel ich die Saalachseite. Vorbei geht es an mehreren Tümpeln und bei einem Tümpel sitzt auf einem Baumstumpf eine Schildkröte. Schließlich erreiche ich die Stadt und laufe einige Zeit fast parallel zu einem Bergmassiv ins Zentrum. Folge einem Hinweisschild zum Bahnhof und besuche den dortigen Buchladen. Hier gibt es nach Auskunft des Fremdenverkehrsbüros die bestens sortierte Buchhandlung für Karten. Eine Zeit lang bemüht sich der Verkäufer mir zu helfen, doch als es zu zeitaufwendig wird, nutzt er die nächste Gelegenheit mich zu verlassen. Leider gibt es trotz großer Auswahl, nicht die Karten, die ich benötige.

Das Hotel ist schnell erreicht, doch nun ist niemand anwesend. Es gibt zwar einen Schlüsselsafe, doch mir wurde kein Passwort mitgeteilt. Ich rufe die mir genannte Nummer an und erfahre, dass der Hotelier noch unterwegs ist. Ich wurde online gebucht und davon hatte man noch nichts mitbekommen. Nach etwa 15 Minuten trifft der Hotelier ein und ich kann mein Zimmer beziehen.

Später erfahre ich vom Hotelier, das er mich unterwegs an der Saalach gesehen hat. Er war mit dem Rad dort unterwegs.

168. Etappe: 13. Oktober 2013

Laufen – Freilassing  18,5 km

Meine heutige Etappe nach Freilassing ist nur 14 Kilometer lang und so lasse ich es heute Morgen entspannt angehen. Mit so viel Zeit im Rücken besuche ich die Altstadt von Laufen. Diese betrete ich durch das ehemalige Salzburger Tor, erbaut um 1400. Schnell erreiche ich den Marienplatz mit dem Marienbrunnen. Von dort habe ich sofort einen Blick auf die prächtige Salzachbrücke aus dem Jahre 1903. Diese schwungvolle Jugendstil-Eisenkonstruktion mit ihren kunstvollen Verzierungen ist eine österreichisch-bayerische Gemeinschaftsarbeit. Auf bayerischer Seite überspannt ein Bogen mit dem königlich-bayerischen Wappen und auf österreichischer Seite ein Bogen mit dem kaiserlich-österreichischen Wappen die Brücke.

Ich laufe weiter und erreiche das alte Rathaus und frage zwei Männer, die gerade Fahnen ausladen, was ich unbedingt in Laufen sehen muss. Sofort erhalte ich die Antwort: „Die gotische Stiftskirche.“ Sie ist die älteste gotische Hallenkirche in Süddeutschland. Als ich sie erreiche, ist noch Gottesdienst und so besichtige ich den kreuzgangähnlichen Bogengang um die Kirche herum mit seinen Grabdenkmälern. Dieser Bogengang wurde erst vor kurzer Zeit, wie ich später erfuhr, komplett restauriert. Etwa 20 Minuten verbringe ich vor der Kirche und betrete diese schließlich nach Beendigung des Gottesdienstes.

Schon in der Kirche komme ich mit einem Mann ins Gespräch. Er ist auch Wanderer, und wie ich erfahre, kennt er einen Weitwanderer. Es gibt wohl ein Treffen verschiedener Weitwanderer im Dezember in München. An so einem Treffen bin ich interessiert, doch dieses Jahr wird wohl nichts mehr daraus. Erst einmal muss ich wieder zu Hause ankommen. Weiterhin gibt er mir die Empfehlung auf der österreichischen Salzachseite in Oberndorf die Stille Nacht Kapelle zu besuchen. In der Vorgängerkirche (Pfarrkirche St. Nikolai) von Oberndorf wurde 1818 erstmals das Weihnachtslied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ vom Hilfspfarrer Joseph Mohr (Liedtext) und vom Lehrer Franz Xaver Gruber (Melodie) öffentlich aufgeführt.

Gleich in der Nähe der Stiftskirche gibt es eine Fußgängerbrücke und diese nutze ich. Nun folge ich dem Salzachbogen und erreiche schnell den Zugang zur Kapelle. Vor der kleinen Kapelle steht ein Denkmal der beiden Urheber des Liedes. Der Platz vor der Kapelle hat sinnigerweise den Namen „Sille Nacht-Platz“ und dort steht selbstverständlich auch ein Stille Nacht- und Heimatmuseum. Von einem Einheimischen erfahre ich, dass zur Weihnachtszeit bis zu 30 Busladungen Touristen kommen.

Von der Kapelle aus laufe ich weiter am Ufer des Salzachbogens entlang bis zur prächtigen Salzachbrücke und überquere diese wieder zur Laufener Seite. Auf dem Marienplatz mache ich meine Mittagspause. Es ist inzwischen so warm geworden, dass ich bereits bei der Kapelle die Jacke ausgezogen habe. Hier auf einer Bank genieße ich die noch kräftig scheinende Herbstsonne.

Vom Marienplatz aus suche ich den Abstieg zur Salzach und finde diesen nach einigen Wirren, überquere einen kleinen Nebenarm und bin wieder am Ufer der Salzach. Der Weg ist eher ein Pfad unmittelbar neben dem Fluss. Ein bisschen blendet mich die tief stehende Sonne. Ich genieße dieses herbstlich schöne Wetter mit fast bayerisch blauweißem Himmel. Dazu die atemberaubende Fernsicht auf die Berge der Alpen.

Mein Weg unmittelbar am Rande des Flussufers entspricht nicht mehr der Naviroute. Dann sehe ich vor mir weiter unten direkt am Flussrand viele Holzpflöcke aus dem Wasser ragen. Davor auch einige vom Hochwasser aufgeworfene Betonplatten. Bei den Betonplatten handelt es sich um den ehemaligen Fuß- und Radweg. Das Hochwasser hat sich inzwischen viel Ufer genommen, daher auch die Naviabweichung.

Mein Pfad entfernt sich im Bogen von der Salzach und ich laufe auf einem Damm neben einem Seitenarm entlang. In der Nähe höre ich wieder die B20 mit ihren Fahrgeräuschen. Schließlich bin ich wieder auf einem Radweg neben der Bundesstraße unterwegs. Zeitweise verdeckt und trennt eine Baum- und Buschreihe die Fahrbahn. Dann endet der Radweg und ich unterquere die B20 zur anderen Seite. Ein vorbeilaufender Jogger bestätigt mir, dass dieser Weg wieder zur Salzach führt. Im naheliegenden Wald stehe ich auf einem wenig begangenen Pfad nach einiger Zeit vor einem unüberwindlichen Tümpel. Wieder einmal zurück und einen anderen Weg suchen, den ich schließlich auch finde. Nun dauert es nicht mehr lange und ich stehe wieder an der Salzach.

Nach etwa 2 ½ Kilometer verlasse ich endgültig die Salzach und biege nach Freilassing ab. Schnell erreiche ich den Gasthof im Stadtteil Salzburghofen. Als ich den gut besuchten Gastraum betrete, wird es schlagartig still und alle Augen richten sich auf mich. Ich schiebe mich vollbepackt zwischen den Sitzreihen zum Tresen durch. Doch dort ist niemand. Die Wirtin taucht plötzlich von der Eingangstür her auf und so muss ich mich wieder durch die Reihe mühen. Von einer älteren Frau höre ich noch: „Nicht so schnell junger Mann.“ Jedenfalls verstehe ich das so :-P.

Nach dem Duschen gehe ich wieder in den Gastraum und setze mich an den einzigen freien Tisch. Nun habe ich sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit und werde interessiert gleichzeitig von mehreren Anwesenden ausgefragt. Nicht immer verstehe ich, was man mich fragt. Die ältere Frau wiederholt langsam in ihrem vermeintlichen Hochdeutsch die Fragen zu übersetzten. Mir macht diese Unterhaltung Spaß und den Einheimischen wohl auch. Wir lachen viel. Als sie schließlich hören, dass ich bereits seit Ostern unterwegs bin und etwa 3600 Kilometer hinter mir habe, murmelt die ältere Frau: „Maria hilf, Maria hilf“, den Rest im undeutlichen Bayerisch verstehe ich nicht. Mit der Zeit ebbt unser Gespräch ab.  

167. Etappe: 12. Oktober 2013

Pietling – Laufen  18,1 km

Noch bevor ich meine heutige Etappe starte, übertrage ich meinen gestrigen Bericht und die Bilder über das WLAN in der Gaststube. Dann geht es los bei etwas kühlem, aber trockenen Wetter. Bei jedem Gebäude des Dorfes steht auf einer Tafel am Straßenrand Geschichte und Gebäudetyp dieses Gebäudes. Es ist gut gemacht, sehr informativ und interessant. Das Dorf ist schnell verlassen und ich bin weiter auf einer kleinen Kreisstraße unterwegs. Doch auch diese Kreisstraße hat einen Fuß- und Radweg. Ich durchquere Fridolfing und laufe an der B20 auf einem separaten Radweg entlang. Wieder ist auf dieser Bundesstraße einiges los und wieder wird gerast.

Vor einem kleinen Dorf verlasse ich die B20 und durchquere Untergeisenfelden. Hier wirkt alles so aufgeräumt und wie in einer heilen Welt. Im Dorf weist schon ein Schild mit „Bootsanleger“ indirekt auf die nahe Salzach hin. Kurze Zeit durchlaufe ich Felder und Wald und stehe dann wieder vor der Salzach. Wieder beeindruckt mich die hohe Fließgeschwindigkeit des Flusses. Hier zu schwimmen, wäre lebensmüde, geht mir durch den Kopf.

Nun geht es für längere Zeit auf einem Kiesbelag weiter. Auch hier wurde der Weg von den Schlammresten zuvor befreit, doch ist er etwas fester als gestern. Nach einiger Zeit endet der Kiesweg und nun stapfe ich auf einem kaum begangenen Pfad, oft überwuchert mit Unkraut, weiter an der Salzach entlang. Nur durch alte Spurrillen ist der Weg noch erkennbar. Zunehmend wird das Fortkommen schwieriger und ich erreiche seitlich einen kleinen Pfad. An dessen Ende sehe ich parallel zu meinem Pfad einen Weg und so wechsel ich dorthin. Doch dieser endet schließlich nach etwa einem Kilometer vor einer Absperrung, auch für Fußgänger. Seitlich davon gibt es einen schmalen Pfad hoch und dem folge ich. Oben angekommen stehe ich vor einem abgeernteten Maisfeld. Einen Hochsitz nutze ich für meine Pause. Seitlich in Richtung Salzach sehe ich nun ein Kies- und Sandwerk und einen Bauernhof.

Die einzige Möglichkeit ist einen Feldweg am Kieswerk vorbei zu nutzen und den Bauernhof zu durchqueren. Danach gibt es einen asphaltierten Weg. Nach meinem Navi komme ich in die richtige Richtung wieder zur Salzach und nach Laufen. Hier werde ich nach einer Unterkunft suchen.

In Laufen angekommen, bin ich zunächst in einem Vorstadtbereich. Doch niemand ist ansprechbar und so laufe ich erst einmal weiter zum angenommenen Innenstadtbereich. Dann sehe ich eine Frau in ihrem Vorgarten bei der Arbeit. Ich spreche sie an und erhalte zwei Möglichkeiten, einmal ein Gasthof oder ein Stück weiter ein Hotel, etwas feiner, wie sie sich ausdrückt. Ich erwidere, also etwas teurer und sie lacht.

Der Weg zum Gasthof ist einfach zu finden. Zuvor komme ich an einem Haus mit Zimmervermietung vorbei. Dort probiere ich mein Glück, doch niemand ist da. Als ich den Gasthof erreiche, steht an der Tür: „Samstag geschlossen“. Doch in einem Aushang finde ich eine Telefonnummer und rufe an. Ein Zimmer ist frei und die Frage nach dem wann kommen sie, kann ich mit: „Stehe bereits vor der Tür“ beantworten. Das war gut so, denn später gäbe es ein Problem. Man richtet gerade ein großes Abendessen außer Haus vor.

Ich hatte zuvor bei einem Supermarkt etwas zu Essen gekauft und damit wieder einmal richtig gelegen. Von der Wirtin erhalte ich zwei Brötchen, etwas Butter und ein gekochtes Ei. Im Zimmer nehme ich dann mein Abendbrot ein und gehe sehr früh ins Bett. Noriko hat mich in Passau mit ihrer Erkältung angesteckt und irgendwie fühle ich mich matt.