Campingplatz nach Barth – Stralsund 20 km
Ich werde erst gegen 6:30 Uhr wach. Diesmal hat mich kein Möwengeschrei vorher geweckt. Schon kurz nach 7 Uhr sitze ich im geöffneten Aufenthaltsraum der Jugendherberge und versuche ins Internet zu kommen. Wieder ist die Verbindung viel zu schlecht, es kommt mehrfach zu Zeitabbrüchen. Damit habe ich nun ein Problem, denn ohne Internet ist keine Suche nach einer Unterkunft in Stralsund möglich. Jetzt muss ich auf die wenigen bereits in Rostock notierten Telefonnummern von Pensionen zurückgreifen.
Dann um 7:30 Uhr Frühstück. Auch in dieser Jugendherberge und auf dem Zeltplatz sind nun überwiegend Familien mit Kindern. Es ist ein munteres Treiben im Speisesaal oder bei den Tischen im Freien. Diese Jugendherberge ist ideal für Familien. Hier gibt es reichlich Spielmöglichkeiten, ein Gehege mit kleinen Ziegen und Ponys ist vorhanden und auch ein Reiterhof gehört noch dazu.
Nach dem Frühstück behandele ich noch meine Blase unter dem kleinen linken Zeh, dann geht es ans Packen und ans Zelt abbauen. Danach starte ich heute wieder einmal zu einer Arbeitstour mit viel Straße. Diesen Weg habe ich ausgesucht, um innerhalb einer Etappe nach Stralsund zu gelangen.
Zunächst führt mich meine heutige Route weiter auf dem mit Betonplatten ausgelegten Weg. Nach einiger Zeit kommen mir die ersten landwirtschaftlichen Fahrzeuge entgegen. Bei zwei riesigen Mähdreschern muss ich aufs Feld ausweichen, denn diese Fahrzeuge sind deutlich breiter als der Weg. Es ist jetzt die Zeit der Ernte eingetreten. Damit haben sich auch die Farben in der Landschaft deutlich verändert. Jetzt überwiegen die Braun- und Gelbtöne. Bei Sonneneinstrahlung kommt noch das herrliche Goldgelb hinzu. Auch die nun etwas weniger vorhandenen Grüntöne haben sich hin zum dunkleren Grün entwickelt. Das helle leuchtende Grün ist nun weitgehend verschwunden.
Es wird immer wärmer und nur ein laues Lüftchen weht. Der Schweiß fließt bei mir in Strömen. Mein kleines Schweißtuch ist inzwischen zum Auswringen nass. Dieses kleine Schweißtuch stammt aus Japan und ist eigentlich ein kleines Handtuch, dass in den japanischen Bädern genutzt wird. Von meinen Reisen nach Japan habe ich auch die Nutzung dieser Handtücher als Schweißtuch gelernt. Dort feuchtet man das Tuch immer wieder mit kaltem Wasser an. Habe ich heute leider vergessen und so ist die Feuchtigkeit nur vom Schweiß!
Vom Plattenweg wechsel ich auf eine kleine Kreisstraße. Vor mir kommen ein kleiner Junge, ein etwas größeres Mädchen und die Mutter mit Rädern aus einem Hof gefahren. Plötzlich der Ruf der Mutter zu ihrem Sohn: „Du hast ja keinen Helm auf, sollen wir ihn noch holen?“ Wie selbstverständlich lehnt der Junge ab. Für mich aber nachvollziehbar, denn die Mutter trägt selbst auch keinen Helm. Eine tolle Vorbildfunktion für die eigenen Kinder!
Schon nach kurzer Zeit biege ich auf eine Landstraße ohne Radweg ab. Und sofort ist der Autoverkehr wieder da. Wieder beginnt eine unangenehme Phase mit meistens vernünftigen, aber auch einigen rücksichtlosen, Fahrern und Fahrerinnen. Zudem macht sich meine Blase immer deutlicher bemerkbar. Bei einem Parkplatz mit Kranichaussichtsplattform kurz vor Flemendorf, mache ich eine Rast und verarzte meine Blase. Hier bekomme ich dann beim dritten Versuch ein günstiges Zimmer in einer Pension in Stralsund.
Auf einer Informationstafel kann ich lesen, dass die Kraniche hier bei ihrem abendlichen Überflug zu den Schlafplätzen zu beobachten sind. Aber auch hier auf den abgeernteten Getreide- und Maisfeldern bei der Nahrungssuche zu beobachten sind.
Im nächsten Ort kann ich endlich auf einen separaten Radweg ausweichen und in Gross Kordshagen schließlich verlasse die Landstraße und biege in einen Feldweg ab. Nun bin ich für längere Zeit ohne Begegnung mit Menschen oder Fahrzeugen. Vor mir nur noch große Getreide-, Mais- und Rapsfelder und zwischendrin kleine Buschgruppen und Wäldchen.
Bei einem weiteren Stopp wird es wieder Zeit meine Blase zu behandeln. Sie ist an einer unangenehmen Stelle. Bei jedem Schritt trete ich unwillkürlich auf diese Blase. Mein Laufen ist nun in ein leichtes Humpeln gewechselt. Es ist inzwischen heiß und schwül und mit Freude sehe ich vor mir einen Wald. Mit Eintritt in diesen Wald empfängt mich eine angenehme Kühle. Doch meine Freude währt nicht lange, denn wie aus heiterem Himmel bin ich einer Attacke von Bremsen ausgesetzt. Sie fallen förmlich über mich her und setzten sich auf meine Arme, ins Gesicht oder in meinen Nacken. Innerhalb weniger Momente töte ich weit über zehn Bremsen und muss mit meinem Schweißtuch zur Abwehr ständig wedeln. Den Blasenschmerz ignorierend, werde ich immer schneller und versuche diesen Bremsen zu entfliehen. Erst als ich den Wald verlasse, lässt auch die Plage weitgehend nach.
Um auf die Bundesstraße zu gelangen, muss ich nun eine ausholende Schleife auf meinem Weg nehmen. Ich entschließe mich für einen kleinen Weg, der parallel zur Bundesstraße verläuft und dann darauf mündet. Mein Navi zeigt mir diesen kleinen Weg an. Doch nach etwa 800 Metern staubendem und steinigem Weg endet dieser vor einem Grundstück mit zwei Häusern. Links vor den Gebäuden biegt ein Feldweg ab. Nach meinem Navi gibt es den Weg nicht, ich aber folge ihn in der Hoffnung an den Gebäuden vorbei zu kommen. Vor mir jetzt in einiger Entfernung ein riesiges Solarzellenfeld. Schon nach kurzer Zeit geht der Feldweg in einen fast zugewucherten Pfad entlang eines Feldes über. Außerdem erkenne ich jetzt, dass vor mir auch noch eine Bahntrasse zu überwinden ist, um auf meine geplante Route zu gelangen.
Immer näher komme ich der Straße und der Bahntrasse und der schmale Pfad ist inzwischen nicht mehr zu erkennen. Ich durchlaufe eine Wiese mit hohen Gräsern, Wildpflanzen und vielen hohen Disteln. Egal, jetzt bin ich schon so weit gelaufen, jetzt muss ich mich bis zur Straße durchschlagen. Dann stehe ich vor einem Graben und dahinter erhöht ein Bahngleis. Beides überwinde ich und nach einer weiteren kurzen Durchquerung einer schmalen Wiese, stehe ich jetzt vor einem breiteren, tieferen und feuchten Graben. Dahinter die Leitplanke mit viel und schnellem Verkehr. Auch gibt es keinen Randstreifen zwischen Fahrbahn und Leitplanke. Selbst bei Überwindung des Grabens ist mir der Weg auf dieser Bundesstraße zu gefährlich. Es bleibt mir nichts anders übrig, ich muss zurück über das Bahngleis, den Graben und wieder auf dem schmalen Pfad zu den Gebäuden laufen. Als ich den Gebäuden näherkomme, richtet sich überrascht eine Frau auf einer Liege liegende durch mein plötzliches Erscheinen auf. Es ist eine Asiatin, leider kann ich mich nicht wirklich mit ihr verständigen. Doch dann kommt ein Fahrzeug angefahren. Von dem Fahrer erfahre ich, dass ich nicht die ausholende Straße nehmen muss, sondern dass es eine Unterführung und einen separaten Weg zum naheliegenden Bahnhof gibt.
Der Umweg hat mir etwa vier Kilometer Umweg beschert und um diese Bundesstraße zu umgehen, muss ich etliche Kilometer zusätzlich in Kauf nehmen. Außerdem rät mir meine Blase, zu fahren und nicht zu laufen! Also weiter zum Bahnhof. Der Bahnhof entpuppt sich als Haltestelle und der nächste Zug fährt erst in zwei Stunden. Das ist zu lange und so entschließe ich mich zum Trampen. Gleich hinter der Bahnhaltestelle gibt es an der Bundesstraße eine Parkbucht, also ideal zum Stehen.
Ich habe Glück und schon nach wenigen Minuten hält ein Transporter mit zwei Frauen an. Sie nehmen mich mit und setzen mich, mit einem kleinen Umweg für sie, bei einer Bushaltestelle am Rande von Stralsund ab. Dort fahre ich nach etwa 15 Minuten Wartezeit bereits mit dem Bus zum Busbahnhof in Stralsund. Der Fahrer erkundigt sich freundlicherweise bei der Zentrale nach meiner, ihm unbekannten, Zielstraße. Vom Busbahnhof sind es dann nur noch 400 Meter bis zu meiner Pension. Hier genehmige ich mir erst einmal ein großes Alsterwasser (= Radler = Bier mit Limo) und komme mit dem Wirt ins Gespräch.
Vor seiner Gaststätte und Anglerpension steht ein gut erhaltener roter VW-Käfer. Er gehört ihm und er erklärt mir stolz, dass er noch einen älteren Käfer hat. Dieser aber noch hergerichtet werden muss. Er ist Mitglied im örtlichen Oldtimer Club.
Dann erzählt er mir, dass er Lkw-Fahrer gewesen ist und bis zur Wende hier einen Altstoffhandel hatte. Danach habe er diesen Gasthof mit Pension aufgebaut. Er wurde zur Volksarmee als Lkw-Fahrer eingezogen. Im Bataillon stellt er dann fest, dass alle als Fahrer eingezogen wurden und das es überhaupt nicht so viele Fahrzeuge hier gab. Schließlich hatte er doch Glück und wurde mit weiteren 12 Kameraden tatsächlich als Lkw-Fahrer ausgewählt.
Irgendwie ergab es sich dann, dass einer der Kameraden ihn beiseite nahm und ansprach: „Gehste mit rüber, wenn wir später zur Grenze fahren?“ und er antwortete ohne zu viel zu überlegen und um ihn loszuwerden, mit: „Ja, ja.“ Später bei den Fahrteneinteilungen erhielt er nie eine Fahrt zur Grenze, sondern musste immer die unangenehmen und häufig frühen Fahrten absolvieren. Da wurde ihm klar, dass dieser Kamerad ein Stasispitzel gewesen war. Später wollte er seinen Traum verwirklichen und Seemann werden, das wurde ihm aber verwehrt. Glück hatte er dann doch noch durch einen guten Bekannten, der ihm schließlich die Zulassung zum Altstoffhandel ermöglichte. Damit hat er viel Geld für DDR-Verhältnisse verdient.
Fazit des Tages: „Erst bremst mich meine Blase aus, dann eine Bremsenattacke und schließlich bremst mich Graben und Gefährlichkeit der Bundesstraße aus. Zuviel Bremsen und doch ein guter Etappenausgang.“