73. Etappe: 28. Juni 2013

Wallsbüll – Flensburg  14,2 km

Vor dem Frühstück versuche ich verzweifelt einen Weg mit vertretbarer Länge von Wallsbüll über Dänemark nach Harrislee und Flensburg zu finden. Leider unmöglich, zwei Autobahnen und eine Bahntrasse versperren mir den Weg in Dänemark. Nur mit Umweg kann ich diese Hindernisse queren. Nach verschiedenen Versuchen gebe ich auf und plane meinen Weg nur durch Schleswig-Holstein.

Es ist wieder windig und es sieht nach Regen aus und so ziehe ich meinen Poncho an. Zunächst geht es an einen stillgelegten Bahnhof vorbei. Kletterpflanzen rangen schon bis zum Dach und auf den Bahngleisen wuchern Büsche und Unkraut. Mein Weg führt mich hinter den Gleisen entlang auf eine kleine Kreisstraße und mit Verlassen des Ortes endet der Fußgänger- und Radweg. Glücklicherweise habe ich hier nur wenig Verkehr. Nach etwa vier Kilometern wechsel ich auf eine Landstraße ohne Radweg und damit beginnt für mich ein Höllentripp. Es ist ein grüner Seitenrand vorhanden, nur dieser wird mir durch eine Leitplanke unmittelbar neben der weißen Markierungslinie versperrt. Kaum bin ich auf dieser Straße unterwegs, muss ich mit Schrecken feststellen, hier wird gerast und das häufig rücksichtslos!

Ich stehe an der weißen Randmarkierung und ziehe mir gerade meine Ponchokapuze über. Plötzlich rast ein von hinter mir kommendes Fahrzeug dicht an mir vorbei. Der Abstand zu mir ist höchstens ein Meter. Mir fährt der Schreck in die Glieder! Dieser Wahnsinnige hat ein anderes Fahrzeug überholt. Ich bin mit meinem blauen Poncho weithin sichtbar und es ist eine gerade Strecke, er muss mich also gesehen haben. Was geht in so einem Menschen vor? Meine Ex-Schwiegermutter ist von einem Raser zu Tode gefahren worden und meine Ex hat das mit ansehen müssen!

Diese Situation war das bislang gefährlichste auf meiner Wanderschaft. Doch es geht weiter mit diesen Chaoten. Häufig kommen Fahrer mir entgegen, bremsen nicht bei Gegenverkehr ab, sondern rasen dicht an mir vorbei. Nur ein paar Frauen bremsen, fahren langsam auf mich zu und halten ggf. mit deutlichem Abstand vor mir an. Erst wenn kein Gegenverkehr mehr vorhanden ist, fahren sie mit Abstand zu mir, vorbei. Ich habe zum ersten Mal Angst! So viele Chaoten auf einer Etappe habe ich noch nicht erlebt.

Als ich von Weitem das Ortsschild von Ellund erkenne, breitet sich Erleichterung bei mir aus. Und als ich den Ort erreiche, kann ich auf einen separaten Fußgänger- und Radweg ausweichen. Selbst Ort wird noch viel zu schnell auf dieser Straße gefahren. Dann sehe ich vor mir ein Hinweisschild zur Autobahn. Das ist wohl auch der Grund für diese Raserei.

Nachdem ich die, von der Autobahn kommende, Landstraße verlasse und auf einer Straße mit Radweg laufe, lässt meine innere Anspannung nach. Doch nach einiger Zeit beginnt eine andere innere Anspannung und diese treibt mich voran. Ich halte Ausschau nach einer Tankstelle oder einem Wäldchen zu Erleichterung, doch leider ist nichts in Sicht. Auch mit Erreichen des Ortes Harrislee sehe ich kein geöffnetes Restaurant oder Café. Dann erreiche ich das Bürgerhaus und eile dorthin. Doch als ich eintreten will, sind die Türen geschlossen. Erst in einer halben Stunde wird wieder geöffnet. Eine etwas abseitsstehende Raucherin spreche ich in Verzweiflung an und ich habe Glück, sie lässt mich bei einem Nebeneingang eintreten.

Erleichtert rufe ich Ingolf zur Abstimmung unseres Treffpunkts an und teile ihm meinen derzeitigen Standort mit. Unsere Abstimmung ist perfekt, denn als ich am Straßenende ankomme, ist zehn Minuten später auch Ingolf da.

Auf unserem Weg zur Post in Flensburg zeigt mir Ingolf das Nordtor und anschließend fahren wir am Museumshafen vorbei. Bei der Post hole ich mir von der Packstation ein Päckchen mit meinen neuen Einlagen von Fuß-Orthopädie Günther ab. Dann geht es zum Jachthafen Fahrensodde, im Inneren der Flensburger Förde, und dort zum Flensborg Yacht Club. Die Hafenanlage teilt sich der Klub mit einem weiteren Jachtclub. Am Wochenende findet hier eine Regatta statt und diese wird von Ingolf geleitet.

Zunächst geht es kurz zum Klubhaus und anschließend fahren wir meinen Rucksack und verschiedene Dinge von Ingolf mit einem Handwagen zu seiner Segeljacht. Sie liegt ziemlich am Ende der Hafenanlage. Auf seine Jacht kommt man nur über den Bug und dieser ist für mich beängstigend schmal. Ich bin froh, dass er mir hilft. Wie ein alter Mann, dem die Hand gereicht wird, komme ich an Deck. Doch ohne Hilfe traue ich mich nicht, mit meinen Wanderschuhen über das Trittdreieck am Bug, an Deck zu kommen! Wir verstauen zunächst alle Sachen unter Deck und ich bin überrascht über dessen Größe.

Diese Jacht mit einer Gesamtlänge von 9,83 Metern hat Ingolf selbst gebaut. Er begann mit dem Bau 1971 und konnte sie 1976 erstmalig zu Wasser lassen. Wie er mir erzählte, verändert er in den Jahren immer wieder etwas. Jeder kleinste Winkel unter Deck ist ausgenutzt und handwerklich perfekt ausgeführt. Ich bin tief beeindruckt von seiner Leistung.

Um diese Jacht zu bauen, hat er mit weiteren Personen des Klubs eine Negativform aus Kunststoff von einer alten Jacht hergestellt. Nach Fertigstellung der Negativform, benötigte er ca. 1 ½ Jahre um sie glatt zu schleifen! Danach hat er ein Trennmittel aufgebracht und im Handauflegeverfahren mit Kunststoff (Dicke ca. 8 – 10 mm) den Jachtkörper hergestellt. Weitere drei Jahre vergingen, bis das Deck und die Inneneinrichtung fertiggestellt waren. Bei seinem letzten großen Umbau hat er einen neuen Dieselmotor eingebaut. Dieser war größer, aber leichter und leistungsfähiger. Dadurch musste er ein Teil der Inneneinrichtung neu herstellen. Für diese Aktion lag die Jacht wieder 1 ½ Jahre an Land.

Ingolf selbst fing mit dem Segeln bereits als Jugendlicher an und sein Sohn trat inzwischen in seine Fußstapfen und kann ebenfalls diese Jacht segeln.

Danach gehen wir zurück zum Klubgebäude und ich setzte mich zum Arbeiten in das angegliederte Restaurant. Der Klub ist ein Verein der dänischen Minderheit, daher höre ich meistens nur Dänisch. Auch für mich ungewohnt ist Ingolf in dänischer Sprache sprechen zu hören.

Abends sind neben den Klubmitgliedern, die die Regatta betreuen, auch Dänen, die die Regatta bestreiten. Nach einer Ansprache des ersten Vorsitzenden, dem Austausch von Wimpeln beginnt der gemütliche Teil des Abends mit einem Essen.

Einige Zeit nach dem Essen sind Ingolf und ich zu einem kleinen Umtrunk an Bord einer anderen Jacht eingeladen. Bei Bier und Wein ist es hier richtig gemütlich, es fehlt jetzt nur die warme Luft und ein Sonnenuntergang im Hafen. Während der Unterhaltung müssen mir die anderen immer wieder das Segellatein übersetzen. Nach diesem netten Ausklang des Abends sitzen Ingolf und ich noch bis fast ein Uhr in der Frühe unter Deck bei einem weiteren Bier zusammen. Mit einem leichten Schaukeln schlafe ich dann ein. 

72. Etappe: 27. Juni 2013

Ladelund – Wallsbüll  17,2 km

Meine Zimmerwirtin hat für uns zwei das Frühstück vorbereitet und wir essen zusammen. Dabei kommt wieder ein nettes Gespräch zustande. Diese Privatzimmervermietung ist nur zu empfehlen. Das Zimmer ist gut, die Atmosphäre ausgesprochen familiär und der Preis angemessen. Bisher war es das erste Mal auf dieser Reise, das ich in einer Pension so aufgenommen und betreut wurde. Ich kenne dies eigentlich nur von meiner Pilgerreise 2009.

Draußen regnet es und ich starte gleich mit dem Poncho. Zunächst geht es an der Straße entlang, meist ohne Radweg und der Regen wird stärker. Ein ausgesprochen trüber Tag und ich hoffe, die Etappe ist bald zu Ende. Nach ein paar Kilometer wechsel ich auf einen Wirtschaftsweg und dann auf einen unbefestigten Feldweg mit Sand-Kies-Untergrund. Der Regen hat weiter zugenommen. Ich marschiere mit meinen NW-Stöcken lustlos dahin. Beiderseits des Weges landwirtschaftliche Flächen und gelegentlich eine Kräuterwiese dazwischen. All das interessiert mich bei diesem Wetter nicht wirklich, ich will nur noch ankommen. Leider endet der unbefestigte Weg wieder nach ein paar Kilometer und danach laufe ich auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg ohne Verkehr, an einem Wald und teilweise durch einen Wald, weiter.

Meine erste Pause mache ich in einer Schutzhütte an einer Bushaltestelle. Der Regen ist inzwischen heftig. Irgendwann bin ich wieder auf der Straße und erreiche Medelby und wenig später Osterby. Hier rufe ich aus einer überdachten Bushaltestelle Ingolf an. Im Commundo Tagungshotel Hamburg konnte ich ihn wegen Wochenende nicht treffen und auch in Wedel, seinem Wohnort klappte es nicht. Eigentlich wollte ich mich nur mal melden. Ich erreiche ihn und er lädt mich zum Übernachten auf seiner Segeljacht in Flensburg ein. Natürlich nehme ich gerne an, so eine Gelegenheit auf einer Segeljacht zu übernachten, werde ich auf dieser Wanderschaft nicht mehr bekommen. Wir verabreden uns für Nachmittag, er wird mich irgendwo unterwegs aufsammeln und wir fahren dann zum Jachthafen. Dort hat er noch etwas für eine Regatta zu tun und ich kann meine Berichte schreiben und meine nächsten Etappen planen.

Dieses tolle Angebot vertreibt trotz heftigem Regen meine miese Stimmung und ich schreite wieder mit Motivation voran. Der Gasthof im nächsten Ort Wallsbüll ist schnell erreicht.  

Pausentage Niebüll / Neukirchen

Niebüll: 23. Juni 2013

Einen Wecker brauche ich nicht, bereits um 6 Uhr bin ich wach. Der Schmerz ist kaum noch da, zur Sicherheit kühle ich aber trotzdem. Das Schmerzmittel, was auch entzündungs­hemmend wirkt, nehme ich 2x am Tag. Etwas massieren tue ich die vordere Unterschenkelmuskulatur auch noch. Ich genieße das Liegenbleiben und schalte das Fernsehgerät an und zappe mich durch die Programme. Irgendwie schlafe ich nochmals ein.

Auch das Frühstück mit einem reichhaltigen Frühstücksbuffet genieße ich. Einen Mann im Frühstücksraum erkenne ich wieder, er ist mir gestern beim Warmfahren auf der Triathlonstrecke begegnet. Mich erkennt er nicht mehr, kein Wunder mit blauem Poncho und Rucksack sehe ich sicherlich anders aus. Weitere junge Gäste sind wohl auch Teilnehmer des gestrigen Triathlonwettbewerbs gewesen. Nach dem Frühstück heißt es wieder Faulenzen und mein Bein schonen.

Mir wurde von Herrn Schmitt, einem Deutschlandumrunder und von Harald das Noldemuseum empfohlen. Es liegt in Seebüll bei Neukirchen und ist etwa 15 Kilometer nördlich von Niebüll entfernt. Da ich noch einen weiteren Ruhetag für mein Bein eingeplant habe, werde ich diesen Tag für den Museumsbesuch nutzen. Dafür suche ich mir eine Unterkunft in Neukirchen und fahre morgen mit dem Bus dorthin.

Gegen 15 Uhr verspüre ich Hunger und gehe in den Ort. Nicht weit vom Hotel entfernt finde ich ein Restaurant. Zu Essen gibt es um diese Zeit aber nur Kuchen und so esse ich ein Stück. Dies muss für heute reichen, denn nochmals laufen tue ich wegen meines Beines nicht mehr.

Der Abend endet, wie der Morgen begann, mit Faulenzen und nach langer Zeit einmal wieder Tatort schauen.

Neukirchen: 24. Juni 2013
Niebüll – Neukirchen mit dem Bus

Die Busverbindungen nach Neukirchen sind miserabel und durch die Sommerferien in Schleswig Holstein zusätzlich nochmals schlechter. Nur vor 7 Uhr und dann erst um 13:23 Uhr fährt ein Bus.

Ich kann nach Rücksprache mit der Rezeption noch bis 12 Uhr im Zimmer bleiben. Danach esse ich in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Busbahnhofs eine Kleinigkeit. Von dort bin ich in wenigen Minuten an der Haltestelle. Der Bus kommt pünktlich und ich bitte den Fahrer mir Bescheid zu geben, wenn der Bus die Haltestelle beim Landgasthaus erreicht. Gut, das ich den Fahrer angesprochen habe, denn unterwegs nicke ich ein und werde erst durch die Durchsage des Busfahrers wach. Schnell packe ich Rucksack und Stöcke und steige noch ein wenig verschlafen aus. Gegenüber sehe ich einen Gasthof, das Wort Fegetasch steht auch dort. Ich überquere die Straße und stehe dann vor einer verschlossenen Tür. Mehrfach betätige ich die Klingel, doch niemand öffnet. Neben dem Gasthof gibt es im Garten Stühle und Tische. Als ich dorthin gehen will, sehe ich auf der anderen Seite noch einen Gasthof und dieser hat auch den passenden Namen.

Dieser Landgasthof ist offen und ich kann mein Zimmer beziehen. Alles ist einfach, das WC und die Dusche auf dem Flur. Ich brauche nicht mehr und der Preis ist mit Frühstück günstig und endlich einmal angemessen.

Neukirchen: 25. Juni 2013
Neukirchen – Seebüll – Neukirchen 8,3 km

Nach dem Frühstück packe ich meinen Minirucksack, und da es wieder nach Regen aussieht, stopfe ich auch noch meinen Poncho dazu. Zuvor habe ich mir den Weg in Google Maps angeschaut und festgestellt, es ist nicht weit zur Nolde Stiftung. Ich entschließe mich, zu Fuß zu laufen. Viel Alternativen habe ich nicht, nur nachmittags mit dem Bus oder ein Taxi. Da ich kein größeres Gewicht tragen muss, ist es ein guter Test für mein Bein.

Auf dem Weg mit einer leichten Brise Wind habe ich immer wieder das Gefühl, gleich regnet es. Dicke dunkle Wolken ziehen über mir dahin. Mein Bein beklagt sich nicht und ich spüre auch keinen Schmerz. Der Weg zur Nolde Stiftung ist gut beschildert. Schon von Weitem sehe ich den modernen und markanten Glasbau, das Forum der Nolde Stiftung Seebüll, zwischen Bäumen und Büschen stehen. Ebenfalls gehören die zwei reetgedeckten Bauerhäuser in unmittelbarer Nähe zur Stiftung. Im roten Backsteingebäude ist das Gästehaus untergebracht.

Emil Nolde war einer der führenden Maler des Expressionismus. Er ist zudem einer der großen Aquarellisten in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Das Ehepaar Nolde erwarb 1926 die unbebaute Warft und die beiden daneben liegenden Bauernhöfe. Sie nannten die Warft Seebüll und bis 1930 wurde dort das gleichnamige Wohn- und Atelierhaus nach den Plänen des Malers erbaut. Neben dem Haus entstand ebenfalls nach eigenen Entwürfen der Garten. Die Hauptwege wurden in Form der Initialen A und E angelegt. Im Garten entstand das kleine reetgedeckte Gartenhaus und ein Erdschutzbunker, der später als Gruft und Begräbnisstätte von Ada und Emil Nolde umgewandelt wurde.

Der Garten ist ein Künstlergarten und ein sehr individuelles Gesamtkunstwerk. Die Bepflanzung orientiert sich an Bauerngärten der damaligen Zeit und wurde ebenfalls von Nolde mit Ulmen, Obstbäumen, Goldregen, Hochstamm-Rosen, kleinen Schlehen und weiteren Blumenarten vorgegeben.

Von der Straße komme ich am Busparkplatz vorbei und laufe auf einem schmalen Weg zum Eingang im Forum. Ich kaufe mir eine Kombieintrittskarte für Ausstellung und Gartenführung. Die Führung fängt um 11 Uhr an und ich habe genug Zeit mir den Film über das Leben und Schaffen von Emil Nolde anzuschauen.

Die Gartenführung wird von einem Gärtner der Stiftung durchgeführt. Wir haben Glück trotz dicker Regenwolken bleibt es trocken. Der Führer gestaltet die Führung durch den von Ada und Emil Nolde selbst gestalteten Garten interessant. Am Ende der Führung besuche ich noch die derzeitige Ausstellung im ehemaligen Wohnhaus.

Nach Verlassen des Stiftungsbereichs gehe ich noch zu Noldes Fischerboot, inzwischen ein originalgetreuer Nachbau des Bootes. Der Weg führt vorbei an Weidefläche und zuletzt teilweise durch eine Schilfgasse. Auf dem Rückweg sehe ich schon aus der Ferne eine Frau zeichnend am Zaun stehen und ihr gegenüber die neugierig zusammengerotteten Rinder. Als ich sie erreiche, mache ich seitlich von hinten ein Foto mit Frau, Zeichnung und Rinder. Sie gibt mir die Erlaubnis dieses Bild auf meinem Blog darzustellen.

Im Anschluss daran geht es zurück zum Landgasthof. Immer noch trübe aber weiterhin trocken. Der Besuch der Nolde Stiftung war eine sehr gute Empfehlung gewesen. Zurück im Zimmer buche ich meine morgige Unterkunft in Ladelund. Zu meiner Überraschung hat bereits Herr Schmitt, einer mein Vorgänger, 2010 dort übernachtet. 

70. Etappe: 22. Juni 2013

Hallig Hooge – Schlüttsiel – Niebüll  17,7 km

Um 7:45 Uhr verlasse ich die Jugendwarft. Ebenfalls zum Fährhafen sind die Schülerinnen und Schüler einer Frankfurter Schule unterwegs. Am Hafen begebe ich mich unter den überdachten Wartebereich. Hier stehen schon einige Schülerinnen. Kaum habe ich einen Platz gefunden, spricht mich eine Schülerin an: „Sie haben schöne Augen, wie heißen sie?“, ich etwas verdattert: „Warum willst Du das wissen?“ Eine andere Schülerin antwortet für sie: „Sie ist verliebt in sie!“ Ich habe kaum Zeit etwas zu erwidern, schon prasseln weiter Fragen auf mich ein: „Woher kommen sie? Wohin wollen sie? Wie lange sind sie unterwegs? Haben sie viel Geld dabei? Und, und…“ Ich beantworte teilweise ihre Fragen und habe danach erst einmal Ruhe. Wenig später kommt ein Schüler zu mir und fragt mich: „Warum machen sie das?“ Ich antworte: „Es macht mir Spaß.“ Er geht zu den Mädchen und erzählt ihnen leise meine Antwort. Dann ein weiteres Verhör: „Waren sie schon in Hamburg? Kennen sie Köln? Kennen sie München? Usw.“ Als ich immer seine Fragen bejahe, ist er sichtlich beeindruckt und meint: „Sie kennen ja ganz Deutschland!“, und lässt mich in Ruhe.

Etwas verspätet kommt die Fähre an und wir gehen an Bord. Ich begebe mich sofort ins Unterdeck, um dort ein Frühstück einzunehmen. Zwischendurch schaue ich einmal aus einem der Bullaugen und sehe schon wieder Regen. Im Hafen von Schlüttsiel angekommen hat es glücklicherweise aufgehört, doch schwere Regenwolken sind noch am Himmel. Jetzt jedoch bläst mir eine heftige steife Brise entgegen. Zur Sicherheit ziehe ich hinter dem Restaurant, geschützt vom Wind, meinen Poncho an.

Auf oder vor dem Deich brauche ich nicht zu laufen, hier würde ich nur gegen den Wind ankämpfen. Und so entschließe ich mich, auf der Deichstraße meinen Weg fortzusetzen. Es gibt hier keinen Radweg und auch kaum Randstreifen. Auf dieser schmalen Straße sind in beiden Richtungen viele Fahrzeuge unterwegs. Die meisten entgegenkommenden Fahrer(innen) fahren, wenn kein Gegenverkehr ist, komplett links auf die Fahrbahn. Einige Unentschlossene fahren wenigstens halb auf die Gegenfahrbahn, doch ein Fahrer pocht auf sein Recht weiterhin auf seiner Fahrbahnseite zu bleiben und kommt mir gefährlich nahe. Mit meiner Gelassenheit ist es vorbei, ich drehe mich herum und brülle und gestikulieren ihm nach. Er hat es wohl mitbekommen, tritt kurz auf die Bremse und fährt dann doch weiter. Hoffentlich bin ich bald von dieser Straße runter und weg von diesen Verkehrsidioten! Das Thema arbeitet einige Zeit in mir.

Inzwischen regnet es wieder und ich bin froh den Poncho anzuhaben. Dann sehe ich im Gelände ein Haus mit abgebranntem Dachstuhl. Dies ist wohl eines der reetgedeckten Häuser, das bei dem starken Gewitter (bei meiner 68. Etappe) vom Blitz getroffen wurden. Kurz danach kann ich endlich von der Deichstraße abbiegen. Auch diese Kreisstraße hat keinen Radweg, doch der Verkehr hält sich in Grenzen und alle fahren mit vernünftigem Abstand an mir vorbei. In Broderswarft mache ich in einem kleinen Wartehäuschen an einer Bushaltestelle meine erste Pause. Mein rechter Unterschenkel schmerzt wieder.

Vor einer Straßenbiegung steht eine Polizeistreife und beide Beamten steigen aus als ich näher komme. Ich muss hier abbiegen und frage beide: „Machen sie auch bei mir eine Verkehrskontrolle?“ Beide schmunzeln und erklären mir, dass hier bald ein Triathlonwettkampf  stattfindet. Ich darf aber weiter. Die Straße ist wieder eine endlose Gerade, nur habe ich, je weiter ich laufe, Abwechslung. Immer mehr Fahrzeuge halten und parken am Rand und Sportler und Begleiter sind unterwegs. Mal werde ich mit meinem im Wind flatternden Poncho belächelt, höre aber auch von Begleitpersonen: „Einen Poncho hätte ich auch mitnehmen sollen.“

Die parkende Autoschlange ist enorm und bei der Abbiegung zum Startplatz finde ich wieder ein Wartehäuschen für meine Pause. Hier verfolge ich einige Zeit mit schmerzendem Bein das Treiben der Athleten. Einige haben Edelrädern dabei.

Auch nach meiner Pause laufe ich an einer ständig zunehmenden Autokolonne vorbei. Erst in Maasbüll wird es wieder ruhiger. Dann in einem Vorort von Niebüll angekommen, kann ich nur noch langsam humpelnd nach Niebüll weiterlaufen.

Im Hotel angekommen frage ich, ob ich ggf. noch eine weitere Nacht bleiben kann. Dies ist möglich und ich werde mich am nächsten Morgen entscheiden. Zunächst kühle ich den Unterschenkel und massiere leicht die vordere Unterschenkelmuskulatur. Die Kühlung und auch die Massage tuten gut. 

Pausentag auf Hallig Hooge

21. Juni 2013  11 km

Mein Fenster liegt zum Fething, dem früher als Süßwasserspeicher genutzten Teich. Dieser liegt im Zentrum der Warft. Die Vögel in den Bäumen und Büschen um den Teich, wecken mich bereits gegen 6 Uhr mit ihrem lautstarken Gezwitscher. Mein Blick aus dem Fenster zeigt mit leichten Regen. Ich habe es nicht eilig und so döse ich noch einige Zeit vor mich hin.

Da ich für mein Zimmer keinen Schlüssel habe, nehme ich alle wichtigen Dinge, wasserdicht eingepackt, in meinem Minirucksack mit. Ich weiß überhaupt nicht, ob es Frühstück hier in der Herberge gibt und auch nicht, wo dann der Frühstücksraum ist. Wieder begebe ich mich auf die Suche. An der Innenseite der Tür im Erdgeschoss, in die ich gestern zu meinem Zimmer geführt wurde, steht: „Kein Ausgang.“ Nur wo soll ich raus? Ich finde keinen anderen Ausgang, also verlasse ich das Gebäude aus dem „Nicht“-Ausgang. Draußen kommen mir zwei junge Männer entgegen. Den Ersten frage ich nach dem Frühstück. Er zeigt zu einem Nachbargebäude, dem Hallig Café. Meint aber, dass das nur mit Voranmeldung geht. Den Nicht-Ausgang kann ich natürlich benutzen. Mehr Fragen sind nicht möglich, er hat es eilig und eilt auch schon davon. Ich gehe zu dem gezeigten Café und finde eine verschlossene Tür. Hinter einem Fenster sehe ich Licht und erkenne auch schon gedeckte Tische. Ich klopfe und nach einer Weile kommt eine Frau. Ich erkläre ihr, dass ich gestern Abend angekommen bin und gerne ein Frühstück haben möchte. Ich bekomme ein Frühstück in etwa 30 – 45 Minuten, sie muss zunächst noch für eine Gruppe von 15 Personen das Frühstück vorbereiten.

Ich nutze die Zeit und umlaufe die Backenswarft und mache bei leichtem Regen und Nebel die ersten Fotos. Nach 45 Minuten gehe ich zum Café und finde die angekündigte Gruppe vor. Mein Tisch ist reichhaltig gedeckt. Nach dem Essen gehe ich zurück zu meinem Zimmer. Sicherheitshalber nehme ich meinen Poncho zur Halligerkundung mit.

Zunächst laufe ich in der Backenswarft herum, dann verlasse ich die Warft. Mangels Karte nutze ich mein Navi mit der hinterlegten topografischen Karte. Auf dem Weg Richtung Hanswarft kommt mir eine junge Frau entgegen. Mit ihr hatte ich mich gestern schon auf der Fähre unterhalten. Sie kennt sich gut mit den Vögeln der Küste aus und ist bis Sonntag hier. Für ihre Erkundung ist sie mit einem Fernglas bewaffnet, unterwegs. Während unserer kurzen Unterhaltung beginnt es stärker zu regnen. Sie zieht ihre Regenhose über und ich ziehe meinen Poncho an, dann geht es weiter.

In der Hanswarft gibt es Museen, Restaurant, Imbiss und den Halligkaufmann, einem kleinen „Tante Emma Supermarkt“. Nachdem ich in der Warft etwas herum gelaufen bin, verlasse ich sie wieder in Richtung Okenswarft. Schon wenige Minuten später geht ein wolkenbruchartiger Regen nieder. Ich renne zurück zur Hansewarft, stelle mich unter einem Dachüberstand eines Hauses unter. Da der Regen leider nicht nachlässt, flüchte ich durch den Biergarten in das Restaurant.

Der Weg zur Ockenswarft führt an Salzwiesen vorbei. Ich komme an zwei kräftigen Pferden und mehreren Rinderherden vorbei. Als ich an einer kleinen Brücke ankomme, sitzt eine Küstenseeschwalbe auf dem Geländer. Es stört sie nicht, als ich meine Kamera raushole und in einem Abstand von höchst 1 ½ Meter Fotos von ihr mache. Erst als ich weiterlaufe, fliegt sie davon. Wieder störe ich mehrere Austernfischer, sie fliegen lautstark und aufgeregt um mich herum. Ein Austernfischer setzt tatsächlich zur Attacke auf mich an. Er kommt im Steilflug auf mich zu und kurz vor mir fliegt er wieder hoch. Ziemlich aggressiv verfolgt er mich noch eine Weile. Schon wenig später störe ich mehrere Rotschenkel und auch sie umkreisen mich mit lautstarkem Geschrei.

Weiter auf meinem Weg kann ich in kurzer Entfernung einen Rotschenkel auf einem Pfosten fotografieren. Als ich die Ockenswarft erreiche, ist es deutlich windiger geworden. Ich durchquere die Warft und bin an der Nordsee und kann die Insel Pellworm gegenüberliegend sehen.

Von der Ockenswarft laufe ich zurück an der Hanswarft vorbei in Richtung Ipkenswarft. In der Ferne ziehen schon wieder dunkle Wolken auf und ich breche meinen Weg zur Ipkenswarft ab. Nach der Ockelützwarft biege ich zur Kirchwarft ab. Kaum habe ich den Parkplatz vor der Warft erreicht, schüttet es wieder wie aus Kübeln. Ich flüchte durch den Friedhof zur Kirche und öffne die Tür der Kirche. Eine Gruppe Tagestouristen kommt von innen zur Tür. Statt mich eintreten zu lassen, marschieren die fünf Personen im Schlafwagentempo vom Trockenen kommend an mir vorbei. Ein: „Oh es regnet schon wieder“ vernehme ich. Ich verkneife mir mit Mühe einen Kommentar über diese unhöfliche und gedankenlose Aktion. Diese Leute laufen nur ein paar Schritte bis zum Parkplatz. Dort wartet der trockene Pferdebus auf sie.

Auch nach dem Besuch der Halligkirche regnet es weiter. Ich gebe auf und werde es am Nachmittag nochmals versuchen. Jetzt kehre ich zur Backenswarft zurück.

Am Nachmittag regnet es immer noch und ein heftiger Wind mit Windstärke von etwa 6 bis 7 bläst über die Hallig. So langsam habe ich das Gefühl, mich verfolgt das schlechte Wetter. 

69. Etappe: 20. Juni 2013

Riddorf/Breklum – Schlüttsiel – Hallig Hooge  21,5

Bereits um 8 Uhr verlasse ich die Pension. Zur Sicherheit starte ich heute früh. Meine Fähre zur Hallig Hooge fährt um 17:35 Uhr in Schlüttsiel ab. Eigentlich genug Zeit für eine Strecke von etwa zwanzig Kilometer. Doch ich möchte mein rechtes Bein schonen und auch genug Zeit für vielleicht interessante Gespräche zu haben.

Der Himmel ist bewölkt und die Außentemperatur beträgt 19 Grad. Weit kann ich nicht sehen, es ist nebelig. Dafür trocken, aber extrem schwül. Schon nach wenigen Minuten läuft bei mir der Schweiß in Strömen.

Von Riddorf geht es nach Bredstedt. In Bredstedt durchquere ich das Zentrum und nach etwa 35 Minuten bin ich am Ortsausgang und auf einer kleinen Kreisstraße ohne Radweg. Nur selten fährt ein Fahrzeug an mir vorbei. Mein Weg führt vorbei an einem kleinen Wald und wie so oft an landwirtschaftlichen Nutzflächen. Trotz Nebel erkenne ich in der Ferne die Windkrafträder. Ihr Blätter drehen sich nur langsam. Bei der Schwüle täte heute ein leichter Wind gut, ist aber nicht.

Die kleinen Orte Ost-Bordelum, West-Bordelum und Ebüll reihen sich aneinander. Oft laufe ich an wunderschönen reetgedeckten Häusern vorbei. Das Reet legt sich verspielt in Bögen um Fenster und Türen oder Vorbauten. Oft sind die Vorgärten liebevoll gestaltet. Bei allen Dächern sehe ich Moos und bei einigen wächst auf dem First bereits Gras, der Samen ist sicher von den Vögeln herauf geschleppt worden. Die Dicke des Schilfs ist bei den Häusern sehr unterschiedlich, warum das so ist, macht mich neugierig.

Nach Sterdebüll habe ich nun eine etwas längere Strecke ohne Orte vor mir. Jetzt komme ich den Windkrafträdern deutlich näher. Im freien Geländer ist man dabei, weitere Anlagen zu errichten. Vor einem blühenden Rapsfeld arbeitet eine Imkerin bei den Bienenkörben. Ich fotografiere sie dabei und grüße sie laut. Sie nimmt ihren Netzhut ab und kommt zu mir. Wir unterhalten uns eine Weile und schnell ist das Thema beim gestrigen Gewitter. Sie berichtet mir, dass auch ein privates Windkraftrad bei einem Bauern vom Blitz getroffen wurde und in Schlüttsiel ein Schilflager abgebrannt ist.

Jetzt brauche ich eine längere Pause, doch keine Bank weit und breit. Auch keine geeignete Wiese in Sichtweite. Und so nutze ich eine asphaltierte Fläche zu einem Feld hin. Den Rucksack runter und an diesen lehne ich Kopf und Schulter. Trotz der Verkehrsgeräusche schlafe ich ein. Erst ein Hupen weckt mich wieder. Die ersten Schritte nach so einem Päuschen sind etwas wackelig. Ich muss erst wieder auf Betriebstemperatur kommen.

Am Ortseingang von Ockholm sehe ich einen Reethandel und betrete neugierig den Hof. Ein Mann verzurrt gerade Maschendraht auf einem Anhänger.

Ich spreche ihn auf die unterschiedliche Dicke der Dächer an und er erklärt mir bereitwillig, dass die Dicke mit den Jahren auf natürliche Weise abnimmt. Je neuer um so dicker und je älter um so dünner.

Ich spreche ihn nach dem Heidekraut auf den Reetdächern an. Er führt mich zu einer Halle und zeigt mir das dort gelagerte Heidekraut mit Wurzeln. Draußen vor der Halle steht ein Anhänger mit Grasnarben und auch dieses Material wird als Abschluss auf dem First eingesetzt. Heidekraut oder Grasnarben werden mit Maschendraht befestigt. Der Maschendraht wird mit der unter dem Schilf liegenden Lattung „vernäht“. Er zeigt mir auch, wie das Schilf auf dem Dach gelegt und geschichtet wird. Nur auf dem First wird zum Schluss das Schilf geschnitten und mit Dachpappe abgeschlossen. Darüber kommt dann das Heidekraut oder die Grasnarben. Das Reetdach hält etwa 30 Jahre und, wenn es immer wieder gut abtrocknen kann, sogar bis zu 70 Jahre. Auch die Dachschräge hat Anteil an der Haltbarkeitsdauer. Je steiler das Dach, um so schneller lauft das Wasser ab und damit trocknet es schneller.

Auf dem Hof steht ein Anhänger mit einer Fuhre Schilf. Dieses hat eine Länge von über zwei Meter. Das Schilf erntet er hier in der Gegend. Dann erzählt er mir, dass gestern sein Schilflager in Schlüttsiel abgebrannt ist. Als ich ihn auf die größere Brandgefahr von Reetdächern durch Blitzeinschlag anspreche, verneint er.

Von Ockholm aus erreiche ich nach zwei großen Bögen den Deich. Dort überquere ich diesen und laufe auf der Seeseite Richtung Schlüttsiel. Wieder gibt es die mit Pflöcken und Reisig abgetrennten Felder. Hier kann man deutlich die Schlickablagerung und zum großen Teil auch den Bewuchs mit Schilfgras sehen. Unterwegs komme ich an einer Lagerfläche mit Reisig und Pflöcken vorbei. Die angespitzten Holzpflöcke sehen wie riesige angespitzte Bleistifte aus. Teilweise in den Farbschattierungen von Braun, Gelb bis Grün.

Etwa zwei Stunden vor Abfahrt der Fähre erreiche ich den Hafen von Schlüttsiel. Die Fahrkartenausgabe ist noch geschlossen und ich kehre in das Fährhaus Restaurant ein. Hier nutze ich die Zeit und schreibe meinen Bericht und bearbeite meine Fotos. Um 17 Uhr gehe ich zum Fahrkartenschalter und kaufe meine Karte für die Fähre. Die Fähre fährt nicht nur nach Hooge, sondern von dort auch nach Langeneß. In der Zeit bis zur Ankunft lege ich mich auf der Wiese auf eine Holzliege und beobachte das Treiben der Kinder. Ein Mann spricht mich an, er ist auf der Hallig Hooge geboren. Lebt aber nicht mehr dort und will jetzt nur mit seiner Frau und den Enkeln zu Besuch dorthin. Wie sich herausstellt, war seine Frau im Internat Marienhöhe in Darmstadt.

Nur langsam erreicht die Fähre den Hafen. Es ist zu wenig Wasser und so teilt uns der Kapitän mit, dass wir etwa 30 Minuten später wieder auslaufen. Beim Verlassen des Hafens folgen uns Lach- und Silbermöwen. Sie vollführen tolle Flugakrobatik und ich beobachte sie lange dabei.

Wir fahren in Sichtweite an der Hallig Gröde vorbei und später auch an der Hallig Oland mit seiner einzigen Warft. Der Hallig Oland folgt die lang gezogene Hallig Langeneß. Zunehmend nebliger wird es und die ersten Tropfen fallen. Von der Hallig Hooge ist lange nichts zu sehen. Dann endlich erkenne ich noch undeutlich die Backenswarft und den Hafen von Hooge. Nach etwa 60 Minuten erreichen wir dann die Hallig Hooge. Schon in der Fähre habe ich mit der Schutzfolie den Rucksack abgedeckt und selbst die Softshelljacke angezogen. Beim Verlassen der Fähre beginnt es nun stärker zu regnen an. Nach ca. 150 Metern erreiche ich die Jugendwarft, das Schulland- und Erholungsheim der Backenswarft.

Jetzt beginnt jedoch mein Problem, ich finde keinen offiziellen Eingang, überall sehe ich nur Schilder: „Privat.“ Wo ist der Eingang? Dann erreiche ich eine offene Tür, zwar steht wieder „Privat“ dran, doch hier höre ich Stimmen von Jugendlichen. Ich trete ein und gehe zu dem Raum mit den Stimmen. Als ich eintrete, fragt mich eine der jungen Mädchen: „Wer sind sie denn?“ und ich antworte: „Wer sind sie denn?“ Alles entspannt sich sofort und die Mädchen erzählen mir, dass sie aus Frankfurt stammen. Leider können auch sie mir nicht weiterhelfen. Wieder begebe ich mich auf der Suche nach einer Ansprechperson. Durch ein Fenster erkenne ich eine Frau in der Küche und klopfe. Sie kommt raus, aber eine Unterhaltung ist nicht möglich, sie spricht nur Polnisch. Sie holt aber sofort eine andere Frau und hier kann ich zumindest in Englisch erklären, was ich will. Sie versteht mein schlechtes Englisch und verschwindet kurz. Danach führt sie mich zu meinem Zimmer. 

68. Etappe: 19. Juni 2013

Husum – Riddorf/Breklum  16 km

Um 9 Uhr verlasse ich die Jugendherberge und nach wenigen Metern sehe ich eine Temperaturanzeige mit 21 Grad. Die Luft ist schwül und es dauert nicht lange und ich schwitze. Doch lieber Schwitzen als Kälte, davon habe ich reichlich gehabt.

Die Pause in Husum hat meinem Bein gut getan, momentan spüre ich keinen Schmerz. Doch zur Sicherheit habe ich die nächsten Etappen etwas kürzer ausgelegt.

Am Ortsausgang von Husum mache ich meine erste Pause und gratuliere Irmgard zum Geburtstag. Noch im Gespräch erzähle ich von dem guten und warmen Wetter. Doch schon kurz nach dem Telefonat vernehme ich aus der Ferne das erste Donnergrollen. Der Himmel verdunkelt sich Zusehens. Diesmal hole ich noch bei der Bank den Poncho und die Gamaschen aus dem Rucksack. Den Poncho ziehe ich zunächst nur halb an, d. h., der vordere Teil liegt zwischen Nacken und Rucksack. Damit kann ich im Bedarfsfall schnell in die Ärmel schlüpfen und die Öffnung über den Kopf ziehen. Auch die Gamaschen ziehe ich bereits an. Ein plötzlich auftretender Wind und Regen kann mir jetzt keine Schwierigkeiten mehr bereiten.

Ich laufe auf einem schmalen Wirtschaftsweg gesäumt von Bäumen und Büschen. Der Himmel verfärbt sich Zusehens und das Donnergrollen nimmt an Lautstärke zu. Eine Radfahrerin kommt mir heftig trampelnd entgegen und ruft mir zu: „Es kommt immer näher.“ Dann sehe ich auch schon die ersten Blitze und die ersten dicken Tropfen fallen. Ich schlupfe schnell in meinen Poncho.

Den Kirchturm von Hattstedt sehe ich schon, bevor ich die ersten Häuser des Ortes erkennen kann. Ab Hattstedt werde ich meinen verkehrsarmen Wirtschaftsweg verlassen und auf die Bundesstraße B5 wechseln. Aus den gelegentlichen Regentropfen ist ein ausgewachsener Regen geworden. Im Ort mache ich unter dem Dach einer stillgelegten Tankstelle eine Rast.

Nach der Rast hat es aufgehört zu regnen, nur das Grollen hat zugenommen. Nach ein paar Kilometer habe ich die Blitze um mich herum. Einige davon sind ziemlich heftig und das Grollen ertönt bereits nach 4 – 5 Sekunden. So langsam wird es mir mulmig. Zum Unterstellen habe ich nichts, also muss ich einfach weiter. Mal sehe ich die Blitze nur am Himmel, mal erreichen sie den Boden, mal dauert es lange, bis das Grollen hörbar ist und dann wieder ertönt es nach wenigen Sekunden. Der Regen ist inzwischen ziemlich heftig, doch mit Poncho und Gamaschen stört er mich nicht wirklich. Nur das Gewitter ist besorgniserregend.

Ich erreiche einen Rastplatz und biege bei ihm ein. Bei der ersten Bank-Tischgruppe steht frisch gestrichen und ich gehe zur nächsten. Daneben parkt ein Transporter. Im Regen draußen eine Pause zu machen, muss vermutlich merkwürdig aussehen. Der Fahrer öffnet das Seitenfenster und wir kommen ins Gespräch.

Er arbeitet für ein Umweltlabor und ist jetzt unterwegs, um Bodenproben von den an der Fahrbahn angrenzenden Grünstreifen zu nehmen. Dies in vorgeschriebenen Abständen. Die Randstreifen sollen später abgefräst werden, um das Abfließen des Regenwassers zu garantieren. Das anfallende Material muss den Analysen entsprechend entsorgt werden. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass so viel Aufwand mit Erdreich gemacht wird und dieses Material mit z. T. erheblichen Schadstoffen belastet sein könnte. Meistens nimmt er jedoch in Arbeitsstätten oder technischen Anlagen Belastungsproben.

Er selbst unternimmt ab und zu längere Motorradtouren, zu Fuß war er noch nicht länger unterwegs. Er findet es aber sehr interessant. Während unseres Gesprächs hat es aufgehört zu regnen. Der Himmel ist aber weiterhin noch dunkel.

Bevor ich weiter laufe, ziehe ich wieder das vordere Teil des Ponchos aus. Eine schwülwarme Luft umgibt mich und gelegentlich spüre ich einen leichten kühlen Windzug. Einige Blitze sehe ich noch am Himmel, das Grollen vernehme ich jedoch nicht mehr.

Ab Ortseingang von Struckum sehe ich wieder viele Reetdachhäuser. Im Gegensatz zu den Reetdachhäusern in der Wesermarsch sind hier dicke Aufsätze auf dem First und bei einem Dach wächst dort auch Gras. Bei vielen Häusern sehe ich eine mehr oder weniger dicke Moosschicht. Bei einem Haus ist es keine durchgehende Moosschicht, sondern viele kleine kugelförmige Moosstücke. Irgendwie sehen sie für mich wie kleine grüne Pilze aus.

Im Zentrum von Struckum mache ich in einer Bäckerei eine Kaffeepause und sehe einen Mercedes mit Bad Homburger Kennzeichen einbiegen. Als ich die Bäckerei verlasse, kommt der Fahrer gerade mit einem Fischbrötchen vom Imbissstand zurück. Ich rufe ihm zu: „Viele Grüße an Rhein-Main.“ Es stellt sich jedoch heraus, dass er von hier stammt und für Fresenius Medical Care in Bad Homburg arbeitet. Das Fahrzeug ist ein Firmenwagen. Er berichtet mir, dass er mit dem Zug von Westerland kommt und ein Blitz unterwegs die Anlage eines Bahnübergangs lahmgelegt hatte. Zwei reetgedeckte Häuser standen durch Blitzeinschlag in Flammen und bei einer Wohnung soll es auch eingeschlagen haben.

Nach dieser kurzen Trockenphase in Struckum bin ich wieder im Regen unterwegs. Glücklicherweise ist es nicht mehr weit bis zur Pension in Riddorf.

In der Pension erfahre ich vom Vermieter, dass es hier für einige Zeit durch Blitzeinschlag einen Stromausfall gab. Von ihm erfahre ich auch, dass es sich bei dem Aufsatz auf dem First der Reethäuser um Heidekraut mit Wurzelwerk handelt. Dieses wird heute mit einem Drahtgeflecht auf dem Dach befestigt. Das Moos sollte natürlich nicht sein und ist für das Schilf schädlich. 

67. Etappe: 16. Juni 2013

Tönning – Husum  14,3 km (z.T. Bahnfahrt)

Schon vor dem Aufstehen spüre ich einen leichten Schmerz bei Bewegung des Fußgelenks. Es ist noch gut auszuhalten und so entschließe ich mich, bis Husum zu laufen.

Langsam schleift sich die morgendliche Routenplanung bei mir ein. Trotz wiederkehrender guter Vorsätze schaffe ich es nicht, alles Abends zu erledigen. Der gute Wille ist aber immer noch vorhanden. So geschieht es auch heute Morgen wieder. Mein Mitbewohner steht um 7 Uhr auf und ich folge einige Minuten später. Bis zum Frühstück um 8 Uhr sitze ich wieder bei meiner Planung. Zusammen mit meinem Mitbewohner gehe ich anschließend zum Frühstück. Hier erfahre ich von ihm, dass er nächstes Jahr in die Freistellungsphase der Altersteilzeit wechselt. Er unterrichtet u.a. in Physik in zwei Gymnasien in Bremen und freut sich auf das Berufsende. Er erzählt einige Dinge aus seinem Lehreralltag und was ich höre, würde mir als Lehrer auch nicht gefallen.

Da die Jugendherberge am Ortseingang liegt, dauert es wieder, bis ich das andere Ende des Ortes erreiche. Bei einer Bank, um sie herum jätet gerade ein alter Herr das Unkraut, setzte ich mich. Er ist erfreut, dass ich hier Platz nehme und er erzählt mir, dass er diese Bank regelmäßig pflegt. Die Stadt tut nichts dergleichen, wie er mir berichtet. Kaum sitze ich und schon kommt ein anderer älterer Herr hinzu und wir plaudern über die gepflegte Bank und wenig später über meine Reise und meinen einzuschlagenden Weg nach Husum. Ich erhalte viele Tipps, wie ich weiterlaufen soll. Doch einer der beiden erkennt recht schnell, dass ich als Ortsfremder kaum mit den Erläuterungen etwas anfangen kann. Dann kommt auch noch die Ehefrau des Bankpflegers hinzu und ist stolz auf ihren Mann und das diese Bank schon genutzt wird. Ich verabschiede mich von den Dreien und erhalte gute Wünsche für die Weiterreise.

Schon wenige Minuten später ärgere ich mich, nicht den Poncho bei der Bank angezogen zu haben. Der Himmel trägt dicke graue Wolken und es sieht so aus, als könnte es jeden Moment regnen. Der Wind bläst wieder kräftig und mir ist bewusst, ich werde wieder erhebliche Schwierigkeiten beim Anziehen des Ponchos haben. Es geht auf schmalen Wirtschaftswegen durch die Felder. Mit einem Mal sehe ich in einiger Entfernung einen Storch regungslos stehen. Nur wenig später kommen die Rinder wieder zu mir an den Zaun. Eine fehlt noch und ich fordere sie auf zu kommen. Nicht sie, sondern ein Bulle kommt schnaufend heran, er ist wohl eifersüchtig! Der kleine Zaun, der uns trennt, erscheint mir nicht sicher genug und so überlasse ich dem erregten Bullen das Feld und eile davon.

In der Einfahrt zu einem Bauernhof mit dichtem Baumbewuchs halte ich an und ziehe im Schutz der Bäume meinen Poncho an. Ich spüre verstärkt bei jeder Bewegung meinen rechten Unterschenkel. In Oldenswort kehre ich in ein Restaurant ein und frage die Bedienung nach einer Beförderungsmöglichkeit nach Husum. Sie erzählt mir, dass es in Harblek in zwei Kilometer Entfernung einen Bahnhof der Deutschen Bahn gibt. Dort fahren alle Stunde Züge nach Husum.

Ich laufe nach Harblek und habe Glück, denn schon 10 Minuten später kommt der Zug nach Husum. Husum, die graue Stadt am Meer, ist schnell erreicht. Mein Weg zur Jugendherberge führt mich auch am Hafen vorbei, anschließend zum Haus des Schriftstellers Theodor Storm und zum Haus seiner Eltern. Die Jugendherberge liegt außerhalb des Zentrums und so komme ich auch am alten Husumer Wasserturm vorbei.

In der Jugendherberge bekomme ich zunächst ein Familienzimmer, als ich dann nach einer Verlängerung des Aufenthaltes frage, muss ich umziehen. Das Zimmer ist bereits für die nächste Nacht für eine Familie reserviert. Ich erhalte ein Dachgeschosszimmer etwas abseits von den anderen Zimmern gelegen. Mir gefällt das Zimmer und WC und Dusche sind in unmittelbarer Nähe. Noch am Abend kann ich die Waschmaschine der Jugendherberge nutzen und die Wäsche trocknet im Heizungskeller. 

66. Etappe: 15. Juni 2013

Büsum – Tönning  30,4 km

Es dauert nicht lange und ich bin mitten im Zentrum des Nordseebades Büsum. Überall Cafés, Restaurants, Geschäfte und Souvenirläden. Viele ältere Kurgäste begegnen mir. Vom Hafen aus komme ich nicht direkt zum Deich. Der Deich wird im Ortsbereich erneuert und muss rechtzeitig vor den möglichen Sturmfluten im Herbst fertig sein. Für Kurgäste ist dies sicherlich ärgerlich, mich stört es nicht. Der Himmel ist verhangen und es bläst mir ein leichter Wind entgegen. Von der Sonne keine Spur und sie ist nur durch den hellen Fleck hinter den Wolken erahnbar.

Mit einem gewissen Abstand zum Deich laufe ich weiter durch den Ort. Komme bei einer Konzertbühne vorbei und erlebe bereits für einen Moment eine Aufführung. Einige Kurgäste nehmen mich wahr und schauen etwas irritiert zu mir hin. Ich laufe weiter in der Nähe zum Deich und kann die Baustelle erkennen. Kurz vor dem Ortsausgang strömen Familien, Gruppen und ältere Kurgäste zum Deich. Hier ist wieder freier Zugang und vor der Treppe hoch zum Deich komme ich an ein Wärterhäuschen vorbei. Groß angeschrieben steht: „Nur mit gültiger Kurkarte zu betreten.“ Ich ignoriere diesen Hinweis und werde beim Vorbeigehen auch nicht angehalten. Oben angekommen blicke ich auf Kolonien von meist verwaisten Standkörben. Mit einem weiten Bogen verlasse ich nun endgültig den Ort und damit auch die spaziergehenden Kurgäste.

Es ist Niedrigwasser und das trockene Wattenmeer breitet sich vor mir aus. Auf einer Broschüre über den Nationalpark Wattenmeer heißt es: „Meeresgrund trifft Horizont.“ Und genauso ist es, ich kann bis zum Horizont kein Wasser der Nordsee entdecken. Viele Wattwanderer sind unterwegs und in der Ferne liegt ein Schiff wie gestrandet im Schlick des Watts.

Zwischen Nordsee und Deichweg sind Gesteinbrocken mit Beton zu einem Vordeich aufgetürmt. Hierin verfangen sich auf der Seeseite viel abgestorbenes Gestrüpp und Strandgut. Diese Gesteinsbrocken und das Gestrüpp dienen den Vögeln auch als Brutstätten. Das Watt ist hier in große Felder mit Pflöcken und Reisig abgetrennt. Zur Seeseite hin gibt es kleine offene Stellen, durch die der Schlick bei Flut angeschwemmt wird. Damit entsteht mit der Zeit neues Land. Ich komme an Feldern vorbei, wo ich bereits deutlich Ablagerungen des Schlicks und auch kleinere Schilfgrasflächen sehen kann.

Plötzlich fliegen lautstark und aufgeregt Rotschenkel und Austernfischer um mich herum. Ich bin wohl in der Nähe ihrer Nester. Dann sehe ich kurz ein Rotschenkelküken zwischen den Gesteinsbrocken verschwinden. Und wenig später kann ich im Gras des Deiches einen Großen Brachvogel beobachten. Beim Laufen hier vor dem Deich gibt es ständig etwas zu beobachten und so vergehen die Kilometer wie im Fluge.

Zu meiner Erleichterung habe ich Rückenwind, nur manchmal werde ich von Windböen leicht hin und hergeschoben. Spaziergänger gibt es nicht mehr und nur ganz selten begegnen mir Radfahrer. Vor mir, in einiger Entfernung, sehe ich ein paar offene Strandkörbe. Ich nehme mir vor, endlich einmal in einem Strandkorb meine Pause zu machen. Als ich näherkomme, erkenne ich ein Paar darin Sitzen. Vielleicht haben sie die Strandkörbe gemietet? Mein Wunsch im Strandkorb zu sitzen ist zu groß und ich nehme mir vor, das Paar zu fragen, ob ich bei ihnen eine Pause machen kann. Dann erreiche ich das Paar und ich erfahre von ihnen, dass sie selbst hier nur eine Pause machen. Die Frau stellt mir ihren Strandkorb zur Verfügung und setzt sich neben ihrem Mann. Schnell sind wir im Gespräch und es macht Spaß sich mit ihnen zu unterhalten. Als es zu regnen anfängt, stellen wir die beiden Strandkörbe gegenüber. Natürlich machen wir ein paar Fotos. Ich erfahre, dass sie in Hamburg leben und sie aus Büsum stammt. Sie mag die Unruhe und ist auch einmal spontan zu einem Treffen von Hamburg nach Heide mit dem Fahrrad gefahren (meine Anmerkung: ca. 110 km). Ich muss den beiden von meiner Wanderschaft berichten und erfahre dann von Ihnen, wie sie sich kennengelernt haben. Da er den Nachnamen eines bekannten TV-Quizmasters hat, wurde sie vor der Hochzeit immer wieder gefragt, ob ihr zukünftiger Mann dieser Quizmaster sei. Daraufhin hat ihre Mutter bei der Heiratsanzeige bewusst den Vornamen dieses Quizmasters angegeben. Seitdem nennen alle ihn nur noch mit diesem Vornamen. Zwischendrin bekomme ich noch ein belegtes Brötchen. Inzwischen habe ich keine Lust mehr weiterzulaufen. Die gegenseitigen Erzählungen reißen nicht ab. Doch ich muss nach über einer Stunde Plauderei doch wieder weiter. Es ist bereits Nachmittag und ich habe noch bestimmt 20 Kilometer vor mir. Da sie Interesse an meiner Wanderschaft haben, gebe ich ihnen meine Visitenkarte mit der Weblogadresse. Zum Abschied machen wir nochmals Fotos und ich erhalte als Wegzehrung ein weiteres Brötchen. Dann starte ich wieder. Aus der Ferne vernehme ich noch einen Jodler von ihr.

Die Plauderei mit dem Paar hat gut getan und nach dieser Pause bin ich wieder energiegeladen und  nehme Tempo auf. Ich muss Zeit aufholen! Der Deichweg wird zunehmend verschmutzter mit Schafkot. Ich vollführe Slaloms, um diesen Schafhinterlassenschaften auszuweichen. Dabei beachte ich nicht die heranziehenden dunklen Wolken. Dann plötzlich bricht ein Sturm los, der mich zum Teil bis zu einem Meter wie ein Spielball hin und her schiebt. Ich sehe nur die Rettung im Windschatten hinter dem Deich. Mit viel Mühe steige ich den Deich hinauf. Die Schafe blöken ängstlich und haben sich eng zu Gruppen zusammengefunden. Auf der anderen Seite des Deiches klettere ich über den Begrenzungszaun zur Deichstraße und habe Glück, dass hier der obere Zaundraht kein Stacheldraht ist.

Kaum bin ich rüber und schon regnet es wie aus Kübeln. Rucksack runter und Poncho raus. Das Anziehen des Ponchos über den Rucksack wird zur Qual. Der Wind reißt ihn mir immer wieder weg. Als ich ihn dann halbwegs anhabe, bin ich bereits bis auf die Haut durchnässt und in den Schuhen steht das Wasser. Auch Minuten später ist der Himmel immer noch drohend dunkel und in der Ferne sehe ich riesige Blitze. Das Donnergrollen kommt immer näher. Etwas mulmig ist mir, wenn ich daran denke, dass ich in einigen Kilometer beiderseits des Weges Wasser habe und bei Gewitter dort laufen werde.

Ich eile mit Tempo weiter, in der Hoffnung irgendwo noch Unterschlupf zu finden. Der Wind ist immer noch sehr heftig, aber im Windschatten besser als vor dem Deich. Faszinierend beobachte ich, wie sich der dunkle Himmel hin zu einem strahlend blauen Himmel verändert. Schon zwanzig Minuten später deutet nichts mehr auf das Unwetter hin, nur ich bin immer noch klatschnass.

In einem Restaurant bei einer Ferienkolonie kehre ich für eine Rast ein. Die Wirtin erzählt mir, dass ihre Strandkörbe durch den Sturm umgestoßen wurden. Weiter geht es und kurz vor dem Eider-Sperrwerk, das größte deutsche Küstenschutzbauwerk zum Mündungstrichter der Eider, klettere ich mit dem Ziel ein paar Fotos von der aufgepeitschten Nordsee zu machen, hoch auf den asphaltierten Deich. Das hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Oben schüttelt mich der Sturm dermaßen durch, dass ich weder ruhig stehen noch fotografieren kann. Breitbeinig und mit mulmigem Gefühl, vom Wind umgestoßen zu werden, gehe ich zurück runter zur Deichstraße.

Der Radweg endet am Tunnel durch das Eider-Sperrwerk und ich muss hinauf zur Plattform. Wieder empfängt mich der immer noch heftige Wind und ein ohrenbetäubender Lärm aus Gezwitscher Hunderter Küstenseeschwalben , Brandungsgeräusche des Wassers gegen das Sperrwerk und Sturmgeräusche. Hier gibt es Geländer und ich halte mich daran zum Fotografieren fest. Die Schwalbenkolonie reicht hoch bis unterhalb des Geländers. Die Schwalben segeln im Wind manchmal nur einen halben Meter entfernt vor meinem Gesicht.

Auf der anderen Seite des Sperrwerks gehe ich wieder zur Straße runter, als plötzlich meine Rucksackschutzhülle vom Sturm losgerissen wird. Sie fliegt unten zur Straße und verfängt sich an einem Masten. Ich eile, soweit es mir möglich ist, hinterher. Kaum bin ich bei der Hülle  angelangt, fliegt sie weiter und verfängt sich am Geländer zum Wasser. Gerade noch rechtzeitig kann ich zugreifen, bevor sich die Hülle wieder löst und endgültig zum Wasser fliegt.

Nach dem Sperrwerk – dies war auf meiner topografischen Karte der schmale Weg zwischen Nordsee und Mündungsarm der Eider – biege ich rechts an der Eider entlang nach Tönning ab. Bei einer Schutzhütte möchte ich eine Pause einlegen, doch diese Hütte ist total vermüllt und so setzte ich mich auf den Radweg.

Gleich am Ortseingang finde ich die Jugendherberge. Ein Anruf mit unbekannter Mobilfunknummer ist registriert und ich rufe zurück. Die Frau aus Hamburg ist am Apparat und fragt mich, wie es mir ergangen ist und ich berichte ihr von meinem unfreiwilligem Bad. Sie sind bald vom Rad gedrückt worden und zu den Strandkörben zurückgelaufen.

Wie bereits telefonisch mitgeteilt, ist die Rezeption der Jugendherberge heute erst um 19:45 Uhr durch eine Vertretung besetzt. Ich nutze die Zeit und gehe zum Duschen. Endlich kommen die nassen Klamotten runter und eine heiße Dusche bringt mich wieder auf Trapp. Es ist eng im Vorraum der Dusche, aber irgendwie schaffe ich es trotzdem, trockene Kleidung aus dem Rucksack zu holen.

Kaum fertig geduscht kommt auch schon die Vertretung und ich checke ein. Im Anschluss daran erhalte ich noch altes Zeitungspapier, um meine Schuhe zum Trocknen auszustopfen. Da ich ein Mehrbettzimmer gebucht hatte, bekomme ich noch gegen 22 Uhr einen Mitbewohner. Es ist ein Lehrer aus Bremen, der fürs Wochenende St. Peter-Ording und Husum besucht hat. Glücklicherweise unterdrückt das Zeitungspapier einigermaßen den intensiven Geruch meiner, seit nun 2 ½ Monaten unentwegt getragenen Wanderschuhe. Jedenfalls reagiert er nicht, ich höre kein Aufstöhnen beim Eintritt ins Zimmer und auch reißt er kein Fenster auf. Wenn er ein Problem damit hat, dann muss er sich melden.