Durch die Zeitumstellung komme ich erst kurz vor 7:00 Uhr aus den Federn. Das Frühstück gibt es wegen des Feiertages erst ab 7:30 Uhr. Ich bin der erste Gast im Frühstücksraum und werde überaus freundlich von einer jungen Frau aus Nepal begrüßt und betreut. Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig und ich esse auf Vorrat, denn vor heute Abend wird es nichts mehr geben.
Das Packen, besser zunächst das Suchen nach verschiedenen Dingen, dauert lange. Noch habe ich nicht verinnerlich, in welchem Beutel sich was befindet. Das wird noch einige Tage dauern, bis ich dies wieder im Griff habe.
Um ziemlich genau 9:30 Uhr verlasse ich das Hotel. Es ist recht kühl, aber zwischen den Wolken kann ich schon den blauen Himmel sehen. Es verspricht, ein herrlicher Wandertag zu werden. Zunächst geht es durch Höchst und Unterliederbach, am Ortsausgang dann unter einer Autobahnbrücke durch und ich befinde mich auf einem Wirtschaftsweg mit beiderseits Wiesen. Schon bald bin ich auf der Höhe des Main-Taunus-Zentrums und nicht viel später auf der Höhe des Autokinos. Schon zu meiner Frankfurter Zeit in den 70er Jahren gab es dieses Kino und war damals eine Attraktion.
Vor mir blicke ich bereits auf die Berge des Taunus. Über mir ein herrlicher blauer Himmel. Doch über dem Taunus sieht es trübe aus. Hoffentlich gibt es keinen Schnee, denn der ist für Idstein heute vorausgesagt.
Nach einer Stunde erreiche ich Liederbach. Inzwischen geht es spürbar beständig bergauf. Am Ortsausgang weiche ich von meiner vorgeplanten Route ab und folge einem Radweg bis zum Ortsausgang von Kelkheim. Der Weg in Richtung Fischbach hat eine beträchtliche Steigung und vor mir schiebt ein Radfahrer sein Rad. Kurz vor Fischbach erreiche ich ihn. Ich grüße ihn und sage: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ „Ja, inzwischen ist dieses Stück zu steil für mich“, antwortet er. Er erzählt mir, dass er 80 Jahre alt ist und noch täglich etliche Kilometer abspult. „Früher bin ich Marathon mit einer Bestzeit von 2:30 gelaufen. Bin auch zehn 100 Kilometer-Marathons gelaufen. Einige davon auch in den Schweizer Alpen“, erklärt er mir. Wir schwätzen noch bis nach Fischbach rein und dann steigt er wieder auf sein Rad und fährt davon. Ich bin beeindruckt von diesem Mann. „Hoffentlich bin ich mit 80 auch noch so fit“, denke ich.
Nach Fischbach gibt es weder Rad- noch Gehweg und so muss ich auf der Straße laufen. Der schmale Randstreifen ist zu uneben. Nur wenn mir ein Fahrzeug entgegen kommt, weiche ich auf ihn aus. Zu allem Überfluss fängt es auch noch zu schneien an. Doch es ist zu wenig, um liegen zu bleiben und nach einer Viertelstunde ist der Spuk auch wieder vorbei.
Die Steigung wird immer heftiger und ich muss ein paar Gänge runterschalten! Wieder merke ich, dass der Rucksack deutlich an meiner Kondition zerrt. Von Fischbach, mit 220 m geht es in weniger als 3 Kilometer hoch auf 360 m bis nach Ruppertshain. Im Ort entdecke ich ein kleines Restaurant und nach etwa 3,5 Stunden verlangt mein Körper unbedingt eine Pause. Der Rucksack muss runter und ich muss mich endlich mal setzen! Ich betrete das Restaurant, es sitzt nur ein älteres Paar im Raum. Ich frage die Wirtin, ob ich auch nur etwas zu trinken haben kann. „Ja natürlich können Sie das“, antwortet Sie.
Ich bestelle eine große Apfelsaftschorle und einen Kaffee. Schnell werde ich von dem älteren Paar und auch von der Wirtin nach dem Woher und Wohin gefragt. Ich kann kaum antworten, denn alle sprechen fast gleichzeitig auf mich ein. Was kommen musste, kam sehr schnell. Der ältere Herr erzählt aus seiner Jugend- und Soldatenzeit. Damals war er noch fit und auch die Gewaltmärsche als Soldat konnten ihm nichts anhaben.
Als ich wieder aufbrechen will, rät man mir, nicht weiter an der Straße entlang zu laufen, sondern den kleinen Weg vom Restaurant hochzulaufen. Ich nehme dankend an und folgte der Empfehlung. Nur verwechselte ich an einer Abzweigung, die nur rechts oder links zulässt, die Richtung. Der Weg führte in den Wald und geht beständig hoch. Der Waldweg hat endlich keinen Beton- oder Asphaltbelag und so schritt ich munter voran.
Scheinbar bekommen mir lange Pausen am Anfang meiner Wanderungen nicht gut und ich verliere danach die Orientierung. Schon 2010 auf meinem Pilgerweg auf der Via de la Plata wurde mir eine lange Pause zum Verhängnis.
Zwar schaue ich kurz auf mein Navi und sehe, dass ich fast parallel zu meiner Route unterwegs bin. Dabei vergesse ich aber, die Richtung zu kontrollieren. Dieser Weg führt hoch zum Rosserl (516m) und ist der schönste Abschnitt des heutigen Tages. Es macht Spaß endlich keine Straße mehr zu sehen. Nach ein paar Kilometer schaue ich wieder auf mein Navi, denn so langsam müsste Schlossborn kommen. Ich zoome auf den nächsten Ort und stelle mit Schrecken fest, es ist Fischbach. Ich laufe in die falsche Richtung! Also zurück, nur jetzt ist der Spaß vorbei und ich spüre plötzlich die Anstrengung. Dieser kleine Umweg 😥 mit dem schönsten Wanderabschnitt bedeutet fünf zusätzliche Kilometer!
Dass der kommende Weg vom Ausgangspunkt noch alles von mir abverlangte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht.
Endlich erreiche ich meine Ausgangsabzweigung wieder. Nun geht es in richtiger Richtung sehr steil aufwärts. Mein Rucksack drückt wieder sehr und ich spüre meine Oberschenkel, aber auch meine Füße. Schon bald bin ich wieder auf einer Kreisstraße und wieder gibt es keinen gescheiten Randstreifen. Dieser ist sehr schmal und an etlichen Stellen auch von Wildschweinen total aufgewühlt.
Vor Schlossborn geht es zunächst heftig bergab und dann wieder heftig bergauf. Nach Schlossborn kann ich für einige Zeit die Straße verlassen. Auf diesem Weg komme ich an der Schindehannes-Eiche vorbei. Die Eiche steht nicht mehr, nur auf dem Stumpf ist ein Hinweisschild errichtet. Das letzte Stück vor Heftrich bin ich dann wieder auf der Kreisstraße. Inzwischen kann ich keine Straße mehr sehen und keinen Asphalt. Meine Füße verlangen hefig nach Ruhe. Nach dem Ortsschild zeigt mir mein Navi an, dass ich links abbiegen muss und den Ort rechts liegen lassen soll. Für einige Meter gehorche ich auch brav, doch dann sehe ich bereits das Ortsausgangsschild und meine Zweifel sind geweckt.
Auf einem großen Stein setze ich mich und rufe bei meiner heutigen Unterkunft an. Hier erklärt man mir, dass es vom Kreisel gerade mal 300 m wäre. Erst jetzt dämmert mir, dass ich bald bis zu meinem Studienkollegen nach Bermbach gelaufen wäre. Ich hatte die Route nicht geändert. Das Gasthaus ist schnell erreicht.
Gegen meine Gewohnheit dusche ich zunächst nicht, sondern gehe gleich nach dem Entpacken in den Gastraum. Ich habe Durst und Hunger. Der Wirt verwickelt mich schnell in ein Gespräch und wieder sind wir in der Vergangenheit. Er ist drei Jahre älter als ich und doch wirkt er auf mich zehn Jahre älter. In der Jugendzeit war er ein guter Fußballer und auch öfters in Darmstadt. Nach dem Essen und dem langen Gespräch mit dem Wirt bin ich einfach nur noch müde und habe keine Lust mehr meinen Bericht zu schreiben.