2. Etappe: 31. März 2013

Durch die Zeitumstellung komme ich erst kurz vor 7:00 Uhr aus den Federn. Das Frühstück gibt es wegen des Feiertages erst ab 7:30 Uhr. Ich bin der erste Gast im Frühstücksraum und werde überaus freundlich von einer jungen Frau aus Nepal begrüßt und betreut. Das Frühstücksbuffet ist reichhaltig und ich esse auf Vorrat, denn vor heute Abend wird es nichts mehr geben.

Das Packen, besser zunächst das Suchen nach verschiedenen Dingen, dauert lange. Noch habe ich nicht verinnerlich, in welchem Beutel sich was befindet. Das wird noch einige Tage dauern, bis ich dies wieder im Griff habe.

Um ziemlich genau 9:30 Uhr verlasse ich das Hotel. Es ist recht kühl, aber zwischen den Wolken kann ich schon den blauen Himmel sehen. Es verspricht, ein herrlicher Wandertag zu werden. Zunächst geht es durch Höchst und Unterliederbach, am Ortsausgang dann unter einer Autobahnbrücke durch und ich befinde mich auf einem Wirtschaftsweg mit beiderseits Wiesen. Schon bald bin ich auf der Höhe des Main-Taunus-Zentrums und nicht viel später auf der Höhe des Autokinos. Schon zu meiner Frankfurter Zeit in den 70er Jahren gab es dieses Kino und war damals eine Attraktion.

Vor mir blicke ich bereits auf die Berge des Taunus. Über mir ein herrlicher blauer Himmel. Doch über dem Taunus sieht es trübe aus. Hoffentlich gibt es keinen Schnee, denn der ist für Idstein heute vorausgesagt.

Nach einer Stunde erreiche ich Liederbach. Inzwischen geht es spürbar beständig bergauf. Am Ortsausgang weiche ich von meiner vorgeplanten Route ab und folge einem Radweg bis zum Ortsausgang von Kelkheim. Der Weg in Richtung Fischbach hat eine beträchtliche Steigung und vor mir schiebt ein Radfahrer sein Rad. Kurz vor Fischbach erreiche ich ihn. Ich grüße ihn und sage: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ „Ja, inzwischen ist dieses Stück zu steil für mich“, antwortet er. Er erzählt mir, dass er 80 Jahre alt ist und noch täglich etliche Kilometer abspult. „Früher bin ich Marathon mit einer Bestzeit von 2:30 gelaufen. Bin auch zehn 100 Kilometer-Marathons gelaufen. Einige davon auch in den Schweizer Alpen“, erklärt er mir. Wir schwätzen noch bis nach Fischbach rein und dann steigt er wieder auf sein Rad und fährt davon. Ich bin beeindruckt von diesem Mann. „Hoffentlich bin ich mit 80 auch noch so fit“, denke ich.

Nach Fischbach gibt es weder Rad- noch Gehweg und so muss ich auf der Straße laufen. Der schmale Randstreifen ist zu uneben. Nur wenn mir ein Fahrzeug entgegen kommt, weiche ich auf ihn aus. Zu allem Überfluss fängt es auch noch zu schneien an. Doch es ist zu wenig, um liegen zu bleiben und nach einer Viertelstunde ist der Spuk auch wieder vorbei.

Die Steigung wird immer heftiger und ich muss ein paar Gänge runterschalten! Wieder merke ich, dass der Rucksack deutlich an meiner Kondition zerrt. Von Fischbach, mit 220 m geht es in weniger als 3 Kilometer hoch auf 360 m bis nach Ruppertshain. Im Ort entdecke ich ein kleines Restaurant und nach etwa 3,5 Stunden verlangt mein Körper unbedingt eine Pause. Der Rucksack muss runter und ich muss mich endlich mal setzen! Ich betrete das Restaurant, es sitzt nur ein älteres Paar im Raum. Ich frage die Wirtin, ob ich auch nur etwas zu trinken haben kann. „Ja natürlich können Sie das“, antwortet Sie.

Ich bestelle eine große Apfelsaftschorle und einen Kaffee. Schnell werde ich von dem älteren Paar und auch von der Wirtin nach dem Woher und Wohin gefragt. Ich kann kaum antworten, denn alle sprechen fast gleichzeitig auf mich ein. Was kommen musste, kam sehr schnell. Der ältere Herr erzählt aus seiner Jugend- und Soldatenzeit. Damals war er noch fit und auch die Gewaltmärsche als Soldat konnten ihm nichts anhaben.

Als ich wieder aufbrechen will, rät man mir, nicht weiter an der Straße entlang zu laufen, sondern den kleinen Weg vom Restaurant hochzulaufen. Ich nehme dankend an und folgte der Empfehlung. Nur verwechselte ich an einer Abzweigung, die nur rechts oder links zulässt, die Richtung. Der Weg führte in den Wald und geht beständig hoch. Der Waldweg hat endlich keinen Beton- oder Asphaltbelag und so schritt ich munter voran.

Scheinbar bekommen mir lange Pausen am Anfang meiner Wanderungen nicht gut und ich verliere danach die Orientierung. Schon 2010 auf meinem Pilgerweg auf der Via de la Plata wurde mir eine lange Pause zum Verhängnis.

 Zwar schaue ich kurz auf mein Navi und sehe, dass ich fast parallel zu meiner Route unterwegs bin. Dabei vergesse ich aber, die Richtung zu kontrollieren. Dieser Weg führt hoch zum Rosserl (516m) und ist der schönste Abschnitt des heutigen Tages. Es macht Spaß endlich keine Straße mehr zu sehen. Nach ein paar Kilometer schaue ich wieder auf mein Navi, denn so langsam müsste Schlossborn kommen. Ich zoome auf den nächsten Ort und stelle mit Schrecken fest, es ist Fischbach. Ich laufe in die falsche Richtung! Also zurück, nur jetzt ist der Spaß vorbei und ich spüre plötzlich die Anstrengung. Dieser kleine Umweg  😥 mit dem schönsten Wanderabschnitt bedeutet fünf zusätzliche Kilometer!

Dass der kommende Weg vom Ausgangspunkt noch alles von mir abverlangte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht.

Endlich erreiche ich meine Ausgangsabzweigung wieder. Nun geht es in richtiger Richtung sehr steil aufwärts. Mein Rucksack drückt wieder sehr und ich spüre meine Oberschenkel, aber auch meine Füße. Schon bald bin ich wieder auf einer Kreisstraße und wieder gibt es keinen gescheiten Randstreifen. Dieser ist sehr schmal und an etlichen Stellen auch von Wildschweinen total aufgewühlt.

Vor Schlossborn geht es zunächst heftig bergab und dann wieder heftig bergauf. Nach Schlossborn kann ich für einige Zeit die Straße verlassen. Auf diesem Weg komme ich an der Schindehannes-Eiche vorbei. Die Eiche steht nicht mehr, nur auf dem Stumpf ist ein Hinweisschild errichtet. Das letzte Stück vor Heftrich bin ich dann wieder auf der Kreisstraße. Inzwischen kann ich keine Straße mehr sehen und keinen Asphalt. Meine Füße verlangen hefig nach Ruhe. Nach dem Ortsschild zeigt mir mein Navi an, dass ich links abbiegen muss und den Ort rechts liegen lassen soll. Für einige Meter gehorche ich auch brav, doch dann sehe ich bereits das Ortsausgangsschild und meine Zweifel sind geweckt.

Auf einem großen Stein setze ich mich und rufe bei meiner heutigen Unterkunft an. Hier erklärt man mir, dass es vom Kreisel gerade mal 300 m wäre. Erst jetzt dämmert mir, dass ich bald bis zu meinem Studienkollegen nach Bermbach gelaufen wäre. Ich hatte die Route nicht geändert. Das Gasthaus ist schnell erreicht.

Gegen meine Gewohnheit dusche ich zunächst nicht, sondern gehe gleich nach dem Entpacken in den Gastraum. Ich habe Durst und Hunger. Der Wirt verwickelt mich schnell in ein Gespräch und wieder sind wir in der Vergangenheit. Er ist drei Jahre älter als ich und doch wirkt er auf mich zehn Jahre älter. In der Jugendzeit war er ein guter Fußballer und auch öfters in Darmstadt. Nach dem Essen und dem langen Gespräch mit dem Wirt bin ich einfach nur noch müde und habe keine Lust mehr meinen Bericht zu schreiben.

Endlich geht es weiter!

Unabhängig vom Wetter habe ich mich entschlossen meine 2. Etappe von Frankfurt-Höchst am Ostersonntag, den 31.03.2013 zu starten. Vorsichtige Prognosen sagen ab Ostern besseres Wetter voraus und ich will fest daran glauben.

Das Wetter und auch die Feiertage wirbeln meinen Zeit- und Etappenplan durcheinander. Nicht alle Personen, die ich auf den ersten Etappen treffen wollte, sind Ostern oder auch unmittelbar nach Osern erreichbar. Auch die ersten Übernachtungen zwingen mich, die Etappen anders aufzuteilen. Auf meiner gewählten Route gibt es, wie ich feststellen musste, nur wenige Unterkünfte und diese sind teilweise auch schon ausgebucht. Doch bis Limburg/Lahn habe ich nun meine Unterkünfte und für den Westerwald schaue ich von unterwegs weiter.

Von meinen Vorgänger(innen).

Da ich nun dazu verdammt bin abzuwarten, bis meine Grippe auskuriert ist und sich der elende Winter endlich verzogen hat, habe ich mich im Internet nach Menschen umgeschaut, die bereits Deutschland umrundet haben. Diese Recherche war überaus spannend und brachte interessantes, spektakuläres und kurioses zutage. Bereits während meiner Vorbereitungsphase habe ich verschiedene Bücher über Deutschlandumrundungen mit zum Teil großem Interesse gelesen.

Mit meiner Deutschlandumrundung reihe ich mich also ein, in eine Schar von Menschen, die zu Fuß, mit dem Rad oder auf andere Weise und mit den unter­schiedlichsten Motivationen unterwegs gewesen waren.

Vorweg zu nennen ist natürlich der Auslöser meiner Wanderschaft, der Journalist Michael Holzach (siehe meine Buchtipps). Er schrieb bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ungewöhnliche Sozialreportagen und startete dann 1980 seine Rundreise in West-Deutschland mit einem Hund aus dem Tierheim und ohne Geld. Leider verunglückte er 1983 tödlich an einer Stelle, die er in seinem Buch sehr eindrücklich beschrieben hatte. Hier war er mit einer Fernsehredakteurin, die für eine Verfilmung recherchierte, unterwegs. Er wollte seinen Hund aus der Emscher retten und starb selbst dabei.

Der bekannte und mehrfach ausgezeichnete Journalist und Autor Wolfgang Büscher (siehe meine Buchtipps) war drei Monate und 3500 Kilometer unterwegs zu Fuß, per Bus, per Anhalter oder auch mit dem Schiff. Im Jahre 2004 umrundete der Musiker, Mediziner und spätere Autor Axel Braig Deutschland. Festgehalten hat er die Eindrücke dieser Reise in seinem Buch: Allein und zu Fuß durch Deutschland. Mit seinem Hund beendete 2010 der Journalist und Autor von Wanderführern, Günter Schmitt, die grenznahe Umrundung in 200 Tagen mit über 5200 Kilometer.

Extremsportler und Ultramarathon­läufer Heinz Jäckel umrundete für eine Spendenaktion in 74 Tagen und 4282 Kilometer Deutschland. Er war täglich zehn- bis zwölf Stunden auf Wegen und Straßen unterwegs. Seinem Traum folgend umrundete 2007 und 2008 Andreas Poppitz mit seinem Fahrrad Deutschland. Diese Reise verknüpfte er auch mit einer Spendenaktion.

Im Herbst 2001 starteten Michael Wiegand und Matthias Gehmlich ihre Umrundung Deutschlands mit dem Rennrad. Sie schafften die 3925 Kilometer in 21 Tagen. Noch das letzte Teilstück Ihrer Deutschlandumrundung haben fünf Radrentner in 2013 vor sich. Wenn sie diese Etappe von Aachen nach Papenburg hinter sich haben, sind ca. 6000 Kilometer abgespult.

Der wohl längste Staffellauf um Deutschland in 16 Tagen mit 4000 km vollbrachte eine 12 köpfige Studentengruppe. Sie wollten auf Ihren Hochschulstandort Sachsen aufmerksam machen. Aus dem Rahmen fällt die 40 Jahre dauernde Umrundung von sechs Hamburgern. Sie wanderten jedes Jahr eine Woche entlang der Außengrenzen unseres Landes und absolvierten damit 5098 Kilometer.

Ebenfalls ausgefallen ist die 80 tägige Umrundung mit einem umgebauten Kastenwagen. Andreas Greve schildert humorvoll diese Reise in seinem Buch: In achtzig Tagen rund um Deutschland, Grenzerfahrungen.

Ein Biker-Ehepaar fuhr mit dem Motorrad in 24 Tagen 6250 km um Deutschland. Einmal rund um Deutschland flogen zwei Piloten in 22 Flugstunden und mit Landungen auf 20 Flugplätzen.

Weitere Läufer(innen), Wanderer(innen) und Radfahrer(innen) waren sicherlich ebenfalls schon unterwegs gewesen. Sie habe über diese Reise keine oder nur unzureichende Spuren im Internet hinterlassen. Hinzu kommen weitere Personen, die ich bei meinen Recherchen vermutlich übersehen habe.

Die Motivationen reichen vom Schreiben eines Buches, sei es um Erlebnisse und Eindrücke dieser anspruchsvollen Reise oder um interessante Wanderwegs-Beschreibungen zu veröffentlichen. Hier standen oder stehen Honorare als Motivation sicherlich mit im Fokus. Einige, auch spektakuläre Aktionen, dienten zum Sammeln von Spenden. Die sportliche Herausforderung war sicherlich auch Triebfeder für die ein oder andere Umrundung. Und wieder andere traten diese Reise aus sehr privaten Gründen an. Allen gemeinsam ist die überstandene Belastung von Körper und Geist. Denn so eine Reise ist nicht ohne Anstrengung – manchmal auch mit Quälerei – zu machen. Ich muss es erst noch bewältigen und daher mein großer Respekt für diese Menschen, die diese Umrundung, wie auch immer geartet, bereits vollbracht haben.

Irgendwie ist der Wurm drin.

Nicht nur das Wetter bereitet mir Probleme, sondern seit Samstag auch eine ausgewachsene Grippe mit dem vollen Programm. Heute am Dienstag habe ich, wenn auch noch etwas schlapp erstmals wieder das Bett verlassen. Die Ärztin rät mir 1 – 2 Woche auszukurieren und ich werde mich daran halten. Das Risiko durch Verschleppung, mir auch noch eine Herzmuskelentzündung, einzufangen, ist zu groß.

Da die derzeitigen Wetterprognosen auch noch für Samstag (23.03.2013) und Sonntag (24.03.2013) in Idstein und im Oberwesterwald leichten Schneefall vorhersagen, fällt mir die Entscheidung meine Grippe in Ruhe auszukurieren nicht besonders schwer.

Am Dienstag, den 26.03.2013, werde ich wieder berichten und hoffentlich meinen zweiten Startzeitpunkt benennen können.

Zwischenbericht: Freitag, 15.03.2013

Weiterhin verfolge ich täglich die Wettervorhersagen von meinen Zielgebieten Idstein und Bad Marienberg. Leider zeigen die Prognosen für beide Gebiete von Sonntag (17.03.2013) bis Mittwoch (20.03.2013) weiterhin leichten Schneefall. Die Temperaturen scheinen jedoch nicht mehr so in den Keller zu gehen.

Der Schneefall muss aufhören, die Temperaturen müssen weiter steigen und vor allem muss der vorhandene Schnee in den Zielgebieten schmelzen. Ich warte daher zunächst noch ab.

Eine vorübergehende Unterbrechung.

Heute begann ich meinem Körper gehorchend mit einem Pausentag. Seit gestern Nachmittag erfolgten viele Anrufe in die Regionen meiner nächsten Etappenziele. Überall viel Schnee und Kälte, damit zurzeit keine Hoffnung, dass der Schnee wegschmilzt. Meine Wege führen mich ja möglichst über Feld-, Wald- und Wirtschaftswege zu meinen Zielen. Hier besteht noch keine Hoffnung auf schneefreie Wege. Wieder mit schwerem Rucksack stundenlang durch den Schnee stapfen, bringt mich nur wieder an mein Leistungslimit. Ein bisschen Schmerz, auch einige Anstrengungen und in Strömen fließender Schweiß, ja das gehört durchaus für mich dazu. Doch tagelang, täglich 6 – 8 Stunden, nur den Körper schinden und Gefahr laufen, endgültig meinen Traum aufgeben zu müssen, nein das muss nicht sein! Ein bisschen Spaß möchte ich auch dabei haben. Abends nach Ankunft bei meinen nächsten Etappen möchte ich noch in der Lage sein, gemütlich mit Freunden und Bekannten, die ich zum Teil seit über 30 Jahre nicht mehr gesehen habe, zu plaudern. Das geht aber nur, wenn ich nicht so fertig bin wie gestern.

Daher heute Vormittag meine Entscheidung zur vorübergehenden Unterbrechung.

Hier ein paar Vorhersagen, die auch meine Entscheidung beeinflussten:

Bei Wetter.com kann man heute für Idstein (meine nächste Etappe) lesen:
Das Wetter in Idstein – In Idstein kann sich morgens die Sonne nicht durchsetzen und es bleibt bedeckt bei Werten von -6 bis zu -5°C. Darüber hinaus sind am Nachmittag und am Abend Teile des Himmels mit Wolken bedeckt, die Sonne ist aber zwischendurch sichtbar bei Temperaturen von -5 bis -1°C. Nachts gibt es nur selten Lücken in der Wolkendecke und die Temperatur fällt auf -7°C. Der Wind weht schwach aus nördlicher Richtung mit Geschwindigkeiten bis zu 13 km/h.

Bis Freitag, den 15.03.2013 bleiben die Temperaturen im Keller, Höchsttemperatur Freitagabend 0 °C, dann aber Nachts wieder -4 °C.

Bei Wetter.com kann man heute für Bad Marienberg (meine 4. Etappe, jetzt die 3. Etappe) lesen:
Das Wetter in Bad Marienberg – In Bad Marienberg kommt es morgens zu einem Mix aus Sonne und Wolken bei Werten von -10 bis zu -8°C. Mittags bilden sich leichte Wolken und die Höchstwerte liegen bei -5°C. Abends ist es in Bad Marienberg vielfach wolkig bei Temperaturen von -6 bis -4°C. In der Nacht ziehen Wolkenfelder durch bei Tiefsttemperaturen von -7°C. Der Wind weht leicht aus nördlicher Richtung mit Geschwindigkeiten bis zu 11.1 km/h.

Bis Freitag, den 15.03.2013 bleiben die Temperaturen im Keller, Höchsttemperatur Freitagabend -3 °C, dann aber Nachts wieder -5 °C.

Wie geht es weiter? Erstmal Wunden 😆 lecken und schauen was mein rechtes Knie und mein Oberschenkel macht, ich hoffe nur Muskelkater. Ansonsten geht es schon wieder besser. Der Tatendrang ist zwar etwas gebremst, aber immer noch da.

Ich werde jetzt täglich die Vorhersagen verfolgen, auch regelmäßig Telefonate mit Freunden und Bekannten in meinen Zielregionen führen. Veränderung bzw. Hinweis, auch wann es weitergeht, setze ich frühzeitig auf meinen Blog. Diese Woche bleibe ich zu Hause. Ob es dann in der nächsten Woche weitergeht, entscheide ich mit zwei bis drei Tagen Vorlauf.

Die Etappe bis Frankfurt habe ich abgehakt, daher starte ich gemäß meinem Etappenplan die nächste Etappe in Frankfurt-Höchst.

1. Etappe: 12. März 2013

Darmstadt-Eberstadt – Frankfurt am Main

Um 4:30 Uhr reist mich der Wecker aus dem viel zu kurzen Schlaf. Wäre nicht die Triebfeder Wanderung, ich hätte diesen verfluchten Wecker ausgeschaltet und weitergeschlafen. Wie in Trance stehe ich auf und gehe zur Haustür. Der Winter meint es gut mit mir. Es liegt nur ein Hauch von Puderzucker im Hof, also gute Voraussetzungen für den ersten Wandertag. Doch der fehlende Schlaf verhinderte einen schnellen Aufbruch. Alles geht langsam vonstatten und erst um 6:00 Uhr bin ich startklar.

Die Nacht war extrem kurz. Bis ich alles fertig hatte, war es 02:30 Uhr geworden. Nicht meine Reise, sondern eine Reihe anderer Dinge musste ich noch erledigen.

Nur wenige Autos und Radfahrer sind unterwegs. Ich schreite zügig voran und erreiche nach etwas mehr als einer halben Stunde die Rheinstraße. Sie führt zu Darmstadts zentralen und wichtigsten Platz, dem Luisenplatz mit dem langen Lui, ein Denkmal für Ludwig I., den ersten Großherzog von Hessen und bei Rhein. Ein Wahrzeichen der Stadt Darmstadt. Schon von weitem lacht mich ein Plakat mit Kaffee an und weckt in mir das Verlangen darauf. Die Festbeleuchtung zeigt mir nur die Reinigungskräfte bei der Arbeit. Auch das nächste Café, nur einige Meter weiter, ist noch geschlossen. Erst bei der Back-Factory komme ich zu meinem Muntermacher. Doch als ich wieder aufbrechen will, beginnt es heftig zu schneien. Kaum hat meine Wanderung begonnen, schon muss ich den ungeliebten Poncho anziehen.

Es dauert nicht lange und ich spüre immer deutlicher den eisigen Wind, der mir entgegenschlägt. Meine Verbrechermaske – die schwarze Sturmhaube -, ist gut verstaut im Rucksack und dadurch nicht erreichbar. Denn Poncho und Rucksack draußen im Schneegestöber ausziehen, ist keine wirklich gute Idee. Also die Kälte aushalten und weiter.

Inzwischen setzt der Berufsverkehr ein und die Fahrzeuge kommen nur schleppend voran. Im Stadtteil Arheilgen waren dann unsere Geschwindigkeiten angeglichen und daran änderte sich auch bis zum nächsten Stadtteil Wixhausen nichts mehr. Ich stapfe inzwischen durch einige Zentimeter Schnee auf dem Standstreifen neben den Autos her. Teilweise treffen mich mitleidige Blicke, aber auch verwunderte Blicke und bei Einigen habe ich das Gefühl hier ist ein bisschen Schadenfreude dabei. „Was läuft denn da für ein Irrer“, denken vermutlich einige von Ihnen. Meistens jedoch achte ich nicht auf die neben mir haltenden oder fahrenden Autos, ich bin zu sehr mit mir beschäftigt und spürte immer mehr, dass dieses Laufen im Schnee mit einem 16 kg Rucksack Kraft kostet. Jeder Schritt ist begleitet mit leichtem Rutschen. Je näher ich zum Industriegebiet von Egelsbach komme, löst sich der Stau auf bzw. beginnt in Richtung Darmstadt. Glücklicherweise habe ich zuvor die Straßenseite an einer Ampelanlage gewechselt, denn einige Autofahrer haben bereits die Witterungsverhältnisse vergessen und rasen wieder. Ich möchte wenigstens dem Tod ins Auge sehen und nicht von hinten das Ende erleben. Kurz vor der Abzweigung zur Autobahnauffahrt meint es ein Autofahrer besonders gut mit mir und fährt bewusst – vielleicht auch nur gedankenlos – mitten durch den aufgetürmten Matsch und saut mich dabei total ein.

Nach einiger Zeit erreiche ich das Ortsende von Egelsbach und lese mit Schrecken, das es bis nach Langen noch 15 km sind. Doch ein zweiter Blick zeigt mir nur 1.5 km, ich habe doch glatt den Punkt dazwischen übersehen. Mein Verlangen, mich einmal zu setzen und den Rucksack nicht mehr zu spüren, wird immer größer. Vielleicht 50 Meter vor mir taucht eine Bushaltestelle auf, doch als ich diese erreiche, gibt es keine Bank. Ich räume ein Mäuerchen neben der Haltestelle vom Schnee frei und lehnte mich mit dem Rücken an das Mäuerchen, der Rucksack liegt oben auf. Endlich kann ich zumindest meinen Rücken entlasten.

Weiter geht es. Wieder setzte verstärkt das Schneetreiben ein und jetzt wäre die Sturmhaube sehr nützlich. Leider nicht erreichbar. Nur noch wenige Autos begegnen mir.

Alles ist in Weiß getaucht und lässt keinen weiten mehr Blick zu. Im nächsten Ort Sprendlingen brauche ich eine Pause, will endlich sitzen. Das Ortsschild schon von weitem vor Augen, kommt mir ein kleiner Schneeräumer entgegen, ich drücke mit erhobenem Daumen meine Freude über einen nun freigeräumten Weg aus. Leider hält die Freude nur kurz bis nach dem Ortsschild an, es geht wieder durch den Schnee. Im Ortskern wechseln sich dann freigeräumte Stellen mit ungeräumten Schneeflächen. Endlich taucht eine Bäckerei mit Café vor mir auf. Ich frage den Bäcker, ob ich mit meinem Poncho und Rucksack mich beim Ihm setzen und einen Kaffee trinken darf. Er nickt und so kann ich mich endlich einmal hinsetzen, einen Kaffee trinken und ein Kuchenstückchen essen. Mit einem Rucksack auf dem Rücken kann man nicht wirklich sitzen, vielmehr berührt der Po gerade mal ein paar Zentimeter die Sitzfläche, aber trotzdem immer noch besser als stehen.

Diese Pause tat gut und ich schöpfe wieder Energie für die nächsten 4,5 km bis Neu Isenburg. Leider hält diese Energie nur wenige Meter. Immer deutlicher spürte ich meinen Körper und der Weg raus aus Sprendlingen nach Neu Isenburg verläuft nur noch durch hohem Schnee. Um 12:00 Uhr erreichte ich dann endlich den Ortseingang, brauche aber noch 35 Minuten bis zum Ortsausgang.

Wieder eine kurze Rast auf einer von mir zuvor freigeräumten Bank an der  Straßenbahnhaltestelle, dann geht es weiter. Auf dem nun folgenden Teilstück ist der Randstreifen zu schmal und zu gefährlich zum Laufen. Also auf die andere Straßenseite und rein in den Wald. Ich kenne diesen Weg durch den Wald von meiner letztjährigen Testwanderung. Nur letztes Jahr war schönes Wetter und nun liegt eine hohe Schneeschicht. Nur ein Radfahrer hat zuvor seine Spur gezogen. Ich muss durch den hohen Schnee. „Es sind ja glücklicherweise nur noch 3,3 km bis Sachsenhausen“, denke ich und starte leicht beflügelt die letzte Etappe vor Frankfurt.

Nur war wohl meine Wahrnehmung schon deutlich getrübt, wie ich später bei der Auswertung der GPS-Daten feststellen musste. Meine Geschwindigkeit war auf 4 km/h und noch später zum Teil auf 3 km/h reduziert.

Ich versinke Knöcheltief im Schnee und das Laufen wird immer beschwerlicher. Mit fortschreitender Dauer erhöht jeder Schritt meine Qualen. Jetzt spüre ich mein rechtes Knie, Schmerzen im Sehnenansatz, die Oberschenkelmuskulatur brennt und ich werde zunehmend langsamer. Das verfluchte Sachsenhausen will und will nicht kommen. Wann immer eine Abzweigung wieder zur Straße führt, ich schleiche inzwischen dorthin, um dann doch wieder nur festzustellen, der Randstreifen ist immer noch zu schmal und der Schnee dort genau so hoch wie im Wald. Die wenigen Autofahrer, die an mir vorbeifahren, haben die Witterungsverhältnisse scheinbar wieder verdrängt und rasen an mir vorbei. Wieder geht es reumütig in den Wald zurück.

Nur Bäume und weiße Flächen und kein Ende ist abzusehen. Immer deutlicher merke ich, ich habe mein Leistungslimit für heute erreicht.

Der wenige Schlaf, außer dem Kuchenstück nichts gegessen – meine Wegzehrung liegt gut verpackt im Rucksack und da ist,  ohne Aufwand nicht ranzukommen -, der schwere und noch ungewohnte Rucksack drückt, mein Nacken schmerzt und vor allem meine Beine wollen nicht mehr so wie ich will. Dass ich mir inzwischen zwei Blasen eingehandelt habe, spüre ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die spätere Auswertung meiner Polaruhr ergab einen Tages-Verbrauch von 6753 Kcal.

Endlich das Ortsschild von Frankfurt. Hier wollte ich eigentlich die Straße überqueren und in Richtung Main und Hauptbahnhof laufen. Doch mit meinen Qualen war bereits der Entschluss gereift, alle Treffen abzusagen und mich auf dem kürzesten Weg, mit Bus und U-Bahn, direkt zu meiner heutigen Unterkunft nach Kiyo, Noriko’s Trauzeugin, zu begeben. Hier will sich Noriko mit mir treffen. Nur noch Rucksack runter, Duschen und erholen. Daher mobilisiere ich noch einmal die Reste meiner Energie. „Bald ist es ja geschafft“, denke ich mir. Aber auch der Fußgängerweg ist noch bis zur Sachsenhäuser Warte nicht geräumt und so verpuffte diese Rest-Energie schnell wieder. An der Warte sehe ich endlich in Höhe des  Holiday Inn’s, die heiß ersehnte Haltestelle. Etliche Personen warteten bereits auf einen Bus und umlagerten stehend die Sitzbank. Geben mir aber nach meiner Bitte den Weg frei und so kann ich mich völlig erschöpft setzen. Ich werde immer wieder angeschaut und kann mir keinen Reim darauf machen. Erst etwas später merke ich, dass mein Bart komplett vereist ist. Es dauerte noch fast eine ¾ Stunde, bis der erste Bus kommt. Die nachfolgende U-Bahn-Fahrt verläuft dann auch nicht reibungslos, alle Passagiere der U5-Linie in Richtung Preungesheim müssen plötzlich im oberirdischen Teil der Strecke die U-Bahn verlassen und auf die nächste Bahn umsteigen. Warum konnte man uns dies nicht schon in der U-Bahn-Station mitteilen, jetzt stehen wir in der Kälte und im Schnee. Kurz vor 15:00 Uhr habe ich endlich mein heutiges Ziel erreicht.

Nach einer erholsamen Verschnaufpause mit zwei guten Kaffees beginne ich dann mit meinen Absagen. Morgen werde ich einen Erholungstag einlegen.

Heute habe ich trotz mieser Witterungsverhältnisse 31,6 km zurückgelegt. Meine Gesamtdauer (bis zur Bushaltestelle) betrug 7:37 h und davon war ich insgesamt 6 Stunden in Bewegung, zunächst zügig, dann langsamer und zum Schluss kriechend. Zwei größere Pausen gab es in Darmstadt – zum Wach werden – und in Sprendlingen.

Zum Abendessen hat Kiyo Sushi und Kimchi (ein fermentiertes scharfes Gemüse aus der koreanischen Küche) zubereitet, das ich in vollen Zügen geniesse. Noriko und Kiyo haben sich viel zu erzählen, mir aber fallen die Augen zu und ich verschwinde in das Gästezimmer. Vielen Dank liebe Kiyo für die tolle Bewirtung und Betreuung.

Mein Startzeitpunkt verschiebt sich geringfügig.

Bin schon seit einiger Zeit in Behandlungen mit meiner rechten Schulter. Die Behandlung dauert noch bis Montag. Daher muss ich meinen Start auf Dienstag, den 12.03.2013 verschieben.

Zurzeit prognostizieren einige Wettervorhersagen für nächste Woche Dienstag und Mittwoch leichten Schneefall und noch einige Minusgrade. So kann ich vermutlich am Ende meiner Wanderschaft sagen: „Ich war bei allen Wettern unterwegs gewesen“.