180. Etappe: 27. Oktober 2013

Hohenpeißenberg – Rottenbuch  16,0 km

Mein Frühstück, Brötchen, Wurst und Käse vom gestrigen Einkauf, nehme ich im Zimmer ein. Nur der Kaffee fehlt mir. Da in der Nacht die Zeitumstellung war, warte ich deutlich länger um meine heutige Übernachtung zu buchen. Und trotzdem hört sich die Stimme am Telefon ziemlich verschlafen an. Ich habe ein schlechtes Gewissen bei einer Privatunterkunft am Sonntagmorgen so früh anzurufen. Die Zimmervermieterin versichert mir aber, sie war schon auf.

Schon wenige Meter nach Verlassen des Gästehauses bei einer Schule stoppe ich und ziehe den Poncho halb an. Es ist zwar trocken, doch die dunklen Regenwolken verheißen nichts Gutes. Einzig das Fotografieren macht bei so einem Licht Spaß. Die Herbstfarben erstrahlen dabei so herrlich.

Für meine heutige Etappe wähle ich bei diesem Wetter nicht den Weg durch die Ammerschlucht, sondern eine von mir bereits geplante Alternativroute. Zunächst durchlaufe ich wieder Wiesen und Waldgebiet. Dann vor einem Bahnübergang zeigt mir mein Navi einen Weg an, der wohl nur selten gelaufen wird. Ich folge diesem Weg, doch bereits nach etwa 300 Metern geht es nicht mehr weiter. Also wieder zurück und über den Bahnübergang und weiter auf dem Wirtschaftsweg. Noch vor der Bundesstraße folge ich einem Weg, der als Radweg ausgewiesen ist. Auf meinem Navi aber wird er nicht dargestellt. Das ändert sich aber schon bald und ich bin wieder auf meiner geplanten Route. Der zunächst unbefestigte Weg geht über in einen asphaltierten Weg parallel zur Bundesstraße. Immer mit einigem Abstand, mal unterhalb und mal oberhalb der Straße führt dieser Weg entlang.

Dann bei einer Unterführung verlasse ich den Radweg und die Bundesstraße. Bereits jetzt habe ich den Kirchturm der ehemaligen Augustiner-Chorherren-Stiftskirche deutlich vor mir. Mit einem großen Bogen erreiche ich endlich das ehemalige Kloster von Rottenbuch und durchschreite den Torbogen. Nun bin ich im Klosterhof und vor mir die ehemalige Stiftskirche und heutige römisch-katholische Pfarrkirche Maria Geburt.

Meine heutige Privatunterkunft ist in einem Haus an diesem Klosterhof. Von der Vermieterin erfahre ich, dass der Pilgerstempel in der Kirche ausliegt und ich die Kirche wegen eines Konzertes nur jetzt noch besichtigen kann. Ich lasse meinen Rucksack im Zimmer zurück und eile zur Kirche. Hier finden gerade Chorproben statt, ich kann aber die Kirche noch besichtigen. Kaum habe ich die Kirche betreten, kann mich sofort wieder daran erinnern, hier war ich schon einmal.

Schon bei Betreten des Klosterhofes kamen Erinnerungen zurück. Zusammen mit Noriko und einem japanischen Gast waren wir hier gewesen. Damals war am Morgen das Kirchenportal noch verschlossen. Der vorbei kommende Pfarrer öffnete uns jedoch die Kirche und wir konnten sie besichtigen. Damals waren alle Bänke mit Folien abgedeckt und es gab hier Renovierungsarbeiten. Doch das prachtvolle Innere beeindruckte mich schon damals sehr. Selbst die damals auch besuchte Wieskirche empfand ich nicht als prachtvoller.

Nach der Besichtigung gehe ich zur nahe gelegenen Gaststätte und Pizzeria. Ich kann zwar noch eintreten, doch essen ist hier heute nicht mehr möglich. Es wird für eine geschlossene Gesellschaft gedeckt. Im nahe gelegenen Café bekomme ich dann doch noch eine Kleinigkeit. Nach mir kommt eine größere Pilgergruppe ins Café und setzt sich am großen Nebentisch. Mit ihnen kommt auch der Regen. Beiläufig höre ich von Pilgerinnen, dass der Weg durch die Schlucht sie wohl heftig ins Schwitzen gebracht hat. Es war der Angstschweiß, wie eine Pilgerin erzählt.  

179. Etappe: 26. Oktober 2013

Raisting – Hohenpeißenberg
Distanz: 21,7 km; Aufstiege: 507 m; Abstiege: 245 m

Der Morgen empfängt mich bereits mit blauem Himmel. Die Sonne ist schon da. Jedoch noch zu schwach und so trage ich zunächst meine Jacke. Ich habe wieder einen goldenen Oktobertag vor mir.

Der Ort ist schnell verlassen und ich schreite auf einem Wirtschaftsweg an Wiesen und Weiden vorbei. Der herbstliche Laubwald ist immer in meiner Nähe. Zeitweise erhasche ich auch schon einen freien Blick auf die Berge.

Nach einiger Zeit schaue ich einmal zur Kontrolle auf mein Navi und stelle fest, wieder einmal habe ich eine Abzweigung verpasst. Noch unschlüssig, ob ich zurückgehe oder diesem Weg weiter folgen soll, kommt mir ein Pilger entgegen. Die Jakobsmuschel hängt sichtbar um seinen Hals. Er ist mit einem Außengestellrucksack unterwegs. Erfreut endlich einen Pilger auf größerer Tour zu begegnen bin ich sofort im Gespräch mit ihm.

Er ist von Freiburg gestartet und nun auf dem Weg nach München unterwegs. Von ihm erfahre ich, dass ich weiter auf diesem Weg bleiben kann und Wessobrunn erreiche. Weiterhin gibt er mir einige Hinweise zum weiteren Pilgerweg. Der Weg über die Ammerschlucht ist schwierig zu gehen. Ein Ständiges hoch und runter. Die schmalen Holzstege ohne Geländer sind sehr glitschig und schwer jetzt zu gehen, erklärt er mir.

Er ist Deutscher, lebt aber schon über zwanzig Jahre in Helsinki. War bei der letzten Entlassungswelle bei Nokia auch betroffen und ist jetzt mit seinen 63 Jahre im Zwangsruhestand. Er fliegt zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, nach Deutschland und ist dann auf Wanderschaft oder Pilgerreise. Seine Frau gewährt ihm so um die 25 Tage am Stück, verrät er mir schmunzelnd. Im April war er im Raum Limburg/Lahn unterwegs gewesen. Wir hätten uns auch dort über den Weg laufen können.

Wir unterhalten uns noch eine Weile und ich mache auch ein Foto zur Erinnerung. Dann gehen wir wieder unsere Wege. Mein Weg zieht nach einiger Zeit an, jetzt geht es wieder hoch auf ca. 700 Meter. Unterwegs bei einem Bauwagen mache ich meine Mittagspause. Ein älteres Paar kommt Fahrrad schiebend die Straße hoch. Ich rufe dem älteren Mann lachend zu: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ Sofort bin ich mit ihm und wenig später auch mit seiner Frau in einer Unterhaltung. Beide wohnen in Weilheim und machen öfters längere Touren mit dem Rad. Ich schnalle meinen Rucksack auf und gehe mit ihnen weiter. Bei einer Senke verabschieden sie sich von mir und radeln davon. Doch das ist nur von kurzer Dauer, denn am nächsten Berge schieben sie wieder und ich hole sie wieder ein. Nun gehe ich jedoch mit meinem Tempo weiter und erreiche wenig später den Ort Wessobrunn. Gleich zu Beginn des Ortes besuche ich das Klostergelände und im Anschluss daran die „tausendjährig“ Tassilolinde. Ein beeindruckender Baum mit etwa 14 Meter Umfang.

Bei einem Gasthof, dort hatte ich gestern auch zur Übernachtung angefragt, mache ich im verwaisten Biergarten eine Pause. Bei Einschalten des Smartphones erreicht mich die Nachricht, dass meine ehemaligen Kollegen aus dem Rechenzentrum Krefeld gerade gemütlich in einer Kneipe beisammensitzen. Ich rufe Herbert an und wir plaudern bei laut gestelltem Handy eine Weile.

Der nun folgende Weg nach Hohenpeißenberg ist geprägt von einer grandiosen Sicht in die Alpen. Teilweise habe ich den Eindruck, einen fast 180-Grad-Blick auf die schroffen Berge zu haben. Der Hohe Peißenberg mit der auf dem Gipfel stehenden Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt ist auch immer sichtbar. Ob ich den Berg noch erklimme, weiß ich noch nicht, das werde ich kurzfristig entscheiden.

Als ich mich dem Ort Hohenpeißenberg nähere, steht mir nicht mehr der Sinn nach weiteren Höhenmetern, um dann danach wieder runter zu meiner Unterkunft zu laufen. Ich muss nicht alles gesehen haben, auch nicht die vermutlich noch bessere Sicht auf die Alpen. Ich rufe vereinbarungsgemäß meine Zimmervermieterin an und erkläre ihr, dass ich noch 2,5 Kilometer zu laufen habe. Sie antwortet: „Dann sind sie ja in 10 Minuten da.“ Nach unserem Gespräch wird mir klar, fliegen kann ich noch nicht und für die Strecke brauche ich mindestens 20 Minuten. Im Ort komme ich an einem Supermarkt vorbei und dort kaufe ich einige Lebensmittel und Getränke. Schon am Ausgang erreicht mich ihr Anruf und ich erkläre ihr, dass die zehn Minuten nicht einhaltbar sind.

Bepackt mit einer Plastiktüte eile ich dem Gästehaus entgegen. Inzwischen hat sie wohl erkannt, dieser Zeitansatz war unrealistisch. Sie holt mir sogar noch Brötchen und O-Saft vom Supermarkt. Von meinem Zimmer habe ich einen guten Blick auf die Berge.