125. Etappe: 27. August 2013

Großschönau – Ebersbach  22,4 km

Der Tag beginnt wieder mit blauem Himmel und Sonnenschein. Mein Gasthof liegt etwas abseits der Route in einem Gewerbegebiet. Schon wenige Meter später komme ich an einer Frottierweberei und danach an einer Damastweberei vorbei. Diese beiden Webereien sind die einzig übrig gebliebenen Webereien nach der Wende, wie ich später erfahre.

Um noch etwas mehr vom Ort zu sehen, steuere ich die Kirche an. Und habe auch wenig später das erste Ensemble von Umgebindehäusern. Das setzt sich im Ortskern weiter fort und wie schon gestern, stehen weiter schöne Umgebindehäuser direkt an der Mandau. Mit einem Mann, er beseitigt gerade die Spuren des Heckeschneidens, komme ich ins Gespräch.

Er erzählt mir, dass es vor der Wende hier viele Arbeitsplätze in den Webereien und in der Maschinenfabrik gab. Bei der Maschinenfabrik waren es etwa 300 Arbeitskräfte und jetzt gerade mal noch etwa 30. Ähnlich bei den Webereien, ehemals über 3000 Arbeitskräfte und heute etwa 300. Die meisten Fabriken sind inzwischen abgerissen, ich habe die beiden übrig gebliebenen bereits gesehen. Früher hat man hier billig für den Westen Frottierhandtücher hergestellt. Mit der Wende wurden die Webereien von der westlichen Konkurrenz aufgekauft. Für zwei Jahre war Bestandsschutz der Mitarbeiter. Danach kam dann das Ende. Das Personal wurde entlassen, die Maschinen verkauft und die Fabriken abgerissen.

Das Damastmuseum und das Technikmuseum kann ich nicht besuchen, es ist bereits zu spät, ich muss weiter. Nach dem Ort wird es zunehmend hügeliger und das Auf und Ab beginnt. Um mich herum Berge des Zittauer Gebirges. Für längere Zeit tauche ich in ein Waldgebiet ein, laufe unterhalb des Gipfels an einen Berg mit 475 Meter Höhe entlang, durchwandere Felder. Schließlich erreiche ich Spitzkunnersdorf. Auf der Ortsstraße laufe ich direkt auf einen weithin sichtbaren Gasthof zu. Es ist ein Wirtshaus mit Brennerei und dem selbst ernannten Namen: „Schwarzbrennerei Wilder Hirsch.“ Hier kehre ich ein und kann dem „Wilden-Hirsch-Bier“ nicht widerstehen. Daher genehmige ich mir, gegen alle Vernunft, eine ½-Liter-Flasche Starkbier. Nach Verlassen des Wirtshauses geht es bergan an der Straße entlang und ich merke deutlich das Bier. Wenig später biege ich in einen Feldweg ab, der wiederum gut ansteigend verläuft. Schwer atmend nehme ich diese Hürde. Ich bin Alkohol unterwegs nicht gewöhnt, jetzt muss ich dafür büßen.

Weiter laufe ich durch Felder und nehme ein paar Hügel mit. Inzwischen habe ich den Alkohol ausgeschwitzt. Dann erreiche ich Leutersdorf und ab hier geht es nur noch an der Straße entlang. Bis Neueibau habe ich einen Fuß- und Radweg. Der hört aber nach Neueibau auf und so bin ich wieder am Straßenrand unterwegs. Inzwischen hat der Berufsverkehr eingesetzt. Jetzt heißt es wieder starke Nerven und Gottvertauen haben, denn wieder rasen einige Verrückte an mir vorbei.

Erst vor Ebersbach hat mich ein Radweg wieder. An der Hauptstraße und an einem Bach entlang erreiche ich schließlich meine heutige Pension. Später erfahre ich, dass dieser Bach ein Arm der Spree ist.  

124. Etappe: 26. August 2013

Zittau – Großschönau 20,6 km

Ein Frühstück gibt es in der Pension nicht. Das ist aber kein Problem, denn genau gegenüber ist eine Bäckerei und dort kehre ich ein. Danach heißt es den Fluss Mandau, ein Nebenfluss der Neiße, zu finden. Vom Marktplatz aus laufe ich durch eine schmale Gasse, sie ist nicht in meiner Navikarte eingezeichnet. Dabei geht es vorbei an einigen im schlechten Zustand befindlichen Gebäuden. Hier ist noch viel zu tun. Ein bisschen kommt es mir vor, wie wenn die Zeit hier stehen geblieben ist.

Schließlich erreiche ich den Olbersdorfer See, ehemals ein Braunkohle-Tagebauabbruchgebiet, und durchlaufe dort einen Park. Kurz vor Hörnitz bin ich dann an der Mandau. Sie wirkt eher wie ein Bach und nicht wie ein Fluss. Ich folge ihr, doch mein Weg verlässt in Hörnitz wieder die Mandau. Ein Schild weist auf den Naturpark Zittauer Berge hin. Am Ortsrand komme ich an mehreren Pflaumenbäumen vorbei. Der letzte Baum, eher noch ein Busch, trägt viele reife Früchte. Hier kann ich nicht widerstehen und nasche alle erreichbaren Pflaumen. Nach Hörnitz führt mein Weg wieder zur Mandau. Hier sieht sie endlich wie ein Flüsschen aus, ist höchsten knietief und durchzogen mit Kiesbänken und im Flussbett verstreut immer wieder größere Steine.

Erst als ich Mittelherwigsdorf verlasse, wird die Flusslandschaft schöner. Noch einmal entferne ich mich auf einer Straße vom Fluss. Tauche ein in ein Waldgebiet und folge einem schmalen teilweise zugewachsenen Waldpfad. Die Mandau ist jetzt wieder unmittelbar neben mir. Die Umgebung mit der Mandau wird Zusehens idyllischer. Am Ende des Waldes durchlaufe ich eine Kräuterwiese mit Blick auf eine Brücke und dem Ort Hainewalde. Wenig später komme ich am Schlosspark mit dem mächtigen Schloss im Hintergrund vorbei.

Das Schloss stammt aus dem 17. Jh. und war der Herrensitz der sächsischen Herrschaften v. Kanitz und Kyaw. Aus einem Bauerndorf wurde mit dem Bau des Schlosses und einer Vielzahl weiterer Gebäude das „Sanssouci der Lausitz“.

Leider ist heute keine Öffnungszeit und so gehe ich weiter an der Mandau entlang und durchschreite den lang gezogenen Ort. Bei einer Weggabelung folge ich dem bergauf führenden Weg bis zur Kirche, erbaut 1711. Im dortigen Friedhof steht die imposante herrschaftliche Gruft aus dem Jahre 1715.

Wieder am Fluss sehe ich auf der anderen Seite einen Getränkemarkt mit der Anzeige in den Fenstern: Getränke, Lebensmittel und Baumarkt. Bei der nächsten Brücke wechsel ich die Flussseite und gehe zurück zum Markt. Im Laden treffe ich auf eine nette Verkäuferin und ich kann auf einem Stuhl im Markt, um mich rum Regale und Getränkekisten, meine Imbisspause machen. Von der Verkäuferin erfahre ich, dass die dort verkaufte Limonade aus eigener Herstellung in Hainewalde stammt.

Seit 1899 wird die Menschel-Limonade nun schon in vierter Generation hier hergestellt. Es gibt vom Mineralwasser bis zur Menschel-Cola ein breites Sortiment an Getränken.

Während meiner Pause beobachte ich ein bisschen das Treiben im Markt. Die Verkäuferin scheint sehr beliebt bei den Menschen des Ortes zu sein. Bei einer alten Frau öffnet sie kurzerhand den abgepackten Kartoffelsack und verkauft davon abgewogen eine Teilmenge.

Dann geht es weiter. Es ist warm geworden und die Sonne scheint recht kräftig. Immer öfter komme ich an Umgebindehäusern vorbei. Viele von ihnen sind teilweise oder komplett renoviert. Sie machen mich neugierig und ich möchte mehr davon erfahren. Dann sehe ich einen Mann neben einem wohl vor kurzem erst renovierten Umgebindehaus. Das ist meine Chance und ich spreche ihn an.

Sein Haus wurde tatsächlich erst vor Kurzem renoviert. Es ist etwa 450 Jahre alt. Er ist im Besitz einer alten Urkunde, in dem ein damaliger Verkauf eingetragen ist. Ich darf das Haus auch im Inneren fotografieren. Er führt mich vom Flur in einen Raum und dort sieht man noch die alten Schiebeladen vor den Fenstern. Auch kann man die Querbalkenwände des baulich vom übrigen Gebäude losgelösten Erdgeschosses sehen. Draußen bei den ausgestalteten Rundbögen wurden damals keine Nägel, sondern Holzdübel verwendet. Diese wurden auch wieder bei der Renovierung einsetzt.

Die Schieferplattenverkleidung des Obergeschosses wurde zu späterer Zeit vorgenommen. In der Gegend gibt es keinen Schieferabbau. Jedoch wurden früher hier in der Gegend Sandstein-Mühlsteine hergestellt und nach dem Transport dieser Mühlensteine wurde der Schiefer auf dem Rückweg nach hier importiert.

Das Umgebindehaus ist ein besonderer Fachwerkhaustyp. Das heutige Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Niederschlesien, Oberlausitz, Nordböhmen bis ins Elbsandsteingebirge.

Es besteht eine bauliche Trennung des Erdgeschosses mit dem Obergeschoss und dem Dachgeschoss. Das Obergeschoss und der Dachstuhl ruhen auf längs verlaufende Balken. Diese wiederum werden von einem Stützsystem von Ständern (senkrecht verlaufende Balken) rund ums Haus getragen. Der Raum zwischen den Ständern wird durch Rundbögen ausgestaltet. Der gesamte Erdgeschossbereich ist baulich getrennt. Der Grund für diese besondere Ausführung liegt in der damit fehlenden Schwingungsübertragung. Denn entwickelt wurde dieser Haustyp für Weber. Im Erdgeschoss standen die Webstühle und im Obergeschoss, in der Blockstube, war der Wohnbereich.

Ich bin bereits bei der Besichtigung des Umgebindehauses am Rande von Großschönau. Noch geht es weiter an der Mandau entlang. Und hier komme ich an einer größeren Flussbaustelle vorbei. Wie schon an der Neiße ist hier die Mandau vom Schlamm der Baustelle getrübt. Daher vermute ich, dass die Trübung der Neiße während der Flussbettänderung verursacht wurde. Die Mandau fließt bei Zittau in die Neiße, die wiederum in die Oder und ich sah die Trübung auf dem Weg nach Zittau.

Der Weg weiter zum Ort ist geprägt von vielen schönen Umgebindehäusern. Sie stehen beiderseits der Mandau. Auf den letzten zwei Kilometern zum Gasthof verlasse ich leider den schönen Teil von Großschönau. Meine Pflaumen vom Mittag machen sich immer mehr bemerkbar und mein Schritt wird deutlich schneller. Schließlich erreiche ich den Gasthof, meine heutige Unterkunft. 

123. Etappe: 25. August 2013

Kloster St. Marienthal ‐ Zittau  22,4 km

Beim Frühstück treffe ich Herrn S. wieder und er berichtete mir, dass er bereits oberhalb des angrenzenden Weinbergs den Sonnenaufgang erlebt hat. Während unserer Unterhaltung erzähle ich ihm von meinen nächsten Etappen und erhalte den Ratschlag ab Zittau an dem kleinen Fluss Mandau entlang nach Großschönau zu laufen. Spontan ändere ich nach dem Frühstück meine Route ab Zittau. Da sie kürzer ist als zuvor, entschließe ich mich nur bis Zittau zu laufen und habe so noch Zeit auch diese Stadt und das große Fastentuch zu besichtigen.

Der Oder-Neiße-Radweg führt durch das Kloster und so bin ich ohne Navigieren sofort auf meiner heutigen Etappe und direkt wieder an der Neiße. Der Tag verspricht gut zu werden, der blaue Himmel ist schon da und auch die Sonne scheint bereits. Nur der leichte Wind ist noch etwas kühl. Mein Weg führt unmittelbar neben der Neiße entlang. Das Tal hier ist schmal zwischen Bergen und Hangwald gelegen. Von der Sonne bekomme ich nur wenig mit, ich laufe meistens unter einem Dach aus Blättern. Nur in Klosternähe begegne ich Spaziergänger, weiter entfernt treffe ich nur noch auf wenige Radwanderer. Bei einem Neißebogen nutze ich eine frei stehende Bank und lasse mich ein bisschen von der Sonne verwöhne. Dabei beobachte ich ein paar Schlauchboote, die bei Erreichen des Neißebogens Schwierigkeit haben diesen zu umsteuern. Mit ihnen wird die himmlische Ruhe durch Lachen für Momente unterbrochen.

Weiter geht es, und so in Gedanken versunken, wird plötzlich die Stille von einem dumpf grollenden Geräusch unterbrochen. Auf mich zukommend erkenne ich jedoch nichts. Dann ist es unmittelbar neben mir und nun sehe ich auf polnischer Seite etwa 15 Meter oberhalb des Ufers, verdeckt durch Bäume, einen vorbei fahrenden Güterzug. Erkennen tue ich nur einzelne farbige Waggons. Kurz danach habe ich wieder meine Ruhe.

Schon seit einiger Zeit beobachte ich die milchige Trübung der Neiße. Es sieht mir wie mitgespüler Schlamm aus. Ob es noch von dem Hochwasser herrührt und von den Nebenarmen der Neiße stammt?

In Rosenthal mache ich eine größere Pause im Schatten von einem Sonnenschirm. Es ist inzwischen heiß geworden. Nach Rosenthal erreiche ich schnell den Ort Hirschfelde. Hier treffe ich auf viele Fachwerkhäuser und die haben eine mir unbekannte Bauform. Die charakteristische Form dieser Häuser sind die Rundbögen aus massiven Holzbalken, auf die das Haus zu stehen scheint. Man nennt diesen Haustyp Umgebindehaus, wie ich später erfahre.

Nähere Erläuterungen im folgenden Etappenbericht von Etappe 124.

Nach Hirschfelde führt mich der Radweg an der B99 entlang und etwa sechs Kilometer vor Zittau mache ich in einem Buswartehäuschen eine Pause. Suche gerade nach Unterkunftsmöglichkeiten in Zittau, als plötzlich ein Radfahrer abrupt anhält. Es ist mein Gesprächspartner, Herr S. aus dem Kloster. Er hat heute eine über 40 Kilometer lange Tour durch Polen und Tschechien gemacht und ist gerade auf dem Rückweg zum Kloster. Wir unterhalten uns noch kurze Zeit. Dabei ziehen dunkle Wolken über uns auf. Wir hoffen beide, das sie sich uns keinen Regen bringen und ziehen wieder unseres Weges.

Schnell habe ich den Stadtrand von Zittau und schließlich auch den Stadtkern erreicht. Noch viele der durchaus schönen Gebäude sind in einem schlechten Zustand. Seitdem ich den Stadtkern erreicht habe, schaue ich mich nach einer Unterkunft um. Leider, außer einem Hinweis auf ein teures Hotel, sehe ich nirgends einen Gasthof mit Zimmer, noch eine Pension oder Privatzimmer. Am Markt gehe ich daher in ein Café und frage dort nach. Hier zeigt man mir genau gegenüber auf eine Pension. Ich bin vorher daran vorbei gelaufen und habe sie nicht erkannt. Also rüber zur Pension. An der Hausklingel schelle ich, doch niemand reagiert. Dann betrete ich durch die offene Straßentür einen großen überdachten Eingangsbereich und sehe sofort das Pensionsschild. Betrete den Hausflur und klingele erneut im ersten Geschoss, doch wieder keine Reaktion und so gehe ich in die nächste Etage. Dort kommt mir ein junger Mann entgegen. Er ist der Zimmerwirt und betreibt diese Pension erst seit Kurzem. Ich erhalte ein großes Zimmer. WC und Bad sind über den Etagenbereich in unmittelbarer Nähe vom Zimmer erreichbar. Beide sind in einem hervorragenden Zustand.

Ich unterhalte mich einige Zeit mit ihm und trete dann ohne Duschen und Umziehen, noch leicht verschwitzt, eine Stadtbesichtigung und vor allem die Besichtigung des großen Fastentuches an. Aus Zeitgründen gehe zunächst zum Fastentuchmuseum.

Untergebracht ist das große Fastentuch in der Kirche zum Heiligen Kreuz. Es ist von beeindruckender Größe mit seinen Abmessungen von 8,20 x 6,80 Meter. Es stellt eine riesige Bilderbibel mit 90 Szenen dar. Das Fastentuch ist einzigartig in Deutschland und auch von europäischem Rang.

Fastentücher verhüllten bereits um 1000 Altäre, Reliquien und Bilder. Sie wurden in der vorösterlichen Zeit aufgehängt und sollten den Blick auf das Allerheiligste verwehren. Man nannte diese Tücher auch Hungertücher oder Schmachtlappen.

Von der Eingangskasse erreicht man die Kirche über einen sehr alten Friedhof. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Viele der alten Grabsteine zerfallen langsam. Als ich die Kirche betrete, erfüllt das Fastentuch eindrucksvoll und dezent beleuchtet den Kirchenraum. Ich habe Glück und kann einer Audiovorstellung über die Geschichte dieses Tuches fast von Beginn an folgen.

Das kleine Fastentuch, an einem anderen Ort in Zittau untergebracht, kann ich leider nicht mehr sehen. Das Museum ist bereits geschlossen. Ich umrunde fast die gesamte Altstadt und finde einige schöne wiederhergestellte Gebäude. Doch hier in Zittau ist noch sehr viel zu tun, um den vorhandenen Bestand an interessanten Gebäuden wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen.