133. Etappe: 04. September 2013

Geising – Holzhau
Distanz: 22,7 km; Aufstiege: 658 m; Abstiege: 600 m

Als ich um 6 Uhr aufwache, höre ich bereits wieder den Regen. Meine Stimmung ist sofort auf dem Nullpunkt und ich verkrieche mich tief unter meiner Bettdecke. Erst kurz vor dem Frühstück stehe ich auf. Das Frühstück hat XL-Format und so genieße ich es langsam und ausgiebig. Draußen ist es nur ungemütlich, ich habe es heute nicht eilig. Danach ist die Planung meiner heutigen Etappe am Frühstückstisch dran. Es ist eine Mischung aus dem Kammweg und dem Radweg Sächsisches Mittelgebirge. Meistens sehr dicht an der tschechischen Grenze entlang. Dann wieder die Suche nach einer Unterkunft. Hier ist das Fremdenverkehrsamt mir sehr behilflich, schnell habe ich ein günstiges Zimmer gefunden.

Als ich schließlich das Hostel verlasse, regnet es nicht mehr. Meine Stimmung steigt. Doch bereits im Ort beginnt es wieder. Also doch den Poncho an. Danach beginnt eine ordentliche Steigung, ich laufe von 600 Meter hoch auf 880 Meter. Zunächst geht es wieder an der Straße entlang und wieder habe ich Glück und es ist wenig Verkehr.

In Zinnwald-Georgenfeld mache ich im Eingangsbereich eines Besucherbergwerks eine Pause. Als ich eintrete, richten sich viele Augen auf mich. Es wartet gerade eine größere Gruppe auf eine Führung ins Bergwerk. Mit einem der Besucher komme ich ins Gespräch und erfahre, das die Gruppe aus dem Ruhrgebiet kommt. Er selbst ist beeindruckt von meiner Tour und erzählt mir, dass er größere Touren mit dem Rennrad unternimmt. Jetzt aber wegen eines Sturzes pausieren muss.

Vom Bergwerk aus beginnt wieder ein Aufstieg und kurz nach dem Ort mache ich in einem Buswartehäuschen eine Pause. Zunächst noch mit Rucksack und Poncho. Als plötzlich die ersten Sonnenstrahlen sichtbar werden, ziehe ich Rucksack, Poncho und Jacke aus. Setze mich auf die Bank vor dem Wartehäuschen und genieße die warmen Strahlen. Sofort steigt wieder die Stimmung. Doch alles ist nur von kurzer Dauer, als ich wieder starten will, ist die Sonne verschwunden und graue Wolken dominieren am Himmel. Also wieder Jacke und Poncho an.

In unmittelbarer Nähe vom Wartehäuschen verlasse ich endlich die Straße und biege auf den Radweg Sächsisches Mittelgebirge ab und habe wieder einmal einen Anstieg vor mir. Oben angekommen lese ich auf einer Informationstafel, dass Zinnwald der kälteste bewohnte Ort Deutschlands mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 4,3 Grad ist. Gut, das es heute etwas wärmer ist :-).

Nun geht es zunächst an Wiesen mit Bäumen der Vogelkirsche vorbei. Dann tauche ich in einen dichten Nadelwald ein und befinde mich wenig später auf einem langen geraden Weg, gefolgt von einer noch längeren, etwa 1,5 Kilometer, geraden Schneise. Hier kann ich nicht einmal bis zum Ende sehen, denn nach dem ich das vermeintliche Ende erreicht habe, geht es weiter geradeaus. Ich bin mitten in der Einsamkeit. Hier irgendwo in der Nähe muss es ein Biathlonstation geben, ein Hinweisschild weist darauf hin. Ich laufe noch längere Zeit durch ein dichtes Waldgebiet, bis ich eine kleine Siedlung erreiche. Hier bin ich im tiefsten Winterskigebiet. Jetzt jedoch ist hier nichts los.

Nach einer Pause und einem Telefonat mit Manfred und Inge, sie berichten mir von ihrer Pfirsichernte, geht es weiter. Nur jetzt spuken saftig süße Pfirsiche in meinem Kopf herum. Ich habe einen Heißhunger darauf. Der verfliegt aber schnell wieder, denn nur wenig später befinde ich mich auf einem Anstieg mit 13 % Steigung. Auch das hat glücklicherweise mal ein Ende und ich laufe danach auf dem Kammweg in unmittelbarer Grenznähe zu Tschechien. Hier sind Loipen für Skilanglauf abgesteckt und öfters tauchen kleine Tafeln mit Braten- oder Hähnchengrafiken, zum Mund wässerig machen, auf. Es ist später Nachmittag und ich habe seit 8 Uhr nichts mehr gegessen. Ein leichter Appetit schleicht sich bei mir ein.

Der Kammweg folgt dem sich schlängelnden kleinen Bach und wohl auch der Grenze. Nach meinem Navi sind es zeitweise weniger als 50 Meter Entfernung. Manchmal geben die Bäume einen freien Blick auf sanfte Hügel mit vereinzelten Baum- und Buschgruppen an den Hügelhängen auf tschechischer Seite frei. Eine herrliche Landschaft und ich unterbreche öfters, um diese Eindrücke zu genießen und auch zu fotografieren. Dann sehe ich in einiger Entfernung eine Lichtung und den mir schon von der Oder und der Neiße bekannte deutsche Grenzpfahl stehen. Ein älterer Mann läuft dort herum und eine Frau sitzt dort auf einer Bank. Bei der Abzweigung biege ich dorthin ab. Es ist ein Grenzübergang (Fußweg) nach dem Ort Moldava (früher Deutsch: Moldau). Das ältere Ehepaar kommt aus Berlin.

Sie stammt von hier, erzählt sie mir. Als Kind sei sie hier immer zur Schule nach Moldau gelaufen. Vor 1945 standen hier auf der Wiese drei Häuser und ein größerer Bauernhof. „Die Tschechen haben alle Gebäude nach 45 abgerissen“, berichtet sie mir mit belegter Stimme. Sie ist wegen eines Klassentreffens mit ihrem Mann nach Holzhau, der Ort meines heutigen Zieles, angereist. Doch zuvor wollte sie die die Stätten ihrer Jugendzeit wieder einmal besichtigen. Hier in der Nähe hat sie auch als Statistin bei einem Deutsch-Tschechischen-Spielfilm als junge Frau teilgenommen. Für wenige Sekunden sei sie mit roter Mütze zu sehen gewesen. Im Film mussten sie einen Zugwaggon verlassen und wurden mit Lkws abtransportiert.

Bis nach Holzhau sind es noch 3 – 4 Kilometer, je nach Wegvariante, laut Wegweiser. Ich wähle die kürzere Variante weiter auf dem Kammweg. Doch dieser führt erst einmal über einen Berg und so komme ich kurz vor dem Ziel noch einmal ins Schwitzen. Nachdem ich über den Berg und durch den Wald Holzhau erreiche, muss ich nun auf einer schmalen Straße wieder runter ins Tal zu meiner heutigen Bleibe. Es ist ein Gasthof, und als ich den Gastraum betrete, ist er gut besucht. Wieder richten sich alle Augen auf den Wanderer mit großem Rucksack und blauen Poncho. Die Wirtin weiß sofort, wer ich bin und überreicht mir den Zimmerschlüssel. Ich habe ein gemütliches kleines Zimmer.