192. Etappe: 08. November 2013

Welschingen – Achdorf
Distanz: 27,4 km; Aufstiege: 715 m; Abstiege: 668 m

Wieder beginnt ein wunderbarer Wandertag. Über mir ein blauer Himmel und ein paar weiße Wolken. Die Sonne gibt sich bereits Mühe, doch noch klappt es nicht wirklich und es bleibt noch recht kühl. Zunächst muss ich an der Straße entlang und durchquere dabei ein breites Tal. Links und rechts Weiden, gesäumt beiderseits von Wäldern. Dann biege ich in einen Wirtschaftsweg ein und meine erste Steigung beginnt. Schnell säumen alte knorrige Apfelbäume den Weg. Ab und zu hängen auch noch ein paar kleine rote Äpfel dran. Für mich aber unerreichbar. Die verwitternden Stämme, Äste und Zweige sind vom rauen Klima ummantelt mit zum Teil hart gewordenem Moos.

Bei einem alten Fachwerkhaus mache ich auf einer Bank unmittelbar vor dem Haus eine Pause. Mit dem Eigentümer bin ich schnell im Gespräch. Er ist interessiert, was der Zeitgenosse mit großem Rucksack so treibt. Aber auch ich erfahre etwas über sein Leben. Jetzt ist er in Rente, war Lkw-Fahrer und hat den ehemaligen Bauernhof von seinem Vater geerbt. Selbst betreibt er keine Landwirtschaft mehr. Nur drei Pferde hat er noch. Früher ist er auch bei Turnieren geritten, jetzt ist alles nur noch Hobby.

Der Weg ist ein ständiges Auf und Ab. Wenn ich in ein Tal laufe, sehe ich schon vor mir den nächsten Hügel. Fast immer habe ich eine herrliche Sicht in diese ausladende hügelige Landschaft mit ihren vielen kleinen Vulkanbergen.

In Watterdingen sehe ich eine Bäckerei mit Stehcafé und mein Verlangen nach etwas Warmen ist sofort da. In der Bäckerei gibt es doch eine Sitzgelegenheit. Sie wird kaum benutzt und so schauen eintretende Kunde zunächst irritiert nach mir hin. Sofort fällt mir ein Brotkorb mit einem darunter angebrachten Hinweis auf: „Brot vom Vortag zum ½ Preis!“ Von der Bedienung höre ich, dass dieses Angebot gut angenommen wird. Mir wird bewusst, ich bin im Schwabenland! Auch das Plakat mit der Werbung für das König Ludwig Brot & Krusti springt mir ins Auge. Provozierend frage ich die Bedienung, ob das Brot aus Bayern importiert wird. Etwas entrüstet antwortet sie: „Natürlich nicht, der Chef backt es selber.“ In der Gegend gibt es die Randegger Ottilien-Quelle und auch da ist der Chef sehr rührig und backt ein Sprudelbrot. Zum Abschied schenkt mir die Bedienung noch ein Stangenbrötchen.

Der blaue Himmel ist inzwischen durch eine fast dichte weiße Wolkendecke verdeckt. Bei einem Rastplatz mit Schutzhütte habe ich einen fantastischen Blick bis zum Bodensee. Die Schweizer Alpen sind nur in graublauen Pastelltönen erkennbar und mit den tief liegenden Wolken zum Teil verschmolzen.

Ein älteres Paar hat einen der beiden Tische in Beschlag. Um diese Sicht noch etwas zu genießen und das geschenkte Stangenbrötchen zu essen, steuere ich den Zweiten freien Tisch an. Wir sind schnell wegen der grandiosen Sicht im Gespräch. Von der Frau erfahre ich, dass sie in Singen leben und schon fast dreizig Jahre immer wieder hierhin kommen. Wie immer folgt schließlich die Frage, woher ich komme. Als sie hört, dass ich Deutschland umrunde, ist sie sichtlich beeindruckt. Meint dann zu mir: „Meiner (ihr Mann steht etwas abseits und raucht gerade) würde das nicht machen.“ Ergänzt dann aber: „Ich würde es aber auch nicht zulassen. Das ist ja so gefährlich. Man liest und hört ja immer wieder von Morden und Überfällen.“ Das kann ich so nicht im Raum stehen lassen und erkläre ihr, dass ich nun schon seit sieben Monaten unterwegs bin. Noch nie eine gefährliche Situation hatte, außer bei Auto- und Radfahrern. Sie erwidert dann: „Ja mit 50 Jahren kann man noch so etwas machen.“ Ich antworte: „Nicht 50, sondern mit 65 Jahren.“ Ihr Erstaunen ist groß. Sichtlich beeindruckt wendet sie sich an ihren und sagt: „Unglaublich! Siehste, mit Wandern bleibt man jung.“ Dann will sie wissen, wie viel Kilometer ich zu Fuß gelaufen bin. Als ich ihr antworte: „Um die 4200 km“, dreht sie sich wieder zu ihrem Mann und sagt: „Willi, das ist noch ein richtiger Mann!“ Meine Brust schwillt bis auch „Arnold Schwarzeneggerformat“. „Es wird Zeit, ich muss weiter“, erkläre ich den beiden. Die Frau inzwischen richtig fürsorglich, bietet mir ein belegtes Brötchen und eine Flasche Mineralwasser an. Ich nehme dankend an. Schultere meinen Rucksack und verabschiede mich von den beiden. Ein Stück weiter drehe ich mich nochmals um, ihre Blicke sind noch auf mich gerichtet. Ich winke ihnen nochmals zu und gehe mit raumgreifenden Schritten wie ein „richtiger Mann“ von dannen. Erst als ich sicher bin, sie sehen mich nicht mehr, ändert der richtige Mann wieder das Tempo und schreitet gemächlicher weiter.

Immer mehr laufe ich auch durch Wald oder durch Felder, dann aber in der Ferne der dunkle Nadelwald. Ich bin im Schwarzwald definitiv angekommen. Der als Querweg Freiburg Bodensee (auch Schwarzwald Querweg genannt) exzellent ausgeschilderte Wanderweg führt durch wundervolle Landschaften. Ich genieße immer wieder auf einer Bank, und die gibt es hier öfters, diese grandiosen Aussichten. Die Zeit schreitet voran und ich habe noch 9 Kilometer bis nach Achdorf.

Vor mir rechts erreiche ich Zollhaus-Blumberg. Nun muss ich noch den vor mir liegenden und bewaldeten Hügel überqueren. Die Dämmerung ist da und vor mir ein ungekanntes Gebiet. Ich habe hier abweichend vom Wanderweg eine eigene Route, direkt nach Achdorf zusammengestellt. Nun wird es mir doch etwas mulmig. Was erwartet mich bei Dunkelheit auf diesen Wegen, gibt es sie noch oder muss ich wieder zurück. Genau zum richtigen Zeitpunkt wird vor mir eine Alternativroute mit 5,5 Kilometern über Blumberg rechts am Hügel vorbei ausgewiesen. Ich nehme diesen Weg und erreiche nach knapp zwei Kilometer Blumberg.

Es fängt an zu regnen und so packe ich nicht nur meine Stirnlampe, sondern auch wieder einmal meinen Poncho aus. Am Ende des Ortes endet auch der Fußweg und ich laufe nun im Dunkeln an der Straße ohne Radweg entlang. Drei Kilometer muss ich nun unbeschadet überstehen, dann bin ich in Achdorf. Die Straße verläuft mit S-Kurven und zum Glück kommen mir nur wenige Fahrzeuge entgegen. Am Ortsrand von Achdorf schalte ich mein Smartphone-Navi ein, es sind noch 400 Meter bis zum Gasthof. Rita und Dani haben bereits angerufen. Ohne zu antworten, laufe ich weiter zum Gasthof. Kurz vor einer Brücke, ich sehe den Gasthof schon vor mir, kommt der nächste Anruf. Jetzt antworte ich und in diesem Augenblick höre ich auch schon lautes Lachen. Am Gasthof stehen winkend Rita und Dani. Beide sind ebenfalls gerade eingetroffen. Ein punktgenaues Wiedersehen!

Bevor wir uns begrüßen, muss erst noch ein Foto von meiner Ankunft gemacht werden. Das gestaltet sich schwierig. Nun folgen wie im Film J sich wiederholende Aufnahmeszenen. Mal bin ich zu schnell, dann blendet meine Stirnlampe, beim nächsten Mal ist es zu dunkel. Nach einigen Versuchen geben wir lachend auf. Nun folgt die sicher auch bühnenreife Begrüßung. Wir freuen uns, uns endlich nach vier Jahren wiederzusehen. Unsere gemeinsame Pilgerzeit war eine wunderschöne Zeit und wir hatten damals viel Spaß miteinander. Manchmal waren wir richtig ausgelassen.

Wir waren gerade erst von Genf auf der Via Gebennensis unterwegs, als wir einen kleinen Ort hinter Genf auf einer Anhöhe erreichten. Es war eine schmale Straße und auf der einen Seite stand ein gut gefüllter Pflaumenbaum und auf der anderen Seite grenzte ein Gartengrundstück mit einem kleinen Zaun an der Straße. Wir naschten von den köstlichen Pflaumen und spukten wie in einem Wettkampf die Kerne in Richtung Gartengrundstück. Als plötzlich eine ältere Frau dort stand. Glücklicherweise bekam sie keinen Kern ab. Sie sprach uns in Deutsch freundlich an und fragte uns, ob wir etwas Kühles zum Trinken möchten. Es war heiß und wir willigten gerne ein. Wenige Augenblicke später kam sie mit Eiswasser zurück.

Auch unvergessen war eine Unterkunft in einem großen Landhaus in einem riesigen Grundstück. Davor ein Swimmingpool, den wir auch ausgiebig nutzten. Unser Abendessen nahmen wir unter einem großen alten Eichenbaum ein. Über uns zur Dekoration ein Kronleuchter.

Dann geht es in den Gasthof. Kaum bin ich eingetreten, empfängt mich die Wirtin mit: „Unser Wanderer Herr Bach ist da.“ Alle Augen der Anwesenden sind auf mich gerichtet, ich falle mal wieder mit dem halb angezogenen blauen Poncho auf. Die Wirtin gibt mir den Zimmerschlüssel und meint: „Alle Treppen hoch.“ Auch das noch! Im Flur setze ich meinen Rucksack ab. Dani und Rita sollen ihn einmal heben. Rita schultert ihn kurz entschlossen und trägt ihn bis zu meinem Zimmer. An ihrem Gang sehe ich, so leicht fällt ihr das Tragen nicht.

Nach dem Frischmachen sitze wir im gut besuchten Gasthaus und feiern unser Wiedersehen. Die heutige Etappe war lang und anstrengend gewesen und so bestelle ich erst einmal ein großes Radler. Schnell sind wir bei den vielen gemeinsamen Geschichten und vergessen dabei ein Gericht auszuwählen. Die Bedienung und auch die Wirtin kommen mehrmals zu uns an den Tisch. Zur Feier des Tages bestellen wir verschieden Wildgerichte. Zum Abschluss gibt es noch ein Eis und bei mir brennt eine Wunderkerze darauf. Extra für mich arrangiert. 

Die gemeinsamen, aber auch die getrennten Caminoabschnitte bieten unendliche Geschichten und so finden wir erst zu Mitternacht, die anderen Gäste sind längs verschwunden, ein Ende. Danke liebe Rita und Danke lieber Dani für die Einladung und diesen wunderbaren Abend.