188. Etappe: 04. November 2013

Romanshorn (Schweiz) – Konstanz  25,9 km
Friedrichshafen – Romanshorn mit Fähre

Nach dem gemeinsamen Frühstück mit Monika, Roland und Jonas fahre ich mit Monika nach Friedrichshafen. Sie arbeitet dort und ich will mit der Fähre rüber nach Romanshorn und dort die Schweiz besuchen. Dann auf Schweizer Seite am Bodensee entlang nach Konstanz laufen. Nach dem Parken bringt mich Monika zum Fährhafen und wir verabschieden uns. Es war eine schöne Zeit mit Monika und Roland.

Die Fähre fährt pünktlich 8:41 Uhr los. Während der gesamten Überfahrt habe ich einen grandiosen Blick auf die Schweizer Alpen. Im Hafen angekommen, geht es zunächst am Bahnhof vorbei und ein Stück durch den Ort. Dann habe ich die Nähe des Ufers erreicht. Jetzt trennt mich jedoch eine Reihe Häuser und edler Sommerresidenzen vom Ufer des Bodensees. Erst ab Uttwil beginnt ein für Radfahrer gesperrter Wanderweg. Nun laufe ich auf einem schmalen Weg vor den Bungalows und Häusern, meistens dicht am Ufer entlang.

Inzwischen habe ich wieder den Poncho halb an. Einige dunkle Wolken begleiten mich und am frühen Nachmittag begleitet mich dann auch wieder der Regen. In Kreuzlingen komme ich an große moderne Reihenhäuser vorbei. Bei einem der Häuser steht eine Bank und ich mache dort eine Pause. Ein kleiner Jagdhund nähert sich mir neugierig. Diesem blauen Ungetüm auf der Bank traut er nicht wirklich und bleibt so mit Abstand zu mir sitzen und beäugt mich weiter neugierig. Nach einer Weile kommt sein Herrchen angefahren. Der Fahrer und wie ich später erfahre, der Eigentümer des Hauses kommt interessiert zu mir. Wir unterhalten eine Weile und dann bietet er mir einen Kaffee an und ein natürliches Mittel zur Leistungssteigerung (=Nahrungsergänzungsmittel). Ich folge ihm in sein Haus. Wenig später kommt seine Frau oder Lebensgefährtin hinzu. Wir trinken zusammen einen Kaffee und wir essen dazu selbst gemachten Zopf. Schnell sind wir bei dem Produkt zur Leistungssteigerung. Stephan macht mit mir einen Test. Zunächst ohne Einnahme des leistungssteigernden Mittels und dann unmittelbar nach der Einnahme. Ganz offensichtlich wirkt es auf Anhieb und doch habe ich so meine Zweifel. Zum weiteren Testen schenkt er mir ein Fläschchen mit dem Wundermittel (?). Ich werde es in der nächsten Zeit testen.

Wieder unterwegs, hört es endlich zu regnen auf. Mein Weg führt mich weiter durch Kreuzlingen und dann durch Konstanz. Die Jugendherberge befindet sich außerhalb von Konstanz im Stadtteil Allmannsdorf. Zu ihr gehört der Otto-Moericke-Turm, ein ehemaliger Wasserturm. Hier bin ich in der ersten Etage in einem Mehrbettzimmer untergebracht. Als ich das Zimmer betrete, sind bereits zwei Betten belegt. Später kommen meine Zimmergenossen, ein Italiener und ein Deutscher im Allgäu in Österreich lebend, wie er mir später erzählt, hinzu. Mit dem Italiener kann ich mangels Sprachkenntnisse nicht kommunizieren und der Deutsche ist kein sonderlich kontaktfreudiger Zeitgenosse.

Nach dem Abendessen beginnt meine Suche nach einer Unterkunft und nun werde ich bei meinen Anrufen mehrfach ziemlich unhöflich und überheblich behandelt. „Für eine Nacht und eine Person vermieten wir nicht“ ist mehrfach die Auskunft. Nur in der Liste der Touristeninformation stand nicht, dass es sich um Ferienwohnungen handelte. Das aber wussten die Privatvermieter offensichtlich nicht. Ihre Einträge haben sie wohl nicht kontrolliert. Bei einem Garnihotel werde ich ziemlich unhöflich darauf hingewiesen, dass man bis Weihnachten geschlossen hat. Hätte ich es gewusst, ich hätte erst gar nicht angerufen. Ich ändere zunehmend meinen Zielort für die morgige Etappe. Schließlich finde ich in Radolfzell ein Gasthof mit Hotel. Doch hier gestaltet sich das Ganze wieder schwierig. Das Hotel ist von 12 bis 16 Uhr geschlossen. Bei meiner Nachfrage, ob ich trotzdem in dieser Zeit in mein Zimmer komme, will die junge Frau den „genauen“ Ankunftszeitpunkt wissen. „Das kann ich nicht genau sagen, ich bin Wanderer und keine Maschine“, gebe ich zur Antwort. Wir kommen zu keinem einvernehmlichen Ergebnis, immer wieder steht das „Genau“ zwischen uns. Ich soll morgen um 10 Uhr nochmals anrufen, ist schließlich das Ergebnis.

Gegen 22 Uhr mache ich als Letzter das Licht aus und werde morgen früh meine Route komplett umplanen müssen. Der Weg nach dem Jakobsweg fängt nicht vielversprechend an. 

187. Etappe: 03. November 2013

Weiler – Lindau (Bodensee)
Distanz: 26,8 km; Aufstiege: 523 m; Abstiege: 739 m

Um zeitig starten zu können, frühstücke ich bereits um 7 Uhr. Doch das Wetter spielt mir einen Streich, kaum im Zimmer angekommen, beginnt es heftig zu regnen. Nichts ist mit dem frühen Aufbrechen. Ich warte erst einmal ab. Gegen 8:30 Uhr, es regnet immer noch Bindfäden, rufe ich bei Monika und Roland, meine Pilgerbekanntschaft aus 2009, an. Wohl etwas zu früh, irgendwie hört sich die Stimme von Monika verschlafen an. Ich habe sie geweckt und sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Dass es Sonntagmorgen ist, habe ich völlig vergessen.

Der Regen hört nicht auf und doch muss ich los. Meine Lust zum Laufen ist auf dem absoluten Höhepunkt. Den ganzen Vormittag bin ich im Regen unterwegs. Öfters nutze ich Buswartehäuschen, um wenigstens ab und zu einmal im Trocknen zu sein. Mal nieselt es nur und mal regnet es Bindfäden. Vor Unterstaufen geht es nun kontinuierlich abwärts, der Bodensee naht. Teilweise laufe ich wieder einmal an der Straße ohne Radweg entlang. Viele Fahrzeuge sind dank Sonntag nicht unterwegs und das Duschen durch vorbeifahrende Fahrzeuge hält sich daher in Grenzen. Erst als ich den kleinen Ort Schachters erreiche, hört es endlich zu regnen auf. Doch die dunklen Regenwolken halten sich beharrlich am Himmel und so stapfe ich mit halb angezogenem Poncho weiter dahin.

Vor Weißenberg habe ich eine gute Sicht zu den österreichischen Alpen. Die schneebedeckten Gipfel ragen leuchtend gegenüber dem dunklen Nadelwald im Vordergrund und den fast schwarzen fetten Regenwolken darüber, hervor. Schon ein bizarres Schauspiel und so lenkt mich dieses Alpenpanorama einige Zeit ab. Nicht weit von Weißenberg entfernt, erreiche ich einen Hügel und habe einen traumhaften Blick auf den Bodensee und auf die Schweizer und österreichischen Alpen. Mitten auf dem Hügel thront die kleine Marienkapelle, erbaut 1870 von Prinz Luitpold von Bayern zum Gedenken an seine verstorbene Gemahlin.

Nun geht es weiter abwärts und in den Weinbergen vor Lindau mache ich auf einer Bank eine Verschnaufpause. Mit einem Paar neben mir komme ich schnell ins Gespräch. Die Frau fragt interessiert nach meiner Wanderschaft. Mit ihrem Schweizer Dialekt kann ich sie nur mit Mühen verstehen und muss einige Mal nachfragen. Doch das stört sie nicht und sie bleibt beharrlich in ihrem Dialekt. Sie hat kein Erbarmen mit dem armen Wanderer :-). Bevor wir uns trennen, machen sie noch ein Foto von mir mit dem Bodensee als Hintergrund.

Es dauert noch, bis ich Lindau erreiche und direkt am Ufer des Bodensees auf einer Bank sitzen kann. Der Duft von gebrannten Mandeln steigt mir von der naheliegenden Insel Lindau ständig in die Nase. Dort gibt es ein Fest, viele Menschen und Autos sind hier unterwegs. In beiden Richtungen wälzen sich die Blechlawinen langsam vorwärts. Sie stehen jedoch mehr, als das sie fahren. Damit Monika und Roland sich nicht in diese Blechlawinen einreihen müssen, suche ich abseits des Trubels einen geeigneten Treffpunkt. Das ist zunächst gar nicht so einfach, doch schließlich nach einigem Durchfragen nach einem Café, erreiche ich schließlich ein Hotel-Café und teile den beiden meine Adresse mit.

Genau zum richtigen Zeitpunkt habe ich meinen Kaffee getrunken, gezahlt und meinen Rucksack geschultert, als Monika und Roland suchend nach mir das Café betreten. Beide haben sich gar nicht verändert, genau so habe ich sie in Erinnerung behalten. Ich gehe ihnen entgegen und die Freude über das Wiedersehen ist groß. Wir machen noch einen kurzen Abstecher nach Österreich, dann geht es zu ihnen nach Hause nach Haslach. Ich bekomme das Zimmer des jüngeren Sohnes. Wieder habe ich ein schlechtes Gewissen. Ihr Sohn muss im Wohnzimmer schlafen.

Wir haben uns viel zu erzählen und selbstverständlich auch von unserer gemeinsamen Zeit in Frankreich auf dem Camino. Ich schaue mir die gut gemachten Fotobücher ihrer mehrjährigen Pilgereisen bis nach Santiago und Kap Finisterre an. Auch ich bin in einem der Fotobücher vertreten. Zwischendurch werde ich mit leckerem Kuchen und später mit einem tollen Essen mit einem guten Roten verwöhnt. Roland ist hier der Koch und er versteht sein Metier. Mir schmeckt es vorzüglich.

Wir haben uns auf dem Jakobsweg „Via Gebennensis“ in Frankreich in einer als Gite umgebauten ehemaligen Käserei kennengelernt. Dort war ich mit Rita und Dani, ein Schweizer Pilgerpaar bereits eingetroffen, als dann Monika und Roland und weitere Pilger hinzukamen. Wir saßen draußen bei Traumwetter zum abendlichen Pilgermenü. Alle haben sich auf Anhieb gut verstanden und es wurde ein wunderschöner Abend. Dabei kamen wir irgendwann auch auf Streichhölzer, die den „Duft“ auf dem WC bei Anzünden vertreiben können. Wer darauf kam, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls das allgemeine Pflaumenessen als Hintergrund war der Auslöser.

Rita, Dani und ich trafen als Erste in der Gite ein. Wir fanden im Aufenthaltsraum eine große Schüssel mit Pflaumen. Sofort vielen wir über diese Köstlichkeit her. So nach und nach trafen dann auch die Anderen (es war weitere sechs Pilger(innen) aus Deutschland und der Schweiz) ein. Auch sie naschten fleißig von den Pflaumen.

Der Schlafraum war im ersten Stock und dort waren auch die Toilette und die Dusche. Diese beiden Räume waren aus dünnen Holzwänden gefertigt und daher sehr hellhörig. Neben der Toilette ging eine Treppe hoch zu einer zusätzlichen Schlafebene. Wir legten abends ein Päckchen Streichhölzer auf eine der Treppenstufen neben der Toilettentür.

Morgens in der Frühe, alle schliefen noch – jedenfalls dachte ich das – trieben die Pflaumen ihr Unwesen in meinen Gedärmen und so blieb mir nichts anderes übrig, als zur Toilette zu gehen. Leider ging das nicht so geräuschlos vonstatten. Dann fielen mir die Streichhölzer, draußen neben der Toilettetür, ein. Ich öffnete die Tür einen Spalt und griff nach den Streichhölzern. Schlagartig brüllte der Saal vor Lachen. Diese Geschichte hat dann anschließend einer der Gruppe in Gedichtsform und mit Zeichnung in dem dort ausliegendem Pilgerbuch verewigt.

Wir hatten eine weitere lustige Geschichte in einem Matrazenlager mit Roland als Hauptakteur und mit Monika und mir als Beteiligte. Doch diese Geschichte bleibt im Kreis der neun Pilger.

186. Etappe: 02. November 2013

Weitnau – Weiler im Allgäu
Distanz: 24,5 km; Aufstiege: 412 m; Abstiege: 619 m

Beim Frühstück erzählt mir die Wirtin, dass es eine Alternativroute nach Weiler gibt. Sie selbst ist den Jakobsweg und auch die Alternativroute, der ursprüngliche Jakobsweg, bereits gelaufen. „Ich muss doch wissen, wie der Weg verläuft, wenn man mich fragt“, verrät sie mir.

Am Nachbartisch kommt ein Paar mit Rucksack hinzu. Ich frage sie, ob sie auch auf dem Jakobsweg unterwegs sind. Sie sind es, jedoch heute geht es zurück nach München. Wir unterhalten uns noch eine Weile. Nach dem Frühstück erklärt mir die Wirtin auf einer Wanderkarte den möglichen Weg und gibt mir auch noch eine Kurzbeschreibung mit. Im Anschluss daran arbeite ich im Zimmer diese Route noch aus. Dann verlasse ich den Gasthof und ein Muss ist die danebenstehende Kirche. Bei einem Telefonat hatte mich Erhard von Elfis Pilgerquartier auf diese Kirche aufmerksam gemacht.

Als ich den Innenraum betrete, bin ich beeindruckt von der farbenfrohen Ausmalung der Wände und Decken dieser neugotischen Kirche. Ein richtiges Kleinode zwischen den meist barocken Kirchen. Von der Kirche gehe ich durch den Ort und treffe bei der Bushaltestelle nochmals das Paar aus München. Am Ortsrand beobachte ich einen Mann beim Mähen mit der Sense. Als ich ihm andeute, ein Foto zu machen, schüttelt er den Kopf. Ich bitte nochmals freundlich und so kommt er zu mir und fragt mich neugierig aus. Ich gebe ihm bereitwillig Auskunft und schließlich darf ich ihn doch fotografieren.

Die Kurzbeschreibung der Wirtin ist gut, denn an einer Stelle, hier hatte ich falsch geplant, sehe ich nun den von ihr vorgeschlagenen Weg. Nun bin ich auf einem Wirtschaftsweg unterwegs, doch mit einigem Verkehr. Es sind aus beiden Richtungen Fahrzeuge, auch einige mit Anhänger, unterwegs. Ich stelle schnell den Grund fest. Hier führt eine Abzweigung zu einem Wertstoffplatz und heute ist geöffnet. Schon von Weitem sehe ich vier sportlich gekleidete junge Männer beim Hantieren ihrer Rollerski. Sie halten den Verkehr auf. Es staut sich bei ihnen. Ich sehe den Unwillen der zwangsweise wartenden und langsam fahrenden Autofahrer. Einen Moment stoppen, ist schon ein Problem für sie. Die jungen Männer lassen sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Als ich sie erreiche, kommen wir ins Gespräch. Als ich auf ihre Fragen nach dem Woher und Wohin antworte, sind sie ein bisschen beeindruckt. Einer der Vier meint: „Wir haben vermutet, sie sind quer durch Deutschland unterwegs.“ Natürlich bin ich auch neugierig, was sie machen. Ich erfahre dann, dass sie Hochleistungssportler im Skilanglauf sind und momentan für die Olympiaqualifikation trainieren. Ich bitte sie einmal fotografieren zu dürfen. Sie stellen sich bereitwillig für ein Foto auf. Ich sage noch zu ihnen: „Schließlich möchte ich sie wieder erkennen, wenn sie auf dem Siegerpodest bei Olympia stehen.“ Auf einen der Vier richten sich die Finger, er ist wohl ein Kandidat für ganz vorne mitzumischen.

Unterwegs ziehen dicke graue Regenwolken über mir vorbei und ich ziehe zur Vorsicht den Poncho halb an. Es geht durch Täler an Weiden und einzelnen Gehöften vorbei. Dann erreiche ich auf einer Anhöhe Unterried. Wenig später tauche ich in einen Wald ein, laufe zum Teil an einem Hang entlang und habe unter mir eine große Holzfabrik. Hier sehe ich ein Schild nach Eistobel, doch das Hinweisschild nach Ebratshofen, dort führt mich meine geplante Route, weist in die entgegengesetzte Richtung. Später als ich ein Altenheim passiere und über eine kleine Holzbrücke laufe, erkenne ich, dass ich nun nicht mehr der Beschreibung der Wirtin folge. Ihre Ortsangabe habe ich nicht lesen können, habe ein „Gi“ zu Beginn des Namens entziffert, doch es war ein „Ei“ und es sollte Eistobel heißen. Nun gut, jetzt laufe ich halt anders. An der Straße nach Ebratshofen gibt es einen Fuß- und Radweg und so stört mich der vorbeifahrende Verkehr nicht.

Im Ort mache ich in einem kleinen Tante-Emma-Laden mit Stehcafé eine Pause. Entgegen der Angabe kann man doch sitzen. Im Gespräch mit der Ladeninhaberin erfahre ich von einem Weg direkt nach Stiefenhofen. Später unterwegs finde ich auch diese Abzweigung und muss nun eine Zeit lang über die Hügel laufen. Von Stiefenhofen geht es weiter nach Simmerberg und dort bin ich wieder auf dem Jakobsweg. Doch ich folge nun meinem Smartphone-Navi und erreiche nach etwas mehr als zwei Kilometer Weiler im Dämmerlicht. 

185. Etappe: 01. November 2013

Kempten – Weitnau
Distanz: 21,3 km; Aufstiege: 432 m; Abstiege: 302 m

Meine heutige Route weicht komplett vom Jakobsweg ab. Der wäre bis Weitnau, mein heutiges Ziel, viel zu lang gewesen. Es ist kalt und trübe und ich starte daher bereits mit Mütze. Noch am Stadtrand von Kempten biege ich von der Straße in einen schmalen Pfad in den Wald ab und laufe an einem Bach entlang. Ein umgestürzter Baum versperrt mir den Weg, und als ich schließlich dieses Hindernis überwunden habe, stehe ich am Ende des Pfads. Nur steil hoch könnte ich weiter. Doch diese Richtung ist völlig falsch. Wieder einmal muss ich zurück. Nachdem ich wieder die Straße erreicht habe, erkenne ich meinen Fehler. Nicht die Karte ist falsch, sondern ich habe meine Route zu ungenau an der betroffenen Stelle geplant. Genau an dieser ungenauen Stelle gab es tatsächlich einen Pfad. Ich folge nun dem Wirtschaftsweg, er ist gleichzeitig der Allgäuer Radweg.

Mit einigem Abstand zur Staatsstraße laufe ich einige Zeit auf dem Radweg entlang. In Ahegg verlasse ich den Radweg und bin wieder auf einem einsamen Wirtschaftsweg mit herrlicher Fernsicht unterwegs. Dazu habe ich einige Steigungen zu überwinden und in Ortsmitte von Buchenberg sehe ich linker Hand ein Café. Mir ist nach einem warmen Getränk zumute. Nur habe ich mir das falsche Café ausgesucht. Hier scheint man als Wanderer nicht willkommen zu sein. Nichtbeachtung und ziemlich unfreundliche Behandlung veranlassen mich, nach einer Tasse heißer Schokolade schnell wieder das ungastliche Café zu verlassen. Eigentlich wollte ich noch einen Kaffee trinken.

Auf dem nun folgenden Weg werde ich dafür mit einem traumhaften Fernblick in die Allgäuer Alpen entschädigt. Und dieser Anblick bleibt mir noch längere Zeit erhalten. Bei Schwarzerd biege ich auf einen deichähnlichen Weg ab. Dieser führt mich in ein Waldgebiet mit renaturalisiertem Hochmoor. Dem Naturschutzgebiet Breitenmoos und Schönleitmoos. Dieses stille und einsame Waldgebiet, mir ist gerade einmal ein Radfahrer begegnet, wird nach etwa zwei Kilometern durch starke Verkehrsgeräusche gestört. Ich nähere mich der viel befahrenen Bundesstraße B12. Hier holt mich ein Radler ein und wir unterhalten uns für kurze Zeit. Der 63 jährige Radler macht immer wieder europaweite Radtouren und ist auch auf dem Jakobsweg nach Spanien unterwegs gewesen. Bei der Unterführung unter der B12 zeigt er mir noch den Abzweig nach Weitnau und radelt davon.

Mein Weg führt mit einigem Abstand an der B12 entlang. Zunächst habe ich auf der anderen Seite eine kleine Schlucht mit Bachlauf und einem schmalen Wald. Dahinter höre ich am Hang immer wieder das Geläut der Rinder, sehen kann ich sie aber nicht. Nur hin und wieder schimmern die grünen Weiden hindurch. Dann öffnet sich die Landschaft vor mir. Die Straße verschwindet aus meinem Blickfeld. Auf der anderen Seite habe ich ein traumhaftes Tal mit sanften Hügeln, Busch- und Baumgruppen, kleinen Wäldchen und vor allem große Flächen saftig grüner Weiden vor mir. Mittendrin immer wieder einzelne Gebäude, meistens Bauernhöfe und auch öfters grasende Rinder. Jetzt fehlt nur noch die Sonne mit blauem Himmel und diese einzigartige Landschaft des Allgäus wäre vollkommen.

Alles hat irgendwann ein Ende und so erreiche ich Weitnau und auf einem schmalen Pfad abzweigend von meiner Route gelange ich in den Ortskern. Vor mir dann groß und wuchtig der alte Gasthof, etwas erhöht auf einem kleinen Hügel stehend, meine heutige Unterkunft.

Mit meiner heutigen Route ist mir eine wunderschöne Etappe gelungen. Nicht alles war der Allgäuer Radweg und auf dem von mir abweichenden Bereich gab es das Alpenpanorama zum Greifen nahe. 

184. Etappe: 31. Oktober 2013

Görisried – Kempten (Allgäu)
Distanz: 21,9 km; Aufstiege: 334 m; Abstiege: 429 m

Als ich die Privatunterkunft verlasse, sind es gerade mal 3 Grad Außentemperatur. Es ist bewölkt und trocken. Zunächst laufe ich auf einem Wirtschaftsweg entlang an kleinen Wäldern und Weiden mit immer noch vielen grasenden Kühen. Das Geläut begleitet mich auf meinem Weg. Irgendwann bin ich in einem größeren Waldgebiet mit mehreren Steigungen bis auf über 900 Meter.

Im Wald stoße ich auf ein Kunstobjekt, eine aus Ästen hergestellte Halbkugel. Unglaublich perfekt rund. Viele Äste sind mit natürlichen Holzdübeln verbunden. Es folgen weitere Kunstobjekte, unter anderem auf eine Jakobsmuschel. Bei einem riesigen Findling mache ich auf einer Bank ohne Rückenlehne bei inzwischen scheinender Sonne ein Nickerchen. Ich lehne mich dabei zurück in den aufgeschnallten Rucksack und habe fast eine Liegestellung. Ich kann so recht angenehm Pausieren und durchaus auch schlafen. Nur wenn ich wieder aufstehen will, habe ich ein Problem. Dann fühle ich mich wie ein Käfer, der auf auf dem Rücken liegt und nicht mehr hochkommt. Wie gut kann ich jetzt zappelnde Käfer in Rückenlage verstehen J. Ich brauche ein paar Versuche und viel Anstrengung, um wieder in die Sitzstellung zu gelangen.

Am Ende des Waldes betrete ich eine riesige Weidefläche. Der Weg führt mittendurch. Hier hat sich die Sonne wieder verkrochen und nun ist es empfindlich kalt geworden. Ich hole meine Mütze und meine Handschuhe aus dem Rucksack. Auf einer Anhöhe endet diese Riesenweidefläche und ich erreiche einen kleinen Weiler. Auf der anderen Seite ist die Ferne fast vollständig in Nebel gehüllt. Von der Anhöhe laufe ich wieder runter durch einen kleinen Ort, unter einer Autobahn durch und erreiche schließlich Kempten. Meine Pilgerunterkunft liegt am anderen Ende und ich muss durch die ganze Stadt und zum Schluss auch noch eine längere Steigung überwinden.

Meine Unterkunft ist ein Jugend- und Familienhotel und bietet für Pilger Mehrbettzimmer zu deutlich günstigere Konditionen an. Ich bin in einem 4-Bett-Zimmer alleine untergebracht. Pilger sind Mangelware geworden.  

182. Etappe: 29. Oktober 2013

Lechbruck – Marktoberdorf
Distanz: 26,8 km; Aufstiege: 644 m; Abstiege: 579 m

Nachts werde ich durch starken Regen, der auf das Dachflächenfenster niederprasselt, wach und das schließlich nochmals gegen 4 Uhr. Der Tag beginnt deprimierend.

Als ich den Frühstücksraum betrete, fallen mir sofort wieder die vielen Kissen auf. Wie schon in meinem Zimmer, dort gibt es vier Kissen in meinem Bett, liegen hier überall Kissen. Meine Zimmerwirtin hat ganz offensichtlich ein Faible dafür. Als zusätzliche Sitzunterlage gibt es noch Lammfelle. Der Raum ist hell und geschmackvoll eingerichtet. Alles richtig gemütlich.

Meine Zimmervermieterin ist fast 80 Jahre alt, wie sie mir erzählt. Mich als Preuße scheint sie wie einen Ausländer einzustufen, denn nach fast jedem Satz kommt (ins Hochdeutsche übersetzt :-): „Haben sie mich verstanden?“ Beim Befüllen des Brotkorbes mit Brötchen sagt sie beiläufig: „Diese zwei Brötchen sind für sie:“ Ich antworte: „Nur zwei Brötchen? Ein Pilger hat großen Hunger.“ „Ich habe noch selbst gebackenen Zopf und Roggenbrot“, antwortet sie. Sofort ist sie hellwach und holt einen weiteren Brotkorb aus dem Schrank. Hier kommen meine beiden Brötchen rein. Die restlichen Brötchen bleiben in der Küche. Man weiß ja nicht, ob der Pilger doch mehr als die zwei Brötchen isst :-). Sicher ist sicher. Dann schneidet sie drei Scheiben von ihrem selbst gebackenen Zopf ab und betont: „Ihr Preußen sagt doch lecker? Wir sagen (ein Versuch es bayerisch klingen zu lassen :-)): „Is guuart“.“ Danach fragt sie mich, ob ich auch Spiegeleier mit Speck mag. Ich bejahe es und schon steht sie am Herd und bringt mir wenig später einen großen Teller mit Eier und Speck. Mit Blick auf den Brotkorb kommt von ihr mit vorwurfsvoller Stimme: „Sie haben ja noch nicht meinen Zopf probiert!“

Während des Essens fragt sie mich, ob ich nicht das Gästehaus kaufen möchte. Dann beklagt sie sich über einen Pilger. Dieser hatte es abgelehnt bei ihr ein Zimmer zu nehmen, da die WCs auf dem Flur sind. Hier beruhige ich sie und erkläre ihr, das war kein wirklicher Pilger, höchstenfalls „Edel- oder Luxuspilger. Als Pilger braucht man keine Sterneunterkunft. Herbergen in Spanien oder Frankreich haben die Duschen und WCs auf dem Flur. Diese besonderen Ansprüche gab es bereits bei einem „Promipilger“ 🙂 mit Buchveröffentlichung.

Meine Etappe beginne ich mit Poncho und leichtem Regen. Zur Vorsicht bleibe ich bis Bernbeuren auf der wenig befahrenen Kreisstraße. In Bernbeuren besuche ich die Kirche und finde dort in einem kleinen Kasten auch einen Pilgerstempel. Meine Vermieterin hatte so etwas nicht. Nach Bernbeuren führt der Camino durch die Feuersteinschlucht. Ich riskiere es und komme in eine problemlos zu laufende kleine Schlucht mit einem munter dahin plätschernden Bach. Zwar muss ich auch auf die nassen Blätter und Wurzeln achten, doch hier gibt es keine kritischen Stellen.

Nach Verlassen der Schlucht erreiche ich eine Kreisstraße und verlasse diese nicht mehr bis auf den Auerberg. Die Sicht in die weitläufige Landschaft und zu den Alpen ist hier sehr gut. Ich halte mich jedoch nicht lange auf und steige wieder ab. Jetzt geht es teilweise durch dichten Nadelwald, doch meistens am Waldrand entlang, immer wieder mit Blick auf die Alpen. Leider sind die Gipfel komplett in Wolken gehüllt. Bei einer Bank mit herrlichem Blick mache ich eine Pause. Hier gibt es eine sehr detaillierte Panoramansicht mit allen Namen der Bayerischen- und Allgäuer Alpen.

Danach durchlaufe ich Stötten und Burk. Schließlich nähere ich mich Bertoldshofen. Hier sehe ich einen jungen Bauern beim Werkeln an einem Elektrozaun. Neugierig frage ich ihn nach der Dauer einer Batterieladung für einen Elektrozaun. Sicher etwas unpräzise meine Frage und so dauert es eine Weile, bis er antwortet: „Kommt drauf an.“ Ich hake nach: “Hier bei diesem Zaun?“ Er wieder: „Kommt drauf an. Hängt von der Batterie ab.“ Ich: „Bei dieser Batterie.“ Er wieder mit Verzögerung: „Kommt drauf an.“ Nun gehe ich in die Offensive: „Eine Woche oder einen Monat?“ Er sichtlich genervt: „Von Frühjahr bis Herbst.“ Nicht ohne seinen Nachsatz zu vergessen: „Kommt aber drauf an.“ Mir reicht es, dem jungen Mann muss ich jedes Wort aus der Nase ziehen und so verabschiede ich mich von ihm. An seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, er ist froh den lästigen Frager loszuwerden. Ab Bertoldshofen folge ich meinem Smartphone-Navi und verlasse das Dorf auf einem Wirtschaftsweg Richtung Rieder. Bei der Abzweigung zur Bundesstraße rufe ich meinen Zimmervermieter an und frage nach Möglichkeiten zum Abendessen in der Kreisstadt. Er antwortet mir, dass er mich in den Ort fahren kann, ich aber auch bei ihm etwas essen könnte. Ich soll erst einmal ankommen, dann bereden wir das. Jetzt sind es noch etwa drei Kilometer.

Der Weg führt geradewegs auf die Bundesstraße zu und ich sehe regen Verkehr und schnelles Fahren. Hoffentlich gibt es dort einen Radweg. Als ich näherkomme, erkenne ich das entsprechende Hinweisschild und bin beruhigt. Etwa einen Kilometer laufe ich an der B472 entlang und biege dann auf einen schmalen Weg Richtung Marktoberdorf ab. Dieser mündet in eine Allee mit alten knorrigen und wuchtigen Linden. Kurz bevor ich das Ende der Allee erreiche, überhole ich einen Mann. Er fragt mich, ob ich ein Jakobspilger bin und ich bejahe es. Sofort folgt die Frage, ob ich zu Elfis Pilgerquartier gehe. Auch das bejahe ich und er bestätigt mir, hier auf dem richtigen Weg zu sein. Ergänzt dann noch: „Dort gibt es einen Pilgerstempel, sie brauchen nicht zur Kirche zu laufen.“ Ich bedanke mich für diese Information und eile weiter. Inzwischen ist es deutlich dunkler geworden. Am Parkplatz laufe ich ein kurzes Stück in falsche Richtung, merke aber schnell den Fehler. Schließlich erreiche ich das Haus mit dem Pilgerquartier.

Erhard empfängt mich und führt mich zur Herberge. Ich trete ein und bin schlagartig in der Welt spanischen Herbergen angekommen. Gleich am Eingang stehen Pilgerstöcke und auch an der Wand hängen drei Stöcke. Die Wände uneben verputzt und weiß gestrichen, klassisch wie in Spanien. Ich bin begeistert und beeindruckt. Sofort kommen Erinnerungen an meine Caminos in Spanien bei mir hoch. Zum Empfang erhalte ich erst einmal Saft und Wasser. Erhard überträgt Daten meines Pilgerausweises in seine Pilgerliste und wir unterhalten uns eine Weile. Dann führt er mich hoch zu den Zimmern. In meinem Zimmer stehen zwei Betten, doch später sehe ich, man kann noch jeweils ein Bett herausziehen. Es gibt einen Aufenthaltsraum mit Bibliothek, eine Selbstversorgerküche und ein großes Bad mit WC. Was es so angenehm macht, sind die vielen Kleinigkeiten. Hier haben Personen eingerichtet, die selbst schon viel unterwegs waren und die Bedürfnisse genau kennen. Alles ist geschmackvoll und gemütlich hergerichtet.

Der nächste Höhepunkt kommt, als ich zur vereinbarten Zeit nach unten gehe. Der Tisch ist bereits gedeckt und eine Flasche Rioja steht ebenfalls auf dem Tisch. Als Aperitif gibt es einen Portwein. Es folgen Rioja und ein viergängiges Pilgermenü. Der Abend klingt mit Gesprächen über die Caminos und von meiner Wanderschaft aus.  

181. Etappe: 28. Oktober 2013

Rottenbuch – Lechbruck
Distanz: 21,1 km; Aufstiege: 341 m; Abstiege: 418 m

Als ich mein Privatquartier im Klosterhof verlasse, ist der Himmel bewölkt und dicke Regenwolken verkünden ungemütliches Wetter. Ein Stück laufe ich auf der Straße, bevor ich dies in einem Dorf verlasse und auf einem Wirtschaftsweg unterwegs bin. Nun geht es ordentlich aufwärts und ich komme ins Schwitzen. Es ist recht warm, anders als vorhergesagt. Meine Zimmerwirtin meinte, es sind vielleicht noch die Reste des Föns vorhanden. Schnell verstaue ich unterwegs meine Jacke im Rucksack.

Von der Ferne sehe ich eine Kirche hoch auf dem Berg und darunter ein Dorf. Mit Blick auf die Alpen und dem Dorf mache ich meine erste größere Pause. Hier wechsel ich auch meine Oberbekleidung und ziehe wieder das T-Shirt an. Kaum zu glauben, aber die Sonne scheint sich nochmals gegen den nahenden Spätherbst aufzubäumen. Mich treffen herrlich warme Strahlen. Der Himmel ist fast bayerisch weißblau. Als ich Jürgen in Ostfriesland anrufe, kann er es kaum glauben. Bei ihnen tobt sich gerade ein Sturm aus.

Beschwingt von diesem traumhaften Herbsttag laufe ich dem Ort Wildsteig im romantischen Pfaffenwinkel entgegen. Durchschreite den Ort und klettere einen kurzen Anstieg zur Kirche hinauf. Was ich zunächst als Wieskirch vermutet hatte, entpuppt sich als Ortskirche, leider verschlossen. Die Wieskirche ist noch 4,4 Kilometer entfernt. Zwei Frauen begegnen mir suchend. Auf meine Frage, ob sie den Weg zur Wieskirche suchen, verneinen sie. Sie suchen verzweifelt nach einem WC. Ja diese Probleme sind mir bestens bekannt J.

Unterwegs erreiche ich den kleinen Weiler Holz und dort eine kleine Kapelle. Davor im Boden eingelassen die Jakobsmuschel mit der Entfernungsangabe nach Santiago. Wie zur Begrüßung des Jakobspilgers läutet sie.

Nach Holz erreiche ich eine weitläufige Ebene umgeben mit Wald und zwei junge Frauen kommen mir entgegen. Sie sind für vier Tage unterwegs. Leider habe ich den Namen ihres Pilgerweges vergessen. Beide wollen einmal eine mehrtägige Wanderschaft erfahren. Wir unterhalten uns auch über den Jakobsweg in Spanien. Dann verabschieden wir uns und gehen unserer Wege.

Es dauert noch, bis ich endlich in der Ferne die Wieskirche, inzwischen ein UNESCO-Weltkulturerbe, sehe. Vor mir biegt ein Paar auf meinen Weg ein. Mehrfach drehen sie sich nach mir um. Vielleicht auch ein Pilgerpaar. Schließlich bleiben sie stehen und ich erreiche sie. Die Frau erkenne ich zunächst nicht. Es ist eine der beiden Frauen, die mir in Wildsteig begegnet ist. Das Paar wartete auch nicht auf mich, sondern auf weitere Personen einer Wandergruppe. Sie sind auf einer selbst zusammengestellten Wandertour.

Als ich die Wieskirch erreiche, bin ich beeindruckt von ihrer Größe und so alleine mitten in der Landschaft. Ich hatte die Kirche nicht so groß in Erinnerung. Der Innenraum ist von beeindruckender Schönheit.

Auf dem weiteren Weg durchschreite ich ein beginnendes Hochmoorgebiet. Der Weg führt über Holzstegen. Schließlich erreiche ich Steingaden und nutze im Ort auch die „Romantische Straße“. Bei einem Dönerimbiss mache ich eine Essenspause und sehe, dass die Orte Garmisch Partenkirchen, Oberammergau und Füssen in greifbarer Nähe liegen.

Ab Steingaden verlasse ich meine Route und bleibe an der Straße bis nach Lechbruck. Nach dem Ortsschild überschreite ich den Lech und bin nun im Ostallgäu angekommen. Das Gästehaus ist schon von der Brücke aus sichtbar. Im Briefkasten, wie vereinbart, liegt jedoch nicht der Schlüssel. Gerade als ich telefonieren will, kommt mir eine ältere Frau aus dem Garten entgegen. Sie ist die Zimmerwirtin. Mein Zimmer liegt im zweiten Stock und ist ein gemütlicher Raum. Das Duschbad im im Zimmer ist hinter einem Vorhang versteckt.  

 

 

180. Etappe: 27. Oktober 2013

Hohenpeißenberg – Rottenbuch  16,0 km

Mein Frühstück, Brötchen, Wurst und Käse vom gestrigen Einkauf, nehme ich im Zimmer ein. Nur der Kaffee fehlt mir. Da in der Nacht die Zeitumstellung war, warte ich deutlich länger um meine heutige Übernachtung zu buchen. Und trotzdem hört sich die Stimme am Telefon ziemlich verschlafen an. Ich habe ein schlechtes Gewissen bei einer Privatunterkunft am Sonntagmorgen so früh anzurufen. Die Zimmervermieterin versichert mir aber, sie war schon auf.

Schon wenige Meter nach Verlassen des Gästehauses bei einer Schule stoppe ich und ziehe den Poncho halb an. Es ist zwar trocken, doch die dunklen Regenwolken verheißen nichts Gutes. Einzig das Fotografieren macht bei so einem Licht Spaß. Die Herbstfarben erstrahlen dabei so herrlich.

Für meine heutige Etappe wähle ich bei diesem Wetter nicht den Weg durch die Ammerschlucht, sondern eine von mir bereits geplante Alternativroute. Zunächst durchlaufe ich wieder Wiesen und Waldgebiet. Dann vor einem Bahnübergang zeigt mir mein Navi einen Weg an, der wohl nur selten gelaufen wird. Ich folge diesem Weg, doch bereits nach etwa 300 Metern geht es nicht mehr weiter. Also wieder zurück und über den Bahnübergang und weiter auf dem Wirtschaftsweg. Noch vor der Bundesstraße folge ich einem Weg, der als Radweg ausgewiesen ist. Auf meinem Navi aber wird er nicht dargestellt. Das ändert sich aber schon bald und ich bin wieder auf meiner geplanten Route. Der zunächst unbefestigte Weg geht über in einen asphaltierten Weg parallel zur Bundesstraße. Immer mit einigem Abstand, mal unterhalb und mal oberhalb der Straße führt dieser Weg entlang.

Dann bei einer Unterführung verlasse ich den Radweg und die Bundesstraße. Bereits jetzt habe ich den Kirchturm der ehemaligen Augustiner-Chorherren-Stiftskirche deutlich vor mir. Mit einem großen Bogen erreiche ich endlich das ehemalige Kloster von Rottenbuch und durchschreite den Torbogen. Nun bin ich im Klosterhof und vor mir die ehemalige Stiftskirche und heutige römisch-katholische Pfarrkirche Maria Geburt.

Meine heutige Privatunterkunft ist in einem Haus an diesem Klosterhof. Von der Vermieterin erfahre ich, dass der Pilgerstempel in der Kirche ausliegt und ich die Kirche wegen eines Konzertes nur jetzt noch besichtigen kann. Ich lasse meinen Rucksack im Zimmer zurück und eile zur Kirche. Hier finden gerade Chorproben statt, ich kann aber die Kirche noch besichtigen. Kaum habe ich die Kirche betreten, kann mich sofort wieder daran erinnern, hier war ich schon einmal.

Schon bei Betreten des Klosterhofes kamen Erinnerungen zurück. Zusammen mit Noriko und einem japanischen Gast waren wir hier gewesen. Damals war am Morgen das Kirchenportal noch verschlossen. Der vorbei kommende Pfarrer öffnete uns jedoch die Kirche und wir konnten sie besichtigen. Damals waren alle Bänke mit Folien abgedeckt und es gab hier Renovierungsarbeiten. Doch das prachtvolle Innere beeindruckte mich schon damals sehr. Selbst die damals auch besuchte Wieskirche empfand ich nicht als prachtvoller.

Nach der Besichtigung gehe ich zur nahe gelegenen Gaststätte und Pizzeria. Ich kann zwar noch eintreten, doch essen ist hier heute nicht mehr möglich. Es wird für eine geschlossene Gesellschaft gedeckt. Im nahe gelegenen Café bekomme ich dann doch noch eine Kleinigkeit. Nach mir kommt eine größere Pilgergruppe ins Café und setzt sich am großen Nebentisch. Mit ihnen kommt auch der Regen. Beiläufig höre ich von Pilgerinnen, dass der Weg durch die Schlucht sie wohl heftig ins Schwitzen gebracht hat. Es war der Angstschweiß, wie eine Pilgerin erzählt.  

179. Etappe: 26. Oktober 2013

Raisting – Hohenpeißenberg
Distanz: 21,7 km; Aufstiege: 507 m; Abstiege: 245 m

Der Morgen empfängt mich bereits mit blauem Himmel. Die Sonne ist schon da. Jedoch noch zu schwach und so trage ich zunächst meine Jacke. Ich habe wieder einen goldenen Oktobertag vor mir.

Der Ort ist schnell verlassen und ich schreite auf einem Wirtschaftsweg an Wiesen und Weiden vorbei. Der herbstliche Laubwald ist immer in meiner Nähe. Zeitweise erhasche ich auch schon einen freien Blick auf die Berge.

Nach einiger Zeit schaue ich einmal zur Kontrolle auf mein Navi und stelle fest, wieder einmal habe ich eine Abzweigung verpasst. Noch unschlüssig, ob ich zurückgehe oder diesem Weg weiter folgen soll, kommt mir ein Pilger entgegen. Die Jakobsmuschel hängt sichtbar um seinen Hals. Er ist mit einem Außengestellrucksack unterwegs. Erfreut endlich einen Pilger auf größerer Tour zu begegnen bin ich sofort im Gespräch mit ihm.

Er ist von Freiburg gestartet und nun auf dem Weg nach München unterwegs. Von ihm erfahre ich, dass ich weiter auf diesem Weg bleiben kann und Wessobrunn erreiche. Weiterhin gibt er mir einige Hinweise zum weiteren Pilgerweg. Der Weg über die Ammerschlucht ist schwierig zu gehen. Ein Ständiges hoch und runter. Die schmalen Holzstege ohne Geländer sind sehr glitschig und schwer jetzt zu gehen, erklärt er mir.

Er ist Deutscher, lebt aber schon über zwanzig Jahre in Helsinki. War bei der letzten Entlassungswelle bei Nokia auch betroffen und ist jetzt mit seinen 63 Jahre im Zwangsruhestand. Er fliegt zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, nach Deutschland und ist dann auf Wanderschaft oder Pilgerreise. Seine Frau gewährt ihm so um die 25 Tage am Stück, verrät er mir schmunzelnd. Im April war er im Raum Limburg/Lahn unterwegs gewesen. Wir hätten uns auch dort über den Weg laufen können.

Wir unterhalten uns noch eine Weile und ich mache auch ein Foto zur Erinnerung. Dann gehen wir wieder unsere Wege. Mein Weg zieht nach einiger Zeit an, jetzt geht es wieder hoch auf ca. 700 Meter. Unterwegs bei einem Bauwagen mache ich meine Mittagspause. Ein älteres Paar kommt Fahrrad schiebend die Straße hoch. Ich rufe dem älteren Mann lachend zu: „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt.“ Sofort bin ich mit ihm und wenig später auch mit seiner Frau in einer Unterhaltung. Beide wohnen in Weilheim und machen öfters längere Touren mit dem Rad. Ich schnalle meinen Rucksack auf und gehe mit ihnen weiter. Bei einer Senke verabschieden sie sich von mir und radeln davon. Doch das ist nur von kurzer Dauer, denn am nächsten Berge schieben sie wieder und ich hole sie wieder ein. Nun gehe ich jedoch mit meinem Tempo weiter und erreiche wenig später den Ort Wessobrunn. Gleich zu Beginn des Ortes besuche ich das Klostergelände und im Anschluss daran die „tausendjährig“ Tassilolinde. Ein beeindruckender Baum mit etwa 14 Meter Umfang.

Bei einem Gasthof, dort hatte ich gestern auch zur Übernachtung angefragt, mache ich im verwaisten Biergarten eine Pause. Bei Einschalten des Smartphones erreicht mich die Nachricht, dass meine ehemaligen Kollegen aus dem Rechenzentrum Krefeld gerade gemütlich in einer Kneipe beisammensitzen. Ich rufe Herbert an und wir plaudern bei laut gestelltem Handy eine Weile.

Der nun folgende Weg nach Hohenpeißenberg ist geprägt von einer grandiosen Sicht in die Alpen. Teilweise habe ich den Eindruck, einen fast 180-Grad-Blick auf die schroffen Berge zu haben. Der Hohe Peißenberg mit der auf dem Gipfel stehenden Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt ist auch immer sichtbar. Ob ich den Berg noch erklimme, weiß ich noch nicht, das werde ich kurzfristig entscheiden.

Als ich mich dem Ort Hohenpeißenberg nähere, steht mir nicht mehr der Sinn nach weiteren Höhenmetern, um dann danach wieder runter zu meiner Unterkunft zu laufen. Ich muss nicht alles gesehen haben, auch nicht die vermutlich noch bessere Sicht auf die Alpen. Ich rufe vereinbarungsgemäß meine Zimmervermieterin an und erkläre ihr, dass ich noch 2,5 Kilometer zu laufen habe. Sie antwortet: „Dann sind sie ja in 10 Minuten da.“ Nach unserem Gespräch wird mir klar, fliegen kann ich noch nicht und für die Strecke brauche ich mindestens 20 Minuten. Im Ort komme ich an einem Supermarkt vorbei und dort kaufe ich einige Lebensmittel und Getränke. Schon am Ausgang erreicht mich ihr Anruf und ich erkläre ihr, dass die zehn Minuten nicht einhaltbar sind.

Bepackt mit einer Plastiktüte eile ich dem Gästehaus entgegen. Inzwischen hat sie wohl erkannt, dieser Zeitansatz war unrealistisch. Sie holt mir sogar noch Brötchen und O-Saft vom Supermarkt. Von meinem Zimmer habe ich einen guten Blick auf die Berge.

 

 

 

 

178. Etappe: 25. Oktober 2013

Kloster Andechs – Raisting  16 km

Vom Frühstücksraum beobachte ich, wie die Krähen auf dem Dachfirst aufgereiht nebeneinander in Richtung zum glutroten Sonnenaufgang sitzen. Man könnte meinen, sie schauen sich in erster Reihe den Sonnenaufgang an. Kaum ist der glutrote Himmel verschwunden, sind auch die Krähen verschwunden.

Nachdem ich den Schlüssel an der Klosterpforte abgegeben habe, laufe ich noch etwas im Klostergelände herum. Es ist bereits ein herrlicher Morgen und ich habe bereits eine grandiose Sicht in die Ferne. Über einen Nebeneingang besuche ich anschließend noch die Klosterkirche.

Schon bald nach Verlassen des Klosters und dem angrenzenden Ort Erling bin ich im herbstlichen Buchenwald. Der wird immer wieder durch Wiesen unterbrochen und gibt mir dann den freien Blick auf eine wunderschöne weitläufige Landschaft und auf den Ammersee frei. Auch kann ich schon die Antennen der Erdfunkstelle Raisting sehen.

Ich fotografiere wieder einmal viel und so schließe zwei Frauen und ein Mann zu mir auf. Mein großer Rucksack erzeugt Aufmerksamkeit und so kommen wir schnell ins Gespräch. Ich laufe eine Weile mit ihnen und erfahre dabei, dass sie einen Wanderweg für Personen eines Altenheims erkunden. Von dem Mann erfahre ich dabei, dass sein Neffe in Frankfurt lebt und bereits auf mehreren Jakobswegen unterwegs war. Doch er das mit einem Rollstuhl bewältigt hat und auch zwei Bücher veröffentlich hat. Sofort ist mir klar, dass ich sein Buch über seine Pilgerreise auf der Via de la Plata gelesen habe. Ich bin selbst auf diesem Camino unterwegs gewesen und kann abschätzen, was für eine besondere Leistung er dabei vollbracht hat. Das Buch habe ich in meiner Liste der Buchtipps aufgeführt. Ich gebe dem Mann meine Karte, vielleicht kann ich diesen jungen Mann in Frankfurt einmal treffen. Ich würde mich darüber sehr freuen. Bei einer Gabelung trennen sich unsere Wege.

Wenig später erreiche ich eine kleine Kapelle. Dort sitzt ein älteres Paar und ich setzte mich zu ihnen. Unterhalb der Marienfigur ist in der Wand eine Tafel angebracht mit dem Hinweis: „Hier fand Moritz von Schwind seine Waldkapelle.“ Ich kenne diesen Maler nicht und erhalte gleich vom Paar ein paar Informationen. Ein bisschen höre ich den Vorwurf heraus, diesen Maler müsste ich eigentlich kennen.

Moritz Ludwig von Schwind (1804 – 1874) war ein österreichischer Maler und Zeichner.

Danach laufe ich zunächst weiter auf einem breiten Waldweg und im letzten Moment sehe ich ein kleines verwittertes Holzschild mit „nach Pähl“. Ich folge nun diesem Schild und laufe auf einem schmalen Pfad, nicht immer frei von Gestrüpp und Pflanzen, tiefer in den Wald hinein. Komme an einem Weiher vorbei und mache schließlich auf einer Bank, wieder mit herrlichem Blick auf die Ebene unter mir, eine Pause. Dieses Grün der Wiesen und Weiden durchzogen mit Büschen und Bäumen in herbstlichen Farben ist eine Augenweide. Jetzt erkenne ich auch deutlich die Antennen und meinen Zielort Raisting.

Nach Pähl führt mich der Weg kurze Zeit an der Straße entlang. Eigentlich müsste mein Weg die Straße verlassen, doch jetzt versperrt mir ein Elektrozaun den Durchgang. Also weiter auf der Straße und dabei überquere ich eine Kreuzung mit zwei viel befahrenen Straßen und erkenne glücklicherweise in einigem Abstand meine eigentliche Route wieder. Bloß weg von der Straße ohne Radweg und so laufe ich schließlich mit einigem Abstand zur Straße an einem Bach entlang. Nur einmal muss ich zur Straße und über eine Brücke, dann biege ich mit weitem Bogen wieder weg vom Verkehr. Schließlich erreiche ich Raisting und dort meine heutige Unterkunft.