91. Etappe: 19. Juli 2013

Rostock – Warnemünde – Graal-Müritz  14,3 km

Um 6 Uhr holt mich der Wecker einigermaßen ausgeruht aus dem Schlaf. Kurz danach setzte ich mich an den Bericht vom Pausentag in Rostock und der Bearbeitung der Bilder. Danach geht es an das Packen des Rucksacks und zum Bezahlen. Schließlich begebe ich mich doch wieder zu spät zur nahe gelegenen Straßenbahnhaltestelle. Es ist bewölkt, windig und etwas kühl. Dann geht es mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof und von dort wieder mit der S-Bahn nach Warnemünde. Gleich am Bahnhof von Warnemünde muss ich eine Unterführung durchqueren und bin bereits am Fährhafen. Doch was ich zunächst sehe, ist ein riesiges Kreuzfahrtschiff, die „AIDA bella“. Völlig unscheinbar nebendran liegt meine Fähre nach Hohe Düne, dem Ort auf der anderen Seite. Ich betrete gerade noch rechtzeitig die Fähre und schon starte sie. Es ist eine kurze Überfahrt und dann stehe ich am Startpunkt meiner heutigen Etappe.

Nach etwa 300 Metern versuche ich vom Radweg neben der Straße wegzukommen und laufe zum Strand. Doch leider gibt es hier keinen Weg längs des Strandes. Also zurück und weiter auf dem Radweg.

Am Ende des Ortes Hohe Düne beginnt ein Marinestützpunkt und der kommt mir riesig vor. Ich laufe endlos an einem Zaun, immer wieder mit etwa diesem Hinweis: „Militärisches Gelände. Betreten verboten. Vorsicht Schusswaffengebrauch“. Das Gelände erstreckt sich über fast zwei Kilometer. Danach beginnen wieder große Parkplätze für Badegäste, doch bei diesem Wetter sind nur wenige Plätze belegt. Bei einer Imbissbude mache ich meine Frühstückspause. Inzwischen hat der Wind heftig zugenommen. Der Müllbehälter neben der Bude wird vom Wind erfasst und einige Meter verschoben. Mir wird es ein bisschen mulmig bei dem Gedanken ans heutige Zelten.

Von der Imbissbude ist es dann nicht mehr weit und ich kann den Radweg endlich bei Markgrafenheide über einen Parkplatz verlassen. Mein Weg führt mich durch den Wald vorbei an einer Feriensiedlung und dann bin ich wieder am Strand. Das Meer ist sehr aufgewühlt vom Wind und Welle um Welle rollt schäumend zum Strand. Die Strandwache mit freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes hat bereits die rote Flagge gehisst. Das bedeutet, wie ich später erfahre: „Das Baden ist verboten“.

Von diesem Stützpunkt führt nun ein mit Platten ausgelegter Weg oberhalb des Strandes weiter in Richtung meines heutigen Zieles. Beim nächsten Stützpunkt spreche ich einen jungen Mann dort an.

Bei meiner Frage nach der roten Flagge erhalte ich die Auskunft: Badeverbot. Dann erklärt er mir die Gefährlichkeit und den Sinn des Verbotes. Wenn sich Badegäste nicht daran halten, hat er jedoch keine Handhabe das Baden zu verhindern. Er kennt das Meer seit seiner Kindheit. Durch die starken Wellen entsteht auf dem Meeresboden, auch im flachen Bereich, eine Sogwirkung und kann den Badenden von unten die Beine wegziehen. Ungeübte können ertrinken. Wenn noch bei diesem Sturz die Person gegen die seitlichen Absperrungen, die Buhnen, schlägt, ist es auch für geübte Schwimmer sehr gefährlich.

Er fragt mich nach dem Gerät – meinem GPS-Gerät – am Rucksack. Ich antworte ihm und so kommen wir weiter ins Gespräch. Er findet meine Wanderschaft „cool“. Ein bisschen freut es mich, auch bei jungen Leuten Anerkennung zu bekommen und deren Interesse zu wecken.

Er ist 18 Jahre alt und hat gerade sein Abi hinter sich. In Rostock möchte er Maschinenbau studieren. Hier arbeitet er gerne als Freiwilliger und ist stolz auf seine schöne Heimat. Ich kann das sehr gut verstehen.

Nur noch für kurze Zeit ist der Weg durch die Dünen mit Platten belegt, dann muss ich wieder durch losen Sand laufen. Die Landschaft links mit dem aufgewühlten Meer, mein Sandweg durchs wehende Gras und rechts das Sumpfgebiet, umgeben von Schilf, Gras und Büschen ist einfach wunderschön. Nach und nach wird mein Weg schmaler und umwuchert von kleinen Büschen mit silbergrün schimmernden Blättern oder auch von Sanddornbüschen.

Nur noch vereinzelte Badegäste laufen am Strand entlang. Dann bin ich alleine in dieser fantastischen Landschaft. Überall zwischen den Sträuchern stehen kleine blaue Blumen, häufig darauf auch gelbe oder gelb gemusterte Schmetterlinge. Leider bewegt der Wind immer wieder die Blumen und nur wenige Bilder gelingen mir. Dann plötzlich vor mir auf dem Boden ganz einsam und verloren eine wunderschöne kleine violettfarbige Blume. Sie ist sehr klein und hat sich ein bisschen versteckt zwischen dem Gras. Nur diese eine Blume entdecke ich, weitere haben sich meinem Blick entzogen. Ich bin froh, ein Foto von ihr gemacht zu haben. Dann wieder nur einige Meter weiter mehrere kleine Büschel mit goldgelben Halmen und den sternförmig ausgebildeten, ebenfalls goldgelben Halmköpfen. Ich bin begeistert von diesen Entdeckungen.

Meine Bitte an Euch/an Sie, wenn ihr/sie diese Blumen und Pflanzen kennen, ich würde mich über den Namen dieser Blumen und Pflanzen freuen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, ich habe nur sehr geringe Kenntnisse von all den schönen Pflanzen und Blumen.

Voll von diesen schönen und intensiven Eindrücken mache ich etwas versteckt im Gras und zwischen Büschen eine ausgedehnte Pause. Dieser schöne Platz ist ziemlich windgeschützt und nur das Rauschen des Meeres dringt an mein Ohr.

Nach meiner langen Pause laufe ich mal auf einem schmalen Dünengrad und mal auf einem breiten Streifen entlang des Strandes. Es wäre wundervoll, würde mein weiterer Weg an der Ostsee noch lange durch so eine traumhafte Landschaft verlaufen. Schon von Weitem erkenne ich den abgestorbenen und rindefreien Baum und dahinter einen Wald. Leider endet damit dieser Dünenabschnitt. Ein bisschen enttäuscht bin ich, weg von diesem Weg in den Wald abzubiegen.

Doch schon der Eintritt in den Wald verspricht viel. Zunächst durchlaufe ich einen Mischwald, doch bald überwiegen die Birken am Wege. Fasziniert beobachte ich das Lichterspiel durch Sonnenstrahlen erleuchtete, hellgrün erscheinende Farnblätter. Hier habe ich wieder auf dem federnden Waldboden meine Nordic Walkingstöcke im Einsatz. Ich bin total abgelenkt von diesen Eindrücken, dann plötzlich auf dem Weg ein roter Farbtupfer, so gar nicht hierhin gehörend: „Ein roter BH“ und wenig später der passende Slip dazu. Strandgut, wenn auch ein wenig vom Strand entfernt. Nach und nach wird der Wald wieder lichter und ich wechsele wieder von der Steilküste runter zum Strand.

Die Wellen mit ihren schäumenden Wellenkronen wälzen sich heftig zum Strand. Das Laufen im Sand ist wieder beschwerlich, doch der Blick zum Meer mit den ständig anrollenden Wellen, der Strand und die vor mir liegende Steilküste wiegen die Anstrengung auf. Nach und nach tummeln sich mehr Badegäste am Strand. Öfters muss ich im Bau befindliche Sandburgen umgehen. Dann bin ich auf der Höhe des Campingplatzes.

Direkt nach dem Strand stehen die ersten Zelte und belegt jungen Leute. Hier ist mächtig Stimmung, laute Musik ertönt und ein Stimmengewirr empfängt mich. Hoffentlich lande ich nicht hier mit meinem zugewiesenen Stellplatz. Mehrfach muss ich mich durchfragen, bis ich in der Nähe der Rezeption bin. Dann bei den sanitären Anlagen ertönt plötzlich ein Schrei. Markus, Silke, Malte und Hanne, die Familie aus Hamburg ist ebenfalls hier. Zusätzlich dabei ist Ulrike, auch aus Hamburg. Sie hat mich unterwegs schon gesehen und ist alleine mit dem Rad bis nach Usedom unterwegs. Nach der freudigen Begrüßung und der Hinweis, wo ich mein Zelt aufstellen kann, ziehe ich weiter zur Rezeption.

Zeltaufbau und einräumen flutscht jetzt. Danach kaufe ich kurz ein und dann suche ich nach einem Arbeitsplatz mit Steckdose. Ich werde bei einer Eisdiele in der Nähe schnell fündig. Hier verbringe ich dann einige Zeit mit den Vorbereitungen für meinen Weblog. Was ich jedoch vergesse, ist das Notebook an die Steckdose anzuschließen. Auch die leeren Akkus für das GPS-Gerät liegen ungeladen im Rucksack, und ebenfalls vergesse ich das Smartphone aufzuladen. Kurz bevor es dunkel wird, meldet sich mein Notebook mit Akkualarm. Schluss für heute!

Zurück im Halbdunkeln durch den Zeltplatz, es ist ein Slalom zwischen den Zelten hindurch. Überall Spannschnüre im Weg und diese immer wieder übersteigend, erreiche ich das markant gelbfarbige Zelt von Markus und Silke. Mein winziges Zelt steht dahinter. Von Markus werde ich zu einem Glas, heute ein Becher, Rotwein eingeladen. Wir lassen den schönen Tag erst gegen 0:30 Uhr ausklingen. 

Pausentag in Rostock

Rostock: 18. Juli 2013

Wie gewohnt bin ich recht früh wach. Mein Hotel liegt ideal als Ausgangspunkt für eine Altstadtbesichtigung. Da ich diesmal ohne Frühstück gebucht habe, suche ich mir zunächst eine Bäckerei in der Nähe. Dann mache ich mich auf zur Touristeninformation. Doch hier stehe ich gegen 9 Uhr vor verschlossenen Türen. Also weiter mit meinem Plan vom Hotel. Zunächst laufe ich in Richtung Hafen und komme dabei an einem Komplex mit Wohnblöcken vorbei. Sie passen irgendwie ins Stadtbild, sind aber deutlich jünger. Die Fronten sind teilweise verklinkt. Mir gefallen sie zumindest von außen. Ich komme an einer Kneipe mit kleinem Außenbereich vorbei. Hier wird Kölsch angeboten.

Ein Mann sitzt beim Lesen seiner Zeitung dort. Ich spreche ihn an und er lädt mich zu sich ein. Es ist der Besitzer der Gaststätte und diese öffnet erst um 17 Uhr. Auf Kosten des Hauses holt er mir ein Kölsch und wir kommen ins Gespräch.

Er holt alte Bilder und zeigt mir den Zustand der Straße zu DDR-Zeiten und dann später. Meine großen Wohnblocks stammen aus DDR-Zeiten und waren damals ein Prestigeobjekt der Regierung. Er bemängelt die jetzt entstehenden hohen Gebäude, so gar nicht passend zum Straßenbild.

Dann erzählt er mir, dass er früher Seemann war und viel rumgekommen ist. Auch bemängelt er, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, weniger als Harz IV bekommen. Bei ihm seien es zurzeit 500 € Rente. Trotzdem macht er auf mich einen optimistischen Eindruck.

Danach durchstreife ich bis zum frühen Nachmittag die Altstadt bei Traumwetter. Zurück im Hotel lege ich wieder einen Waschtag ein und hänge die Wäsche quer durchs Zimmer. Anschließend gehe ich ins unmittelbar neben meinem Eingang befindliche Restaurant. Ich setzte mich in den Innenbereich. Ein Deckenlüfter sorgt für einigermaßen kühle Luft. Draußen ist Hochbetrieb und innen kommen nur die Personen, um zum WC zu gehen. Ich habe hier meine Ruhe, eine Steckdose und kann Mails beantworten und arbeiten. Zwischendurch esse ich am Eisstand ein DDR-Softeis. Liegt jetzt hier total im Trend. Nebenan haben junge Leute eine Eisdiele, ebenfalls mit DDR-Softeis eröffnet. Sitz- und Tischmöbel sind mit alten Palletten und Kolakästen (Kola wohl auch eine DDR-Marke) hergestellt. Das Geschäft mit dem Softeis brummt heute. Überall lange Schlangen.  

90. Etappe: 17. Juli 2013

Kühlungsborn – Warnemünde – Rostock  32,7 km

Die Möwen mit ihrem Geschrei wecken mich bereits um 4:30 Uhr. Zur Verstärkung unterstützen die Krähen das Konzert. Da ich alles zum Frühstücken im Zelt habe, frühstücke ich bereits gegen 5 Uhr. Danach auf dem Weg zum Sanitärgebäude begegnen mir nur ein paar verschlafene Gestalten. Bei meiner Rückkehr ist der ältere Mann vom Einmann-Zelt vor mir auch auf und fängt das Gespräch mit mir an. Einige Zeit geht das gut, bis dann aus einem anderen Zelt der Ruf nach Ruhe erschallt. Für mich gut, denn so verquatsche ich mich nicht und kann mit dem Packen und Zeltabbau weitermachen.

Kurz nach 8 Uhr bin ich bei der Rezeption zum Zahlen und meinen Personalausweis abzuholen. Dann geht es los. Doch schon nach ein paar Hundert Metern fehlt mir etwas! Meine Stöcke habe ich in der Rezeption stehen lassen. Also schnell zurück, bevor die Stöcke Beine kriegen.

Schnell erreiche ich die Strandpromenade. Gleich am Anfang ein großes Fachwerkgebäude. Es wird gerade renoviert. Dann folgen weitere Prachtbauten, bevor ich Kühlungsborn verlasse. Vor mir eine Walkerin mit strammem Schritt. Sie einzuholen erwacht plötzlich in mir. Leider so leicht ist das nicht. Ich muss mich heftig ins Zeug legen und der Schweiß bei diesem warmen Morgen fließt bei mir in Strömen. Ich komme ihr immer näher, doch dann merke ich, wie sie schneller wird. Jetzt wird es spannend, kann ich sie noch einholen? Bis auf etwa 2 Meter bin ich schließlich dran, doch näherkomme ich nicht. Jetzt hilft nur noch Ablenkung und ich spreche sie an. Es funktioniert und so laufen wir schließlich nebeneinander. Für die spaziergehenden Badegäste sicher ein ungewöhnliches Paar, Frau in Sportkleidung und daneben Wanderer im sportlichen Tempo.

Meiner GPS-Auswertung ergab später für diese sportliche Einlage eine Geschwindigkeit von 7 km/h!

Während unseres gemeinsamen Laufens erzählt mir die junge Frau, dass sie morgens die Zeit nutzt, während ihre Familie noch schläft. Sie ist mit ihrer Familie hier in Urlaub und kommt aus Büdingen, in der Nähe von Frankfurt am Main. Nach etwa zwei Kilometern trennen sich unsere Wege. Ich bin total durchgeschwitzt und lege nun eine kleine Verschnaufpause ein. Trotzdem hat diese Anstrengung gut getan.

Einige Kilometer weiter, mein Weg führt oberhalb des Strandes entlang, mache ich bei einer Bank eine erste Pause. Aus dem Sanitärgebäude für Badegäste kommt ein junger Mann mit Zahnbürste und Zahnpasta und geht an mir vorbei in Richtung Strand. Wir begrüßen uns kurz und dann ist er auch schon vorbei. Doch dann kommt er zurück und spricht mich an. Wieder das Wohin und das Woher. Er ist ziemlich beeindruckt von meinem Projekt. Dann erzählt er von sich.

Er ist 21 Jahre alt und stammt aus einem kleinen Dorf. Jetzt lebt er in einer Wohngemeinschaft in Leipzig. Nach dem Abi hat er sich ein Jahr Auszeit genommen. Er ist der Erste, der von dem Dorf fortgegangen ist, und stieß dafür auf einiges Unverständnis. Seine Mutter hat sich inzwischen damit abgefunden, seinen Vater hat er schon lange nicht mehr gesehen.

 Er arbeitet bei einer Firma auf 400 EURO-Basis. Der Job ist sehr flexibel, er muss nicht immer da sein. Sein Zimmer kostet 200 € und bald zieht noch jemand in sein Zimmer, dann teilen sie sich die Zimmermiete. Nur wenn das Geld knapp wird, arbeitet er. Sein Freund stammt aus Argentinien und ist Jongleur und er begleitet ihn mit Musik. Er will sich für das nächste Jahr um einen Studienplatz bemühen. Sein Interesse gilt dem Studienfach „Kreatives Schreiben“.

Die Reise nach Kühlungsborn war spontan. Eigentlich wollten sie nur an die Ostsee, dass sie jetzt hier sind, ergab sich durch Zufall. Eine Frau hat sie mitgenommen. Sie war auf dem Weg zu ihrer Mutter nach Kühlungsborn. Beide schlafen am Strand. Das Sanitärgebäude ist ideal für sie. Jetzt macht er sich Gedanken, wie sie wieder zurück nach Leipzig kommen. Sie müssen zu einer Autobahnauffahrt in der Nähe, um wieder nach Leipzig zu kommen. Irgendwie klappt das, er ist optimistisch.

Weiter geht es auf dem E9, inzwischen sehe ich auch das Markierungszeichen „Weißes Quadrat mit blauem waagerechten Balken“. Der Weg führt hinter dem Strand entlang. Immer wieder habe ich Blick auf das Meer. Inzwischen bewege ich mich auf einer Steilküste und dann taucht vor mir ein Buchenwald auf. Wieder genieße ich den Weg, das Rauschen der Ostsee im Ohr, der lichtdurchflutete Buchenwald vor mir und um mich herum und dann der herrlich Waldboden.

Kurz vor Heiligendamm steige ich ein Pfad runter zu Strand und laufe durch den Sand in Richtung Heiligendamm. Viele große rundgeschliffene Steine markieren hier den Weg. Dann habe ich den Blick auf das Seebad Heiligendamm, ich bin gespannt auf das Hotel. Am Ort angekommen steige ich wieder hoch zur Strandpromenade. Und sofort habe ich den pompösen weißen Hotelkomplex des 5-Sterne-Grandhotels vor mir.

Heiligendamm gehört zu Bad Doberan und liegt in der Mecklenburger Bucht. Es ist das älteste Seebad Deutschlands und Kontinentaleuropas. Die Gründung erfolgte bereits 1793 und der Ort wird wegen seiner weißen Häuserfront am Strand auch die „Weiße Stadt am Meer“ genannt. Im Juni 2007 fand hier der G8-Gipfel statt. Seither erlangte Heiligendamm internationale Bekanntheit. Auch ich hörte und sah erstmals etwas von diesem Seebad.

Nach dem Hotelkomplex noch ein renoviertes Gebäude mit Eigentumswohnungen. Doch danach hört die weiße Pracht auf. Jetzt stehen hier heruntergekommene Prachtbauten, die schon schönere Zeiten erlebt haben.

Am Ende des Ortes ein kleines Gebäude des DRLG und am Geländer gelehnt eine junge Frau mit Sonnenbrille. Sie ist eingehüllt in einer dicken roten Jacke und hat die Kapuze auf. Wieder ein wundervoller Farbklecks. Ich frage sie, ob ich ein Foto machen darf. Zunächst kommt ein „Nein“ und nach einem nochmaligen Bitten darf ich dann doch.

 Jetzt habe ich auf meinem Weg oberhalb des Strandes freien Blick zum Meer. Es ist wie im Bilderbuch: Sonne, blauer Himmel, türkisblaues Meer, fast weißer Sand und ein bisschen Schilfgras. Wieder Zeit zum Genießen und nach einiger Zeit mache ich meine heutige erste Strandpause. Zeltunterlage ausgebreitet, Schuhe und Strümpfe aus und hingelegt. Das immerwährende Rauschen lässt mich einschlafen. Nach etwa 20 Minuten werde ich wieder wach und habe eigentlich keine Lust weiterzulaufen. Es ist viel zu schön hier, ich fange, an dieses Ostsee zu lieben.

Schon von Weitem sehe ich einen alten Wachturm, vermutlich aus DDR-Zeiten. Jetzt umgeben mich hauptsächlich Sanddornsträucher. Und dann vor mir der Gespensterwald von Nienhagen. Eine gespannte Freude stellt sich bei mir ein. Schon bei meinen Vorbereitungen bin ich auf herrliche Fotos von diesem Wald und der Steilküste gestoßen. Dann betrete ich den Wald und vor mir die vielen dünnen lichtdurchfluteten Buchen. Es macht Spaß in diesem Wald unterwegs zu sein. Ein Abstieg zum Strand nutze ich und nun habe ich die Steilküste mit dem Gespensterwald vor mir. Zunächst sind nur wenige Badegäste hier und je näher ich dem Ort Nienhagen komme, um so mehr begegnen mir. Dann überall Strandkörbe und ich steige wieder hoch zu Strandpromenade. Im Ortskern lade ich auf einer schattig gelegenen Bank meine nächste Route auf das GPS-Gerät. Ich hatte es vergessen und hier endete die bisherige Route. Danach esse ich zum ersten Mal Sanddorneis. Die Eisverkäuferin erzählt mir stolz, das sie den Sanddorn im Herbst hier in der Gegend von den vielen Büschen und Bäumen erntet. Das Eis stellt sie aus Sanddornmark her. Es schmeckt mir so gut, dass ich mich nochmals anstelle und Nachschlag hole. Kostenlos erhalte ich noch ein Bällchen mit Waldfruchteis dazu.

Auf dem weiteren Weg sehe ich teilweise die Ostsee nicht mehr, es geht an dichtem Buschwerk und Bäumen vorbei. Und auf der anderen Seite häufig jetzt an Maisfeldern. Kurz vor Warnemünde laufe ich dann auf einem asphaltierten Weg. Im Ort geht es dann zunächst an der Uferpromenade weiter. Rechts reihen sich Hotels und Pensionen aneinander. Ich verlasse die Promenade und laufen quer durch den Ort zum Hafen und zum Bahnhof. Schon wenige Minuten nach meiner Ankunft sitze ich in der S-Bahn nach Rostock.

Nach Ankunft im Hauptbahnhof von Rostock muss ich noch etwa 2 Kilometer bis zum Hotel laufen. Diese Hotel liegt in der Altstadt. Mein Zimmer erreiche ich über einen Hof mit Restaurants, Geschäften und Eisstand.  

89. Etappe: 16. Juli 2013

Rerik – Kühlungsborn  11,2 km

Die Nacht war wieder unruhig. Diesmal waren meine Heringe des Zeltes gefordert. Der Wind von der Nacht zuvor war im Vergleich zum Wind heute Nacht ein Lüftchen. Das Außenzelt flatterte heftig im Wind und erzeugte knisternde Geräusche. Ich war ziemlich nervös, ob mir die dünnen Heringe vom Wind herausgezogen würden. Daher packte ich zur Sicherheit wieder alles in den Rucksack. Dazu kam, dass hinter mir und vielleicht 20 Meter seitlich von mir Straßen außerhalb des Platzes vorbei führten. Die Fahrgeräusche und das Licht sorgten mehrfach dazu, dass ich wach wurde. Die Jugendlichen auf dieser Wiese verhielten sich völlig normal und störten überhaupt nicht.

Um 7 Uhr stehe ich auf. Der Wind ist fast verschwunden und die Wolken über mir verheißen nichts Gutes. Doch ich habe inzwischen gelernt, am Meer ändert sich das Wetter schnell.

Meine Zeltnachbarn, die nette Familie aus Hamburg, fährt ebenfalls heute wieder mit dem Rad weiter. Die Tochter mit 5 Jahren und der Sohn mit 9 Jahren schaffen 30 Kilometer am Tag. Ich bin davon sehr überrascht, so eine lange Distanz habe ich nicht erwartet. Unsere Gespräche bringen mich auf die Idee, vielleicht im nächsten Jahr mit meinen Enkeln, dann 8 und 10 Jahre alt, auch eine Radtour mit Übernachtung auf Zeltplätzen zu machen. Deren Interesse natürlich und die Erlaubnis der Eltern vorausgesetzt.

Wir sind fast zur gleichen Zeit mit dem Abbau des Zeltes und dem Verpacken fertig. Dann verabschieden wir uns, um uns bei den Sanitäranlagen und wenig später an der Rezeption erneut zu treffen. Markus macht dann noch ein Filmchen und Fotos von mir. Dann starte ich vor ihnen um schließlich doch wieder ein- und überholt zu werden.

Es sind inzwischen viele Radler unterwegs. Es wird zusehens wärmer, aber der bewölkte Himmel bleibt noch. Vom Radweg habe ich meisten freien Blick zur Ostsee. Dann der erste Farbtupfer, eine junge Frau mit rotem Pullover im goldgelben Getreidefeld. Wenig später eine Distel, die einsam die etwa ein Meter hohen Rapspflanzen deutlich überragt. Am Wegesrand teilweise ein eingezäunter Streifen mit Wildblumen und –pflanzen. Dahinter dann das Getreidefeld. Das leuchtende Gelb überwiegt inzwischen in der Landschaft. Dazu grüne Buschreihen oder Bäume. Ich bin fasziniert von dieser Landschaft.

Die erste Abzweigung zum Meer verpasse ich und biege dann bei der Zweiten ab. Kurz vor dem Strand sehe ich zum ersten Mal eine Markierung des Europäischen Fernwanderweg E9. Dann bin ich wieder am Strand. Die Ostsee ist noch etwas aufgewühlt, wie ich sie schon einmal bei meiner Strandwanderung erlebt habe. Diesmal laufe ich jedoch nicht durch den Sand, sondern nehme den Radweg oberhalb des Strandes. Mich trennen nur Büsche und Wildpflanzen vom Strand und immer wieder gibt es schmale Durchgänge. Dann der nächste Farbtupfer, ein kleines Mädchen, in magentafarbener Jacke, auf den Schultern des Vaters am Strand.

Selbst als ich Kühlungsborn erreiche, dauert es noch einige Zeit, bis ich den Campingpark erreiche und weitere Zeit, bis ich endlich an der Rezeption angekommen bin. In dem riesigen Campingpark werde ich zur Wiese meines Stellplatzes gefahren. Ich verliere für Momente die Orientierung. Einen Plan habe ich nicht erhalten. Dort suche ich mir auf dem unebenen Gelände meinen Platz. Gut, das ich früh da bin. Schon kurze Zeit später kommen weitere Personen und müssen mit den Restplätzen, die mir zu uneben und steinig waren, vorlieb nehmen. Das Zelt ist inzwischen schnell aufgebaut. Routine schleicht sich ein und jeder Handgriff sitzt jetzt. Der Boden ist verdammt hart und ich quäle mich, um die Heringe in den Boden zu drücken. Den Hammer dazu habe ich aus Gewichtsgründen eingespart. Danach Rucksack rein und dort erst werden Luftmatratze und Schlafsack rausgeräumt. So kann nichts im Gras liegen bleiben.Das Aufblasen der Luftmatratze mit dem Mund erfordert schon einige Anstrengungen, doch die Pumpe musste ebenfalls aus Gewichtsgründen eingespart werden. Dann ein Foto vom Zelt und diesmal auch ein Foto mit Blick in meine Zeltsuite geschossen. Wie man sieht, sehr gemütlich und geräumig!?

Danach geht es zum in der Nähe befindlichen Supermarkt und das Abendessen und Frühstück eingekauft. Schnell finde ich mich zurecht, mein Zelt steht nicht weit vom Eingang und vom Supermarkt entfernt. Nun sitze ich draußen beim Bistro und nutze dort die einzige Steckdose zum Schreiben und Geräte aufladen.

Morgen werde ich Warnemünde ansteuern und von dort mit dem Bus nach Rostock fahren. Dort lege ich einen Pausentag ein, um den historischen Stadtkern und die Backsteingotik aus der Zeit der Hanse zu besichtigen.  

88. Etappe: 15. Juli 2013

Pepelow – Rerik  14 km

Die Nacht war unruhig. Ziemlich verschlafen weckt mich mein Smartphone. Erst war es der starke Wind und das heftige Rascheln über mir, dann riss mich irgendein Tier mit seinen lauten Rufen aus dem Schlaf. Alles geht heute Morgen langsam. Erst der Einkauf im Campingladen, dann Frühstücken im Zelt und schließlich Packen. Es dauert und meine Zeltnachbarn fragen mich auch nach dem Tier. Auch sie sind davon wach geworden. Es bisschen verquatsche ich mich und starte erst um 10:30 Uhr. Ein leichter Wind weht noch, aber die Sonne zeigt sich wieder und zwischen den Wolken ist der blaue Himmel sichtbar. Unterwegs ändere ich mein heutiges Etappenziel und entschließe mich für einen kurzen Trip nur bis nach Rerik.

Kaum das ich Pepelow verlassen habe, führt mich meine Route für einige Zeit auf einen Feldweg. Es folgt wieder eine Kreisstraße und in Roggow komme ich bei einer Pause mit einer Frau ins Gespräch. Sie ist mit ihrem Sohn hier in Urlaub. Sie möchte gerne auf dem Jakobsweg pilgern. Wieder kurz vor Rerik komme ich mit einem älteren Mann ins Gespräch, ich schätze ihn auf über 80 Jahre. „Schon zu DDR-Zeiten ist er geradelt“, erklärt er mir und das hat er bis heute beibehalten.

Von dieser Schutzhütte aus biege ich in den Wald ab und sehe zum ersten Mal ein Hinweisschild des Europäischen Fernwanderweg E9. Nach einem kurzen Stück Wald erreiche ich das Ufer der Ostsee wieder. Mich trennt hier nur das Schilf vom Wasser und dieser schöne Weg dauert noch etwa 1 ½ Kilometer so. Dann ist Rerik erreicht und einige Zeit später bin ich am Hafen. Hier tummeln sich viele Badegäste. Es dauert dann noch einige Zeit, bis ich den Zeltplatz erreiche. Heute hat man mir am entferntesten Winkel, nur zwischen Jugendlichen, einen Platz zugewiesen. Bin gespannt, wie die Nacht wird. Neben mir eine Familie, die mit dem Fahrrad unterwegs ist.  

87. Etappe: 14. Juli 2013

Wismar – Pepelow  27,2 km

Um 9:30 Uhr verlasse ich bei bewölktem Himmel die Jugendherberge. Die Sonne ist nicht zu sehen und es ist kühl. Schon nach einigen Hundert Metern ziehe ich mir eine Jacke an.

Die Wolken nehmen Zusehens eine dunklere Farbe an und vor der Brücke über den Mühlenteich bei einer Bushaltestelle wechsel ich meine Jacke und ziehe die Regenhaube über den Rucksack. Auf der Brücke richtet sich mein Blick sofort auf die große Bauruine vor mir. Zwei Häuser sind bereits renoviert. Bei einem weiteren Haus, genau zwischen zwei Häusern im katastrophalen Zustand, sind Renovierungsarbeiten im Gange und ein Schild mit: „Zu vermieten“ steht vor dem Eingang. Rechts daneben eine große Ruine. Ob so ein Objekt vermietbar ist?

Am Stadtausgang passiere ich mehrere Schrebergartenkolonien und verlasse dann auf einer kleinen Kreisstraße Wismar. Der Weg führt mich zwischen Feldern hindurch. Aus einer Hofausfahrt kommt mir ein Museumsstück von Traktor entgegen getuckert. Der Motor müht sich redlich das Gefährt vorwärts zu bringen, es fällt aber ihm sichtlich schwer. Von dem Besitzer erfahre ich, dass der Traktor über 50 Jahre alt ist.

In Hornstorf komme ich an einer Backsteinkirche vorbei, die Kirche ist auf, wie auf einem Schild hingewiesen wird. Im Ort folge ich nicht meiner Route, sondern nehme einen anderen, mir als kürzer erscheinenden Weg. Kaum bin ich aus dem Ort heraus, habe ich eine alte Straße mit Kopfsteinpflaster vor mir. Glücklicherweise gibt es neben der Straße einen ausgetretenen Pfad. Viele vor mir haben auch schon das unebene Kopfsteinpflaster gemieden und sind dorthin ausgewichen. Die gepflasterte Straße mündet schließlich wieder auf meine Route und auf eine kleine einsame Kreisstraße. Ich habe die Straße für mich. Einige Zeit später wechsel ich auf einen Feldweg. Leider nicht von langer Dauer.

Ich durchquere mehrere kleine verschlafene Dörfer, alle sind menschenleer und lande schließlich in Alt Farpen. Selbst in diesem Nest wird eine Ferienwohnung angeboten. Ob hier tatsächlich eine Ferienwohnung vermietbar ist? Die Landschaft, durch die ich wandere, ist reizvoll. Bei den Getreidefeldern überwiegt immer mehr das Gelb. Nach Boiensdorf habe ich wieder freien Blick auf die Ostsee. Ich befinde mich bei der Salzhaff. Hier wird die Bucht fast völlig von den Halbinseln Wustrow und Boiendaorfer Werder von der Ostsee abgetrennt. Leider sind die Lichtverhältnisse nicht so gut um diese herrliche Landschaft entsprechend auf Fotos abzubilden.

Das letzte Stück bis nach Pepelow durchlaufe ich eine Allee und kurz vor Pepelow biege ich schließlich zum Campingplatz ab. Der Wind hat deutlich zugenommen und ich kriege langsam Zweifel ob meine Zeltheringe, dick, wie Stricknadeln, dem Wind gewachsen sind. Der Betreiber gibt mir einen geschützten Platz. Doch auch hier pfeift es ordentlich. Zudem habe ich Schwierigkeiten meine Heringe in den Boden zu drücken. Einen Hammer habe ich aus Gewichtsgründen nicht mit. Mein Nachbar leiht mir sein Beil und ich kann alle Heringe schließlich versenken.

Nach dem Zeltaufbau ist Duschen angesagt. In diesem Campingplatz sind der Zugang und das Duschen nur mit einer Funkkarte möglich. Bei der Eingangstür halte ich die Karte nur in die Nähe des Kontrollgerätes und die Tür öffnet sich. In der Hightech Dusche, supermodern und sauber, reagiert das Gerät im Vorraum immer wieder nur mit der Anzeige: „Hallo Ihre Karte bitte“. Halte ich die Karte dann vor das Kontrollgerät, erscheint: „Bitte Taste drücken“. Nehme ich die Karte weg, beginnt alles von vorne. Schließlich erkenne ich die Leiste unterhalb des Displays und verstehe den Sinn. Als ich die Karte dort ablege, bleibt die Anzeige: „Bitte Taste drücken“ und die Welt ist wieder in Ordnung.

Das Drücken der Taste ist mir erklärt worden. Mit der Taste schalte ich das Wasser ein oder aus. Ich bezahle später den Verbrauch des Wassers und habe nur ein kleines Guthaben auf der Karte. Das Haare waschen klappt noch einwandfrei. Ich drücke nach dem Ausspülen die Taste für den Wasserstopp und seife mich ein und wasche mich. Dann wieder der Druck auf die Taste und nichts geschieht. Ich warte, ich drücke, ich gehe ein Stück zurück, falls noch irgendwo ein Sensor ist. Nichts, aber gar nichts tut sich auch nach mehreren Versuchen. Verfluchte Technik! Ich trockne mich ab und verlasse nicht ganz so entspannt wie zuvor diese Hightechdusche.

Draußen bläst der Wind immer noch kräftig und dicke dunkle Wolken ziehen über mir hinweg. Sie ziehen aber ins Landesinnere. Ich laufe zum Strand und beobachte dort einige Zeit die ihrem Element befindlichen Surfer und Kitesurfer. Danach gehe ich zur alten Rezeption, dort kann ich die Steckdose benutzen und mein Smartphone aufladen. Den Versuch ins Internet zu gelangen gebe ich schnell auf. Es ist unglaublich langsam und ich erhalte immer wieder durch Zeitüberschreitung einen Abbruch. Weder zu meinen Mailpostfach gelange ich, noch komme ich auf meinen Weblog.  

86. Etappe: 13. Juli 2013

Beckerwitz – Wismar  13,2 km

Den heutigen Morgen beginne ich gemächlich. Bis Wismar sind es nur wenige Kilometer und erst ab 14 Uhr kann ich ins Zimmer. Als ich nach 8 Uhr im separaten Gebäude den Speisesaal betrete, schallt mir Lachen, Weinen und munteres Sprachgewirr entgegen. Mit den Ferien sind es nun Familien mit ihren Kindern, die in den Jugendherbergen einkehren. Es macht Freude den Kleinen in dieser Umgebung zuzuschauen.

Um 10 Uhr verlasse ich die Jugendherberge und folge weiter meiner gestern ausgearbeiteten Route. Ich befinde mich, wie ich an einem Wegweiser ablesen kann, auf dem Ostsee-Fernradweg. Ziemlich schnell begegne ich den ersten Radfahrergruppen. Ob sie allerdings diesem Radweg lange folgen werden, bezweifel ich. Wohl eher sind es Badegäste, die hier Ausflüge machen.

Um mich herum Getreidefelder auf einem leicht hügeligen Gelände. Die Farben der Felder haben sich inzwischen geändert, jetzt herrscht ein helles Grün durchwoben mit Gelb vor. Aufgelockert wird die Landschaft durch Busch- und Baumgruppen. Ich genieße wieder diese Landschaft nach Tagen des Wassers, der Strände, der Steilküsten und den vielen Badegästen.

Zunächst bin ich wieder auf Asphalt unterwegs. Ich habe das Gefühl, mein Körper hat sich inzwischen daran gewöhnt und ich habe auch meinen innerlichen Frieden damit geschlossen. Natürlich ist ein federnder Waldboden der Mercedes unter den Bodenbelägen. Doch das ist insgesamt selten, oft ist es, wenn unbefestigt, ein fester Lehmboden. Häufig aber auch Kies-, Split- und Schotterböden oder deren Kombination. Sandboden ist, wie ich in letzter Zeit kennengelernt habe, zunächst sehr schön, doch es wird schnell kräftezehrend. Ich kann auch dem Asphaltboden etwas Positives abgewinnen, hier stolpert man nicht so leicht. Ich kann gedankenverloren daherwandern, ohne immer auf den Boden zu achten.

Dann nach einiger Zeit erreiche ich ein Stück unbefestigten Boden und der ist durch die jetzige Trockenphase hart und immer wieder mit Steinen und kleinen Kuhlen durchsetzt. Die Landschaft bleibt weiterhin reizvoll. Bei dem kleinen Ort Proseken bin ich wieder auf einem Radweg neben einer Landesstraße unterwegs. Schon kurze Zeit später erreiche ich Gagelow und dann ist auch schon bald die Vorstadt von Wismar erreicht. Hier durchquere ich die Einkaufszentren der Stadt. Als ich die Innenstadt erreiche, weiche ich bewusst von meiner Route ab und wähle einen Weg auf kleinen ruhigen Straßen. Ruhig ist es zwar, doch nach einiger Zeit lande ich wieder auf meiner geplanten Route. Noch gibt es nichts Sehenswertes in Wismar. Meist sind es Wohnsiloses, wie es sie in anderen Städten auch gibt. Meinem Smartphone-Navi folgend durchquere ich einen kleinen Park und stehe dann am Juri-Gagarin-Ring. Wieder viele Wohnklötze und von der Jugendherberge ist nichts zu sehen. Erst durch Nachfragen erreiche ich mein heutiges Ziel. Heute teile ich mir das Mehrbettzimmer mit zwei jungen Männern, wie ich später feststelle. Jetzt liegen nur ein Rucksack und eine große Tasche bei zwei bezogenen Betten.

Nach dem Duschen ist heute Waschtag angesagt, ich nutze die vorhandene Waschmaschine und auch das warme Wetter. Während die Maschine läuft, arbeite ich einiges auf. Danach ist die sehenswerte Altstadt von Wismar dran. Sie liegt etwa 2 Kilometer von der Jugendherberge entfernt.

Wismar gehört mit Stralsund seit 2002 zu den historischen Altstädten der Weltkulturerbeliste der UNESCO. Wismar ist auch eine alte Hansestadt und dokumentiert mit dem HWI für Hansestadt Wismar dies auch im Kfz-Kennzeichen.

Schon vor dem zentralen Marktplatz treffe ich auf Backsteingotik und Backsteinrenaissance. Der Marktplatz ist beeindruckend mit seinen stolzen Bürgerhäusern, wie zum Beispiel das Bürgerhaus „Alter Schwede“ und die Wasserkunst von 1602. Der Platz ist quadratisch und ziemlich genau 100 x 100 Meter. Vom Marktplatz aus durchstreife ich die verschiedenen Gassen. Schaue mir den verbliebenen Turm der Marienkirche und die Nikolaikirche an. Weiter geht es dann zum Alten Hafen. Auch hier wieder beeindruckende Gebäude. Vom Hafen geht es schließlich wieder zurück zur Jugendherberge.  

85. Etappe: 12. Juli 2013

Boltenhagen – Beckerwitz  13,3 km

Es war eine unruhige Nacht. Mehrfach wurde ich durch lärmende Jugendliche aus dem Schlaf gerissen und bereits um 4:30 Uhr schreit im Zelt neben mir ein Baby. Den Weckruf meines Smartphones ignoriere ich und döse bis kurz vor 8 Uhr dahin.

Ein Frühstück brauche ich heute nicht zu kaufen, die gestern Abend um 22 Uhr kostenlos erhaltenen Brötchen und der zuvor gekaufte Schinken, sowie ein Joghurt reichen mir. Dazu Wasser und Apfelschorle.

Der Fernwanderweg E9 führt weiterhin an der Küste entlang und ist mit über 30 Kilometer bis Wismar zu lang als Etappe. Ich möchte nicht nur in Wismar übernachten, sondern auch etwas von Wismar sehen. Ich werde also nicht komplett an der Küste entlang laufen, sondern einen auf meiner topografischen Karte ausgewiesenen Radweg nutzen.

Als ich fertig bin und das Zelt abgebaut und den Rucksack gepackt habe, ist es bereits nach 10 Uhr. Ich verlasse den riesigen, total durchorganisierten und doch unpersönlichen Campingplatz. Man kann bis 21 Uhr kommen, noch bis 22 Uhr in einem kleinen Supermarkt einkaufen. Es gibt ein Restaurant und kann dort morgens frühstücken, ein Frühstücksbuffet bei entsprechender Bezahlung (!) ist vorhanden. Beim Supermarkt aus verschiedenen Frühstückskombinationen wählen. Die Varianten sind, wie in Japan in einer Vitrine als Attrappe, ansehbar. Es gibt für die Masse Mensch auf diesem Platz eigens einen großen Abfallhof. Die sanitären Anlagen sind modern und sauber. Das Personal ist nett und hilfsbereit und doch habe ich mich nicht wirklich wohlgefühlt. Es war mir alles zu groß und es sind zu viel Menschen hier. Mir fehlt ein Aufenthaltsbereich ohne all diesen Business, und die freie Möglichkeit an einer Steckdose meine Geräte und leeren Akkus aufzuladen. Zu spät gestern Abend erinnerte ich mich, dass ich eine Steckdose benötigte. Musste dann aber feststellen, dass so etwas hier nicht frei zugänglich existiert. Strom gibt es nur gegen Geld.

Nach der Ausfahrt des Campingplatzes unmittelbar vor der Straße steht ein Händler mit Blumen und Obst.

Er spricht mich an, mit wieder den Fragen nach dem Wohin und dem Woher. Er ist beeindruckt von meinen Antworten. Dann erzählt er, dass er 76 Jahre alt ist und hier schon seit 20 Jahren steht. Das Geschäft läuft oft prächtig, manchmal verdient er bis zu 800 €. Es macht auch Spaß den vielen jungen Mädchen im Bikini nachzuschauen, die über die Straße zu Strand laufen. Als Wegzehrung packt er mir in eine Plastiktüte mehrere Handvoll Kirschen, einige Aprikosen und etliche Erdbeeren ein und freut sich über mein überraschtes Gesicht.

Nach Boltenhagen führt mich mein heutiger Weg zunächst auf einem schmalen asphaltierten Pfad bergauf. Während des Aufstiegs kommt mir ein Mann entgegen und auch er spricht mich an.

Er ist spontan nach Boltenhagen gefahren und hat sich diese kurze Auszeit gegen den Widerstand seiner Frau genommen. Er braucht diese Zeit für sich und aus seinen Äußerungen entnehme ich, dass er auch gerne mal etwas länger aus dem Alltag ausbrechen möchte. Ich erzähle ihm von meiner Reise und von meiner Motivation dazu und rate ihm, nicht nur davon zu träumen, sondern es auch zu tun. Dann zitiert er einen Spruch von Wilhelm Busch: „Viel zu spät begreifen viele die versäumten Lebensziele …“ (komplett nachzulesen bei Lebensweisheiten auf diesem Blog)

Der asphaltierte Weg wechselt in einen unbefestigten Weg mit vielen kleinen Auf- und Abstiegen. Es ist warm geworden und wieder ein traumhaftes Wetter. Der Schweiß fließt und doch freue ich mich über das schöne Wetter. Lieber Hitze und Schweiß, als den ganzen Tag durch Kälte oder Regen laufen und nirgends einkehren können. Mit der Wärme gibt es auch geöffnete Gasthöfe und Cafés.

Immer wieder begegne ich Radfahrern, doch wie bisher bewegt sich kaum einer zu Fuß. Unterwegs komme ich an einem parkenden Auto mit Darmstädter Nummernschild vorbei. Im Überschwank, etwas von Darmstadt zu sehen, schreibe ich eine kurze Nachricht auf die Rückseite meiner Visitenkarte. Diese stecke ich dann hinter ein Wischerblatt. Ob sich die Person wohl meldet?

Leider hat der schöne Weg auch sein Ende und weiter geht es auf einem Radweg an der Straße entlang. Bei einem Restaurant in Wohlenberg kehre ich für ein kühles Getränk ein. Hier komme ich mit einem Herrn ins Gespräch, der mehrere Ultramarathons gelaufen ist. Jetzt aber dies nach einem Herzinfarkt und mehreren Bypässen nicht mehr kann und nun wandert. Seine Empfehlung zu mir, regelmäßig das Herz auch mit Belastungstests überprüfen zu lassen.

Nach Wohlenberg versuche ich wieder, mich dem Strand zu nähern, doch dies scheitert an einem fehlenden befestigten Weg. Ich folge daher weiterhin der Straße und bin auch so in unmittelbarer Nähe zum Strand. Leider endet alsbald der Radweg und wieder direkt geht es auf der Straße weiter. Die Fahrzeuge fahren hier allesamt langsam, doch pochen viele mit dem Kennzeichen NWM und HWI(!) auf ihre Fahrbahn und fahren dicht an mir vorbei. Ich gewinne den Eindruck, die meisten denken: „Was will dieser Typ hier auf meiner Fahrbahn, der gehört hier nicht hin!“ Sicher gibt es auch viele vernüftigen Fahrer(innen) in dieser Gegend, denen bin ich leider heute nicht begegnet. Deutlich wird dieser Unterschied, wenn mir Fahrzeuge zum Beispiel aus Hamburg oder Hannover entgegen kommen. Diese halten deutlich mehr Abstand zu mir. Ein Fahrer, wenn auch im Schritttempo sich mir nähernd, drängt mich komplett von der Fahrbahn fort. Wieder einmal ist für Momente meine Gelassenheit dahin, doch ich habe mich noch im Griff, nicht mit der Hand gegen die Beifahrerseite zu schlagen. Kurz nach diesem Zwischenfall gibt es glücklicherweise wieder einen Radweg.

Immer wieder führen kleine Pfade von der Straße zum Strand. Für eine Pause im Sand folge ich so einem Pfad und stehe dann am gut besuchten Strand. Um mich herum besetzte Strandkörbe und sonnende Menschen. Ich bin hier ein totaler Exot und werde entsprechend beäugt. Ist mir aber egal, im Sand liegen, Schuhe und Strümpfe aus, die sich brutzelnden Menschen betrachten macht mir Spaß.

Auf der Strandseite der Straße taucht dann ein großes Hinweisschild auf einen Campingplatz mit dem Namen „Liebeslaube“ auf. Ich fotografiere dieses Hinweisschild zusammen mit dem danebenstehenden Verkehrszeichen. Als ob die Kommune etwas gegen diese Liebeslaube hat, steht dieses Verbotsschild „Durchfahrt verboten, Einbahnstraße“ daneben. Natürlich ist dem nicht so, alles nur eine Frage des Blickwinkels beim Fotografieren.

Ich folge dem Weg zu dieser Liebeslaube und durchquere fast den Campingplatz, als ich in der Ferne ein großes verschlossenes Gittertor sehe. Also zurück und zur Rezeption. Dort erhalte ich die Auskunft, dass das Tor nicht komplett verschlossen ist. Wieder zurück und tatsächlich ist das Tor einen Spalt weit offen. Gerade so breit offen, dass nur Personen und Radfahrer hindurch kommen.

Es ist fast 16 Uhr und noch sind es geschätzte 10 Kilometer bis nach Wismar. Stadtbesichtigung und Berichte schreiben, ich bin mehrere Berichte zurück, dazu ist nicht viel Zeit nach meiner Ankunft. Und wie gerufen taucht plötzlich direkt neben meinem Weg eine einsam gelegene kleine Jugendherberge auf. In einem Mehrbettzimmer kann ich übernachten und bin momentan noch alleine darin. Ein Anruf in Wismar und die Änderung der Übernachtung auf Morgen ist gebucht und so bleibe ich in dieser netten Jugendherberge. 

82. Etappe: 07. Juli 2013

Eutin – Pönitz am See  20 km

Bereits kurz nach 4 Uhr werde ich durch das Vogelgezwitscher wach. Zum Schlafen reicht das kleine Tunnelzelt, doch das Schreiben, ist wegen des Platzmangels mühsam. Und so stehe ich auf und gehen zu den überdachten Tischen und der Steckdose gegenüber der Rezeption. Jetzt funktioniert auch die WLAN-Verbindung. Zwei Ältere und den letzten Artikel übertrage ich in meinen Blog. Über das Internet suche ich nach Campingplätzen in der Region und werde am Großen Pönitzer See fündig. Um Zeit zu sparen, werde ich heute wieder einen Arbeitstag an der Straße einlegen. Ich muss mich einfach wieder der Ostsee nähern und rasch zum Großen Pönitzer See kommen. Daher erstelle ich meine heutige Route neu.

Gegen 7 Uhr kann ich einen kleinen Aufenthaltsraum nutzen und um 7:45 Uhr gibt es mein kleines bestelltes Frühstück. Danach ist Packen und Zelt abbauen fällig. Vieles geht jetzt flüssiger von der Hand. Noch etwas feucht packe ich das Zelt ein. Die Sonne scheint inzwischen und es wird langsam wärmer. Wieder ein schöner Tag kündigt sich an.

Zunächst folge ich dem Seeverlauf am Kellersee und schon bald habe ich Plön erreicht. Wieder nicht viel später bin ich bereits am Großen Eutiner See. Es dauert noch einige Zeit und ich verlasse Plön und wechsel auf eine Kreisstraße mit Radweg. Der Straße folgend durchquere ich mehrere kleine Orte und nach Gothendorf hört leider der Radweg auf und ich bin wieder auf der Straße unterwegs. Langsam habe ich mich mit den gedankenlosen Autofahrern arrangiert und nehme vieles gelassener hin. Doch als mir ein Motorradfahrer mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit entgegen kommt und Sekunden später auch schon an mir vorbei ist. Und dies in einem nicht besonders großen Abstand zu mir tut, ist meine Gelassenheit wieder dahin. Die unfreundlichen Worte, die ich ihm nachschreie, nimmt er natürlich nicht wahr. Sie mussten aber aus mir raus.

Schon kurz vor Barkau verfolgt mich der penetrante Geruch von Gülle je Wind mal mehr mal weniger. Trotzdem brauche ich eine Pause und sehe ein schattiges Plätzchen mit einer Bank. Ein Bikerpaar verlässt gerade die Bank und gibt mir den Rat, nicht in der Mitte zu sitzen, die Bretter verbiegen sich schon heftig. So kommen wir noch kurz ins Gespräch.

Mitten auf der Wiese vor meiner baufälligen Bank steht ein Gedenkstein, der an den Freikauf aus der Leibeigenschaft im Jahre 1735 erinnert.

Vier Kilometer nach Barkau erreiche ich Pönitz und muss auf die Bundesstraße B432 wechseln. Von der Ferne sehe ich regen Verkehr auf der Bundesstraße und keinen Radweg. Ungute Erinnerungen an die Straße vor Flensburg werden wieder in mir wach. Bei diesen Gedanken steigt ein mulmiges Gefühl in mir hoch. Als ich jedoch näherkomme, sehe ich etwas seitlich versetzt zur Straße doch einen Radweg. Ich atme auf und kann unbeschwert, ohne auf den Verkehr zu achten, weiterlaufen.

Etwa fünf Meter vor mir liegt etwas Geschwungenes auf dem warmen Asphalt. Meine Aufmerksamkeit hat es eigentlich nicht, ich nehme es nur undeutlich wahr. Doch als ich mich nähere, wird plötzlich aus dem leblosen Geschwungenen etwas Lebhaftes. Eine etwa 70 bis 80 cm lange Schlange windet sich seitlich ins hohe Gras. Ich schrecke auf und kann noch die weißen Stellen am Kopf erkennen.

Meine Suche im Internet ergab, dass es wahrscheinlich eine Ringelnatter war.

Kurz nach Pönitz liegt im Grünstreifen neben dem Radweg ein toter Dachs. Ob er angefahren wurde, kann ich nicht erkennen. Dann erreiche ich Pönitz am See und kann kurze Zeit später in einen unbefestigten Weg unmittelbar am Goßen Pönitzer See eintauchen. Wieder Natur und endlich keinen Verkehr mehr! Noch vor dem Campingplatz kehre ich, einem Bauchgefühl folgend, bei dem am Weg liegenden Landgasthof zum Essen ein.

Auf dem Campingplatz habe ich unmittelbar hinter der Rezeption auf einer großen Wiese freie Auswahl mit meinem Zeltplatz. Das Zelt ist rasch aufgebaut, es kehrt langsam Routine ein. Außer Getränken gibt es auf diesem Campingplatz nichts. Und ich bin froh, vorher etwas gegessen zu haben. Für einige Zeit kann ich noch im Aufenthaltsraum arbeiten und meine Akkus aufladen.

Mit Heinke und Robert vereinbare ich unser morgiges Treffen bei dem Ausflugslokal Hermanshöhe, vor Travemünde gelegen. Meinen Start und die Dauer werde ich morgen früh per SMS mitteilen. Beide kommen von Hamburg angereist. Ich finde es toll, dass sie mich noch einmal treffen wollen und extra aus Hamburg anreisen. Wir hatten uns auf meinem Weg von Büsum nach Tönning am Strand kennengelernt. Meine erste Pause in einem Strandkorb. Es war gleich gegenseitige Sympathie vorhanden. Uns verbindet auch das kurze, aber gewaltige Unwetter nach unserem Treffen. Ich freue mich auf das Wiedersehen.

Auf der Terrasse vor dem Aufenthaltsraum sitzend und den See im Blick, genieße ich den Tagesausklang bei noch angenehmer Temperatur und einem schönen Sonnenuntergang.