109. Etappe: 09. August 2013

Criewen – Hohensaaten  21,9 km

Mein Weg aus Criewen führt wieder zurück über die Brücke und dann auf den Deich. Vorbei geht es an einem Gutshaus auf der anderen Seite des Kanals und wieder präsentiert sich mir eine herrliche Landschaft. Es ist deutlich kühler geworden. Der Himmel ist bewölkt, doch immer wieder zeigt sich die Sonne. Vermutlich wird es zum Nachmittag wieder sehr warm werden.

Plötzlich vor mir eine kleine, etwa 5 cm lange Schnecke mit einem 1 bis 1 ½ cm Durchmesser großen Schneckenhaus, auf ihrem langen Weg über die Deichstraße. Mit jeder Vorwärtsbewegung wackelt das Schneckenhaus. Sie hat ein beachtliches Schneckentempo drauf. Sie fasziniert mich und so filme ich sie eine kurze Zeit. Gerade als ich die Kamera wegpacke, kommen mehrere Radler genau auf ihrer Seite mir entgegen. Ich bleibe einfach zum Schutz der kleinen Schnecke stehen und sehe den Unwillen im Blick eines Radlers. Er muss mir ausweichen und das gefällt wohl nicht. Doch so kurz vor dem Zeil sollte die kleine Schnecke nicht überfahren werden. Doch danach gehe ich weiter. Jetzt muss sie noch etwa 20 cm bewältigen. Ich wünsche ihr viel Glück.

Beim Blick auf mein Navi sehe ich einen Weg durch die Auenlandschaft hin zur Oder und stelle fest, dass mich der Deichweg am Kanal später auch an die Oder führt. Ich entschließe mich spontan, diesen Weg zu folgen. Im schlimmsten Fall muss ich zurück. Der Weg ist ein alter Betonplattenweg und führt mich zunächst über die Wiese. Schließlich erreiche ich einen kleinen Seitenarm der Oder mit vielen Seerosen durchzogen. Diesmal sprühe ich mich mit dem gestern gekauften Mückenspray ein. Eine Zeit lang geht es dann an diesem Seitenarm entlang und schließlich über eine kleine Brücke hinüber. Jetzt umgibt mich Schilfrohr mit zum Teil über 2 Meter Länge. An deren Ende ich auf den Oderdeich zulaufe. Oben angekommen blicke ich auf einen breiten Überschwemmungsbereich vor der Oder. Durchzogen mit Sumpf und Tümpeln, Reste der immer wiederkehrenden Überschwemmungen. Baumstümpfe und altes vertrocknetes Schilf sind mit einer dünnen braunen Schicht überzogen. Vermutlich vertrocknete Algen. Das Gras und die Sumpfpflanzen stechen in einem fetten Grün hervor. Immer wieder sehe ich bei den Tümpeln eine große Anzahl verschiedener Vogelarten. Öfters komme ich an Kolonien von Wildgänsen und Enten, laut schnattern, vorbei. Die Enten schwingen sich hin und wieder zu Hunderten auf und fliegen in einer Formation über die Oder. Den seltenen Silberreiher sehe ich hier öfters, genauso den Graureiher. Dazu eine Reihe verschiedener Vögel, die ich aber nicht genau erkennen kann. Wieder fehlt mir ein Fernrohr oder Fernglas.

Auf der zum Kanal hin liegenden Seite, mit ebenfalls leuchtend grün saftig satten Wiesen, sehe ich auch mehrere Kraniche, die aber beim Näherkommen mit trompetenartigem Ruf davon fliegen. Ganz anders die Weißstörche, sie lassen sich durch mich nicht aus der Ruhe bringen. Das saftige Hellgrün der Wiese, gemischt mit braunen Pflanzen und durchwoben mit dunkelgrünen Büschel Gras, wirkt fast etwas unwirklich, ist aber eine Augenweide.

An einem kleinen Seitenarm schwimmt eine größere Anzahl Schwäne, als ich sie erreiche, schwimmen sie, wie an einer Perlenkette gereiht, langsam an mir vorbei. Schnell nehme ich diesen Schwanenzug mit meiner Kamera auf. Wieder später sehe ich zum ersten Mal grau-braune Schwäne. Bisher dachte ich immer, dass diese nur weiß sind.

Inzwischen habe ich erfahren, dass es sich bei den grau-braunen Schwänen um Junge handelt.

Obwohl es endlos gerade aus auf dem Deich geht, lediglich unterbrochen von ein paar großen Bögen, der Oder folgend, bin ich durch ständiges Beobachten der Vögel und dieser einzigartig schönen Landschaft abgelenkt. Mehrmals lege ich mich am Deich nieder und genieße alles um mich herum. Am späten Nachmittag entscheide ich mich für eine Unterkunft in Hohensaaten.

Kurz vor Hohensaaten komme ich an einer Schleuse vorbei und sehe auch schon in der Nähe den Kirchturm des Ortes. Doch um in den Ort zu kommen, muss ich mich noch gedulden. Mit einem Bogen zur Brücke über den Kanal und noch ein Stück zurück im Ort, erreiche ich schließlich die Pension. Es war wieder ein wundervoller Wandertag mit vielen schönen Eindrücken.

Eine Schnecke auf dem langen Weg über die Deichstraße:
Schwäne, wie an einer Perlenkette aufgereiht, ziehen an mir vorbei:

Pausentag in Criewen

08. August 2013

Als mein Wecker mich aus dem Schlaf holt, höre ich bereits ein Donnergrollen und einen leichten Regen niedergehen. Das Grollen kommt näher und meine Erinnerungen an das schwere Gewitter auf dem Weg von Husum nach Riddorf werden wach. Heute laufe ich weiter auf dem Deich und als Antenne möchte ich nicht unterwegs sein. Bei mir regen sich die ersten Gedanken nach einem Pausentag hier in Criewen.

Vor dem Frühstücksraum treffe ich meine Zimmervermieterin und irgendwie sprechen wir für kurz über meine Wanderung. Im Frühstücksraum sitzt bereits ein Gast und wir kommen recht schnell über meine Wanderschaft ins Gespräch. Er ist für eine Reportage über das Odertal für den NDR hier unterwegs. Seine Frage nach einem Interview mit mir sage ich gerne zu. Wenige Minuten später, ich unterbreche kurz mein Frühstück, geht es draußen wegen der besseren Akustik auch schon los.

Nach dem Frühstück stehe ich vor dem Gebäude, sehe die grauen Wolken mit einem leicht schmutzigen Orange dazwischen, höre wieder ein leichtes Grollen und entscheide mich spontan für einen Pausentag. Noch bevor ich ins Haus gehen will, lässt sich ein Weißstorch auf dem Schornstein nieder. Später im Zimmer höre ich sein Geklapper.

Meine Pension „Storchennest“ hat zurecht diesen Namen, denn der alte Bäckereischornstein nebenan ist seit vielen Jahren außer Betrieb und auf ihm thront weithin sichtbar ein Storchennest. Jedes Jahr werden hier junge Störchen aufgezogen. Dieses Jahr jedoch nicht, trotzdem ist das Storchenpaar wieder da.

Ich nutze die Pause und fahre zum Einkaufen mehrere Dinge nach Schwedt mit dem Bus. Bei meinem Weg zur Haltestelle kann ich das Storchenpaar fotografieren. Ich fahre bis zur Endhaltestelle ZOB und habe ein großes Einkaufszentrum mit allem, was ich benötige.

Genau um 5 Minuten verpasse ich den Bus zurück und muss nochmals eine Stunde warten. Schnell flüchte ich wieder ins Einkaufszentrum, denn es ist wieder warm und zudem schwül geworden und nur im Inneren ertragbar. Unterwegs auf der Rückfahrt nicke ich ein und werde erst wach, als der Bus an meiner Zielhaltestelle vorbei fährt. Der nächste Halt ist glücklicherweise nicht so weit entfernt. Auf dem Rückweg zur Pension besuche ich noch das Nationalparkhaus Criewen.

Das Nationalparkhaus ist im ehemaligen Schafstall des Guts untergebracht. Das Gut gehörte dem Rittmeister von Arnim. In weiteren Gebäuden sind die Nationalparkverwaltung, ein Magazin und eine Deutsch-Polnische Begegnungsstätte untergebracht. Im Schlossgarten ist ein Schau- und Lehrgarten entstanden.

Am Himmel ziehen immer wieder graue Wolken vorbei, doch Regen und Gewitter sind bisher ausgeblieben. Ich hätte doch unterwegs sein können. Nun dient dieser Tag zur Regeneration. 

108. Etappe: 07. August 2013

Friedrichsthal – Criewen  22,8 km

In der Nacht gab es doch noch ein heftiges Gewitter begleitet von starkem Regen. Nun hat sich die Luft angenehm abgekühlt. Von meiner Pension muss ich zunächst wieder ein Stück zurück. Da schon wieder graue Wolken aufziehen, bereite ich bei der nahe gelegenen Bushaltestelle meinen Poncho vor. Dann biege ich wenig später vor einem Hinweisschild auf den nun beginnenden Nationalpark Unteres Odertal in einen Wald ab.

Der Nationalpark wurde 1995 gegründet. Das Untere Odertal erstreckt sich über 60 Kilometer mit seinen Flussauen von Hohensaaten im Süden bis nach Stettin im Norden. Zwischen Kanal und Oder liegt die drei bis fünf Kilometer breite Niederung und umfasst eine Fläche von 10.500 ha. Zusammen mit dem polnischen Landschaftsschutzpark umfasst es sogar eine Fläche von über 40.000 ha. Diese Niederungen sind die einzige intakte Polderlandschaften Deutschlands.

Der Nationalpark ist auch ein bedeutendes Brut-, Rast- und Überwinterungsgebiet für zahlreiche Vogelarten. Dazu gehören verschiedene Gänse- und Entenarten, Silber- und Graureiher, Schwarz- und Weißstörche, Kraniche, verschiedene Greifvögel mit u.a. auch dem Seeadler und verschiedene Singvögel. Insgesamt wurden hier 284 verschiedene Vogelarten beobachtet. Von denen 161 Arten hier im Gebiet auch brüten. Auch viele verschiedene Säugetiere, Amphibien, Reptilien und Fische sind hier ebenfalls beheimatet. Neben der vielfältigen Fauna ist hier auch eine große Artenvielfalt der Flora zu beobachten.

Die Flussauen sind im Einflussbereich der Oder mit seinen Hochwassern ständiger Veränderungen unterworfen. Der Nationalpark ist durchzogen mit vielen kleinen Verästelungen und Seitenarmen der Oder und auch bedeckt mit Tümpeln.

Auf dem asphaltierten Radweg geht es durch einen Mischwald, stellenweise auch nur aus Birken bestehender Laubwald. Es ist schon eine Plage, kaum bin ich im Wald, haben mich die Mücken wieder entdeckt. Stehen bleiben darf ich nicht, denn dann beginnt sofort eine Invasion dieser Plagegeister. Nach einiger Zeit erreiche ich die Teerofenbrücke über einen Oderkanal mit dem Namen Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße. Die Oder verläuft hier ein Stück weiter Richtung Polen. Neben ihr werde ich erst später wieder unterwegs sein.

Auf der Brücke steht ein älterer Mann und spricht mich, als ich ihn erreiche, sofort an. Ich bin für ihn der erste Wanderer, den er hier sieht und er fährt täglich von Schwedt hier her. Hier kommen nur viele Radfahrer des Oder-Neiße-Radweges vorbei, erklärt er mir. Als Wanderer bin ich ein Exot unter Autofahrer, Radfahrer, Spaziergänger und Gassigeher. Er begleitet mich, sein Rad schiebend, noch ein Stück des Weges und will mir die Wasserbüffel und Wildpferde zeigen. Nach der Brücke öffnet sich langsam zwischen Bäumen die außergewöhnliche Auenlandschaft und der Kanal, auf der anderen Seite des Deichs, wird durch Büsche und Bäume immer mehr verdeckt. Dann erreichen wir die Stelle mit den Wasserbüffeln und Wildpferden. Diese sind einige Hundert Meter weit vom Kanal entfernt. Doch ihr schwarzes Fell und das beige Fell der Pferde hebt sich deutlich vom Hintergrund ab. Der Mann hat ein Fernrohr dabei und so kann ich die Tiere deutlicher betrachten. Danach verabschieden wir uns und er radelt davon.

Weiter öffnet sich der Blick in die Flussauen und ich werde mit jedem Schritt begeisterter. Jetzt fehlt mir nur noch eine Bank zum Genießen dieser einzigartigen Landschaft. Und ich habe Glück, wenig später erreich ich eine Bankgruppe und habe eine fast 180-Grad-Sicht auf die Auen. Vor mir breitet sich eine Landschaft mit Tümpel, kleinen Seitenarmen der Oder und einer Vielfalt von Flora vor mir aus. Zudem dringen die verschiedensten Geräusche der Vögel und Frösche an mein Ohr. Die Auen wirken auf mich vielschichtig. Vorne die Wiesen in den verschiedensten Grüntönen, vom leuchtenden Hellgrün bis Dunkelgrün, das Ganze durchzogen mit weißen und gelben Blüten und braunen Pflanzen. Dann die nächste Ebene mit Sumpfpflanzen wie Schilf und Rohrkolben. In der dann folgenden Ebene das Wasser mit Algen und Schwimmfarn. Hier dann ein munteres Treiben verschiedener Entenarten und zwei Silberreiher und vermutlich vieler weiterer Vögel, die sich aber meinem Blick entziehen. In der nächsten Ebene folgen niedrige grüne Büsche, die sich mir wie Ballen im oder am Wasser präsentieren. Wieder dahinter Sumpfpflanzen, gefolgt von einer weiteren Schicht Büschen und Bäumen und zum Abschluss das undurchdringliche Dunkelgrün des bewaldeten Berges am Horizont. Da mir die Worte fehlen, um diese unglaublichen Eindrücke auch nur ausreichend bildhaft zu festzuhalten, fotografiere ich, was das Zeug hält. Wohl wissend, dass auch die Bilder nicht diese Vielschichtigkeit und Farbenpracht darstellen können. Ich verweile auf der Bank fast eine Stunde. Zum Beobachten der Fauna fehlt mir nur noch ein Fernrohr.

Zwischendurch radeln viele Radwanderer an mir vorbei. Keiner hält an und nimmt diese Landschaft richtig wahr. Ich nehme nur ein paar Wortfetzen wahr, wie: „Wie schnell sind wir?“, eine andere Stimme: „Etwa 25 km/h“ und bei einer anderen Gruppe: „Wie viel Kilometer schaffen wir heute?“ Ich schaue diesen Radlern ungläubig nach. Neben der Ostsee-Landschaft mit Stränden, Steilküsten und Wäldern ist dies hier das Schönste, was ich bisher auf meiner nun schon über vier Monate dauernden Wanderung wahrnehme. Und ich konnte schon viele schöne Landschaften durchwandern.

Auch nachdem ich widerwillig meine Wanderung fortsetze, bleibe ich noch oft stehen. Dann nehme ich auf der Kanalseite immer mehr einen großen Industriekomplex wahr. Unangenehme Geräusche, wie Fahr- und Signalgeräusche stören mich bei dem immer noch freien Blick auf die Auen. Dann habe ich freie Sicht auf diesen hässlichen Industriekomplex und schließlich beenden auch Hallen auf der Auenseite diese traumhafte Landschaft. Hier wechsel ich über eine Brücke auf die andere Seite des Kanals. Nach dem Industriebereich erreiche ich schließlich Schwedt. Durchquere ein Neubaugebiet, direkt am Kanal liegend und muss einmal, versperrt durch Privatgrundstücke den Kanal weiträumig verlassen. Als ich schließlich wieder den Kanal erreiche, stehe ich vor einem riesigen Seerosenfeld. Nur eine schmale Rinne auf der anderen Uferseite ist frei von Seerosen. Jetzt laufe ich auf einer Uferpromenade am Kanal entlang. Bei einem Eiswagen genehmige ich mir ein großes Eis. Genau richtig bei der nun wieder vorherrschenden Hitze.

Weiter geht es erneut durch eine Neubausiedlung von Schwedt und dann erreiche ich eine hölzerne Fußgängerbrücke. Nachdem ich sie überquert habe, laufe ich zunächst hinter dem Deich und bin irgendwann wieder auf dem Deich. Die sich mir nun öffnende Auenlandschaft ist schön, doch auch nicht ansatzweise so schön, wie die zuvor Erlebte. Vor mir ein schnurgerader Deich und ein paar Motorboote, die gemächlich dahin tuckern, bieten mir für kurze Zeit Abwechslung. Ich beobachte die erzeugten Wellen wie bei einem Waschbrett oder bei einem großen Boot die keilförmig verlaufenden Wellen. Bei einer Brücke im Schatten eines Baumes mache ich eine Pause und trinke den letzten Rest Wasser.

Wieder eine Gerade mit etwa 4 Kilometern nagt nun, nicht enden wollen, an mir. Dann endlich die ersehnte Brücke über den Kanal und nach Criewen zu meiner heutigen Bleibe. Die ist nach der Brücke recht schnell erreicht. Doch zuvor kann ich nicht der Versuchung widerstehen und kehre noch schnell bei einer Eisdiele ein.  

107. Etappe: 06. August 2013

Mescherin – Friedrichsthal  16 km

Nach dem Frühstück um 8 Uhr lade ich drei Berichte und Bilder hoch auf meinen Blog. Wieder muss ich mich in Geduld üben, die Internetverbindung ist sehr langsam. An der Rezeption bekomme ich eine Rufnummer und Adresse für Friedrichstahl und einen Ausdruck verschiedener Unterkünfte in Schwedt. Mein heutiges Ziel ist Schwedt, etwa 27 Kilometer entfernt vom Startpunkt. Als ich schließlich loslaufe, ist es 10:45 Uhr. Es ist bereits drückend warm und soll nach Wettervorhersagen noch sehr heiß werden.

Ein kurzes Stück geht es noch direkt an der Oder entlang, dann steige ich hoch auf die Obere Dorfstraße. Durchquere den Ort und bin am Ortsende sofort im Wald neben der Oder. Viele junge Linden bilden mit ihrem Blätterdach eine Allee. Es ist angenehm kühl hier. Zeitweise entferne ich mich etwas von der Oder. Nach dem kühlenden Wald geht es wieder dichter an der Oder entlang und schwitzen ist damit angesagt. Sofort haben mich die Mücken und Bremsen wieder als Appetithappen ausgemacht.

In Gartz, direkt an der Oder im Schatten von Sonnenschirmen, mache ich bei einem Imbiss eine Pause. Anschließend geht es ein Stück durch den Ort und schließlich laufe ich auf dem Deich mit freiem Blick zur Oder und in die Landschaft. Hier stehen viele Wiesen im saftigen Grün. Etwas weiter weg sind Bauern dabei auf gemähten Wiesen die gepressten Heurollen auf Anhänger zu laden.

Zunächst von mir unbeachtet, verdunkelt sich der Himmel über mir. Ich beobachte fasziniert wie sich die Rinder dicht zusammenzurotten. Die ersten Blitze und das folgende Grollen machten mir deutlich, jetzt muss ich mich sputen. Schnell mache ich noch ein paar Fotos. Dann Rucksack runter, Rucksackgurt fürs Anziehen neu einstellen, Poncho raus und den hinteren Teil über den Rucksack gestülpt. Dann den Rucksack wieder schultern. Die zuvor herrschende Windstille verändert sich plötzlich. Ich kämpfe noch mit dem Rucksack und dem Poncho, schaffe es aber gerade noch in die Ärmel zu schlüpfen und den vorderen Teil über den Kopf zu ziehen. Dann blasen sturmartige Böen auf mich ein. Ich laufe mit kräftigem Schritt schräg gegen den Wind ankämpfend in Richtung heller Wolken und heutigem Ziel. Die ersten Tropfen fallen und ich hoffe, dass kein Hagel auf mich niederprasselt. Hier auf dem Deich wäre ich dem Hagel schutzlos ausgeliefert. Es ist glücklicherweise nur heftiger Regen. Mehr Probleme bereiten mir immer noch die starken Windböen, sie blasen weiter seitlich auf mich ein. Immer wieder schau ich nach oben und sehe die schweren dunkelgrauen Wolken über mich hinweg ziehen. Offensichtlich habe ich mich nur am Rand des Unwetters befunden. Schon wenige Minuten später hört der Wind und der Regen auf. Die Sonne kommt zwischen den nun helleren Wolken schon wieder hindurch. Ich drehe mich noch einmal um und sehe am Horizont die Landschaft noch komplett im dunklen Grau eingehüllt.

Der kurze Regenguss hat keine Abkühlung gebracht. Ich ziehe den Poncho noch nicht aus, stülpe aber den vorderen Teil auf den Rucksack. Bei der nächsten Bank rufe ich die Pension in Friedrichsthal an und buche ein Zimmer. Noch während des Telefonats sehe ich schon seitlich von mir die nächsten dunklen Wolken. Doch diesmal habe ich das Gefühl, die Wolken kommen auf mich zu. Nun drücke ich mächtig aufs Tempo. Der Himmel zieht sich wieder zu und mehrfach höre ich ein Donnergrollen.

Um zu meiner Unterkunft zu gelangen, muss ich in den Ort und auf der einzigen Dorfstraße fast einen Kilometer zurücklaufen. Ich erreiche meine Bleibe und kaum habe ich mein Zimmer bezogen, regnet es. Doch diesmal bleibt ein Unwetter aus. Erst spät abends gbt es noch ein Gewitter.  

106. Etappe: 05. August 2013

Krackow – Mescherin  19,3 km

Nach einem ausgiebigen Frühstück bei meiner Zimmerwirtin starte ich bei bewölktem Himmel, aber noch bei angenehmer Temperatur. Ich habe mich heute entschlossen, den kürzeren Weg, entlang der Bundesstraße B113 zu laufen. Gestern führte mich das letzte Wegstück an der B113 auf einem Radweg zum Zielort entlang. Doch heute Morgen am Ortsausgang endet der Radweg und ich bin wieder am Straßenrand unterwegs. Wie schon gestern begegnen mir auch heute nur wenige Fahrzeuge.

Ich bin mal wieder auf einer lang gezogenen geraden Straße unterwegs. Diese verläuft jedoch wellenförmig. Immer wenn ich nach dem Anstieg den Horizont erreiche, kommt nach einer Senke die nächste Gerade. Nur diesmal bin ich durch die reizvolle und wellige Landschaft beiderseits des Weges abgelenkt. Nun herrschen ein heller Braunton und einige Gelbtöne hauptsächlich vor. Riesige Getreidefelder, teilweise abgeerntet, reichen bis zum Horizont. Unterbrochen werden die Flächen vom Grün der Bäume und Büsche, jedoch inzwischen dunkler und matter. In der Ferne sind riesige Mähdrescher im Einsatz und ziehen eine deutlich sichtbare Staubwolke mit sich hinterher.

Dann das erste Hinweisschild auf die zu kreuzende Autobahn. Je näher ich komme, um so mehr Verkehr kommt auf. Meistens sind es Lkws, aus Richtung Berlin kommend. Alle Lkws weichen mir mit deutlichem Abstand aus. Oft fahren sie auf der Gegenspur an mir vorbei. Unmittelbar nach der kreuzenden Autobahn erreiche ich Storkow. Hier lässt der Verkehr wieder nach und ich mache die erste Pause. Eine schon mal vorhandene Blase muss verarztet werden.

Nachdem ich fast den Ortsausgang erreicht habe, plötzlich ein Rufen. Zunächst sehe ich niemanden, dann tritt ein älter Mann zwischen Bäumen hervor. Er freut sich sehr, einen Wanderer zu sehen und wir unterhalten uns am gerade angekommenen Bäckerwagen eine Weile.

In seiner Jugend war er Zimmermann und auch auf der Walz. Inzwischen ist er 76 Jahre alt und lässt es jetzt etwas ruhiger angehen. Er ist aber stolz, weder Bluthochdruck noch Blutzucker zu haben. Auch für ihn ist Bewegung wichtig.

Nach Storkow hat mich die lange gerade B113 wieder und wieder ohne viel Verkehr. Ab Damitzow gibt es wieder einen Radweg und auf diesem Stück verläuft auch wieder der Oder-Neiße-Radweg. Am Ortseingang von Tantow sehe ich auf einer Wiese zwei Störche. Sie lassen sich durch mich nicht aus der Ruhe bringen und suchen weiter nach Nahrung. Ganz anders gestern die Kraniche, die, kaum haben sich mich gesehen, davon flogen.

Meine Blase schmerzt und so lege ich am Ortsrand im Schatten eines großen Baumes eine Verarztungspause ein. Kaum sitze ich im Gras und habe meine Schuhe und Strümpfe aus, fällt eine Invasion von Ameisen über mich her. In Hektik ziehe ich wieder Strümpfe und Schuhe an, schultere meinen Rucksack und flüchte vor den Plagegeistern. Doch einige haben sich unter meinem Hosenbein eingenistet und beißen kräftig zu. Ich eile auf die andere Straßenseite und suche einen geeigneten Platz. Bei einem Mehrfamilienhaus steht im abgezäunten Gelände eine Bank. Ein Mann kommt gerade aus dem Gelände und ich frage ihn, er lässt mich ins Gelände. Kaum sind Schuhe und Strümpfe aus und Hosenbein hoch, sehe ich zwei Ameisen am Bein krabbeln. Sie überleben ihre Attacke auf mein Bein nicht.

Nach der Zwangspause geht es bei drückender Hitze weiter an der wenig befahrenen B113 und schließlich erreiche ich die Kreuzung mit der B2. Nachdem ich die Bundesstraße B2 überquert habe, nimmt der Verkehr drastisch zu. In etwa 3 Kilometer gibt es bei Mescherin, meinem heutigen Ziel, einen Grenzübergang. Nun sehe ich fast nur noch Fahrzeuge mit polnischem Kennzeichen. Fahrzeugkolonne für Fahrzeugkolonne rollt in Schüben an mir vorbei. Häufig wird viel zu schnell gefahren und oft werde ich als Fußgänger nicht sonderlich beachtet. Die Abstände zu mir könnten größer sein. Meine Anspannung nimmt deutlich zu. Dann eine scharfe Kurve mit Leitplanken. Hier habe ich keine Ausweichmöglichkeit. Ich habe jedoch Glück, in dieser Kurve kommt mir nur ein vernünftiger Fahrer entgegen. Dann sehe ich das Ortseingangsschild, und als ich endlich rechts in die Untere Dorfstraße, meine Zielstraße einbiege, fällt der ganze Stress von mir ab. Nach weiteren 300 Metern erreiche ich erstmals die Oder. Nur noch wenige Meter und ich stehe vor meiner heutigen Unterkunft. Sie liegt direkt an der Oder.

Nach dem Duschen gehe ich auf die Terrasse des zugehörigen Restaurants und sitze nun mit Blick auf die ruhig dahin fließende Oder. Eine herrlich ruhige Atmosphäre wirkt auf mich ein und ich lasse den Abend entspannt ausklingen.  

104. Etappe: 03. August 2013

Rieth – Pampow  25,3 km

Diesmal bin ich mit Zeltabbau und Packen bereits kurz nach 8 Uhr fertig. Zusammen mit der Frau von gestern Abend gehe ich zum Frühstück zu einer Pension. Hinzu kommt noch ein Motorradfahrer aus Hamburg. Schnell sind wir in einem munteren Gespräch und die Zeit vergeht wie im Fluge und so beginnt meine heutige Etappe doch wieder später.

Nach dem Ort bin ich schnell in einem Nadelwald. Der schmale Waldweg verläuft schnurgerade hindurch, nur gelegentlich gibt es zwischendrin eine leichte Biegung. Es ist schon wieder sehr warm und die Fichten bieten nur wenig Schutz vor der Sonne. Bis zum Horizont blicke ich auf endlose dünne lange Nadelbäume, sie wirken auf mich wie Streichhölzer. Stellenweise bewege ich mich auf einem Deich. Nach längerer Zeit wechselt der Nadelwald in einen Laubwald mit hauptsächlich Buchen und Birken. Sofort wird es dunkler und der Wald empfängt mich mit einer herrlichen Kühle.

Leider endet diese Kühle alsbald und ich erreiche ein Gestüt. Auf einer Koppel sehe ich nach Wochen zum ersten Mal wieder Pferde. Sie scheinen die Freiheit auf der großen Koppel zu genieße und einige galoppieren umher.

Nach diesem Gestüt geht es nun neben einer grob gepflasterten kleinen Straße entlang. Es wechselt öfters zwischen Laub- und Nadelwald. Die gepflasterte Straße bleibt noch für einige Zeit, doch mein unbefestigter Weg, nur wenige Meter entfernt davon, wechselt in einen neu asphaltierten Weg.

Inzwischen ist aus der gepflasterten kleinen Straße auch eine asphaltierte Landstraße geworden. Der Radweg verläuft weiterhin wenige Meter davon entfernt. Oft trennen eine Reihe Bäume Straße und Radweg. Nach einem Hinweisschild sind Stettin nur 31 Kilometer und ein Grenzort nur 3 Kilometer entfernt. Ich laufe durch das Stettiner Haff.

In Glashütte sehe ich dann auch, dass nicht überall der Wohlstand angekommen ist. In eines der renovierungsbedürftigen Gebäude kann ich durch ein geöffnetes Fenster schauen und erschrecke von der Armut, die mir dort sichtbar wird. Im Ort dann endlich ein Hinweisschild zu einem Gasthof. Ich eile dorthin, nur um hoffentlich der Hitze einmal zu entfliehen und etwas Kühles zu trinken. Am Gasthof angekommen, kann ich kaum glauben, dass dort einige Personen draußen sitzen. Im Inneren des Gasthofs ist diese gehoffte Kühle. Es ist mehr eine große Halle als ein normaler Gastraum. Nun genieße ich kühle Getränke und ein Eis.

Weiter geht es an der Landstraße mit separatem Radweg entlang. Heute sind mir nur wenige Fahrzeuge und noch weniger Radler und Menschen begegnet. Es ist ruhig geworden nach den Seebädern auf Usedom. Die Hitze ist heftig und inzwischen läuft mir der Schweiß in Strömen. Wieder kämpfe ich gegen Bremsen, die scheinen mich als Appetithappen entdeckt zu haben. Der Weg zieht sich und so langsam möchte ich irgendwo nur ankommen. Wo das weiß ich allerdings noch nicht. In Grünhof schaue ich erstmals nach einem Schild „Zimmer frei“.

Schließlich biege ich auf einen kleinen Wirtschaftsweg ab und nach meinem Navi erreiche ich in etwa 5 Kilometern einen größeren Ort. Meine Hoffnung steigt, hier eine Unterkunft zu bekommen. Das Zelt ist heute nur eine Notlösung. Es ist Gewitter für diese Gegend vorhergesagt.

In Pampow angekommen sehe ich kein Schild mit Zimmervermietung, doch auch keinen Menschen um danach zu fragen. Die scheinen vor der Hitze geflohen zu sein. Endlich entdecke ich ein älteres Paar im Schatten eines Daches auf Liegestühlen. Meine Frage fällt positiv aus. Die Frau zeigt mir ein Haus, dort soll ich es probieren. Weitere Möglichkeiten kennt sie hier nicht.

Je näher ich dem Gebäude komme, um so angespannter bin ich. Dann vor dem Eingang ein Schild: „Zimmer frei“. Jetzt noch die letzte Hürde und ich klingele. Eine Frau öffnet mir und ich erfahre, dass es nur ein Doppelzimmer, eigentlich eine Ferienwohnung, ist. Die Frau hat Erbarmen mit mir und ich kann eintreten.

Es ist ein großes Zimmer mit Ess- und Sitzbereich und am Ende des Raumes das große Doppelbett. Dann ein großer Sanitärbereich und die Küche, die ich aber nicht benutzen darf. Meine Frage nach einem Gasthof oder Restaurant zum Abendessen verneint sie. Sie bietet mir aber an, Spaghetti Bolognese zuzubereiten. Ich nehme dankend an und erhalte später einen großen Teller hoch mit dem leckeren Gericht serviert. Ganz anders als in Rieth, meiner letzten Station, als ich einen kleinen Teller mit überschaubarer Menge Bratkartoffeln und einem kleinen zähen Stück Fleisch bekommen hatte.  

Das Schreiben des Berichtes gebe ich schnell auf, nur die wenigen Bilder bereite ich fürs Internet vor. Dann liege ich erschöpft im Bett und bin auch schnell eingeschlafen.

 

103. Etappe: 02. August 2013

Bellin – Rieth  13,5 km

Wieder komme ich verspätet von der Jugendherberge weg. Meine heutige Etappe führt direkt an der Jugendherberge vorbei und schnell bin ich auf dem Radweg im Wald. Schon jetzt gegen 10:45 Uhr ist es drückend warm. Die Bäume spenden nur wenig Schatten. Bei einem Tümpel, wieder mit Algen überzogen beobachte ich einen Schwan und mehrere Enten. Ihr Schnäbel sind unentwegt unter Wasser. Hier scheint ein reichhaltig gedeckter Tisch für sie zu sein.

Vor dem Ortseingang halte ich bei einem Verkaufsstand von Obst, Gemüse und Eiern an. Hier stehen mehrere Stühle im Schatten. Als ich frage, ob ich mich dort hinsetzten darf, wird es mir gestattet. Gleichzeitig erhalte ich kostenlos eine Schale mit leckeren Himbeeren und später noch eine Schale mit Blaubeeren.

Die Frau fragt interessiert nach meiner Wanderschaft und dabei erzählt sie mir, dass sie zur Entspannung schon ein paar Mal im Kloster war. Ihr gefällt es dort sehr gut, nur hält die Entspannung leider nicht lange vor. Schnell sind wir beim Wandern und Pilgern und später bei weiteren Themen.

Weiter geht es durch Vogelsang-Warsin und durch Warsin und dann auf einem Wirtschaftsweg raus in die Natur. Es ist inzwischen heiß geworden. Der folgende Nadelwald bietet keinen ausreichenden Schatten. Es ist himmlisch still hier und ich mache auf einer Bank meine Pause und bin auch schnell eingeschlafen.

Der Nadelwald wechselt zu einem Mischwald. Die jungen Eichen sind noch in Buschhöhe und wieder einige Zeit später stehen zwischen den hohen Fichten bereits kleine Laubbäume. Sofort umgibt mich eine angenehme Kühle. Aus dem Wanderweg wird schließlich ein zusätzlicher asphaltierter Radweg. Erstmals sehe ich auch ein Hinweisschild zum Oder-Neiße-Radweg.

Schon die Ostsee wieder im Blick führt der Radweg auf den Deich. Beiderseits des Deichs wächst nun wieder Schilf. In einiger Entfernung sehe ich einen jungen Mann bei Pflücken am Deich. Als ich ihn erreiche, sehe ich, dass er Brennnessel sammelt. Ich frage ihn, ob er es als Gemüse verarbeitet. Er verneint und erklärt mir, dass es klein gehackt und unter das Futter für die Hühner gemischt wird.

Weiter auf dem Deich sehe ich schon von Weitem eine Aussichtsplattform, und als ich näherkomme, Personen oben stehen. Auch ich steige hinauf und habe eine herrliche Aussicht auf die Ostsee. Ich komme mit dem Radlerpaar schnell ins Gespräch.

Sie sind auch auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs. Beide haben schon anspruchsvolle Touren, auch in Skandinavien hinter sich gebracht. Auch mehrere Bergwanderungen in den Alpen sind dabei. Wir unterhalten uns über die Ausrüstung bei solchen Touren und schnell vergeht die Zeit im Gespräch mit ihnen.

Es ist inzwischen heiß und meine Lust noch lange zu laufen schwindet dahin. Bereits kurze Zeit später mache ich bei einem Imbiss mit einem kalten Getränk unter einem Sonnenschirm meine nächste Pause. Zur Sicherheit, da ich noch nicht weiß, ob ich eine Bleibe finde, lasse ich mir kühles Leitungswasser in meine Flasche füllen. Schon als ich mich dem Ort Rieth nähere, sehe ich ein Schild mit Pension und Zeltplatz. Dort marschiere ich hin, für heute reicht es mir. Die Zimmer und der Heuboden sind ausgebucht, aber auf der Wiese hinter dem Gebäude kann ich mein Zelt aufbauen. Diese Übernachtung kostet mich 7 € und ich habe den Sanitärbereich dabei.

Einige Zeit sitze ich noch draußen, doch gegen Abend fallen die Mücken über mich her. Ich flüchte ins Zelt. Eine Jugendgruppe trifft ein und bevölkert die Wiese und den Heuboden, ihre heutiges Übernachtungsdomizil. Noch einmal laufe ich zum vorderen Gebäude und will mir in den dortigen Ausstellungsräumen die Bilder anschauen. Als ich einen der Räume betrete, ist eine Frau beim Betten machen.

Sie hat dort für heute Nacht ein Notbett bekommen. Sie erzählt mir, dass sie ihre Tour in der Nähe von Berlin gestartet hat und bis nach Usedom will. Sie stammt aus Ravensburg. Von meiner Wanderschaft ist sie beeindruckt und schnell sind wir bei der notwendigen Ausrüstung, aber auch beim Tagebuch schreiben. Auch sie weiß, wenn man seine Eindrücke nicht sofort festhält, wird es schwierig. Der zeitliche Ablauf kommt durcheinander und in Vergessenheit. Sie hat einen sehr alten Zeitungsartikel über Usedom dabei, dort wurden sehr günstige Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. Sie will versuchen dort eine Übernachtung zu bekommen, sicher nicht mehr zu dem alten Preis.

Wieder im Zelt höre ich die Jugendlichen noch erzählen und lachen, doch es ist nicht laut. Schnell hat mich der Schlaf eingeholt.  

102. Etappe: 01. August 2013

Bansin – Bellin  27,9 km

Das Hotel verlasse ich bei bewölktem Himmel, es ist aber noch trocken. Angesagt sind noch Schauer für heute. Zunächst geht es immer runter zur Strandpromenade. Jetzt verstehe ich, warum die Straße Bergstraße heißt. Als ich auf der Strandpromenade angekommen bin, sind mir zu viele Menschen dort unterwegs.

Die Promenade ist fein säuberlich in Rad- und Fußweg getrennt. Die Radfahrer sind noch in der Mehrheit. Plötzlich bin ich eingekeilt zwischen Radfahrern in beiden Richtungen. An die Trennung von Rad- und Fußweg hält man sich nicht. In einem freien Moment weiche ich an den linken Rand des Fahrradweges aus. Doch das hätte ich nicht tun dürfen. Eine Frau ruft mir ärgerlich entgegen: „Geh auf den Fußgängerweg, du Blödmann.“

Je näher ich Heringsdorf komme, erledigt sich alles wie von selbst. Nun umgeben mich Heerscharen von Spaziergängern oder zum Strand eilende Badegäste. Nun bin ich unter Gleichgesinnten J. Jetzt ist auf dem Fußgängerweg kein Platz mehr für Radfahrer. Mir werden die Fußgänger zu viel, immer wieder muss ich abbremsen, warten oder überholen.

Wie an einer Schnur gefädelt, stehen prachtvolle alte Villen an der Strandpromenade. Nur noch vereinzelte alte Gebäude erinnern an andere Zeiten. Für Bade- und Kurgäste haben die Seebäder Bensin, Heringsdorf und Ahlbeck sicher viel zu bieten. Zum Fotografieren ist mir bei all den vielen Menschen jedoch die Lust vergangen und ich will nur noch entfliehen.

Fast am Ortsende von Ahlbeck mache ich dann meine erste Pause. Danach geht es weiter durch den Wald. Meine Hoffnung nach nun weniger Menschen zerschlägt sich schnell. Zwar sind jetzt weniger Spaziergänger unterwegs, doch die Radfahrerkolonnen nehmen nicht ab.

Die deutsch-polnische Grenze ist ganz unspektakulär. Ein Edelstahltorbogen mit den Namen beider Staaten und in beiden Sprachen, zeigt die Grenze an. Die Öffnung des Bogens zeigt in Richtung des Strandes und so durchschreite ich ihn auch und laufe auf einem hölzernen Steg dorthin. Menschen beider Nationalitäten begegnen mir. Nach den Stimmen zu urteilen, überwiegt hier jedoch die deutsche Sprache.

Der Strand an der Grenze ist fast leer, erst in mehreren Hundert Metern Entfernung auf polnischer Seite sehe ich viele Badegäste. Ich komme mir hier wie im Niemandsland vor. Nach diesem Ausflug zum Strand geht es zurück und nach dem Torbogen laufe ich gemäß Navi weiter geradeaus. Hier geht oder fährt niemand mehr. Es ist nur undeutlich der Weg zu erkennen. Einige Fußspuren im Sand zeigen mir, dass hier gelegt Menschen entlang laufen. Zwischen zwei Betonpfostenreihen verläuft ein Hohlweg. Etliche Betonpfosten sind stark angeknabbert vom Zahn der Zeit und stehen oder liegen ohne Zaun verloren in der Landschaft. Hier war wohl tatsächlich früher einmal Niemandsland zwischen den Grenzen. Am Ende des etwa 700-Meter-Sandweges gelange ich zu einem ehemaligen Grenzübergang. Noch aus der Ferne sieht dieser ehemalige Grenzposten unwirklich aus. Doch als ich ihn erreichen, sind die Symbole einer Staatsgrenze deutlich sichtbar. Auf deutscher Seite steht ein Zollfahrzeug und zwei Beamte stehen beobachtend davor. Ein Stück weiter Imbissbuden und ein paar Verkaufsstände.

Ich tanke hier erst einmal auf und mit dem Blick auf die Uhr ist meine Ruhe vorbei. Die letzte Fähre von Kamminke fährt um 16:10 Uhr und jetzt ist es 14:15 Uhr. Leider hatte ich vergessen, die Länge zur Fähre zu ermitteln. Ich weiß nur, es liegen noch einige Kilometer vor mir.

Dann beginnt ein Wettrennen mit der Zeit. Ich laufe durch den Wald – es ist ein Auf und Ab -, komme durch einen Ort, laufe wieder am Meer entlang – zur Festlandsseite – und erreiche vor Kamminke einen Campingplatz. Im Ort geht es dann zunächst steil runter zum Hafen und diesen erreiche ich kurz vor 16 Uhr. Als ich bei einem Imbiss nach der Anlegestelle frage, erhalte ich die Antwort: „Es ist noch viel… Zeit, noch ist das Schiff nicht da und dann muss erst einmal entladen werden.“

Bei der Auswertung der GPS-Daten stelle ich später fest, es waren 12,2 km und meine Geschwindigkeit bewegte sich zwischen 6 – 7 km/h. Unterwegs musste ich zwei Verschnaufpausen einlegen. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 6 km/h.

Ich sitze auf der Kaimauer und sehe schon von Weitem das herannahende Fährschiff. Als es anlegt, dauert es tatsächlich. Viele Fahrräder müssen entladen, dann das vom Rad entfernte Gepäck herausgebracht werden. Erst dann steigen die letzten Fahrgäste aus. Es ist ein munteres Treiben zwischen ankommenden und abreisenden Menschen an der Anlegestelle. Im Schiff erhalte ich die klare Ansage, der Rucksack darf nicht im Fahrgastraum auf die Bank gestellt werden. Im überdachten Außenbereich kann ich den Rucksack jedoch abstellen und dort bleibe ich dann auch.

Die Überfahrt durchs Haff nach Ueckermünde dauert etwa 80 Minuten. Zuletzt geht es auf der Uecker zum Stadthafen von Ueckermünde. Hier setzte ich mich erst einmal auf eine Mauer und beginne mit der Übernachtungssuche. Glücklicherweise habe ich wieder Empfang. Der Campingplatz kommt heute nicht infrage, außer ich finde nichts. Er liegt definitiv in falscher Richtung. Noch etwas weg von Ueckermünde, aber auf meiner Route gelegen, ist die Jugendherberge. Hier rufe ich an und erhalte die Antwort, dass ich kommen kann.

Auf meinem Weg nach Bellin zur Jugendherberge komme ich an einem Asia-Imbiss vorbei. Hier mache ich für mein Abendessen Rast. Wieder bietet ein Asia-Imbiss eine reichhaltige Auswahl an nicht Asiatischem, mit Döner, Currywurst etc.

Beim Essen springt mir die Werbung mit Büroräume ab 99 € pro Monat ins Auge. Hier muss viel Bürofläche leerstehen!

Ein kleiner Junge mit Hütchen und Trompete empfängt mich vor der Jugendherberge. Er bekommt schon deutliche Töne aus dem Instrument. Schon fast entschuldigend erhalte ich ein Notbett im Seminarraum und Spielezimmer. Als ich eintrete, bin ich überrascht. Was hier als Notbett bezeichnet wird, ist ein normales Bett und nicht ein übliches Jugendherbergsbett. Noch zwei weitere Betten stehen im Raum. Der Raum ist groß, eine Sitzecke mit Tisch und Stühlen und zusätzliche Sessel mit Tisch sind vorhanden. Ich bin noch alleine und habe dieses Reich für mich. Wenn ich so noch öfters in Jugendherbergen untergebracht würde, ich hätte nichts dagegen.

Etwas später komme ich im Büro noch mit dem Leiter der Herberge ins Gespräch und er gibt mir noch ein Weizenbier aus. Einige Zeit in meiner Suite versuche ich noch zu arbeiten, doch das Bier und die Anstrengung machen mich müde. 

101. Etappe: 31. Juli 2013

Damerow – Bansin  17,1 km

Ich verlasse das Hotel bei bewölktem Himmel. Schnell bin ich wieder am Deich und an meinem gestrigen Ausgangspunkt für die Unterkunftssuche. Es ist dunkler am Himmel geworden und ich bereite sicherheitshalber meinen Poncho vor. Schon wenige Minuten später habe ich den Regen wieder. Es ist ein herrlicher schmaler Waldpfad mit ordentlichen Anstiegen. An verschiedenen Stellen gibt es Aussichtsbuchten, mit weitem Blick auf die Ostsee und auf den unten liegenden Strand. Ich besuche ein paar dieser Aussichtspunkte. Zunächst bevölkern noch die Strandkörbe den Strand, doch das ändert sich schnell, je weiter ich mich vom Seebad Koserow entferne. Schwere dunkle Wolken hängen am Himmel und der Regen hat deutlich zugenommen.

Dann erreiche ich Kölpingsee und durchlaufe das Privatgelände einer Hotelanlage. In Strandnähe des Ortes und in Sichtweite des gleichnamigen Sees geht es einige Zeit weiter. Dann hat mich der Wald wieder. Jetzt werden die Steigungen deutlicher. Zunächst überholen mich viele Radfahrer, doch dann bei einer 16 %-Steigung erreiche und überhole ich sie alle wieder. Diese Steigungen machen mir richtig Spaß und ich kann mich mal wieder ordentlich verausgaben. Den Tunnelblick an und die Jagd auf die Radfahrer kann beginnen. Die meistens fahren noch schwungvoll zu Beginn der Steigungen, doch schon Momente später schieben sie ihre Räder. Vermutlich schmunzeln jetzt einige meiner Nordic-Walking-Gruppe im Lauftreff. Der Dampfmacher, wie Ludwig es in einem Kommentar ausdrückte, lässt jetzt seinen Dampf unterwegs ab.

Es folgen weitere Steigungen und ein schönes Waldgebiet. Der Regen hat inzwischen aufgehört und es klart etwas auf. Bei einer Rehaklinik mache ich meine erste Pause. Dort kann ich mich auf die Terrasse setzten und die inzwischen scheinende Sonne genießen.

Eigentlich wollte ich den Poncho schon einpacken, doch der wieder beginnende Regen lässt mich in den Eingangsbereich der Rehaklinik flüchten. Mein Aufbruch beginnt dann wieder mit Poncho und Regen. Bis nach Bansin, dem nächsten Seebad bleibe ich im Wald. Gleich bei Ortsbeginn kann ich mich auf ein Mäuerchen eines großen Hotels setzten. Hier klappt es auch wieder mit der Mobilfunkverbindung und dem Internet. Ich versuche im Seebad Ahlbeck, dicht der polnischen Grenze oder auch im Seebad Heringsdorf eine Unterkunft zu finden. Eine aussichtslose Sache, außer ich bin bereit, Zimmerpreise oberhalb von 150 € zu zahlen. Schließlich versuche ich es hier in Bansin. Zunächst mit ähnlichem Erfolg, doch dann habe ich Glück nach mehreren Anrufen. Das Hotel liegt nur einen Steinwurf von meinem Mäuerchen entfernt. Der Mann an der Rezeption ist ausgesprochen freundlich und ich bekomme einen reduzierten Preis für die Nacht und ein schönes Zimmer. Der Hotelier, der gerade hinzugekommen ist, ist ganz begeistert von meiner Wanderschaft. Er gibt mir einen wichtigen Hinweis, die Fähre bei Kamminke über das Haff nach Ueckermünde zu nehmen. Ich spare mir einen deutlichen Umweg zum Oder-Neiße-Radweg, meine Route für die nächste Zeit. Viel zu sehen gibt es auf meiner geplanten Route auch nicht, also entscheide ich mich für die Änderung. Einzig, der Besuch in Mönkebude, Manfreds Geburtsort, den ich auf meiner bisherigen Route durchlaufen hätte, muss nun entfallen.

Im Restaurant bekomme ich überraschenderweise auf Kosten des Hauses ein Getränk. Nach einem leckeren Fischgericht endet mein heutiger Tag. Als letzte größere Aktion behandele ich noch auf dem Boden vor einem großen Spiegel sitzend, meine Blase unter dem großen Zeh. Es ist nicht ganz einfach diese einzustechen. Einige Male treffe ich daneben.